Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

St. Ingberker Anzeiger. 
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—1880. 
anr 
Deutsches Reich. 
Der Steuergesetzausschuß der bayerischen Abgeordneten⸗ 
kammer berathet gegenwärtig über die von der Staatsregierung für 
den Fall der Verwerfung der allgemeinen Einkommensteuer einge— 
reichten Modifikationen zum Einkommensteuergesetz fort. Der Art. 
l. dieses Einkommensteuergesetzes wurde nunmehr in folgender 
Fassung angenommen: „Wer ein Einkommen bezieht, welches nicht 
aus Erträgnissen von Grund und Boden, Häusern, Realrechten, 
von Kapitalien oder Gewerben fließt, unterliegt hierfür der Ein— 
tommensteuer.“ Eine längere Debatte verursachte der Art. 11, 
welcher von den Befreiungen von der Einkommensteuer handelt. 
In Berlin empfing am 1. Dez. der Kaiser in besonderer 
Audienz den bayerifchen Gesandten Grafen Lerchenfeld, welcher sein 
Beglaubigungsschreiben überreichte. — Der Botschafter Fürst Hohen⸗ 
lohe ist an demselben Tage nach Paris abgereist. 
Mit der Absicht des Fürsten Bismarck, bereits im 
Dezember nach Berlin zu kommen, scheint es ernst werden zu 
wollen; wenigstens ist man in Regierungskreisen darauf vorbe⸗ 
reitet. Man will dort wissen, der Fürst sei entschlossen, an den 
mit seinem Eintreffen beginnenden Vorarbeiten des Bundesrathes 
für den Reichstag einen besonders thätigen Antheil zu nehmen. 
Nach der „Voss. Ztg.“ wird die Berufung einer aus Auf— 
sichtsbeamten und im praktischen Dienst der Industrie stehenden 
Personen zu bildenden Kommission, welche den Gesetz-Entwurf, 
hetr. die Anzeige von Unfällen in Fabriken und ähnlichen 
Betrieben, sowie den Entwurf von Vorschriften, betreffend den 
Schutz gewerblicher Arbeiter gegen Gefahren für Leben und Ge— 
sundheit begutachten soll, in nächster Zeit erfolgen. Die Kom— 
mission wird mit dem Rechte ausgestattet sein, weitere Sachver⸗ 
ständige nach ihrem Ermessen behufs mündlicher Vernehmung zu 
ihren Berathungen heranzuziehen. 
Der Etat für die Verwaliung der kais. deutschen Reichs⸗ 
Marine auf das nächste Etatsjahr veranschlagt die Einnahme 
auf 405, 152 M. (44,180 M. mehr als im Vorjahre). Die fort⸗ 
dauernden Ausgaben betragen 28,848,126 M. (6, 249,837 M. 
mehr als im Vorjahre). Die einmaligen Ausgaben sind auf 
11,373,511 M. (2,285.939 M. weniger als im Voriahre) ver⸗ 
anschlagt. 
versichert, daß die französische Regierung friedlich gesinnt sei, so 
ist wohl anzunehmen, daß — nichis geschieht; das ist wenigstens 
immer das allerfriedlichste. Weiter bersicherie Barthelemy, nach 
der Ansicht der französischen Regierung wäre der Zusammensturz 
des osmanischen Reiches ein schreckliches Ereigniß, das man um 
jeden Preis verhindern oder doch hinausschieben müsse. 
In der französischen Adreßdebatte hat der auswärtige 
Minister Barthelͤmy de St. Hilaire ein überaus bezeichnendes Wort 
allen lassen: „Frankreich müsse sich nach dem 1870 von Europa 
Erfahrenen in sein Zelt zurückziehen.“ Auch in jenem an sich 
riedliebenden französischen Gelehrten herrscht also die Einbildung, 
daß Frankreich nach dem Mißlingen seines 1870 gemachten Ueber— 
alles auf das Eintreten Europa's zu Gunsten seiner früher auf 
»eutsche Kosten gemachten Erwerbungen Anspruch gehabt habe. 
Jetzt erklärt er sich allerdings für ernüchtert. Hoffentlich dauert 
diese Stimmung bei ihm wie bei anderen Leuten in Frankreich an. 
Die europäische Flottendemonstration, welche nach der 
Uebergabe Duleignos programmgemäß ihre Daseinsberechtigung 
derloren hatte, kann, wie es scheint, nicht ohne Weiteres zu seligem 
Ende gelangen dem „B. T.“ wird aus London darüber telegraphirt: 
„Englands Vorschlag, wegen Zusammenbleibens der inter⸗ 
aationalen Flotte, geht es wie allen Gladstoneschen Vorschlägen. 
Rußland stimmt sofort zu, Oesterreich erklärt sich un⸗ 
deutlich und halb und ist überdies hierbei im Falle des Hausherrn, 
der unmöglich zuerst zum Aufbrechen mahnen kann, da sich doch 
die Flotte in seinen Gewässern befindet. Frankreich, anfangs 
zögernd, lehnte ab und Deutschland lehnte sofort das weitere 
Verbleiben der gemeinsamen Flotte ab. Dieselbe wird also dem—⸗ 
nächst sich auflösen. Die griechische Frage bleibt somit bis 
zum Frühling aufgeschoben.“ 
Meldungen aus Charkow (Rußland) zufolge ist dort eine 
zeheime Druckerei entdeckt worden. Mehrere Druckhmaschinen, eine 
Anzahl Dolche und Revolver, Exemplare der revolutionären Zeitung 
„Semlja i Wolja“, falsche Pässe und Stempel wurden aufgefunden. 
Zwei der revolutionären Partei angehörige Personen wurden ver⸗ 
haftet. — Auch in Kiew wurde eine geheime Druckerei entdeckt. 
Pfalzisches Schwurgericht. 
IV. Quartal 1880. 
Bei der in Zweibrücken am 6. Dezember nächsthin beginnenden 
Schwurgerichtssession pro 4. Quartal 1880 kommen folgende Fälle an den 
unten näher bezeichneten Tagen zur Berhandlung: 
Am 6. Dez, Vormittags /29 Uhr: Benedilt Fischer, 18 J alt, 
Schuster von Hanhofen, zuletzt Fabrikarbeiter in Ludwigshafen, wegen Todt⸗ 
cchlags. Staalisanwalt: Petri, Vertheidiger: Rechtsanwalt Kieffer. Nach⸗ 
mittags 8 Uhr: Christian Haufser, 27 J. alt, Bahnarbeiter von Alt⸗ 
stadt, zuletzt in Wellesweiler, wegen Verbrechens gegen die Sittlichkeit. 
Stactsanwalt: Dr. Krell, Vertheidiger: Rechtsanwalt Giessen. — Am 7. Dez., 
Vormittags!/9 Uhr: Margaretha Weis, 24 J. alt, Ehefrau von Wil⸗ 
helm Jo st, Schuster in Pitmasens, wegen Körperverletzung mit tödtlichem 
Erfolge. Staatsanwalt: Kieffer, Vertheidiger: Rechtsanwalt Gink. — Am 
8. Dez., Vormittags /29 Uhr: Philipp Ernst, 81 J. alt, Leinenweber 
und Miurer in Winterbach, wegen vorsätzlicher Brandstiftung. Staatsan⸗ 
valt: Kieffer, Vertheidiger: Rechtskandidat Schuler. — Nachmittags 8 Uhr: 
Leonhard Beck, 49 J. alt, Winzer von Gimmeldingen, wegen Verbrechens 
vider die Sittlichkeit. Staatsanwalt: Petri, Vertheidiger: Rechtsanwalt 
Schmidt. — Am 9. Dez., Vormittags */29 Uhr: Maria Lorenz, 27 
J. alt, Ehefrau von Johann Hager, Maurer in Kaiserslautern, wegen 
Meineids. Staatsanwalt: Peiri. Vertheidiger: Rechtsanwalt Schmidt. — 
Am 10. Dez. Vormittags :/29 Uhr: Henriette Blunm, 40 J. alt, Ehe⸗ 
rau von Wilheln Bohrmann, Pferdehändler in Speier, wegen Mein⸗ 
eids. Staatsanwalt: Dr. Krell, Vertheidiger: Rechtsanwalt Gebhardt. — 
Am 11. Dez., Vormittags /29 Uhr: Anna Maria Hofsaß, 24 J. a., 
Dienstmagd von der Benjenthaler Muhle, Gemeinde Deidesheim, wegen Kinds⸗ 
mords. Staatsanwalt: Dr. Krell, Vertheidiger: Rechtsanwalt Gink. — Am 
13. Dez., Vormittags/19 Uhr: Marx Julius, 29 J. a. Kaufmann in 
Mannheim, wegen Meineids. Staetsanwalt: Peiri, Vertheidiger: Rechtsan⸗ 
valt Kieffer. — Am 14. Dez, Vormittags/29 Uhr: Georg Reuther, 
Postexpeditor von Bruchmühlbach, wegen Unterschlagung im Amte. Staats- 
anwalt: Dr. Krell, Vertheidiger: Nechtsanwalt Kieffet. — Am 185. Dez., 
Rachm. 8 Uhr: Jalob Mahl, 22. J. a., Maurer von Spesbach, wegen 
dörververletzung mit tödtlichem Erfolge. Staatsanwalt: Kieffer, Vertheidiger: 
Rechtspraltiani Berdel. — Am 16. Dez., Vormittags! / 29 Uhr: 1) Fried⸗ 
rich Reinhard, 19 J. a., Schreinergeselle von Frankenec, 2) Heinrich 
81483, 35 J. a., Schreiner zu Germersheim, ersterer wegen Meineids, letz- 
terer wegen Anstiftung hiezu. Staattanwalt: Petri, Bertheidiger: Rechtslan— 
didat Schuler und Rechissaänwalt Gebhart. — Am 17. Dez, Vormittags 3.29 
Anusland. 
Der österreichische Finanzminister hat in dem Budgei 
Desterreichs für 1881 ein Defizit von 28 Millionen Gulden 
herausgerechnet. 
Aus Paris 29. Novbr. wird gemeldet: Die Communarden 
werden immer frecher. Gestern demonstrirten sie auf dem Kirchhos 
von Levallois Perret, und da die Polizei nicht dulden wollte, daf 
sie die Gräber der standrechtlich erschossenen Communards schmück— 
ten, veröffentlicht heute Olivier Pain einen Brief an Rochefort, 
worin er den Gedanken ausspricht, man sollte auf einem der Plätze 
don Paris den hingerichteten Communards ein Denkmal errichten. 
Natürlich ist Rochefort ganz einverstanden und fordert auf, den 
Pariser Gemeinderath zu ersuchen, er wolle einen Platz bezeichnen, 
wo ein Denkmal „den für die Republik gefallenen Kämpfern von 
1871“ errichtet werden soll. Ob die nach der Popularität der 
Wähler von Belleville schielenden Gambetta und Genossen wohl 
allmälig merken, auf welche schiefe Ebene sie durch die Amnestie 
zerathen sind? Ihre Popularitätshascherei wird ihnen nichts hel⸗ 
fen, wenn die Bestie einmal losbrechen wird, und allem Anschein 
nach dauert das nicht mehr so gar lang. 
Der französische Senat berieth dieser Tage das Budget des 
Aeußeren, wobei natürlich die Politik der Regierung besp rochen und 
je nachdem gelobt und getadelt wurde. Der Minister Barthéléͤmy 
St. Hilaire vertheidigte Frankreichs Betheiligung an der Flotten⸗ 
demonstration vor Dulcigno, welche der Sache des Friedens ge—⸗ 
dient habe; durch Frankreicht Einsicht sei diese Demonstration in 
den Schranken gehalten worden, in welchen sie geblieben ist. (Seht 
eng waren aber diese Schranken, so eng, daß die Geschichte schließ⸗ 
lich recht lächerlich wurde. Das Beste ist, daß sie jetzt zu Ende 
ist.) Wie es mit der „Regulirung der griechischen Grenze“ gehen 
wird, darüber wußte der Minister nichts anzugeben; da er aber