St. Ingberler Anzeiger.
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Mô 185. Samstag, den 20. November
1880
Deutsches Reich.
Das bayerische Justizministerialblatt veröffentlicht eine
Bekanntmachung, wonach den Rechtsanwälten das Tragen
bdon Barett und Robe bei Verhandlungen vor den Landge—
richten ꝛc. gestattet wird. Für diejenigen, welche yon dieser Er—
aubniß nicht Gebrauch machen, bleiben die früheren Bestimmungen
n Geltung.
Der neuernannte Gesandte Bayerns in Berlin,
Hraf v. Lerchenfeld, ist dahin abgereist; derselbe ist nun auch zum
Bevollmächtigten beim Bundesrath ernannt worden. Graf v. Ler—⸗
henfeld wird in Berlin noch mit Herrn v. Rudhart zusammen—
reffen, da letzterer erst in einigen Tagen von Berlin nach Peters-
zurg abreist.
Berlin, 17. Nov. Der Kaiser verlieh Herrn v. Rudhart
den Kronenorden 1. Klasse.
Eine Interpellation in Betreff der autisemitischen Pe⸗
tition, wird daß preuß. Abgeordnetenhaus morgen (Samstag)
ieschäftigen. Die ultramontane „Germania“ greift in heftiger
Weise die Interpellation als überflüssig, inopportun und die Gegen—
ätze verschärfend an.
Im preußischen Abgeordnetenhaus beantwortete am Mitt⸗
voch der Justizminister die Anfrage des Abg. Cuny wegen des
sHerichtskostengesetzes. Derselbe gab zu, daß das Gerichts—
ostengesetz Mängel habe, meinte aber, für eine durchgreifende Re—
aision desselben sollte man doch erst die Erfahrung eines größeren
Zeitraums abwarten. Dies schließe nicht aus, schon in nächster
Zeit die schreiendsten Mißstände abzustellen, z. B. die Zustellungs-
zebühren der Gerichtsvollzieher herabzusetzen, die Gebühr für Be—
zlaubigung von Abschriften wegfallen zu lassen, die Schreibgebühren
ind die Gebühren für die Vollstreckungsklausel anders zu bemessen.
daß aber sämmtliche Bundesregierungen auf diese Vorschläge, wor⸗
iber die preuß. Regierung Verhandlungen angeknüpft habe, sofort
ingehen werden, das könne er nicht zusichern; doch hoffe er, daß
iie nicht erfolglos sein werden.
Es heißt, der deutsche Botschafter in Konstantinopel, Graf
Hatzfeld, werde in Kürze nach Regelung der schwebenden Dulcigno—
frage (wann wird das sein?) auf Urlaub nach Berlin kommen
und sich sodann wieder auf seinen Posten zurückbegeben, aber noch
vor Ende des Jahres definitiv dahin zurückkehren, um Staatssekre—
är im Auswärtigen Amt zu werden.
Zur auswärtigen Lage ist aus Berlin eine entschiedene
ffiziöse Abwiegelung der Ideen hinsichtlich eines französischen An—
chlusses an das österreichisch-deutsche Bündniß zu verzeichnen. So
ange England aktionslustig war, hielt sich Frankreich von dem—
elben zurück; jetzt ist jede Ursache zu einem Gegensatze zwischen
Frankreich und England wie zwischen Frankreich und Rußland
veggefallen. Einstweilen hat sich übrigens Frankreich den von Oester⸗
eich und Deutschland für Bulgarien wegen der vertragsmäßigen
Schleif ing der Donaufestungen erhobenen Vorstellungen angeschlossen.
Jene Berliner Ausführung enthält die witzige Bemerkung, man
zrauche noch nicht zu glauben, „daß zwei Leute, die die Hände
rei halten wollen, dies ausschließlich nur zu dem Zwecke wollen,
um dieselben zur gegenseitigen Umarmung zu gebrauchen.“ Gewiß
aicht, sondern wenigstens französischerseits für die Zukunft zu etwas
janz Anderem.
Der „Pester Lloyd“ meldet: „Das Berliner Kriegsministerium
oll im Prinzip die Annahme des Repetir⸗-Magazingeweh⸗
res für die Fußtruppen des deutschen Reichsheeres beschlossen
jaben. Das Infanteriegewehr M. 71 wird zwar beibehalten,
edoch derart eingerichtet, daß ein abnehmbares, in der Tasche der
Soldaten zu versorgendes, im gegebenen Augenblicke jedoch mittelst
eines höchst sinnreichen Mechanismus in die linke Seite des Ver—⸗
chlußgehäuses einzuschiebendes Magazin von 12 Patronen ange⸗
zracht werden kann. Demnach würde also das Mausergewehr in
Hinkunft die Kombination eines Einzelladers mit einem Mehrlader
zarstellen, so zwar, daß nach Anbringung des Magazins der Sol⸗
at ohne zu laden ein Schnellfeuer von 18 unmittelbar aufeinander⸗
olgenden Schüssen abgeben könnte. Das Charakteristische an der
Sache ist, daß es ein Oesterreicher war, der frühere Oberwerkmeister
»er Werndl'schen Waffenfabrik zu Steyr, welcher der Erste war,
der vor etwa drei Jahren einen Mechanismus zur Umwandlung
des Einladers in einen sogenannten „Gelegenheits⸗-Repetier“ erfunden
jat. Diesen Mechanismus adoptirt nun Deutschland in vervoll⸗
ommneter Form und bewaffnet seine Fußtruppen mit einem Ge⸗
egenheits-Repetier. Diese Thatsache wird begreiflicherweise nicht
»hne Rückwirkung auf die anderen Heere der europäischen Groß⸗
nächte bleiben.
Die „Elberfelder Zeitung“ veröffentlicht einen vom Kommer—
ienrath Baare-Bochum ausgearbeiteten und vor acht Tagen dem
seichskanzler Fürsten Bismarck unterbreiteten eingehend motivirten
ẽentwurf eines Gesetzes, betreffend die Errichtung einer Arbeiter⸗
Infall⸗Versicherungs-Kasse.
Von diplomatischer Seite erfährt das „Berl. Tgbl.“, daß die
internationalen Beziehungen gegenwärtig kaum eiwas zu
vünschen übrig lassen, so weit dabei ein deuisches Interesse mit in
Fxrage kommt. Im Auswärtigen Amte zu Berlin erwartet man
tündlich die Nachricht von der Uebergabe Dulcignos. Damit wäre
die orientalische Frage vorläufig, das heißt mindestens bis zum
ommenden Frühjahr, zu einem gewissen Abschluß und zur Ruhe
zebracht. Die Angelegenheit der griechischen Grenzregulirung nämlich
vird zunächst zu irgend welchem Konflikte keine Veranlassung geben.
Die Abreise des deuschen Gesandten v. Radowitz nach Athen, steht
amit in engstem Zusammenhange. Herr v. Radowiz fällt in Ge—
neinschaft mit dem Gesandten der französischen Republik zu Athen
ie Aufgabe zu, die griechische Regierung zu friedlich abwartender
hZaltung zu bewegen, und steht zu erwarten, daß die bezeichneten
Diplomaten den etwaigen Schwierigkeiten sich gewachsen zeigen
verden. Ob es möglich sein wird, auch über das nächste Fruͤh—
ahr hinaus jeden Zusammenstoß zu vermeiden und die auf die
zriechische Grenzregulirung bezüglichen Bestimmungen des Berliner
dongresses auf gütlichem Wege zur Ausführung zu bringen,
jängt einzig von der Haltung Gladstones ab. Bleibt der eng—
ische Prämier bei den friedlichen Gesinnungen, die er auf dem
etzten Lord-Mayor-Bankett kundgethan, so ist bei der Bereitschaft
der Pforte, sich entgegenkommend zu zeigen, das Beste zu hoffen;
m andern Falle ist unabsehbar, welche Gestaltung die Angelegen⸗
jeit annehmen wird. Hätte Gladstone sich weniger unzuverlaͤssig
Jezeigt, wäre er auf dem Standpunkte des fanatischen Türkenhasses
tehen geblieben, den er bei Antritt des Ministerpräsidiums einge—
iommen, so hätte sich Rußland schon längst mit England zu ge—
neinsamem Vorgehen gegen die Pforte geeinigt. Dem Umstande,
»aß die Handlungen des Ministers Gladstone hinter den Worten
»es Agitators Gladstone so weit zurückblieben, ist es zu danken,
zaß die gefährliche Allianz bis zur Stunde nicht zu Stande ge—
ommen ist; doch bleibt die Möglichkeit, daß es hierzu im nächsten
zahre noch kommt. Das Zusammengehen des Herrn v. Radowitz
nit dem französischen Gesandten in Athen ist übrigens typisch für
die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich. Die inneren
Vorkommnisse in unserem transvogesischen Nachbarlande haben nicht
den geringsten Einfluß auf das freundschaftliche Verhältniß der
»eiden großen Staaten zu einander. Maßgebenden Ortes hält
nan sich in Berlin überzeugt, daß es in Gambettas Interesse liegt,
»as gegenwärtige französische Kabinet bis über die Kammerneu—
vahlen des nächsten Jahres hinaus im Amte zu erhalten, damit
ein Wechsel ihn nicht zwinge, selbst in das Ministerium einzutreten
und sich an einer Stelle abzunutzen, welche seinem Ehrgeiz nicht
zenügt. Gambettas Ziel bleibt die Präsidentschaft der Republik
ind zwar vor Ablauf des Grevy'schen Septennates. Vorläufig
aber ist hierzu die Zeit nicht gekommen, und deshalb liegt auf
neutscher Seite noch gar keine Veranlassung vor, durch irgend welches
Mißtrauen die gegenwärtigen freundschaftlichen Beziehungen zur
ranzösischen Regierung stören zu lassen.
Koblenz, 17. Nov. Heute fand das Begräbniß des Generals
b. Göben unter höchst zahlreicher Betheiligung Statt. Als Vertreter
des Kaisers wohnte demselben der Kronprinz Friedrich Wilhelm,
der von Wiesbaden gekommen war, bei, sowie der Trauerrede und