Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

St. Ingberler Anzeiger. 
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4. 188. Donnerstag, den 25. November 1880. 
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Deutsches Reich. 
Der Steuerausschuß der bayerischen Abgeordnetenkammer 
begann am 22. Nov. mit der Berathung des Gesetzentwurfes über 
die Kapitalrentenstener. Zu Art. 2 des Rtegierungsent— 
wurfes, welcher die Steuerskala des Gesetzes vom 31. Mai 1856 
beseitigt und einfach den Satz von 3 pCt. der Rente als Steuer— 
maßstab in Vorschlag bringt, wurden von einigen Abgeordneten 
Modifikationen eingebracht, welche einen höheren Steuermaßstab be— 
zwecken und von Abg. v. Langlois ist eine Besteuerung nach Klassen, 
also eine Steuerskala in Vorschlag gebracht; die Berathnng hier⸗ 
iber gestaltete sich so umfangreich, daß sie am nächsten Tage fort— 
zesetzt werden mußte; aber auch da noch nicht beendigt wurde. 
Die klerikalen Blätter „Bavaria“ und „Fränkisches Volksblatt“ 
dringen geharnischte Artikel gegen Kultusminister Lutz wegen des 
jüngsten Schulerlasses, durch welchen die Petition Hafenbrädl gegen 
das 7. Schuljahr illusorisch gemacht werde. Letzkeres Blatt siellt 
pereits eine scharfe Interpellation für die nächste Landtagssession 
in Aussicht. Ob sich Herr v. Lutz wohl sehr fürchtet? 
Aus Berlin wird unterm 23. Nov. gemeldet: Der Kaiser 
ist leicht erkältet. hat Kehlkopfkatarrh und hütet das Zimmer, hat 
uͤbrigens heute Vormittag die regelmäßigen Vorträge entgegen ge— 
nommen. 
Der dieser Tage in Berlin abgehaltene neunte deutsche 
Handeistag sprach sich u. A. auch für Abhaliung einer Weltaus— 
stelluung in genannter Stadt aus, weil eine solche Ausstellung 
an diesem Platze von großerem Vortheile sei, als die schon geplante 
deutjch⸗osterreichische Ausstellung. Wenn man sich nun auch ent⸗ 
schieden zu dieser Ansicht des Handelstages bekennen kann, so muß 
doch trotzdem die Kehrseite der Medaille betrachtet werden, welche 
mahnt, auch in Betreff der Welt- und sonstigen Ausstellungen des 
Guten nicht zu viel zu thun. 
Der Bundesrath nahm in seiner letzten Sitzung den Antrag 
Preußszens an, den am 28. d. Mits. ablaufeñden Termin der 
Verhängung des kleinen Belagerungszustandes über Berlin und 
Umgegend auf ein weiteres Jahr zu verlängern. Demselben is 
der Entwurf eines Gesetzes betreffend den Haushaltungsetat für 
Elsaß ·Lothringen für das Etatsiahr 188182 nebst Anlagen vorgeleqt 
worden. 
Von 1881, bezw. 1882 ab werden die durch den neuen 
deutschen Mobilmachungsplan festgesetzten Kriegsfor— 
mationen sämmtlich verwirklicht sein. Es sind an derartigen 
Formationen für den Fall einer Mobilmachung in Aussicht ge— 
nommen: die Aufstellung von 128 mobilisirten Landwehrz, 148 
dierten Felde, 134 Besatzungs- und 179 Ersatz-«Bataillonen (mit 
Sinschluß der Landwehr-Ersatztruppen), so daß sich also der Stand 
der deutschen Armee fortan gleich bei Eröffnung eines Kriegs auf 
1092 Bataillone, und mit Hinzurechnung der 11 Ersatz-Baiaillone 
für die 11 neuen Infanterie-Regimenter auf 1103 Batalllone stellen 
würde, wovon 779 Bataillone unmittelbar für die Verwendung zu 
Angriffszwecken, bezw. für die Zutheilung zu der eigentlichen akliven 
Armee verfügbar sein würden. 
Zu der von der „Vossischen Zeitung“ gebrachten Nachricht, 
der Hofprediger Stöcker habe infolge ihm zugegangenen 
Weisung seine Entlassung genommen, bemerkt die „Kreuzzeitung“: 
„Die „Vossische Zeitung“ möge sich beruhigen, man hat ihr ein⸗ 
timmig etwas aufgebunden.“ 
Zu den niederschlagendsten Erfahrungen, welche die gegen⸗ 
würtigen Debattentage mit sich bringen, gehört für den deutschen 
Patrioten die Beobachtung, wie das Ansehen des Vaterlands durch 
diese Streitigkeiten im Ausland geschädigt wird. Einen bezeichnen⸗ 
den Schmerzensschrei in dieser Richtung sandte Karl Hillebtand, 
der bekannte treffliche Publizist und Historiker, nach der Lektüre der 
Berliner Notablen⸗-Erklärung an die „National⸗Zeitung“: 
„Eben lese ich die Erklärung gegen die Antisemiten in der 
National-Zeitung“. Endlich! Wie haben wir darauf gewartet! 
Schämte man sich doch einem Ausländer ins 
Auge zu blicken. Bei den Wallachen ist's doch nur der 
Pöbel; aber bei uns sind's Leute von Bildung oder die sich als 
olche geben. Hätten die Herren erst in sich selber das überwunden, 
was sie „jüdisch“ zu nennen belieben, so hätten sie wahrlich keine 
Konkurrenz zu befürchten. Werden Beitrittserklärungen angenom— 
men, so bitte ich meine hinzuzufügen, als die eines Urgermanen, 
der mit anhören muß, was man hier außen von seinan Vater— 
lande denkt. 
Florenz, 17. November. Karl Hillebrand.“ 
Will man die Stimmung, die Karl Hillebrand hier ausspricht, 
nachempfinden, so lese man, wie die Wiener Blätter über die Som— 
abend-Debatte sich äußern. Die „Wiener Allgemeine Zeitung“ 
beginnt: 
„Zweihundert Jahre nach Spinoza, einhundert Jahre nach 
Lessing noch im Parlament die Frage erörtern zu müssen, ob 
Menschen ihrer Religion halber von Staatswegen zurückgesetzt und 
benachtheiligt werden sollen — fürwahr, das istkein erhebendes 
Bild! Es gereicht dem Volke der „Dichter und Denker“, der Na— 
tion, in deren Sprache der „Nathan“ und der „Don Carlos“ ge⸗ 
schrieben wurden, für die Kant uͤnd Schopenhauer gedacht haben, 
nicht zur Ehre, daß just ihr beschieden worden, der Welt dieses 
klägliche Schauspiel zu bieten.“ 
Ausland. 
Der Antrag von Leon Renault, seitens Frankreichs 40 
Millionen Fres. für die Durchstechung des Simplon zu bewilligen, 
iindet in der französischen Deputirtenkammer die Unterstützung von 
120 Unterschriften. Man versichert, auch die Schweiz und Italien 
hätten eine Subvention zugesagt. 
Die blutigen Opfer der schwachherzigen Politik Gladstones in 
Irlaud mehren sich. Nach Meldungen aus Dublin haben am 
22. ds. in Ballina (Grafschaft Mayo) Ruhestörungen Statt ge— 
sunden. Die Polizei bemühie sich, ein Mitglied der Landliga zu 
verhaften, welches vor einer großen Menge von Bauern aufrezzende 
Reden hielt. Die versammelie Menge widersetzte sich der Verhaft⸗ 
ung. Bei dem entstandenen blutigen Zusammenstoß wurden meh⸗ 
rere Polizeiagenten verwundet. Endlich machte die Polizei mit 
den Säbeln einen förmlichen Angriff auf die Menge und bewirkte 
die Verhaftung. Für nächsten Sonnabend ist abermals der Ab⸗ 
marsch eines Regimentes nach Irland angeordnet. 
Die „Politische Korrespondenz“ meldet aus Athen vom 22. 
Nov.: Der deutsche Gesandie v. Rasd o w ittz ist eingetroffen. Der⸗ 
selbe hatte sofort eine lange Besprechung mit Minister Kommun⸗ 
duros, welchem er im Namen der deutschen Regierung den Rath 
gab, die Interessen Griechenlands nicht durch eine übereilte Aktion 
auf's Spiel zu setzen. Die Vertreter einiger anderer Großmächte 
schlossen sich den Vorstellungen des Vertrelers Deutschlands an. 
Vermischtes. 
. Am IL. Dezember wird in Medelsheim eine Poster⸗ 
— einmalige Kariolfahrten 
mit Zweibrücken verbunden. Der neuen Erpedition wird ein Land⸗ 
bestellbezirk vorerst nicht zugetheilt. 
F Die am Sonntag in Neustadt a. H. Statt gehabte 
liberale Wählerversammlung war von ca. 400 Personen besucht und 
nahm nach der Berichterstattung durch Hr. Dr. Armand Buhl 
über die Reichstagsverhandlung nachstehende Resolution an; „Die 
in Neustadt versammelten Waͤhler aus dem Wahlkreis Neustadt⸗ 
Landau bedauern im Interesse der liberalen Sache die Spaltung 
der nationalliberalen Partei um so lebhafter, als sie in der Ver— 
chiedenheit der hervorgetretenen Anschauungen genügende Gründe 
nicht finden können, die eine Scheidung zur Nothwendigkeit machen. 
NRur festes Zusammenhalten aller liberalen Männer wird es er 
möglichen, den reaktionären und reichsfeindlichen Bestrebungen unserer 
Gegner mit Erfolg entgegenzutreten.“ — Herr Reichstagsabgeord⸗ 
neter Jordan ließ durch Hrn. Buhl erklären, daß er seines hohen 
Alters wegen ein Mandat für den Reichstag nicht mehr annehmen 
werde. 
F Als Delegirter zum deutschen Landwirthschaftsrath für die 
Periode 18811883 wurde Herr Jean Janson, Gutsbesitzer und 
Landrath in Harxheim, gewählt. 
F Bei der am 21. Novbember in der Aula der Universitãt 
Heidelberg Statt gehabten akademischen Preisvertheilung