Full text: St. Ingberter Anzeiger

Zig.“ meint: Was nach der mit so viel Selbstbewußtsein verkün⸗ 
deien großen Reorganisation der Armee jetzt im höchsten Grade 
Aberraschen muß. Das ist die Verwirrung, welche sich bei der an 
sich geringfügigen Mobilisation zur Erpedition gegen die Krumirs 
an ullen Edeen uud Enden der militärischen Verwaltung zeigt. 
Im großen Publikum hat sich die Verwunderung über die Schwer— 
falligteit der Bewegung, über die an's Tageslicht gebrachten 
Mangel bereits zur Entrüstung gesteigert. Fachmänner, die zu— 
gleich Patrioten sind, sehen mit Unwillen, daß schon bei diesem 
vergleichsweise ganz unbedeutenden Versuch, den Mobilisations⸗ 
apparat in Bewegung zu setzen, die Räder bedenklich knarren und 
allerlei Schrauben nicht recht fungiren wollen. 
Aus Genf gehi der „A. Z.“ die Nachricht zu, daß die fran⸗ 
zöfische Militärbehörde an sämmtliche Maires in Obersavohen die 
Anfrage gerichtet hat, wie viel Mannschaften in jedem Orte im 
Fall einer Truppenconcentration an der italienischen Grenze von 
hnen untergebracht werden können. Da Obersavoyen neutralisirtes 
Gebiet ist, würde diese Nachricht, wenn sie sich bestätigt (sie soll 
aus guter Quelle sein), auch fur die Schweiz eine militärische Be⸗ 
deutung haben. 
Vorige Woche eilte der Diktator General Loris-Meli— 
koff in Petersburg gegen Abend in das Anitschkoff⸗ Palais 
und in das Arbeitskabinet des Kaisers, ohne sich anmelden zu 
lassen. Alexander III. saß bei Kerzenschein an seinem Schreibtisch 
imnd arbeitele. Der General löschte sofort die Lichter auf dem 
Tisch und sagte dem zornig aufspringenden Kaiser: Hier ist eine 
Depesche aus London, darin steht, in den Kerzen, bei denen Sie 
arbeiien, ist Dynamit, sie können jeden Augenblick explodiren. — 
Der Kaiser erblaßte, die Kerzen wurden untersucht und ungewöhn⸗ 
ciche Dochte gefunden. Sie wurden Chemikern übergeben. 
In Rußland hat die Verhaftung des Großfürsten Nikolaus 
der im Volke vielfach verbreiteten Anschauung, daß hinter der revo— 
lutionären Bewegung sehr hochgestellte Persoönlichkeiten stehen, neue 
Nahrung gegeben. Rur hochgestellte Männer, so urtheilt das Volk, 
sonuten den Nihilisten so sichere Winke geben, wie dies geschehen 
ist. Sie waren es auch, die das Geld zu den theueren Attentats- 
Vorbereitungen hergaben, nachdem sie fortgesetzt den Kaiser zu be⸗ 
wegen verstanden, keine Reformen einzuführen, um dadurch immer 
mehr Unzufriedenheit im Lande hervorzurufen. So urtheilt das 
zemeine Volk in Rußland und wohl nicht dieses allein. Bezüglich 
zer Einführung liberaler Reformen verlautet in neuerer Zeit gar 
nichts mehr und es hat den Anschein, als ob Alexander III. ganz 
nach dem System seines Vaters weiter regieren wolle, und doch 
thäten durchgreifende Aenderungen dringend Noth. 
Ueber den Eindruck, welchen der Urtheilsspruch 
gegen Ryssakoff und Genossen in der Petersburger Bevöl⸗ 
erung gemacht hat, berichtet das „Berl. Tgbl.“: Lebhafte Debatten 
entspannen sich bereits in den letzten Tagen über den Ausfall des 
Uriheils. Jetzt, nachdem sämmtliche Angeklagte zum Tode ver— 
urtheilt worden sind, will ein großer Theil des Publikums nicht 
in die Vollstreckung der Todesstrafe an den beiden Frauen glau— 
zen. Einzelne sind sogar der Ansicht, auch Ryssakoff werde begna— 
digt werden, weil er minderiährig ist. Man sagt, seit Peter dem 
Großen sei in Rußland weder ein Frauenzimmer noch ein Minder— 
jahriger gehängt worden. Der größere Theil des Publikums ver— 
nuthet, beide Frauen würden (wie vor zwei Jahren die Sophie 
Löschern-Herzfeld in Kiew) im letzten Moment unter dem Galgen 
begnadigt werden. Vielleicht geschieht dasselbe auch mit Michailow, 
der nicht so direkt betheiligt ist wie die andern. An einem der 
letzten Abenden hielt im Saale der Kreditgesellschaft der Professor 
m der Aniversität Solowiew einen Vortrag über die Tagesver— 
Jälinisse, wobei er unter Hinweis auf die versöhnende Lehre des 
Christentihums für die Begnadigung einzelner der Verurtheilten 
plädirt haben soll. Man ist sehr gespannt, ob die Vollstreckung 
des Urtheils öffentlich geschehen wird. 
Die Pforte iheilte den Botschaftern eine Note mit, worin 
sie erklärt, daß Frankreichs Einichreiten in Tunis unnöthig sei, 
weil der Bey alle nöthigen Vorbereitungen getroffen habe, um den 
Aufstand der Krumirs zu unterdrücken. 
Griechenland hat den Vorschlag der Mächte angenommen, 
aber die vorherige Versicherung seitens der Mächte verlangt, daß 
Artei das Griechenland zugesprochene Gebiet auch wirklich 
ergebe. 
— — 
Vermischtes. 
* St. Ingbert. Bei der am Mittwoch stattgehabten Ver⸗ 
steigerung des Gasthauses „Zum goldenen Stern“ wurde dasselbe, 
wie uns mitgetheilt wird, seinem bisherigen Besitzer Hrn. Georg 
Klein um die Summe von 12000 Mark zugeschlagen. (Das— 
selbe soll bei seiner Erbauung im Anfange der 70iger Jahre auf 
circa 18 000 Gulden zu stehen gekommen sein.) 
* Die Strafkammer des kgl. Landgerichts Zweibrücken verur— 
heilte in der Sitzung vom 13. ds. Mts. den 18 Jahre alten 
Schmelzarbeiter Georg Wachs von hier, der am 19. Dez. v. J. 
in der Wirthschaft von Adolf Jungfleisch den Schmelzarbeiter 
Joseph Brauer durch mehrere Messerstiche so schwer verletzt hatte, 
‚aß er 19 Tage arbeitsunfähig blieb, wegen dieser That zu einer 
Befängnißstrafe von 6 Monaten. 
F Aus dem Jahresbericht der Pfälzischen Eisen— 
zahnen für 1880. Die Betriebseinnahme des Jahres 1880 
tellte sich auf 13,886,382 M. 91 Pf., die Betriebsausgabe auf 
7,812,896 M. 86 Pf.; es blieb also ein Ueberschuß von 6,073, 486 
. 5 Pf. Aus diesem waren zunächst die Zinsen und Tilgungs— 
suoten fämmtlicher Prioritätsanlehen der vereinigten Gesellschaften, 
m ganzen 4,636,979 M. 15 Ppf. zu bestreiten; es blieb dann 
noch ein Activrest von 1,436,8060 M. 90 Pf. Nun waren aber 
in garantirten Zinsen der Actien 2,068,925 M. 91 Pf. zu be⸗ 
ahlen und an garantirten Präcipuen der Actien 1, 115,3392 M. 98 Pf. 
o daß also eine ungedeckte Summe von 1,747,951 M. 99 pf. 
lieb, welche laut dem Fusionsvertrag der Staat darauflegen muß. 
zm Jahr 1879 hatte die Summe, welche der Staat zuschießen 
nußte, 2,603,434 M. 82 Pf. betragen. — Die Ausgaben für 
Zzinsen und Amortisationen beliefen sich im Jahr 1880 im ganzen 
iuf 6,705,905 M. 6 Pf.; im Jahr 1879 waren es nur 6,469, 150 
M. 22 Ppff. gewesen. „Das rasche und starke Anwachsen der Zins⸗ 
ind Amortisationslast innerhalb der letzten fünf Jahre,“ sagt der 
hericht, „während deren die mit der Fusion übernommenen neuen 
gahnen mit 187 kmm zur Eröffnung gelangten, deren beträchtliches 
Zaucapital auf Betriebsconto verzinst und amortisirt werden mußte, 
st als die Hauptursache des Deficits zu bezeichnen. Während ZJin⸗ 
en und Amoriisationen im Jahr 1875 nur 8,9883,864 M. 46 Pf. 
etrugen, belaufen sich dieselben im Jahr 1880 auf 6,708, 905 M. 
3Pf., sohin mehr um 2,722,840 M. 60 Pf. oder um 6824 PCt. 
hewiß ist, daß die Ertragsmehrung, welche die neu erbauten Linien 
zur Zeit noch den Pfälzischen Bahnen zuführen, in keinem Verhält 
aiß sieht zu der vermehrten Zins⸗ und Amortisationslast. Allein 
vir dürfen wohl erwarten, daß bei Rückkehr normaler wirthschaft⸗ 
icher Verhältnisse Handel und Industrie auf den Gebieten der neuen 
rinie einen lebendigeren Aufschwung nehmen und dadurch auch den 
risenbahnverkehr mehr und nmehr beleben und den Ertrag erhöhen 
verden. Unter diesen Umständen kann es nur fortdauernd die Auf—⸗ 
jabe der Verwaltung sein, auf die möglichste Hebung und Belebung 
ʒes Verkehres und gleichzeitig auf die thunlichste Herabminderung 
der Betriebskosten hinzuwirken. Wir glauben, daß das im gegen— 
värtigen Bericht geschitderte Ergebniß des Jahres 1880 Zeugniß 
iblegt von dem guten Erfolg dieses Strebens.“ — Sodann ent⸗ 
sält der Bericht an dieser Stelle noch folgende Bemerkung: „Gegen— 
iber einer in verschiedenen Zeitungen verbreiteten Ansicht, als hätte 
der Staat in Folge der Zinsgarantie auch an der Deckung der 
Amortisationsquoten der Prioritäten sich betheiligt, constatiren wir 
zier durch die obigen Rechnungsziffern, daß der Ertrag der Pfäl— 
ischen Bahnen zur Deckung sämmtlicher Zinsen und Amortisation 
zer Prioritätsschuld von ca. 90 Mill. Mark nicht nur ausgereicht, 
ondern noch ein Ueberschuß zur theilweisen Deckung der Actien⸗ 
insen geliefert hat, so daß der Passivrest bezw. der Zuschuß des 
Ztaates lediglich aus einem Theile der garantirten Actienzinsen 
ind Präcipuen besteht. Auch bemerken wir hier, daß seit der Zeit, 
vo die Deficite bezww. Staatszuschüsse begonnen haben, das Er— 
rägniß der Bahn stets zur Deckung der Prioritätszinsen und Amor— 
isationen überschießend ausreichte und der Fall, daß der Staats- 
uschuß auch noch Prioritätszinsen oder Amortisationen in sich ge⸗ 
chlossen häite, bis jetzt noch nicht vorgekommen ist. Würde ein 
olcher Fall in der Folge aber auch eintreten, so würde dies nach 
»en Fufionsbestimmungen Art. IV. lit. a. nur als begründet er⸗ 
achtet werden können.“ 
- Laut einer Bekanntmachung des k. Staatsministeriums der 
Justiz vom 4. April 1881 sind in dem gemüß 8 12 der Bekannt- 
nachung vom 11. September 1879, die Ausführnng der Gerichts⸗ 
vollzieherordnung betreffend, bei dem k. Staatsministerium ange⸗ 
egten Hauptverzeichnisse bereits so viele geprüfte Bewerber um das 
Herichtsvollzieheramt eingetragen, daß dem durch Erledigung von 
Herichtsvollzieherstellen sich ergebenden Bedürfnisse auf lange 
Zeit genügt ist. Es sind daher vom 16. April ds. Irs. an bis 
iuf Weiteres nur mehr Militärbewerber, welche im Besitze eines 
Zibilanstellungs- oder Zivilversorgungsscheins sich befinden, zu dem 
dehufs Ablegung der Prüfung für das Gerichtsvollzieheramt vor— 
— zuzulassen. 
Zezüglich der zu dem bezeichneten Zeitpunkte bereits zum Vorbe⸗ 
reitungsdienst zugelassenen Bewerber hat es jedoch bei den bestehen⸗— 
den Vorschriften sein Bewenden. Auf Grund dieser Bestimmung 
st nun sämmtlichen auf Bureaur befindlichen jungen Leuten, welche 
die Berechtigung zum Einjährig-Freiwilligen Dienst nicht besitzen, 
welch letziere zum Examen für das Gerichtsschreiberamt nach zwei⸗ 
ähriger Praxis berechtigt, jede Möglichkeit benommen, jemals in 
deu Staaisdienst zu kommen, was zur Folge haben wird, daß auf 
en Gerichtsvollzieher⸗Bureaux nur noch solche Militäcbewerber als 
Schreiber verwendet werden, welche den obenerwähnten Versorgungs- 
chein besitzen.