Sst. Ingberler Anzeiger.
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M 70. Sonntag den 2. Mai
i1800
Deutsches Reich.
Berlin, 29. April. Gestern hat die Mehrheit des Reichs—
tags, 181 gegen 69 Stimmen, wenigstens bis zum nächsten Jahr,
das heißt bis zur Neuwahl des künftigen Reichstags, die Einführ—
ung des Tabakmonopols unmöglich gemacht. Nach eingehenden
Debatten, die offen legten, daß nur ein Theil der Conservativen,
z. B. Graf Stolberg, Fürst Hohenlohe, v. Lerchenfeld, dann Völk,
Schauß ꝛc. für das Tabakmonopol seien, wurde der Antrag Buhl⸗
Deibrück mit dem oben angegebenen Stimmenverhältniß angenommen.
Zu der in zweiter Lesung dem Reichstage vorliegenden
Münzgesetznovelle haben die Abgg. Delbrück und Bam—
herger foigenden Zusatz beantragt: „Das zu neuen Ausprägungen
erforderliche Silber wird, soweit möglich, mittels Einziehung von
Thalern beschafft.“
Der Reichstag überwies den Gesetzentwurf über die Reichs—
stempelsteuer einer Kommission von 21 Mitgliedern.
Nach der „Fr. Z.“ beantragt der Abg. Virchow, unterstützt
von der Fortschrittspartei, den Antrag Völk's auf Herabsetzung
der Ziffer der Beschlußfähigkeit des Reichstages abzulehnen,
ferner den Reichskanzler aufzufordern, eine Vorlage wegen Gewähr—
ung von Dieten für die Reichstagsmitglieder zu machen. Ferner
beantragt er, daß dem Reichstag das Recht eingeräumt werde, die
GBegenwart des Reichskanzlers zu verlangen.
Der Seniorenconvent des Reichstags beschloß, daß am
Dienstag, 11. Mai, die Reichstagssession zum Schluß kommen
solle. Bis zum Schluß werden noch erledigt: das Wucher⸗, So—
cialisten⸗ und Viehseuchengesetz, der Handelsvertrag mit Belgien, und
die Interpellation wegen Einverleibung von St. Pauli in den
Zollverein, wahrscheinlich auch noch die Brausteuer. Unerledigt
—
recht für Pfandbriefe, die Dienstwohnungen der Reichsbeamten,
die Münzgesetz⸗Novelle und der Antrag Völk auf Herabsetzung der
Beschlußfähigkeit des Reichstags.
Man wollte in Kreisen der Reichstagsabgeordneten wissen,
das Ergebniß der Abstimmung bezüglich der Samoa-Vorlage
(nämlich deren Ablehnung) habe den Fürsten Bismarck sehr ver—⸗
stimmt, und es werde daran gedacht, die Angelegenheit in anderer
Form nochmals vorzubringen. Wahrscheinlicher ist es, daß, wie
andererseits behauptet wird, die Jnteressenten, nunmehr versuchen
werden, ohne Reichshilfe das Unternehmen der Südjeegesellschaft
lebensfähig zu machen. (Köln. 3ta—
Der große Brand der Niederhöfer'schen Möbelfabrik in
Edenkoben hat leider auch noch ein anderes Unglück in Ge—
folge gehabt. Ein Feuerwehrmann fiel nämlich, während er von
einer hölzernen Galerie aus dem Feuer beikommen wollte, in den
dofraum und verletzte sich in nicht unbedeutendem Grade.
In Edenkoben hat sich ein provisorisches Comite zur
Bildung eines Gewerbe-Vereins daselbst gebildet.
'Aus Eisenberg wird der „Pf. Pr.“ gemeldet, Frhr.
Fugen v. Gienanth habe die Friedrich'sche Papiermühle gekauft,
die nun nach langem Stillstand wieder in Betrieb gesetzt werden
solle. Der Kaufpreis wird mit 165,000 bis 170.000 Mk. an⸗
gegeben.
Karlsruhe. Der hiesige Gewerbeverein hat sich ein—
timmig gegen die Quittungssteuer ausgesprochen und beschlossen,
in einer Eingabe an den Reichstag diesen zu bitten, dem Gesetz-
entwurfe seine Zustimmuag zu versagen. Die im Lande bestehen⸗
den Gewerbevereine sollen außerdem aufgefordert werden. ein Glei⸗—
hes zu thun.
F Die Nachricht der Nürnberger Blätter von der Erhebung
des Fabrikbesitzers Lothar v. Faber in den Freiherrnstand wird
ietzt als verfrüht erklärt.
X Englische Fußboden⸗
Der Stadtrath von St. Ing—
bert hat in seiner Sitzung 8 Gel Cackfarbe.
22. April 1880 folgende Be⸗ Haltbarstes Fabrikat, zum
schlüsse gefaßt: Selbst-Lackiren der Fußböden,
1. Die Trennung der Ein- trocknet in einigen Stunden hart
nehmerei und die Auf- und glänzend.
stellung eines städtischen Niederlage bei
Einnehmers beantragt. VPhilipp Klinck.
Der Brunnen am Weiher—⸗ —Jee *
damm soll überdeckt werden auggezeichneten, Uberall ge⸗
Die Erhebung einer provi⸗ 293 2
orischen Umlage wurde Pianinos
ahuigt
die Errichtung Aner * — eee Niee
Schankwirthschaft durch K. Tu Weidensiavuer, gabrit
Munzinger wurde bequt⸗ ꝛa rin vwW
achtet.
Die Verlegung der Wirth⸗
schaft des ꝛc. Paulus in
ein im Steinbruch gelegenes
Wohnhans wurde abschläg⸗
lich beschieden.
Auf Grund des Art. 74
des St.«G.eB. wurde we—⸗
zen der Pferdeschlächterei
eine ortspolizeiliche Vor—
chrift erlassen.
Der noch vorhandene Rest
des Gemeindeberechtigungs⸗
Holzes soll unter der Forst⸗
taxe abgegeben werden.
Die Herstellung eines
Schlachthauses wurde in
Erwägung gezogen und ver⸗
tagt.
St. Ingbert, 1. Mai 1880.
Das Bürgermeisteramt:
GCuster.
⸗anuf—⸗
Conuverts
per 1000 Stück 3.59 Mk. zu
haben bei F. T. Demen,k.
Fuür die Nedaction verantwortlich: F. X. Demek.
Vermischtes.
Der „Zw. Zig.“ wird unterm 29. April aus Nieder—
auerbach geschrieben: Gestern wurde hier eine Frau beerdigt,
die das hohe Alter von 91 Jahren erreicht hatte. Es war dies
eine Wittwe, die sammt ihrer 64jährigen ledigen Tochter im Ge—
meinde-⸗Armenhause wohnte und von der öffentlichen Mildthätigkeit
lebte, welche durch die Tochter von den Bewohnern von hier und
Zweibrücken in ausgiebiger Weise in Anspruch genommen wurde.
Sei es nun aus purer Kindesliebe oder sei es aus Besorgniß um
das irdische Dasein, weil die Tochter ihre Ernährerin verloren,
wollen wir dahingestellt sein lassen: kurz, die Tochter wußte sich in
ihrem Schmerze um die Gestorbene nicht zu fassen, sie wollte das
Leben ohne sie nicht mehr ertragen, und so sprang sie plötzlich
zum Schrecken aller das Grab Umstehenden und den Herrn Geist-
lichen in seiner Rede jäh unterbrechend in das offene Grab, schrie
mit gellender Stimme: „Ich will lebendig bei ihr bleiben, ich will
lebendig mit ihr begraben werden!“ und alle Ermahnungen an
sie, wieder herauszusteigen, da es bei uns doch nicht Sitte sei, sich
lebendig begraben zu lassen, halfen Nichts, sondern es mußte die
Polizei ihre Macht entfalten, sie gewaltsam dem Grabe entreißen,
vor das Kirchhofthor eskortiren und dasselbe hinter ihr ver—
schließen, worauf dann das Zeremoniell der Beerdigung seinen
weiteren Verlauf nahm. Die so über alle Maßen vom Schmerze
zebeugte Tochter muß sich jedoch bald in das Unvermeidliche ge⸗
funden haben, denn schon nach einer halben Stunde erschien sie
wieder in verschiedenen Häusern, um „für ihre alte Mutter“ ein
Almosen zu erbitten.