Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

St. Ingberler Anzeiger. 
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1880. 
M. 
X 
Donnerstag, den 9. September 
Deutsches Reich. 
Das bayerische Ministerium des Inneren bringt zur 
Kenntniß, daß der „Kaiser-Wilhelmspende, allgemeinen deutschen 
Stiftung für Alters- Renten- und Kapitalversicherung in Berlin“ 
unter'm 17. Aug. ds. Is. die Erlaubniß zur Ausdehnuug ihres 
Beschaftsbetriebes auf das Königreich Bayern ertheilt worden ist. 
Im Hinblick auf den gemeinnützigen Zweck der genannten Anstalt, 
in deren Aufsichtsrath sich gemäß 8 15 des Statuts auch ein Ver—⸗ 
reter der bayerischen Staatsregierung befindet, wird den kgl. Re— 
zierungen, den Diftriktspolizeibehörden und Gemeindebehörden in 
Folge eines Ersuchens der Direktion der Stiftung empfohlen, die— 
senigen Kreise der Bevölkerung, deren Interessen die Stiftung 
hauptsächlich zu dienen bestimmt ist, über die Vortheile, welche eine 
Zetheiligung an der Wilhelmsspende bietet, in geeigneter Weise 
aufzuklären und die Bemühungen der genannten Direktion um 
Zewinnung ausreichender lokaler Vertreter nach Thunlichkeit zu 
unterstützen. 
Die von Sr. Maj. dem Deutschen Kaiser zur Erinnerung an 
den Tag von Sedan an die deutsche Armee erlassene Proklamation 
ist den bayerischen Truppen durch besonderes Reskript des kgl. 
Kriegsministeriums bekannt gegeben worden. 
Der deutsche Kronprinz ist am 4. September Abends von 
Augsburg nach Darmstadt abgereist. Zur Verabschiedung 
hatten sich der Herzog Ludwig von Bahern, der Kriegsminister v. 
Maillinger mit der Generalität, das Offizierkorps des ersten Ulanen— 
xegiments, der Regierungspräsident v. Hörmann, die Stadtibehörde 
und das Ausschußkomite, vom Bürgermeister v. Fischer geführt, 
auf dem Bahnhofe eingefunden. Der Kronprinz verabschiedeie sich 
von allen Anwesenden aufs herzlichste (von dem Prinzen Ludwig 
durch Umarmung und Kuß) und dankte den Mitgliedern der Stadt⸗ 
behörde wiederholt für alle ihm während seines Hierseins erwiesenen 
Ehren. Die zahlreich herbeigeströmte Bevölkerung brach bei der 
Abfahrt in stürmische Hochrufe aus. 
Die offiziöse „Nordd. Allg. Zig.“ bezeichnet auf Grund ihrer 
Informationen die Nachricht einiger Blätter, daß Staatssekretär 
Stephan zum Verkehrsminister, Geh. Rath Tiedemann zum Chef 
des Reichsamtes des Inneren ernannt und Wirkl. Geh. Rath Her— 
zog mit dem Vorsitz im Bundesrath betraut sei, und daß diese Er— 
nennungen Anfang Oktober publizirt werden würden, als in ieder 
hinsicht grundlos. 
Es kann als gewiß angesehen werden, daß die nächste Zeit 
teine Vorlage betreffend die Beschränkung der Wechsel— 
fähigkeit bringen wird. Die erstatteten Gutachten haben auf den 
Reichskanzler ihren Eindruck nicht 5 Es heißt, daß derselbe 
mit einer etwas kurz angebundenen Aeußerung die „Geschichte“ als 
für ihn abgethan erklärte, und so mag denn Graf Wilhelm Bis— 
marck (Sohn des Reichskanzlers) auf seine weitere politische Lauf— 
bahn die Lehre mitnehmen, daß das deutsche Privatrecht kein ganz 
geeigneter Boden ist, um auf ihm das Roß der Reaktion zu fum— 
meln. Auf alle Fälle verdient er Dank dafür, daß er durch seine 
Anregung es ermöglicht hat, klarzustellen, wie ungemein feste Wur⸗ 
zeln das Prinzip der allgemeinen Wechselfähigkeit im ökonomischen 
Leben Deutschlands geschlagen. 
Die, Tribüne“, das Organ der neuen liberalen Gruppe 
schreibt: „Die Bemühnngen, eine kräftigere liberale Partei in 
Deutschland zu formiren als die bisherige es ist, haben ihrem 
Ursprung und Zweck nach durchaus nichts mit einem Jank um 
Personen oder theoretische Prinzipipienfragen gemein. Mit Genug— 
thuung gewahren wir, daß täglich mehr Stimmen auch aus na⸗ 
tionalliberalen Kreisen kommen, welche zugeben, daß die in dem 
neuen Manifest aufgestellten Grundfätze von allen Liberalen 
unterschrieben werden können. Wenn das, wie wir vom ersten 
Angenblick an betont haben, in der That der Fall ist, und wenn 
andererseits über die im Volke weit verbreitete Forderung nach 
fest e rem Auftreten der Liberalen kein Zweifel mehr herrschen 
lann, so können wir den weiteren Aufbau der Partei geirost der 
naͤchsten Zeit überlassen und sicher sein, auch diejenigen der bis— 
zerigen Genossen schließlich an ihm theilnehmen zu sehen, die, sei 
es aus Mißverständniß, sei es aus Zaghaftigkeit, Empfindlichkeit 
der sonstigen aͤußeren Gründen, die Last der Fundamentirung des 
Bebäudes vorläufig Anderen überlassen.“ 
Ausland. 
Anläßlich verschiedener Angaben erklärt das Amtsblatt der 
französischen Regierung: „Die Regierung ist weder gegenüber 
dem Vatikan, noch gegenüber dem päpstlichen Nuntius oder irgend 
einer anderen Person irgend eine Verpflichtung bezüglich der Aus— 
ührung der Märzdekrete eingegangen. Ihre Aktionsfreiheit ist eine 
»ollständige, und ihre Entschließungen hängen nur von ihr selbst 
ab. Jede entgegengesetzte Behauptung entbehrt der Begründung.“ 
Die dritte französische Republik feierte am Sams⸗ 
tag den 4. Sept. ihren zehnten Jahrestag. 
Die Wiener „Politische Korrespondenz' bringt eine Mit⸗ 
heilung aus Athen, wonach in den ersten Tagen der Kammer— 
jession unzweifelhaft die Vorlage wegen Votirung einer Million 
Franks zur Tilgung der Schuld an Bayern zu er—⸗ 
warten stehe. 
Die englische Zeitung „Daily Telegraph“ meldet aus Kon⸗ 
stantinopel vom 7. ds. Mts: Die Pforte überreichte heute 
Abend den Bolschaftern eine Note, wodurch die Mächte benachrich— 
sigt werden, daß Dank den Bemühungen Riza's (des Bevollmäch⸗ 
tigten der Pforie) die Albanesen die Abtretung Dulcigno's 
akzeptirt haben. Riza sei in Folge dessen beordert, Stadt und 
Distrikt Dulcigno den Montenegrinern zu übergeben. Anderweite 
Bestätigung dieser Nachricht liegt noch nicht vor. 
Die Pforte hat die türkischen Botschafter angewiesen, Schritte 
hei den Großzmächten zu thun, um dieselben unter Hinweisung 
auf die Verwickelungen, welche die Flottendemonstration nach sich 
ziehen könnte, zu bestimmen, von letzterer Abstand zu nehmen. 
Schwurgericht der Pfalz. 
11I. Quartal 1880. 
6. Sept. (Fall Ra u sch. Schluß.) Der Angellagte ist ein aller, durch 
Wermäßiges Branntweintrinken abgestumpfter Mensch und macht den Eindruck 
zroßer Beschränktheit. Er leugnet hartnäckig, den Brand gelegt zu haben. 
Vie Geschworenen konnten sich von der Schuld des Angeklagten nicht über⸗ 
eugen und verneinten sowohl die auf vorsätzliche, wie die auf fahrlässige 
Brandstiftung gerichtete Frage, worauf der Angellagte freigesprochen uid 
ofort in Freiheit versetzt wurde. 
6. Sept. (Nachmittagssitzung.) Verhandlung gegen Jakob Klein, 22 
J. a., Ackerer von Duttweiler, wegen Meineids. Vertreter der k. 
Staatsbehörde: Staatsanwalt Kieffer; Vertheidiger: Rechtsanwalt Gebhart 
Am 16. Sept. v. Is. wurde dem dem Löwenwirthe Breß in Duttweiler 
zeßenüber wohnenden Aaron Weil, nachdem schon mehrmals Steine gegen 
»essen Hofsthor gewocfen worden waren, durch ein Stein eine Fensterscheibe 
ertrümmert. Weil hatte beobachtet, daß diese Steine aus dem im zweiten 
Stocke des Wohnhauses des Wirthes Breß befindlichen Saal geworfen wurden. 
kẽr machte deßhalb sofort dem Polizeidiener von Duttweiler und später auch 
der Gendarmerie von diesem Unfug Anzeige. Die gepflogenen Recherchen er- 
zaben, daß zur fraglichen Zeit außer der Dienstmagd des Breß der heutige 
Angeklagte und zwei weitere Burschen Namens Frech und Schuck im Saale 
inwesend gewesen waren. Bei der in Gegenwart des Bürgermeisters durch 
den Gendarmen vorgenommenen Vernehmung des Klein gab derselbe an: 
Er habe, während er mit der Magd sich unterhalten habe, gesehen, wie Schuck 
und Frech Steine an die Wohnung des Weil geworfen hätten; daraufhin 
sei er in die Wirthsstube heruntergegangen und habe er — kaum dort ange⸗ 
langt — bemerkt, daß eine Fensterscheibe bei Weil eingeworfen worden sei. 
Bleich darauf seien Schuck und Frech auch die Treppe heruntergesprungen. 
Schuck und Frech wurden nun unterm 19. Februar l. Is. wegen Wer⸗ 
ens mit Steinen und Sachbeschädigung vor das Schöffengericht in Neuftadt 
zestellt und Klein als Zeuge gegen dieselben produzirt. Bei seiner eidlichen 
VLernehmung in der Sitzung sagte nun Klein aus: Er wisse nicht, ob Frech 
ind Schuck Steine gehabt und: damit gegen Weils Haus geworfen hätten 
er habe Nichts gesehen.“ Da seine Aussage mit sichtlicher Befangenheit ge⸗ 
macht wurde, ermahnte ihn der k. Amtsrichter wiederholt, nur die Wahrheit 
zu sagen; er blieb aber auf seiner Aussage bestehen. Als ihm seine frühere, 
»em Gendarmen und Bürgermeister gegenüber gemachte Aussage vorgehalten 
wurde, entgegnete er: „Was er dort angegeben habe, wisse er nicht mehr.“ 
A 
ine spätere Sirung vertagt. 
Waäahrend nun der k. Amtsrichter und die Schöffen im Berathungszimmer 
über diese Vertagung sich beriethen, forderte der im Sitzungssaal zurückge⸗ 
hliebene Gerichtsschreiber den Polizeidiener von Duttweiler, der ebenfalls an⸗ 
vesend war, auf, dem Klein in's Gewissen zu reden, nachträglich die Wahrheit 
ju sagen, denn er glaube, daß seine vorige Aussage unwahr sei, und wenn 
dies erwiesen würde, blühe ihm Zuchthaus. Der Polizeidiener kam dieser Auf⸗