Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

Hl. Ingberker Anzeiger. 
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M 198. Sonntag, den 12. Dezember 1880. 
Deutsches Reich. 
Der Gewerbsteuer-Tarif, wie er von der Subkommission des 
Steuergesetzausschusses der bayerischen Abgeordnetenkammer der 
nach eingehenden Berathungen festgestellt wurde, ist gedruckt und an 
die Ausschußmitglieder und die Vertreter der Staatsregierung ver— 
theilt worden. In seiner nunmehrigen Gestalt soll dieser Steuer⸗ 
arif jedoch, wie versichert wird, als nicht annehmbar erscheinen, 
dielmehr eine wesentliche Aenderung desselben erforderlich sein, wenn 
nicht das Zustandekommen des ganzen Gewerbsteuergesetzes gefährdet 
werden soll. 
Aus guter Quelle will das „Berl. Tgbl.“ wissen, daß dem 
Bundesrath die in der vorigen Session unerledigt gebliebene Vor— 
lage einer Wehrsteuer aufs Neue zugehen wird, trotzdem sich 
namentlich Bayern dagegen erklärt hatte. Ob die bayerische Regierung 
jetzt anderer Ansicht geworden, darüber verlautet noch nichts. 
Die „Nordd. Allg. Ztg.“ erklärt, daß die Zeitungsnachrichten 
über angebliche Unterredungen des deutschen Gesandten v. Radowitz 
mit dem griechischen Ministerpräsidenten (über das Verhältniß Grie— 
chenlands zur Türkei) auf Authenticität keinen Anspruch haben, 
Hielmehr in das Gebiet publicistischer Erfindung gehören. 
Ausland. 
In Pest fanden am 9. Dez., Abds. große Straßende⸗ 
monftrationen vor den Redaktionen deutscher Blätter 
Statt wegen der mit 225 gegen 85 Stimmen gefaßten Beschlusses 
der ftädtischen Repräsentanz, ein deutsches Theater zu kon⸗ 
‚essionieren. Die meisten magyarischen Journale führen eine auf⸗ 
ceizende Sprache. 
Dulciguno eristirt nicht mehr. Zugleich mit der 
Besitznahme dieser vielumworbenen Stadt haben die Montene⸗ 
griner auch den Namen derselben geändert. Die Stadt ist nun⸗ 
mehr auf den serbisch-⸗montenegrinischen Namen Ulcin getauft. — 
Nach Erledigung der Dulcigno⸗Frage bildet selbstredend die griechisch⸗ 
ürkische Grenzfrage das Hauptthema in der auswärtigen Politit. 
Interessant ist, daß, wie aus Wien berichtet wird, die dortige 
ministerielle Presse“ die Meldung verbreitet, Fürst Bismarck be— 
günstige die Idee, die Pforte möge anstatt Epirus, dessen Cession 
der Albanesen wegen schwierig wäre, die Insel Kreta an Griechen⸗ 
land abtreten. Die Meldung stammt angeblich aus Kopenhagen. 
Die Anstrengungen der europäischen Diplomatie in Athen, 
welche darauf ausgehen, Griechenlaud von einem Kriege 
zurückzuhalten, gelten als aussichtslos. So läßt sich das „Berl. 
Tgbl.“ unterm 9. Dez. aus Rom telegraphiren. 
Pfalzisches Schwurgericht. 
IV. Quartal 1880. 
9. Dez. Verhandlung gegen Maria Lorenz, 27 Jahre alt, Ehefrau 
»on Johann Hager, Maurer in Kaiferblautern, wegen Meineid. 
Vertreler der ĩ. Staalsbehörde: Staatsanwalt Petri: Vertheidiger: Rechts⸗ 
anwalt Schmidt. 
Am 2Mai 1878 stürzte in der Düngerfabrik Kaiserslautern ein hoch⸗ 
aufgethürmter Dunghaufen zusammen und beschädigte den mit Aufladen des⸗ 
elben beschäftigten Tagner Johann Bayser von Kaiserslauteru erheblich am 
eine. Derselbe klagie bei dem k. Bejirksgerichte Kaiserslautern gegen die 
Düngerfabrik Kaiserslautern deßhalb eine Entschädigung von 10,000 Mark ein. 
Am 4. Olibr. 1879 fand vor dem Richterkommissär, k. Landgerichtsrath Pfister 
n Kaiferslautern, das vom Gerichte angeordnete Zeugenverhör Statt. Als 
Zeuge wurde damals auch der Aufseher der Düngerfabrik, Jakob Barkey ver⸗ 
sommen, der auf seinen Eid hin aussagte: die heutige Angeklagte, bei der der 
aläger Bayer während seiner in Folge der Verwundung eingetretenen Krank⸗ 
heit gewohnt hatte, habe ihm Folgendes mitgetheilt: Der VBayer habe fich 
vahread seiner Krankheit gar nicht gehalten; wenn der Arzt gekommen sei, 
sei er zwar zu Hause gewesen, aber nach dessen Entfernung sei er immer wieder 
usgegangen. Äls er nach längerer Arbeitseinflellung einmal in die Fabrik 
sum Lrbeiten gegangen sei, hätien die Nachbarsleute zu ihm gefaqgt, er solle 
och nicht so dumm sein und arbeiten, sondern sich fur den Unglücdsfall be⸗ 
ahlen lassen. Diesen Rath habe Baher denn auch befolgt und sei späler ein⸗ 
nal in siark betrunkenem Zustande die Trepye hexabgefallen und unten liegen 
Jeblieben, bis man ihn hinaufgetragen habe, es jei dann eine große Blutlache 
auf dem Boden zurückgeblieben. 
Auf diese Auͤssage des Aufsehers hin wurde die Vernehmung der Ange⸗ 
lagten vom Landgerichte Kaiserslautern angeordnet und diese denn auch am 
d Marz 1880 vorgenommen. Da leugnete nun die Angeklagte auf's Hart⸗ 
räckigste, jemals irgend eine ähnliche Aeußerung dem jungen Burkey gegen⸗ 
iber gemacht zu haden. Von dem Fall des Bayer die Treppe herab wisse 
ie gar nichts umd konne folalich auch dem Zeugen Barlkey nichts davon erzählt 
haben. Nun sind aber Zeugen da, die diesen Fall des Bayer auch mitange⸗ 
khen haben und die auch die Angeklaate während jenes Falles unten im 
gange unter ihrer Küchenthüre stehen sahen, von wo fie Alles wahrgenommen 
saben muß. Zudem erklärt nicht blos Barkey, sondern auch noch andere 
Jeugen auf's Bvestimmteste, daß die Angeklagte ihnen von dem Fall des Bayer 
gie Stiege herab erzählt habe. 
Bezeichnender Weise ist festgestellt, daß die Angeklagte zur Zeit, als sie 
»em Barkey die für den Ausgang des Prozesses Bayer so ungünstige Erzäh⸗ 
ungen machte, mit Bayer auf gespanntem Fuße lebte, während sie sie sich 
pater, als fie vor Gericht gar nichts mehr wissen wollie, wieder vollständig 
mit ihm ausgesöhnt hatte. 
Die Angeklagte wurde bei Verwondten an der ostpreußischen Grenze ver⸗ 
haftet. Die Geschworenen sprachen trotz der Einwendungen der Vertheidigung 
hr Schuldig“ und wurde die Angeklagte hierauf zu einer 8 uch t h a u 8⸗ 
drafevon2Jahren verurtheilt, ihr die bürgerlichen Ehrenrechte auf 
Jahre und zugleich, die Fähigkeit, je wieder als Zeuge eidlich vernommen 
verden zu können, aberkannt. 
Vermischtes. 
*St. Ingbert, 8. Dez. In der heutigen Schöffen— 
itzung hier kamen folgende Fälle zur Aburtheilung. Drei 
Bursche von Oberwürzbach wurden wegen Korperverletzung zu 8, 
z und 2 Tagen Gefängniß verurtheilt; — ein Mann von Hecken⸗ 
zalheim wurde wegen Anschuldigung einer Gewerbsteuer-Kontra— 
»enion freigesprochen; — Deßgl. ein Bursche von Sulzbach, wegen 
der Anschuldigung der Verübung groben Unfugs; — zwei Bursche 
hon Rohrbach erhielten wegen groben Unfugs je 2 Mark Geldstrafe; 
Die Verhandlung gegen einen Mann von hier, wegen Feil⸗ 
zietens von Geschirr auf dem Wochenmarkte, wurde wegen Nicht⸗ 
erscheinens eines Zeugen in die Sitzung vom 22. Ifd. Mis. ver⸗ 
agi; — Eine Frau von hier erhiell wegen Salatentwendung eine 
geldstrafe von Mark — und ein Handwerksbursche von Saar⸗ 
semünd wurde wegen Bettels und Landstreicherei zu einer Gesammt⸗ 
aftstrafe von zwanzig Tagen verurtheilt. 
Am 8. Dez. nahm der Landrath die Wahl der Geschworenen 
ür den Staatsgerichtshof vor und wählte sodann in den Ausschuß 
zer Wittelsbacher Stiftung als Mitglieder die Herren Gustav 
drämer, Fäbrikant in St. Ingbert, und Hch. Karcher, 
zabrikant in Frankenthal, als Ersatzmänner die Herren Ludwig 
cchleip, Fabrikant in Kusel und Holßmann, Fabrikant in Speyer, 
ammtlich mit Stimmenmehrheit. 
4 Im pfälzischen Amtsblatt wird Folgendes verdffentlicht: 
Um eine Uebereinstimmung mit den im rechtsrheinischen Bayern 
zezüglich der Dauer der Jagdkarten geltenden Vorschriften 
jerbeizuführen, wird hiermit auch für den Regierungsbezirk der 
Ifalz vom 1. Januar 1881 an die Giltigkeitsdauer der Jagdkarter 
Jagdwaffenscheine — Gewehrpüsse) auf die Dauer des Kalender⸗ 
ahres festgesetzt. Von obigem Zeitpunkte an werden daher nur 
nehr Jaͤgdkarten ausgestellt, welche für das betr. Kalenderiahr 
giltigkeit haben.“ 
Breitfurt hat nach der neuesten Volkszählung 67 
rzinwohner (316 männl. u. 355 weibl.) 135 mehr als 1875 unl 
99 mehr als 1870. Kusel zählt 3092 Einwohner, 281 mehr 
ails im Jahr 1875; Waldfischbach 1150, also 75 mehr 
grünstadt 3808, also 274 mehr. 
In Walshausen rannte kürzlich die 17 J. a. Lui' 
tgambey des Abends auf der Straße beim Nachhauseeilen so un 
zlüclich an das Langwied eines Wagens, daß ihr sofort der Lei 
inschwoll und sie in Folge innerer Verletzung, die durch ärztlich 
Zilfe nicht mehr gehoben werden konnie, starb. 
4In Wal bei Miesbach hat unlängst wieder ein Habe 
eldtreiben Statt gefunden; von diesem Unfug hatte man seit länger 
Zeit nichts mehr gehört. 
4 Auch in Neu st a dit geht man mit dem zeitgemaßen Gedank⸗ 
um, für Handwerksburschen ein Unterstützungs⸗ und Arbeitsnac 
veisbuͤreau ins Leben zu rufen. Man will sich damit vor de 
mmer mehr überhandnehmenden Vagabundenthum auf dem We 
der Selbsthilfe nach Möglichkeit schützen. Der Ausschuß des G 
verbevereins hat die Sache in die Hand genommen. Dieser Vere 
jat sich in seiner jungsten Versammlung auch fur die obligatorise 
kinführung der AÄrbeitsbücher (für alle Arbeiter ohne Ausnahm 
edoch gegen die Zeugnißeintragung ausgesprochen.