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M 45. — Samstag, den 19. März 1881.
Deutsches Reich.
Se. Maj. der König Ludwig II. von Bayern hat in
Folge Hinscheidens des Kaisers Alexanders II. von Rußland eine
Hoftrauer von vier Wochen anzuordnen geruht.
Das revidirte Landtagswahlgesetz für Bayern bedarf zu
seiner Ausführung einer sehr eingehenden Vollzugsinstruktion. Die⸗
ielbe ist, wie die „S. Pr.“ vernimmt im Staatsministerium des
Innern auch bereits entworfen und wird deßhalb alsbald nach der
Bekanntmachung des neuen Gesetzes veröffentlicht werden können.
Die Zeichen einer Annäherung der Curie an die preußische
Regierung mehren sich. Auch das Dompkapitel in Osnabrück hat
vor einiger Zeit einen gemäßigten Prälaten zum Bisthumsverweser
Jewählt, welcher der Staatsregierung genehm ist und von der
Fidesleistung auf Grund des Gesetzes vom 14. Juni 1880 ent⸗
unden werden wird.
Nachdem der Ausschuß des Bundesraths für Justizwesen, dem
jer Entwurf eines Gesetzes über die Bestrafung der Trun⸗
kenheit zur Vorberathung überwiesen war, seine Arbeit beendet
zat, wird der Entwurf das Plenum des Bundesraths in der
aächsten Sitzung beschäftigen. Der Entwurf hat in 8 3 in Bezug
zuf die Kost auf Wasser und Brod eine Aenderung erfahren.
Außerdem hat der Entwurf einen neuen 8 6 erhalten: „Mit Geld—
itrafe bis zu 100 Mark oder mit Haft wird bestraft, wer bei Ver⸗
richtungen, welche zur Verhütung von Gefahr für Leben und Ge—
undheit Anderer vder vor Feuersgefahr besondere Aufmerksamkeit
erfordern, sich betrinkt oder solche Verrichtungen betrunken vornimmt.“
Aus Berlin ist der „Köln. Z.“ folgendes Telegramm zu—⸗
zegangenen, dessen officiöser Ursprung außer Zweifel stehen dürfte:
„An einer Stelle, deren Ansichten und Ansprüchen in auswärtigen
Angelegenheiten das deutsche Volk unbedingtes Vertrauen zu schenken
flegt, herrscht, wie wir zuverlässig wissen, die Ueberzeugung, daß
ie politischen Folgen der entsetzlichen Unthat in Petersburg nicht
ie —— haben werden, welche man früher wohl bei einem
nortigen Regierungswechsel zu erwarten geneigt war. Es gilt dies
nicht blos für die Beziehungen Rußlands zum Ausland, sondern
s sind auch für die inneren Verhältnisse Anzeichen vorhanden, daß
chroffe Wandlungen wenigstens zunächst nicht in Aussicht zu nehmen
ind. Da die Einwirkung innerer Umgestaltungen und Umwälz-⸗
ingen in einem Großstaat von den eigenthümlichen Verhältnissen
wie Rußland nothwendig auch dessen auswärtige Politik mitbe—
jerrschen, hat die Annahme, daß der russische Thronwechsel das
verhältniß des Reiches nach außen unberührt läßt, eine um so
zrößere Bürgschaft für sich. Und bekannt ist außerdem, daß die
dem jetzigen Kaiser vielfach nachgesagte Abneigung gegen deutsches
Wesen in neuerer Zeit, soweit Thatsachen mitsprechen, ohne Belege
zeblieben ist.“ (Mit anderen Worten heißt das: Der neue Czar
indet in seinem Reich so viel Schäden zu heilen, einen solchen
Augiasstall zu leeren, daß er damit allein vollauf zu thun hat und,
wenn er vernünftig ist, keine Händel auswärts sucht.)
Wegen der tiefen Trauer, in welche der Tod des Kaisers
Alexander den Berliner Hof versetzte, wird auf Befehl des Kai sers
von jeder äußern Feier seines bevorstehenden Geburtstages bei Hofe
iin Berlin) abgesehen.
Kaiser Wilhelm hat aus Anlaß des Todes des Kaisers von
kußland bestimmt, daß die preußische Armee für vier Wochen
und die Regimenter, deren Chef der Verstorbene war, auf fünf
Wochen Trauer anlege.
Während man allgemein der Ansicht war, in der Peters⸗
vurger schreckensvollen Greuelthat eine Aktion lediglich russischer
stihilisten erblicken zu müssen, scheint man in gewissen Berliner
sttegionen anderer Ueberzeugung zu sein. Da behauptet man, das
Verbrechen gehe nicht nur von russischen Nihilisten, sondern von
einer internationalen Bande aus, welche den Mord der Monarchen
ind den Umsturz der Staaten auf ihre Fahne geschrieben. Unsere
ziesige Polizei, schreibt man konservativen Zeitungen aus Berlin,
ist in reger Thätigkeit und glaubt gewissen Affiliationen auf der
Spur zu sein, welche auf eine Verbindung mit den Petersburger
Verbrechern hindeuten. Es ist klar, daß unter solchen Umständen
die Gefahr, welche qous dem neuesten Attentat für alle gekrönten
Häupter erwächst, als eine große und ernste betrachtet wird, und
daß alle Sichexheitsorgane zu eifriger Pflichterfüllung angespornt
verden. Unter diesen Umständen wird auch sehr bald eine defi⸗
nitive Besetzung des Ministeriums des Innern eintreten müssen:
denn unter solchen Zeitumständen schickt sich eine interimistische
deitung dieses Ministeriums nicht.
Etwas Wahres mag insofern, an dieser Ausstreuung sein, als
die im Auslande zerstreuten russishen Flüchtlinge ersichtlich um die
That vorher gewußt haben. Namentlich in Genf, Paris und
London scheinen Eingeweihte vorhanden gewesen zu sein.
Die ministerielle Verliner „Provinzial- Correspondenz⸗
chließt einen längeren Artikel über den Thronwechsel in Rußland
nach einem warmen Nachruf auf Alexander IU. mit folgenden
Söätzen:
„Möge es seinem Nachfolger, der den Thron seiner Väter als
Zaiser Alexander III. bestiegen hat, in gleicher Weise beschieden
sein, den ungezähmten Kräften, welche Rußland auf aben-
euerliche Weise führen wollen, mit dauerndem Erfolg ent⸗
Jegenzutreten, möge es ihm aber auch gelingen, die guten
rüfte der Nation um sich zu scharen, um Rußland auch vor
hen Gefahren zu schützen, die ihm im Innern drohen Deuischland
wird dem heimgegangenen edlen Fürsten ein herzliches, ehrendes
Andenken widmen; es begrüßt seinen Sohn, den jetzigen Kaiser,
nit dem aufrichtigen Vertrauen, daß auch er die Ueberlieferungen
einer Ahnen treu pflegen und den Werth einer ernsten Freund⸗
schaft mit Deutschland wahrhaft würdigen werde.
Die „Nordd. Allg. Ztg.“ behauptet gegenüber der „Tribüne“,
daß der Nhilis mus mcht im vierten Stande, nicht unter dem
armen Manne entstanden, und zu Hause ist. Von 198 Angeklag⸗
ten im Petersburger Nihilistenbrozeß vom Jahre 1877 gehörten
32 dem Adelstand, 19 dem Beamtenstand, 8 dem Militär, 33 dem
dlerus, 11 dem höheren Kaufmannsstand, 23 dem Bürgerstand,
17, dem Bauernstand an. Der Nihilismus sei eine Doktrin, die
mit der Doktrin der radikalen Freihändler die allergrößte Aehnlich⸗
eit hat, ja bis auf gewissen Punkt identisch ist. Beide Doklrinen
lehnen sich gegen den historischen Staat und seine mit dem wach⸗
senden Bedürfniß wachsenden sittliche Aufgabe auf.
Es heißt, daß zum Geburtskag des Kaisers auch der Groß⸗
jerzog von Hessen mit seinen beiden ältesten Töchtern nach Ber⸗
in kommen wird, und man bringt damit in Zusammenhang die
angeblich bevorstehende Verlobung der ältesten hessischen Prinzessin
mit dem Erbgroßherzog von Baden (dem Enkel des Kaisers).
Ausland.
Die französische Regierung hat sich veranlaßt gesehen,
zegen einige radikale Pariser Journale wegen der Art und Weise,
vie dieselben das Attentat gegen den Kaiser von Rußland be—
prochen vorzugehen. Rochefort brachte im „Intrantsigeant, einen
Artikel in welchem er sich ganz auf die Seite der Nihilisten stellt.
In der „Marseillaise“ heißt es: „Mit vollkommener Ruhe, mit
kalter Gleichgültigkeit verzeichnen wir das Ereigniß. Ueberlassen
vir es den pseudo⸗republikanischen und den reactionären Organen,
hrer „Entrüstung“ Ausdruck zu geben über das „scheußliche At—
entat“. Wir sind keinegwegs entrüstet. Wir sparen unsere
Thränen für die gemordeten Völker und unsere Entrüstung für
hre Mörder“. Aehnlich schreiben „Rappel“ und „Laterne“;
der „Mot d'ordre“ spricht gelassen von diesem so vorhergesehenen,
o erwarteten Tode“ und der „Citoyen“ verallgemeinert die in
Petersburg gemachten Erfahrungen in einer Weise, die in einem
nonarchischen Lande nicht wiedergegeben werden kann. Nament⸗
ich gegen das letztere Journal soll Anklage wegen Verherrlichung
des Meuchelmordes erhoben werden. J
In Petersburg versendete am 16. März das revolutio⸗
aäre Executiv⸗Comite mittelst der Post an die Redactionen der dor⸗
igen Zeitungen und verschiedene hervorragende Personen eine vom
183. März datirte und am 14. ausgegebene Proclamation, die auf
zutem Papier in der geheimen Druckerei der „Narodnaja Wolja“
jedruckt ist und an Cynismus alles bisher dagewesene überbie et.
Nach zwei Jahren der Anstrengung und schweren Opfern ist die
Befreiungsthat endlich gelungen“ heikt es darin. Aleronder u