Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

gleichzeitig um Zurücknahme des Protestes. Soweit bekannt, wurde 
diesem Ersuchen bisher nicht entsprochen. 
Während man sich in Europa über die Dulcignofrage die 
Kopfe zerbrach, haben die Albanesen die Sache auf ihre Weise 
geloͤst. Denn einer Meldung der „Times“ aus Ragusa vom 
39. Sepi. zufolge wäre Dulcigno auf Befehl der Al—⸗ 
banesen⸗Liga niedergebrauut worden. 
Da also Dulcigno verbrannt worden, ist es unnöthig, es 
auch noch zu bombardieren und das vereinigte Geschwader kann 
zurückkehren. Bestätigt sich die Nachricht, so wird sie wohl den 
einzelnen Mächten einen willkommenen Vorwand bieten, sich ganz 
bon der Flottendemonstration zurückzuziehen, und Rußland und 
England allein die zweifelhafte Ehre zu uͤberlassen, die Unter⸗ 
jochung der Albanesen zu Ende zu bringen. 
Rach einem der „Köln. Ztg.“ aus Paris zugegangenen 
Telegranmn hat der Sultan in den letzten Tagen sich telegra⸗ 
phisch an den Deutschen Kaiser mit der Bitte gewendet, er 
moge in der Dulcigno-Frage seine Vermittelung bei den 
Booßmächten emntreten lassen; Kaiser Wilhelm aber habe ge⸗ 
antwortet, er bedauere, diesen Wunsch nicht erfüllen zu können, und 
ersuchte den Sultan, den Herliner Vertrag auszuführen, auf dessen 
Vollzug alle Großmächte bestünden. Das Berliner Kabinet unter— 
richtete die anderen Großmächte von dieser Antwort. 
Für die nAordamerikanischen Präsidentenwahlen pflegen 
die unmittelbar voraufgehenden Staatenwahlen als ein interessantes 
Vorzeichen betrachtet zu werden. In dieser Beziehung ist erwähnens⸗ 
werih, daß bei den Beamten⸗ und Kongreßwahlen in den zu den 
dreizehn Staaten von 1776 gehoͤrenden, weit nach Norden gelegenen 
Mane die Republikaner gegen die vereinigten Demokraten und 
Papiergeldanhänger (sogenannte „Greenbackler“) eine entscheidende 
Riederlage erlitien haben. Der demokratische Wahlsieg ist durch 
diese Vorwahl nalürlich wahrscheinlicher geworden; leider wird er 
wohl durch Konzessionen an die Papierwirthschaftsneigungen nament⸗ 
lich der westamerikanischen Staoten erkauft werden müssen. 
Vermischtes 
4 Von dem Ausschusse des pfälzischen Kreis-Lehrerver— 
eins wurde das Bureau in folgender Weise gebildet: Hildebrand. 
I. Vorstand, Leibig, 2. Vorstand, Thirolf, Kreisrechner, Krebs, 
Schriftführer. Berger, Gaubatz, Littig, Hammell, Schneider, Beisitzer. 
FRach einer Mittheilung der „Frkth. Ztg.“ haben bei den 
Gerichtsschreiberprüfungen in ganz Bahern von 287 Kandidaten 
nur 126 das Eramen bestanden. 
Der „Homb. Anzeiger“ schreibt unterm 29. Sept.: „Die 
am hiesigen Platze täglich erscheinende „Westricher Zeitung“ stell! 
morgen mit Nummer 154 ihr Erscheinen ein. Von ihrer anämi— 
schen Krankheit konnte die Kollegin selbst nach halbtägigem Flug 
und trotz aller prozentig gefälligen Hülfe gar nicht kurirt werden: 
deßhalb zieht sie es vor, weil das Defizit bei ihr chronisch wurde 
die Bude — und das war ihr das Beste — mit genannter Num— 
mer zu schließen. Die Existenzbedingungen kannten bei Eröffnung 
des Untecnehmens die Herren Verleger Köbig & Pfizenmayer, 
besonders die statistischen, leider nicht. Nach Reduzirung des In— 
halts ꝛc. kamen dieselben doch bald zu dem Entschluß dem lang 
samen aber sicheren Tod aus dem Wege zu gehen. 
Die vorgenannte Druckerei soll. dem Vernehmen nach. noch 
nicht verkauft sein.“. 
Im Revier „Glashütte“ bei Pirmasens veranstalteten 
am 21. bs. Mts. einige Schützen ein kleines Treibjagen, bei wel— 
chem ein Rehbock angeschossen und später im Walde liegend gefunden 
wurde. Ein Schütze wollte demselben noch eine Kugel spenden, 
doch ein Treiber sprang rasch herbei, den Bock an den Hörnern 
fassend, während der Nimrod freudig heraneilte, um mit dem Messer 
den Gnadenstoß zu vollführen. Aber — zwischen Lipp' und Kelches— 
rand — der Rehbock mochte vor dem Messer das Gruseln bekom⸗ 
men haben, ein Ruck, ein Satz — der Treiber schlug einige Purzel⸗ 
häume, der glückliche Schütze schnitt eine wahrhaft Mitleid erregende 
Grimasse und — der Rehbock war verschwunden. Die später nach 
uͤberwundener Verblüffung erfolgten Auͤseinandersetzungen zwischen 
Treiber und Jäger sollen nicht gerade sehr erbaulicher Natur ge⸗ 
wesen sein. 
'In Stein bach am Glan wurde einem Wirthe die Er⸗ 
laubniß, Tanzmusik zu halten, auf Jahre entzogen, weil derselbe 
beim Abhalten von Tanzmusit wiederholt die Polizeistunde nicht 
respektirt hatte und deßhalb bestraft worden war. 
FyprAm 4. Oltober d. Is. wird im Café Bavaria zu 
Kaiserslautern der Pfälzer Zweigverein des Vereins „deutscher 
Barbiere, Friseure, Bader und Heilgehilfen“ seine Spatjahrsver⸗ 
sammlung abhalten, wozu alle seibständigen Pfälzer Berufskollegen 
eingeladen sind. — Wenn in der heutigen, für die Gewerbe so 
sehr verschriernen Zeit irgend eine gewerbliche Verbindung zu exi⸗ 
jtiren berechtigt ist, so ist es obiger Berband, welcher im Laufe 
don 9 Jahren eine unglaubliche Gröze erreicht und nicht Geahntes 
geschaffsen hat. Aus dem letzten Konareßberichte geht hervor, daß 
sich in den letzten zwblf Monaten, auf den 1385, über ganz Deutsch⸗ 
land verzweiglen Nachweisbureaur 9910 Stellen suchende Gehilfen 
mneldeten, 8125 vakante Stellen angemeldet wurden, wovon in 
Wirklichkeit 7430 durch diese segensreichen Institute besetzt wurden. 
Die Einnahmen der Gesammtkasse betrugen im letzten Rechnungs⸗ 
jahre 7627 M., welche größtentheils für Errichtung und Erhaltung 
hon Fachschulen verwendet wurden; letztere werden überhaupt von 
dem Verbande hoch in Ehren gehalten und mit peinlicher Gewissen⸗ 
haftigkeit gepflegt. Aus diesen Zahlen wird man sehen, daß obiger 
Verband aner der größten gewerblichen Verbindungen der Jetztzeit 
ist. Die Bestrebungen des Vereins bewegen sich auf dem Boden 
des gewerblichen Fleißes, der gewerblichen Thätigkeit, des Fortschritts 
und der Vollendung, ohne Wiederbelebung der alten ausgedorrten 
Zwangszunft — durch die Bande freier Vereinigung sucht der 
Jund der deutschen Barbiere ꝛc., der sich vom Muttersitze Berlin 
nach allen Gauen des Vaterlandes verzweigt, neben den oben an⸗ 
gegebenen Bestrebungen, noch Bildung, feine Sitten, sittlichen Halt 
und bürgerliches Selbstgefühl unter den Standesgenossen auszu—⸗ 
Freiten. Die Lehrlings- und Gehilfenfrage erfreuen sich ebenfalls 
iner peinlichen Sorgsalt und Kontrole. Wir wünschen dem Ver⸗ 
hande Glück und ferneres Gedeihen und hoffen, daß alle Pfälzer 
Berufsgenossen sich an denselben eng anschließen. 
p'Dürkheim, 29. Sept. Der diesjährige Sommer ist 
reich an Seltenheiten abnormen Wachsthums. So brachte heute 
Hartner Maier von Deidesheim hierher ein Büschel reifer und 
halbreifer Kornahren, welche auf einem Acker in der Gemeinde 
Kuppertsberg, der vorher mit Gerste eingepflanzt war, als zweite 
Frucht abgeschnitten wurden; dieselbe ist in solcher Masse vorhanden, 
daß man zwei Garben davon schneiden könnte. 
— Der Ackersmann Michael Roth von Kandel ist am 27. 
d. beim Holzfällen im Walde verunglückt; er hinterläßt eine Wittwe 
mit 4 kleinen Kindern. 
Der Landauer Gewerbeverein hat mit der Gesellschaft 
„Zürich“ einen Vertrag wegen Kollektivunfallversicherung seiner Mit⸗ 
zueder abgeschlossen. 
Im Elf aß liefert der Weinstock in diesem Jahre mehr, 
als gewoöhnlich angenommen wird. Ober-Elsaß besitzt in runder 
Zahl 12,000 Heklaren Reben. Hiervon sind 5000 erfroren 
und haben weitere 3000 gelitten. 4000 Hektaren blieben unbe— 
ichädigt und liefern vollen oder nahezu vollen Ertrag, 90 -100 
Heltouͤter per Hettare, so daß der diesjährige Herbst des Ober⸗Elsaß 
mmerhin an 400,000 Hektoliter Most ergeben dürfte. Die Trauben 
ind weit vorgerückt und stehen der vollen Reife nahe. Bei einiger⸗ 
naßen günstiger Witterung würden mit Ende September die Früh— 
ruen dnter der Kelter sein. In Rücksicht hierauf und auf die 
erhoffte Qualität sind die Weine, besonders 1879er, im Preise ge⸗ 
wichen und werden letztere per Ohm (50 Liter) zu 13 bis 15 M. 
willig abgegeben. 
E Gesammteinnahme, welche die Gemeinde Oberam— 
mergau einschließlich der Einnahmen für Wohnungen, Fuhr⸗ 
werteu. s. w. aus dem Passionsspiel diesmal erzielte, beträgt über 
pwei Millionen Mark, und diese hohe Summe entspricht wohl auch 
dem großen Verkehr, welcher am deutlichsten aus der Zahl der mit 
der Eiseübahn nach Murnau beförderten Personen ersichtlich ist. 
Mach derselben wurden je an den beiden letzten Wochentagen (Frei⸗ 
ag und Samstag) allein vom 17. Mai an (Beginn des Passions⸗ 
piels) bis einschüeßlich 30. desselben Monats 8658 Personen, im 
Hdonat Juni 18,366, im Juli 20,754, im August 27,945 und 
m Monat September 19,295, in Summa 95,018 Personen be⸗ 
ördert; rechnet man hierzu noch jene Fremden. welche an anderen 
szier nicht mit inbegriffenen Wochentagen per Bahn eintrafen, und 
ene, welche den Wez nach Oberammergau mittelst Equipagen zu⸗ 
ücklegten, zu welchen namentlich die zahlreichen Gäste aus Tyrol 
jehören, so beziffert sich bei einem jeweiligen Durchschnittsbesuch 
on 4500 Personen der Gesammtbesuch auf 175,000 Personen. 
Daß bei einem solchen Verkehr das Eisenbahnpersonal der Station 
Murnau keine kleine Aufgabe zu lösen hatte, um den nicht immer 
allzu bescheidenen Anforderungen des reisenden Publikums, wie ge⸗ 
schehen, nach Möglichkeit nachsukommen, steht wohl außer Zweifel, 
ind es beabsichtigt in Rücksicht dessen auch die Gemeinde Ober— 
ammergau demjelben in anerkennenswerther Weise eine entsprechende 
Gratifikation für die namhaften Mühewaltungen zuzusprechen. Froh, 
diese anstrengenden Tage überstanden zu haben, veranstaltete denn 
auch das Bahnpersonal am vergangenen Sonntag bei Abgang des 
letzten Extrazuges von Murnau nach München, welcher von aus 
Dberammergau zurückkehrenden Besuchern der Schlußvorstellung des 
Passionsspiels dicht besetzt war, eine Feier am Bahnhof durch 
zengalische Beleuchtung, Böllerschüsse und Musikspiel. Wie man 
erfahrt, werden die hervorragenderen Mitglieder am Passionsspiel 
nächstens zur Erholung eine Reise nach Italien unternehmen. 
Schrechliche Warnung. In Beuel, gegenüber 
Bonn, findet sich in einem Garten am Rheinufer auf einer Tafel 
mit schoͤn gemalien lateinischen Buchstaben die Warnung: „Sämmt— 
lche Trauden und Fräüchte dieses Gartens sind vergiitet.“