Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

Slt. Ingberler AAnzeiger. 
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48 —157. Samstag, den 2. Oktober 
—1880. 
Deutsches Reich. 
München. Nach 8 4 des Reichsgesetzes vom 6. Mai 1880, 
hetreffend Ergänzungen und Aenderungen des Reichs-Militärgesetzes 
vom 2. Mai 1874, findet die Entlassung aus der Reserve in die 
Landwehr und die Ueberweisung aus der Landwehr zum Landsturm 
für jene Militärs, welche ihre 7- beziehungsweise 12-jährige Dienst⸗ 
zjeit in den Monaten Oktober mit Ende März erfüllen, nicht wie 
hdisher bei der Herbstkontrolversammlung, sondern erst bei der näch— 
ten Frühjahrskontrolbersammlung im April Statt. Demnach kön— 
nen jene Offiziere des Beurlaubtenstandes, welche am 1. Oktober 
1870 als Einjährig-Freiwillige in die Armee eingetreten sind, und 
velche auf Grund der Einführungsbestimmungen zum Wehrgesetz 
»on 1867 in Bayern, am 1. Oktober 1880 ihre gesetzliche Dienst⸗ 
zeit vollenden würden, erst im Monat April 1881 um ihren Ab— 
schied nachsuchen. 
Muünchen. Da es sehr zweifelhaft ist, ob der Gesetzent⸗ 
wurf über die allgemeine Einkommensteuer vor den Augen der 
Abgeordnetenkammer Gnade findet, so hat der Finanzminister v. 
Riedel, um die Berathungen des Steuergesetzausschusses nicht un⸗ 
nütz in die Länge zu ziehen, vorsorglich jene Aenderungen aus— 
arbeiten lassen, welche die den Kammern vorgelegten Gesetzentwürfe 
über die Steuerreform in dem Fall erleiden müßten, daß die all⸗ 
gemeine Einkommensteuer abgelehnt würde. Es würde dann das 
jetzt geltende Einkommensteuergesetz von 1886 mit der durch das 
Gesetz vom 25. Februar 1880 festgestellten Umrechnung der Sätze 
in Markwährung in Kraft bleiben und ihm aus dem Gesetzentwurf 
iber die allgemeine Einkommensteuer die wichtigen Bestimmungen 
iber das Verfahren bei der Anlage der Einkommensteuer einver⸗ 
seibht werden, was eine bedeutende Verbesserung ergäbe, weil durch 
ziese Bestimmungen die Steuerhinterziehung diel mehr erschwert 
wird. Der Gesetzentwurf über die allgemeine Einkommensteuer 
wollte die Einkommen bis zu 500 Mk. jährlich von der Steuer 
reilassen; das würde dann wieder wegfallen, das Gesetz von 1856 
ennt eine solche Steuerbefreiung nicht. Der Gesetzentwurf über 
die Gewerbesteuer statuirte mehrere Fälle von Befreiung von der 
Bewerbesteuer wegen der Entrichtung der allgemeinen Einkommen— 
teuer. Fällt letztere, so fallen auch erstere weg. 
Die Kommission zur Ausarbeitung eines allgemeinen 
deutschen bürgerlichen Gesetzbuches wird demnächst ihre 
Arbeiten unter dem Vorsitz des Präsidenten Pape fortsetzen; man 
zlaubt, daß diese Arbeiten noch drei Jahre lang die Thätigkeit der 
—D— 
Von Hamburg aus wird das schon seit Monaten kursirende 
Herücht bestätigt, daß die preußische Regierung an der Ueberzeug— 
ing festhält, die Repressivmaßregeln gegen die Sozialdemokratie 
nur durch Verhängung des sogenannuten kleinen Be⸗ 
lagerungszustandes über noch mehrere Städte wirk⸗ 
am machen zu können. Das Gerücht tauchte zuerst auf in Ver— 
»indung mit den zollpolitischen Beschlüssen bezüglich der Unterelbe, 
velchen die hamburgische Regierung Opposition gemacht hatte. 
Zeigten die damaligen Absichten noch keinen greifbaren Hintergtund, 
so glaubt die preußische Regierung doch in Folge des jüngst bei 
Zürich abgehaltenen Sozialdemokratenkongresses zur Ver⸗ 
chärfung der Abwehr Anlaß nehmen zu müssen und hat allerdings 
die Verhängung des kleinen Belagerungszusiandes über Hamburg 
ind Leipzig jetzt wirklich angeregt. Es soll diese Maßnaͤhme die 
Moglichkeit geben, die Führer zu externiren“, d. h. den Versuchen 
zur Wiederherstellung der sozialdemokratischen Parteiorganisation 
)urch konsequente Ausweisung der Führer aus dem jeweilig ge— 
wählten Aufenthaltsorte entgegenzuwirken. Soll dieser Zweä er⸗ 
ceicht werden, so würde unker Umständen die Zahl der in Bela— 
gjerungszustand zu versetzenden Städte sich nicht auf die beiden 
zenannten beschränken können, so daß es fraglich erscheint, ob man 
n Bundesrathskreisen geneigt ist, der preußischen Anregung, deren 
chließliche Dimensionen gar nicht absehbar sind, Folge zu geben. 
Das preußische Jusuzministerium wird sich nach umlaufenden 
Nachrichten gegen einen Antrag auf Herabsetzung der Ge⸗ 
richtskosten erklären. eine Mintbeilung, die. wenn sie sich be⸗ 
wahrheiten sollte, gewiß in vielen Kreisen die größte Beruhigung 
jervorrufen wird. Es wird berichtet, daß der Justizminister Fried⸗ 
zerg, so sehr derselbe auch den Mangel des Gerichtskostentarifs 
merkannt, den Zeitpunkt noch nicht für gekommen erachtet, um 
ine Revision in der Richtung der Herabsetzumg des Tarifs vorzu⸗ 
iehmen; man hebt hervor, daß die Frist der Geltung des Tarifes 
noch zu kurz sei, um schon jetzt mit Experimenten auf diesem Ge— 
ziete vorzugehen. 
Die offiziöse „Provinzial-⸗Korrespondenz“ schließt einen Artikel 
iber die Bewegung in der nationalliberalen Partei mit fol— 
jendem Satze: „Der größte Theil der Partei in den Parlamenten 
vie im Volke hält daran fest, daß die Partei künftig gerade wie 
»isher dem Wohle des Vaterlandes am besten dient, indem fie fort⸗ 
ährt, die Wege der Verständigung aufzusuchen.“ 
Dem „Dresdener Journal“ zufolge begiebt sich der Konig von 
Zachsen am 14. Okt. nach Köln zum Dombaufest. 
Der frühere großherzoglich-hessische Ministerpräsident Freiherr 
v. Dalwigt ist am Dienstag gestorben. 
Der ehemalige hessen-darmstaͤdtische Premierminister war im 
Jahre 1802 zu Darmstadt geboren und ist seinem Freunde und 
Bundesgenossen von der Pfordten bald in die Grube nachgefolgt. 
S„ein Name bleibt mit den partikularistischen Bestrebungen der 
»eutschen Mittelstaaten, welche zum Kriege von 1866 führten, wie 
iejenigen Beust's und Pfordten's verbunden. Von der staats⸗ 
nännischen Trias jener Tage lebt nur noch Berst. Seit 1871 
var Herr v. Dalwigk in den Ruhestand getreten, da das neue 
deutsche Reich ihn nicht aufrichtig zu seinen Freunden zählen durfte. 
Deutsch⸗ Echwedische Aktenstücke aus der Zeit 
des dreißigjährigen Krieges sind letzthin Gegenstand dip— 
omatischer Verhandlungen des deutschen auswärtigen Amtes mit 
»er schwedischen Regierung gewesen und haben die betreffenden 
Verhandlungen den gewünschten Erfolg gehabt. Vor einem halben 
zahrhundert hatte die bayerische Regierung Schweden eine Samm- 
ung Handschriften übermacht, welche zu dem sogenannten X 
vhristians II1. gehört hatten, und dabei den Antrag gestellt, Hand⸗ 
chriften, die im 30jährigen Kriege von Bayern weggefuͤhrt worden 
eien, dagegen auszutauschen. Schweden erklärte sich zu dem Tausche 
zereit, die angestellten Untersuchungen förderten damals aber an— 
neblich keine deutschen Aktenstücke in den schwedischen Archiven zu 
Tage. Inzwischen haben die schwedischen Archivare solche Akten- 
tũcke aufgefunden und auch in den bayherischen Archiven find noch 
veitere schwedische Urkunden entdeckt worden. Auf Veranlassung 
der bayerischen Regierung hat das auswärtige Amt durch unseren 
Hesandten in Stockholm der schwedischen Regierung die noch auf⸗ 
jefundenen schwedischen Urkunden angeboten, dagegen ihrerseits die 
ür die bayerische Geschichte wichtigen Aktenstücke reklamirt, deren 
Korhandensein in schwedischen Archiven sich herausgestellt hat. Die 
Annahme dieses Vorschlages ist schwedischerfeits ganz kürzlich erfolgt. 
Bei diesem Anlasse wurde dem König Oskar auch ein Antrag der 
reußischen Archiv-Verwaltung unterbreitet, welcher einen solchen 
jenerellen Austausch der preußisch⸗ bezw. kurbrandenburgischeschwe⸗ 
ꝛischen Aktenstücke bezweckt. In Bezug darauf hat sich jedoch der 
dönig von Schweden eine Prüfung von Fall zu Fall vorbehalten. 
Ausland. 
In der von Montenegro den Mächten übermittelten 
ẽrklärung heißt es: Der Fürst Nikolaus müsse, bevor er zur Aktion 
hreite, genau wissen, wie weit die militärische und politische Hilf 
ehe, die er von den Großmächten zu erwarten habe. Hierüber 
inden gegenwärtig Verhandlungen Siatt. Gleichzeitig sehen ein⸗ 
elne Botschafter in Konstantinopel ihre Bemühungen fort, den 
zultan zum Einlenken zu bestimmen. Bis jetzi verhält sich der 
Sultan aber, trotzdem man auf der Pforte die Gefährlichkeit der 
Lage nicht verkennt, absolut zurückweisend. 
Konstantinopel, 29. Sept. Die Botschafter der Groß⸗ 
nächte haben am 26. ds. gegen das Verhalten Riza Pascha's in 
dulcigno bei der Pforte Protest eingelegt. Der Sultan ersuchte 
zarauf die Botschafter um Bewilligung einer kurzen Frisi und