St. Ingberker Anzeiger.
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A 65. Samstag den 24. April
Aufruf.
Am 16. September 1180 wurde dem Pfalzgrafen Otto von
Wittelsbach als Nachfolger Heinrichs des Löwen vom deut—
schen Kaiser Friedrich J. das Herzogthum Bayern verliehen, und
seit diesem denkwürdigen Tage waltet der Wittelsbacher erhabenes
Fürstengeschlecht milde und segenspendend über Bayerns Volk—
Ein reiches Programm zur Feier des glorreichen Ereignisses ward
für die k. HKaupt- und Residenzstadt München entworfen —
allein Seine Majestät geruhten in dem Allerhöchsten Hand⸗
schreiben, dat Hohenschwangau den 2. Februar 1880, zu
oerfügen:
„Insoweit prunkvolle Festlichkeiten in Aussicht genommen sind,
kann sich — so warme Anerkennung Ich der Anregung dieser
Projekte zolle — Mein landesväterliches Herz die außerordentlichen
Opfer nicht verhehlen, welche hieraus in wirthschaftlich ernsten
Zeiten den einzelnen Bürgern erwachsen würden.
„Ich weiß Mich und Mein Haus auch ohne Entfaltung
solch' äußeren Glanzes mit Meinem Volke eins und spreche dem—
gemäß als Meinen königlichen Wunsch aus, daß von der Durch—
führung so kostspieliger Unternehmungen in Meiner Haupt- und
Residenzstadt wie in den übrigen Orten Meines Landes Umgang
genommen werde. Mit Freude würde Ich dagegen begrüßen,
wenn ein Theil der hiefür benöthigten pekuniären Mittel einer den
Namen der Wittelsbacher tragenden Landesstiftung gewidmet würde,
deren Begründung besonders geeignet wäre, der denkwürdigen Feier
einen unvergänglichen und fortdauernd segenspendenden Charakter
zu verleihen.“
Eine allerunterthänigste Bitte, zur Begründung einer Wittels⸗
bacher Landesstiftung die Bewilligung zur Vornahme von Samm—
lungen im ganzen Königreiche zu ertheilen, wurde allerhuldvollst
zewährt und von Seiner Majestät dem Könige zugleich als Zwedk
der Stiftung die „Förderung des Bayerischen Handwerks in Stadt
und Land“ zu bestimmen geruht.
Dieser königliche Wunsch wird freudigen Wiederhall im ganzen
Lande finden; — er ist der Ausfluß weiser Fürsorge und eines
andesväterlichen Herzens, das warm schlägt und tief empfindet
ür Seines Volkes Glück und Wohl.
Das Handwerk bildet eine der unentbehrlichen Grundlagen
der gesellschaftlichen Ordnung; die Wohlfahrt eines Volkes ist be—
dingt durch das Bestehen eines füchtigen, blühenden und seines
Werths bewußten Handwerkerstandes.
Die gesellschaftlichen Umwälzungen unseres Jahrhunderts ha⸗
ben auch auf das Handwerk in Bayern einen tiefgreifenden Einfluß
zeübt, und nicht selten tauchte die Meinung auf, daß neben dem
Großindustriellen und dem Fabrikarbeiter für den Handwerker in
unserer sozialen Ordnung kein Platz mehr vorhanden sei.
Bereits hat aber das bayerische Handwerk das Haupt wieder
erhoben. Aus den Hallen der Großindustrie, aus den Museen, in
denen der Väter Werke aufgespeichert sind, und aus den Schulen,
die seinen besonderen Bedürfnissen dienen, hat es sich neues Rüst—
zeug geholt und muthig begonnen, sich den goldenen Boden wieder
zu erobern, der ihm nach dem Sprüchwort gebührt. Schwer jedoch
ist der Kampf, und das bayerische Handwerk verdient in diesem
Ringen unterstützt zu werden. Die allerhöchste Landesstiftung wird
daher einem dringenden und in weiten Kreisen empfundenen Be—⸗
dürfnisse entsprechen.
Dem unterzeichneten Comite ist die Einleitung des Vollzugs
der Sammlung anheimgegeben worden, und es wird Sorge tra—
zen, daß alsbald in den einzelnen Kreisen zur Durchführnng der—⸗
elben unter ihren Bewohnern Comite's gebildet werden.
Durchdrungen von der Ueberzeugung, daß ganz Bayern der
glorreichen Jubelfeier die wärmsten Sympathieen entgegenträgt,
bitien wir der Festesfreude, den patriotischen Gesinnungen, der
Tankbaskeit und Liebe für das Königliche Haus durch reiche Spen⸗
den zur Wiltelsbacher Landesstiftung Ausdruck zu geben, den lan⸗
ezptterlihen Wimn'sch umnieres Allelieblen Köniqs zu erfüllen.
Möge Wittelsbachs erhabenes Fürstengeschlecht auch durch die
ünftigen Jahrhunderte mit dem Volke der Bayern in Treue und
Liebe verbunden sein
München, den 27. März 1880.
Das provisor. LandesComite zur Errichtung einer Wittels⸗
bacher Landes⸗Stiftung. J
Deutsches Neich.
Zur Auswanderungs-Frage schreibt der „Pfaͤlz. K.“
Wir haben neulich eine Notiz über die massenhafte Auswanderung
Jebracht, welche in diesem Frühjahr in allen Theilen Deutschlands
vor sich geht. Und wohlgemerkt, es sind nicht blos vermögenslofe
deute, die der Heimath den Rücken kehren; es wird in den Be—
richten ausdrücklich hervorgehoben, daß die Auswanderer in diesem
Jahr im Allgemeinen viel besser und reinlicher gekleidet sind, als
es in früheren Jahren in der Regel der Fall war. Es gehen
Leute fort, welche die Mittel hätten, auch hier zu Lande sich gut
'ortzubringen. So wird z. B. aus Holstein gemeldet, die Schaden⸗
dorfer Sparkasse habe binnen wenigen Tagen gegen 17,000 M.
an Leute auszuzahlen gehabt, welche auswandern. Und Aehnliches
hört man auch aus anderen Bezirken der Provinz Schleswig-Hol⸗
stein, die doch wahrlich weder unfruchtbar noch übervölkert isi.
Was für Gründe es sind, durch welche Tausende und aber
Tausende über's Meer getrieben werden, und zwar nicht blos Leute, die
vir gern los wären, sondern auch viele solche, welche unschätzbare Capi⸗
alien von geistiger und körperlicher Kraft, von den Geidmitteln ganz
abgesehen, uns entführen — dies zu untersuchen ist wohl der Mühe
verth. Für heute wollen wir auf einen Punkt hinweisen, welchen die
„Germania“ berührt, und der nach manchen übertriebenen, ja über⸗
spannten Aeußerungen in den jüngsten Militärdebatten im Reichs—
tag nicht selten übersehen wird, von dem man auch wohl hier und
da nicht gern reden hoͤrt.
Die „New⸗Yorker Handelszeitung“ bringt die gesteigerte Aus—
wanderung aus Deutschland mit der Militär-Novelle in Zusammen⸗
hang. Das ist gewiß zu früh; diese Vorlage konnte nicht jetzt
schon Auswanderer nach Amerika führen. Daß sie aber die Aus—
vanderung noch vermehren wird, bezweifeln wir nicht. Denn man
zatte doch in den weitesten Kreisen des deutschen Volkes sich der
Hoffnung ergeben, mit den im Jahr 1874 fixirten militärischen
Anforderungen sei nun endlich ein Abschluß gefunden; die Ent⸗
äuschung durch die neue Vorlage hat, bei der bestehenden wirth⸗
schaftlichen Nothlage zumal, weithin entmuthigend, ja vielfach wahr⸗
zaft niederdrückend gewirkt. Wo die Organe der Staatsregierung
virklich Fuhlung mit dem Volk haben, werden sie nicht anders be—
richten können. Und was jetzt schon in der gesteigerten Auswan-
derung zum Ausdruck kommt, das ist, wie es die „Nat.-Zig.“
richtig ausdrückt, neben anderen Gründen auch der Glaube an neue
triege, welcher seit einigen Monaten im Volk Boden gewonnen
hat, einerlei, ob mit Grund oder mit Unrecht.
Wir charakterissiren diese Erscheinung und ihre Consequenz
iberhaupt nicht; wir constatiren sie nur. Wer aber vor der That-
ache seine Augen verschließen möchte, den machen wir auf den
tatistischen Nachweis aufmerksam, daß die Kriege von 1866 und
1870, welche dem Volke die Kriegslasten und Kriegsleiden so
ebendig zum Bewußtsein gebracht hatten, regelmäßig eine bedeutend
gesteigerte Auswanderung im Gefolge gehabt haben, und daß ferner
der Procentsatz der Militärpflichtigen unter den Auswaänderern
in furchtbarer Zunahme begriffen ist. Nach Kolb war die Zahl
der „ausgetretenen“ Militärpflichtigen, gegen welche gerichtliche
Strafurtheile ergingen, in Preußen 1862 erst 1648, 1870 bereits
7464, 1872 sogar 10,690; zusammen in den 11 Jahren 50,603.
Im Jahr 1862 kamen auf je 10,000 Einwohner 0O,«a pCt. mili⸗
ärpflichtiger Auswanderer, 1872 bereits 4,354 pSt. Im vorigen
Jahr betrug. wie der Abg. Richter bei den jüngsten Debatten con⸗
tatirte, die Zahl der Verurtheilten, welche sich der Militärpflicht
»urch Auswanderung enizogen hatten, 14,000. Dabei war im
vorigen Jahr die Auswanderung im Allgemeinen gar nicht einmal
tark! Aber bereits 1873 hatten unter den 48,757 anuz Preußen