Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

St. Ingberker Anzeiger. 
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48 181. Samstag, den 13. November 
1880. 
Deutsches Neich. 
Muünchen, 10. Nov. Gutem Vernehmen zufolge hat das 
Oberlandesgericht München den Beschluß der Münchener Anwalts- 
tammer betreffs der amtlichen Tracht als gesetzwidrig nach F 59 
Abs. 2 der Rechtsanwaltsordnung aufgehoben. 
Die bereits erwähnte, die Aufnahme in die Volksschule 
und die Entlassung aus derselben betreffende kgl. Verordnung 
pom 5. ds. Mts. lautet: „Ludwig II. ꝛc. Wir finden uns be— 
wogen, unter theilweiser Abänderung der bestehenden Vorschriften 
über die Aufnahme in die Volksschule und die Entlassung aus der— 
selben nachstehendes zu bestimmen: 1) Die Werktagsschulpflicht be— 
zinnt, wie bisher, für Knaben und Mädchen mit dem zurückgelegten 
8. Lebensjahr. 2) Die Aufnahme in die Werktagsschule erfolgt zu 
Anfang des Schuljahres für alle Knaben und Mädchen, welche bei 
gehöriger Entwickelung der geistigen und körperlichen Kräfte zu diesem 
Zeitpunkt das 6. Lebensjahr zurückgelegt haben. Unter der gleichen 
Voraussetzung ist die Aufnahme auch jenen Knaben und Mädchen 
zu gewähren, welche das 6. Lebensjahr innechalb der darauffolgenden 
drei Monate zurücklegen werden. 3) Die Entlassung aus der Werk⸗ 
agsschule findet nach sieben jährigem Schulbesuch und erfolgter 
Erstehung der Schlußprüfung Statt. Schüler und Schülerinnen, 
welche sich bei dieser nicht als hinreichend unterrichtet erweisen, 
können, namentlich wenn sie im Schulbesuch nachlässig waren, zum 
Vesuche der Werktagsschule auf die Dauer eines weiteren Schul— 
jahres angehalten werden. 4) Nach Entlassung aus der Werktags- 
schule beginnt die Sonn- und Feiertagsschulpflicht, welche einen 
Zeitraum von 3 Jahren umfaßt. 5) Nach drei jährigem Besuch 
der Sonn- und Feiertagsschule findet die Entlassung derselben unter 
der Voraussetzung Statt, daß die zu Entlassenden sich der Schluß— 
prüfung mit Erfolg unterzogen haben. Schüler und Schülerinnen, 
welche bei dieser Prüfung sich nicht als hinreichend unterrichtet 
zeigen, können, namentlich wenn sie im Schulbesuch nachlässig waren, 
zum Besuch der Sonns und Feiertagsschulen auf die Dauer eines 
weiteren Schuljahres angehalten werden. 6) Vorstehende Anord⸗ 
nungen treten sofort in Wirksamkeit, jedoch ist Knaben und Mäd⸗— 
chen, welche vor dem unter Ziff. 2 festgesetzten Zeitpunkt in die 
Werklagsschule bereits aufgenommen worden sind, nach siebenjährigem 
Besuch derselben vorbehaltlich der weiteren in Ziff. 3 bestimmten 
Voraussetzung der Uebertritt in die Sonn- und Feiertagsschule zu 
zestatten. Alle entgegenstehenden allgemeinen und besonderen Vor⸗ 
chriften werden hiermit außer Kraft gesetzt.“ 
Das im Reichsjustizamt auf direkte Ordre des Reichskanzlers 
in der Ausarbeitung begriffene Gesetz gegen die Trunksucht soll 
die in wenigen Paragraphen zum Ausdrucke gebrachten Grundsätze 
enthalten, daß die öffentliche Trunkenheit als Uebertretung zu be⸗ 
trafen ist, und daß im Rausche begangene Vergehen oder Verdrechen 
nicht mehr mit milderen Strafen zu belegen sein sollen. Ferner 
jsollen Bestimmungen dahin getroffen werden, daß Personen, die 
durch gerichtliches Urtheil für unzurechnungsfähig etc. erklärt worden 
ind, in Aufbewahrungsanstalten untergebracht werden sollen. Gegen 
eine Beschränkung der mildernden Umstände wird sich bei den mehr 
ind mehr wachsenden Rohheits- und Brutalitätsfällen kaum etwas 
einwenden lassen. 
In Frankfurt a. M. fand am 10. Nov. eine von Frei⸗ 
errn v. Fechenbach einberufene Versammlung von konservativen 
Sozialreformern Siatt, die aus allen Theilen Deutschlands 
zahlreich besucht war. Ueber wichtige Programmpunkte wurde ein 
Einverständniß erzielt, über weittragende Fragen Referenten gewählt 
hehufs Berichterstattung bei dem allgemeinen Parteitage, welcher 
während der Reichstagssession nach Berlin einberufen werden soll. 
Letzterer soll auch hinfichtlich der Frankfurter Veschlüsse darunter 
zuch über die Mitiel zur Beilegung des Kuͤlturkampfes nochmals 
Beschluß fassen. Die Gründung einer Partei ist nicht beabsichtigt. 
In Bremen hat am Dienstag eine Volksversammlung sich 
nit fast allen Stimmen für Beibehaltung der Freihafenstellung 
Bremens ausgesprochen, während neulich der dortige Gewerbeverein 
ich für Anschluß Bremens an das Zollgebiet des Reichs ertlärie. 
Ausland. 
Alle Nachrichten aus Frankreich stimmen darüber überein, 
daß Gambetta sich hüten müsse, seine kriegerischen Neigungen zu 
errathen, da die sehr große Mehrzahl der Bevölkerung von einem 
driege nichts wissen will, der den jetzt so sichtbar aufblühenden 
Wohlstand Frankreichs tief erschüttern würde. Trotzdem scheint es, 
As sei der französische Generalstab vorsorglich beschäftigt mit der 
Entwerfung von Plänen für einen künftigen Rachekrieg. Wie der 
„K. 3.“ wenigstens aus Mainz zuverlässig berichtet wird, sind 
hohe franzoͤsische Offiziere damit beschaͤftigt, Erforschungsreisen eigener 
Art in Deutschland zu machen. 
Aus Paris wird unterm 10. Nob. gemeldet: Die Minister⸗ 
risis dauert fort. Sämmtliche Gruppen der Kammern hielten heute 
Parteiversammlungen. Gambetta war gestern Abend bei dem Prä— 
identen der Republik in Elysee und wurde von diesem ersucht, ein 
dabinet zu bilden; er entgegnete jedoch, er könne vor den Wahlen 
die Regierung nicht übernehmen, weil er sich mit den Wahlen be— 
chäftigen wolle, was ihm als Minister zu ihun unmöglich sei. 
Der republikanische Verein nahm heute folgenden Beschluß 
an: „Der Verein, der seine gestrige Abstimmung keineswegs so ber— 
tanden hat, daß derselbe den Gedanken eines Mißtrauens gegen 
das Ministerium einschließe, bevollmächtigt seinen Vorstand, nur 
unter dem Vorbehalte der Aufrechterhaltung seiner gestrigen Ab— 
timmung zu unterhandeln.“ Die Loöͤsung, daß Ferry den Vor⸗ 
tellungen Grevy's und Gambetta's nachgeben und die gestrige Ab⸗ 
timmung in den Kauf nehmen werde, gilt diesen Abend für wahr— 
cheinlich. 
Heute wurden auf Befehl des Kammerpräsidenten Gambetta 
—0 
uind die Wache der Kammer verstärkt. 
Nach einem Telegramm vom 11. Nov. betrachtete man an 
iesem Tage in Parlamentskreisen die Ministerkrisis als beigelegt 
und erwartete, daß die Kammer dem Ministerium ein Vertrauens— 
yotum dadurch ertheilen werde, daß sie die von demselben aufge— 
tellte Reihenfolge der Berathung annimmt. 
Der englische Minister Gladstone hat bei dem am Mittwoch 
n Eondon Statt gehabten Lordmayorsbankett u. A. mitgetheili, 
nach den letzten Telegrammen des Sultans sei die Uebergabe Dul⸗ 
igno's bevorstehend. Ferner erklärte der Minister, die englische 
Kegierung wolle in der Orientfrage keine von den übrigen Maͤchten 
zetrennte Aktion, sondern sie suche die Erfüllung des Berliner Ver⸗ 
rags durch das europäische Einvernehmen herbeizuführen und zweifle 
anicht daran, daß wenigstens Etwas hiedurch erreicht werde. 
Auch mit dem Schmerzenskind Irland beschäftigte Glad— 
tone sich in seiner Rede. Er bezeichnete die irische Angelegenheit 
als eine Hauptsorge der Regierung seit dem Schluß der letzten 
Larlamentssession. Trotz der reichlichen Ernte seien Unordnungen 
entstanden. So sehr eine Verbesserung der Gesetze nothwendig fein 
möge, stehe doch die Pflicht, die Ordnung aufrecht zu erhalten, noch 
höher. Er werde, wenn nöthig, was er aber nicht hoffe, die Ver— 
eihung größerer Gewalten für die Regierung nachsuchen. 
Die Aniwort der Albanesen auf die Aufforderung Derwisch 
Bascha's, Dulcigno sofort an die Montenegriner zu übergeben, 
autete dahin, sie würden eher den letzten Mann opfern, als dies thun. 
Londoner Meldungen bezeichnen den Bürgerkrieg in Ir⸗ 
land als unvermeidlich und seinen Ausbruchh als unmittelbar 
zevorstehend. 
Vermischtes. 
— t.Ingbert, 10. Oktt. In der heutigen Sitzung ded hie⸗ 
igen Schöffengerichts kamen folgende Fälle zur Verhand— 
lung: Ein Mann von hier wurde wegen Unterschlagung 
mit einer Gefängnißstrafe von 8 Tagen bestraft; — wegen Un— 
fug erhielt ein Bursche von hier eine Haftstrafe von 14 
Tagen und ein Mann von hier wegen Gewerbsteuer— 
Lontravention eine Geldstrafe von 1 Mark; — eine Frau 
yon da wurde wegen Diebstahls zu einer Gefängnißstrafe 
von 30 Tagen verurtheilt; — zwei Burschen von Oberwürzbach