St. Ingberler Anzeiger.
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Migz.
Samstag, den 28. Auaust
1885
Deutsches Reich.
Müünchen. Se. Maj. der König hat dem Minister Dr.
bp. Lutz den erblichen Adel mit dem Prädikat „von“ verliehen;
ferner den Hofsekretär Regierungsrath v. Bürkel zum Ministerial—
rath extra statum im Ministerium des Innern, unter Belassung
in seiner Stellung am kgl. Hofe, ernannt.
Bei dem Festdiner, welches am 24. August bei dem
bayerischen Minister des Auswärtigen in München stattfand,
brachte der päpstliche Nuntius einen Toast auf den König aus.
Minister von Crailsheim erwiderte mit einem Toast auf die bei
dem bayerischen Hofe vertretenen Souveräne und Regierungen.
Bekanntlich hat Abg. Dekan Rußwurm als Referent in der
bayerischen Abgeordnetenkammer sich gegen den die Aufhebung
des siebenten Schuljahres bezweckenden Antrag des Abg. Frhrn.
o. Hafenbrädl ausgesprochen. Wie man jetzt aus der „Amb.
Volksztg.“ erfährt, hatte Rußwurm schon vorher seine Absicht, den
Hafenbrädl'schen Antrag zu bekämpfen, der Capitelversammlung
kundgegeben und hatten die Capitularen dieselbe gebilligt; auch
bersichert genanntes Blatt, daß Rußwurm sich dabei der Zustim—
mung hoher kirchlicher Würdenträger erfreue.
Durch das Ministerium war das Oberlandesgericht zu
Nürnberg zur Abgabe eines Gutachtens darüber aufgefordert,
ob den nicht zu dem Stande der Kaufleute gehörenden Grundbe—
sitzern und Gewerbetreibenden, namentlich Handwerkern, die bis—
herige Wechselfähigkeit zu erhalten sei. Wie nun die „Abdztg.“
hört, spricht sich das vom kgl. Oberlandesgericht abgegebene Gut—
achten in eingehender und entschiedener Weise gegen Beschränkung
der Wechselfähigkeit aus.
Von Neuem taucht — und diesmal aus sehr guter QOuelle
— die Nachricht auf, daß mit Herrn v. Bennigsen Verhand—
lungen wegen Uebernahme der BVizekanzlerstelle und
des ständigen Vorsitzes im Bundesrathe im Gange seien. Man
erinnert sich, daz der jetzige Vizekanzler, Graf v. Stolberg, kurze
Zeit vor der Ernennung des Herrn Hofmann zum Staatssekretär
für Elsaß-Lothringen plötzlich in Berlin erschien und, nachdem er
mehrere Unterredungen mit verschiedenen hohen Reichsbeamten ge—
aflogen, ebenso unerwartet, wie er gekommen, wieder auf seinen
Landsitz zurückkehrte. Schon damals wurde dieser scheinbar durch
aichts motivirte Besuch in Berlin mit der Absicht erklärt, die Graf
Stolberg haben sollte, sich aus der Bizekanzlerstelle zurückzuziehen;
reine Vermuthung, die damals freilich vielfachen Widerspruch erfuhr
und auch, nach Lage der Dinge im Allgemeinen, wenig Glauben
jand. Angesichts der jetzt mit so großer Bestimmtheit auftretenden
Angabe, daß Herr v. Bennigsen für diese Stelle ausersehen sei,
muß indeß die damalige Erklärung für jene auffällige Reise des
Grafen Stolberg in einem wesentlich anderen Lichte erscheinen, und
thatsächlich spricht denn auch Manches, was in der Zwischenzeit
bekannt geworden, ziemlich gewichtig dafür, daß eine Aenderung in
dem betreffenden Amte bevorsteht. Noch weiß man freilich nicht,
ob Herr v. Bennigsen seinerseits Neigung bezeigt hat, die ihm an⸗
getragene Stellung anzunehmen. Sollte er sich bereit dazu finden
lassen, so würde die Führung des rechten Flügels der National⸗
liberalen voraussichtlich Herrn Miquel, dem Oberbürgermeister von
Frankfurt a. M., zufallen. Für jetzt dreht sich das Hauptinteresse
darum, ob Herr v. Bennigsen seine frühere Abneigung, in das
jetzige durch und durch konservative Kabinet einzutreten, uͤberwinden
wird. Fast scheint es so, wenn es wahr ist, was man meldet,
daß der Besuch der bayerischen Minister v. Lutz und v. Crailsheim
beim Reichskanzler in Kissingen den Zweck gehabt habe, die Er—
nennung Bennigsens zum Bizekanzler und ihre weiteren Evbentu—
alitäten gemeinschaftlich mit dem Fürsten Bismarck zu besprechen.
Vollzieht sich die Ernennung wirklich, so würde sie den großen
Vortheil bieten, daß endlich eine praktische Fuhlung zwischen Re—
gierung und Parlament hergestellt würde, die uns zum wesentlichen
Schaden für den Gang der öffentlichen Angelegenheiten während
der letzten Jahre vollstandig gefehlt hat.
Die Berliner halbamtliche, Provinzial⸗Korrespondenz“ bring
einen Artikel anläßlich des Jubiläums des Hauies Wistelsbag
worin sie der vielfachen und großen Verdienste des Königs Lud⸗
wig I. um Deutschland gedenkt, namentlich der Initiative zur
Wiederherstellung der Kaiserwürde. Der Ariikel schließt mit fol⸗
genden Worten: „Mit dieser That des Hochsinnes hai das glor⸗
reiche Haus Wittelsbach einen Abschnitt seiner Dauer als Herrscher⸗
zeschlecht bezeichnet, dem zum siebenten Jahrhundert noch ein Dezen⸗
nium fehlte. Heute ist auch dieses Dezennium vollendet, es zeigte,
daß König Ludwig den Sinn, in welchem er ein neues Deutsch-
land herbeiführen half, in einem festen und königlichen Herzen
hewahrt, um die große Schöpfung zu erhalten und zu stärken. So
blickt heute das gesammte Deutschland vom Kaiser bis zum schlichten
Bürger mit Stolz auf das glorreiche Haus der Wittelsbacher und
auf die unter ihnen vereinigten reichbegabten ehrenhaften deutschen
Stämme.“
Die preußische Regierung entsandte einen vortragenden
Rath des Handelsressorts zur Inspizirung der Fabriken aller großen
Industrieplätze der Monarchie, wobei Angehoͤrige der Provinzial⸗
cegierungen mitwirken sollen, um über Fabrikanlagen und Arbeiter⸗
»erhältnisse zu berichten. Man schließt von diesen Erhebungen auf
die Absicht, Vorlagen über gewerbliche Fragen dem Reichstag zu
unterbreiten. Offiziös wird gleichzeitig die Ungabe, daß der Ge—
etzentwurf über die Haftpflicht für Unfälle von Arbeitern aufge—
geben sei, dementirt.
Nach dem Plane, der für die Neuanlage und Ver—
stärkung der deutschen Festungen im Jahre 1878 ent⸗
vorfen und genehmigt worden ist, sollte die gänzliche Vollendung
der Festungsbauten in einem Zeitraume von 11 Jahren, also im
Jahre 1884 bewerkstelligt sein. Diese Bauten sind jedoch so be—
eilt und es ist hierbei eine so angestrengte Thätigkeit entwickelt
worden, daß ein großer Theil bereits schon jetzt fertig ist, der
Rest aber vor dem Ablauf der planmäößigen Zeit vollendet
sein wird.
Die Frage der Herabsetzung der Gebühren und
Berichtskosten wird, wie verlautet, den Bundesrath sofort nach
seinem Zusammentreten in der zweiten Hälfte des Monats Sep-
ember bdeschäftigen. Wie die „Trib.“ hört, wird die württember⸗
zische Regierung einen Antrag auf Herabsetzung der Gebühren im
Bundesrathe einbringen, der hoffentlich auch eine Maiorität auf sich
vereinigen wird.
Der deutsche Kronprinz besichtigte dieser Tage die
württembergischen Truppen; gegenwärtig weilt er in Wuürzburg um
Truppentheile der bayerischen Armee zu inspiziren.
Bei dem vor Kurzem erfolgten Abschlusse des diesjährigen
Ersatzgeschäftes in den Reichslanden hat sich das
günstige Ergebniß herausgestellt, daß mehr taugliche Mannschaften
gestellt werden, als auf Elsaß-Lothringen nach seiner Bevölkerungs⸗
ziffer entfallen. Im Ganzen sollten 4461 Mann einschließüch
294 Mann Nachersatz zur Aushebung gelangen. Es ist jedoch
außer den eingetretenen 732 Dreijährig-Freiwilligen die diesjaͤhrige
'aktische Aushebung ohne Nachersatz auf 4729 Mann gekommen,
während von den Gestellungspflichtigen überhaupt 8415 Mann als
pollkommen tauglich zur Diensteinstellung befunden worden sind,
und zwar in Ober⸗-Elsaß 2711, in Unler-Elsaß 3290, in Loth⸗
ringen 2414. Eine weitere Aenderung ist insofern zu vermerken,
als die meisten der im Reichslande garnisonirenden Regimenter
bereits Reserveoffiziere aufzuweisen haben, welche von Geburt Elsaß⸗
Lothringer sind; dagegen dürften die Fälle, in denen geborene El—
saß-Lothringer als aktive Offiziere zu den Regimentern gehören,
doch nur höchst vereinzelt sien. Im Großen und Ganzen haben
sich die eingeborenen Kreise von der Wahl des militärischen Be⸗
rufs im Offiziersstande noch durchweg ferngehalten und steht darin
so bald eine Aenderung auch wohl kaum zu erwarten.
Gambetta's „Nepublique fraugçaise“ bespricht den
in vor. Nr. d. Bl. erwähnten Artikel der „Nordd. Allg.
Ztg.“ und äußert sich dahin, es sei unnütz, mit der ‚Norddeutschen“
eine Diskussion über die Rechte Deutschlands auf das Elsaß zu
heginnen. Die „Republique“ nimmt ferner Atlt von den friedlichen
Versicherungen der Norddeutschen.“ protestirt aber gegen die Stelle