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Samstag, den 28. Mai 1881.
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Deutsches Reich.
Der Antrag des Abg. Dr. Buhl bezüglich der Bestrafung
der Weinfabrikation wurde von der Commission des Reichs—
ags bei der Schlußabstimmung einstimmig angenommen.
Zu erledigen hat der Reichstag hauptsächlich noch: in drei
desuugen den Nachtragsetat, die Zollerhöhungen für Mehl, Trauben
nd Wollwaaren nach dem im Bundesrathe angenommenen Antrage
Zachsens, die Handelsverträge mit Oesterreich und der Schweiz;
n zweiter und dritter Lesung das Unfallversicherungsgesetz, die
hesetze über die Reichsstempelabgaben und die Bestrafung der Trunk⸗
ucht; in dritter Lesung den Vertrag mit China, das Gewerbe—
vnungsgesetz und das Gerichtskostengesetz. Außerdem liegen noch
inige Anträge und Petitionen vor. Es ist dies ein Arbeitspensum
velches sich in der Zeit bis Pfingsten keinesfalls erledigen lassen
ürfie. Wahrscheinlich wird sich der Reichstag am 2. Juni bis
um 9. Juni vertagen; der Schluß der Session wird gegen den
2. Juni hin erwartet.
Um ben Mitgliedern des deutschen Volkswirthschaftsrathes
tagegelder und Fahrgeld zahlen zu können, soll der Reichstag
34 000 Mk. bewilligen. Diese Forderung kam am 24. ds. im
sieichstag zur ersten Berathung und wurde schließlich an eine
vommission zur Vorprüfung verwiesen. Günstig ist derselben die
Stimmung im Reichstag nicht, da viele von seinen Mitgliedern
ven Volkswirthschaftsrath als eine Art Nebenparlament ansehen,
hurch welches Fürst Bismarck. wie sie meinen, den Reichstag in
„chatten stellen wolle. Das sprach z. B. Sonnemann heute un—
nwunden aus. Abg. Löwe von Berlin (Fortschr.) äußerte die
Befücchtung, der Volkswirthschaftsrath werde nur ein williges
Werkzeug für die Pläne des Reichskanzlers sein, und dazu noch
Geld herzugeben, solle sich der Reichsstag hüten. Von besonderem
Interesse waren auch die Ausführungen des Abg. Windthorfi
Centrum), welcher lebhaften Bedenken gegen die neue Institution
Ausdruck gab. Tas Anhören von Sachverständigen wäre seiner
Ansicht nach in den einzelnen Fällen vorzuziehen; er vermißt Be⸗
weise für die ersprießliche Thätigkeit des bisherigen preußischen
Volkswirthschaftsrathes.
Das Innungsgesetz, wie es aus der zweiten Lesung
Reichstags hervorgeht, hat die Verbesserung erfahren, daß
die bedenklichsten Bestimmungen, welche den „indirekten Innungs-
wang“ begrundeten, gestrichen sind. Der vielangefochtene 8S 100 e.
inthält nunmehr nur noch die Bestimmung, daß Streitigkeiten aus
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er zusiändigen Innungsbehörde auch dann zu entscheiden sind, wenn
der Ärbeitgeber der Innung nicht angehört, sowie daß die von der In⸗
nung erlassenen Vorschriften über die Regelung des Lehrverhältnisses,
iber Ausbildung und Prüfung der Lehrlinge auch für Lehrherren au—
zerhalb der Innung bindend sind. Dagegen ist der entscheidendste
haragraph von dem Verbot der Annahme von Lehrlingen für
dichuüͤnnungsmitglieder ebenso wie der von der Kommission hinzu—
gefügte Paragraph über die Heranziehung der außerhalb der Innung
dehenden Meister zu Kranken-⸗, Wittwens u. dgl. Kassen abgelehnt
dorden. Das Lehrlingsverbot ist mit einer geringen Majorität
132 gegen 127 Stimmen) abgelehnt worden, die dadurch zu
Slande kam, daß sich ein Theil der deutschen Reichspartei und die
holen den Liberalen anschlossen. Ob diese geringe Majorität bei
der dritten Lesung vorhalten wird, muß dahingestellt bleiben. Ge—
angt das Gesetz ohne die in zweiter Lesung gestrichenen bedenk⸗
ichsten Bestimmungen zur Annahme, so wird es noch mehr, als
ie Bundesrathsvorlage gethan haben würde, die Wirkung haben,
nach keiner Seite zu befriedigen; es wird den Anhängern der Ge⸗
werbefreiheit noch immer zu viel Befugnisse enthalten, welche eine
Nöthigung zum Eintritt in die Innung in sich schließen; es wird
hnen noch viel zu viel, den Freunden obligatorischer Innungen
nel zu wenig bieten. Es wird ein verunglückter und praktisch
janz unwirksamer Versuch sein, zwischen zwei undereinbaren Gegen⸗
ützen einen Mittelweg zu finden. Immerhin kann man vom
iberalen Standpunkt aus nur wünschen, daß wenigstens die Er—
olge zweiter Lesung nicht wieder verloren gehen.
Ir vperdiente Anwalt und Leiter des großen deutschen
Genossenschaftswesens, Schulze-Delitzsch, dringt seit
ünf Jahren im Reichstag auf eine Revision des Genossenschafts-
gesetzes von 1868 in verschiedenen Richtungen. So hbrachte er
auch jetzt wieder seine Anträge ein, welchen der konservative Abg.
v. Mirbach Anträge auf Einführung der beschränkten Haftbarkeit
und Beseitigung der Solidarhaft, der Sachse Ackermann solche auf
polizeiliche Kontrole und Beschränkung zur Seite oder — gegenüber
tellte. Am 18. Mai wurde im Reichstag in erster Lesung darüber
herhandelt, und wurden die drei Anträge einträchtig einer Kom⸗
nission überwiesen. Staatssekretär v. Schellung meinte: Wir
werden bei den Verhandlungen Etwas lernen, wir werden sehen,
was man im Reichstag will und — später darauf zurückkommen.
Dabei sprach er von dem „fruchtbaren“ v. Mirbach'schen Gedanken.
Schulze will, wie er als Antragsteller ausführte, die Solidarhaft
für seine Genossenschaften, die den Kleinbetrieb und dessen Kredit
vie Leistungsfähigkeit vor Allem eingerichtet seien, beibehalten, da⸗
zegen das einzelne Miglied im Fall der Liquidation oder gar des
Konkurses der Genossenschaft schützen, vor der Möglichkeit, dann
von dem oder den Gläubigern ausschließlich auf das Ganze belangt
zu werden. Ein Ausschlag auf alle zahlfähigen Genofssenschafter
mit exekutorischer Beitreibung soll hier Sicherheit und Gleichheit
hringen. Dabei ist Schulze nicht dagegen, daß man auch Genossen⸗
scchaften mit beschränkter Haftbarkeit zulasse. Nur will er die
Brundlagen des bestehenden, groß und segensreich entwickelten Ge—
nossenschaftswesens nicht verändert, nicht nach dem Gebiet der
Aktiengesellschaften hin verschoben haben, oder als eine von reichen
Beschäftsantheilern mit beschränkter Haftbarkeit gewährte Wohl—
hätigkeit an die „kleinen Leute“ behandelt wissen. Das ifi der
HGrundunterschied zwischen liberaler und konservativer Anschauung
und Beurtheilung des Genossenschaftswesens, das in Deuischland
ich thatsächlich am freiesten und größten seit 20 Jahren entwickelt
at. Klein und kläglich nehmen sich deßhalb die wider etwaige
Schäden von dem viel genannten Abg. Ackermann vorgeschlagenen
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Mirbach'schen Protektorgedanken nachgewiesen hatte, Richter (Hagen)
nit Recht daran erinnern konnte: Die sächsischen Konservativen
denken sich einen geordneten Staat in der Art eingerichtet, daß bei
und hinter jedem Menschen ein Polizeidiener steht, um in jedem
zinzelnen Fall ihm zu sagen, was er zu thun und was er zu lassen
sJabe. Abg. Schröder erinnerte mit Recht daran, daß sich nur dann
bei Genossenschaften die von den Konservativen gerügten Uebel und
drache zeigten, wenn dieselben in einzelnen Fällen über die Grenzen
hrer natürlichen Aufgaben hinausgegangen, wenn sie sich auf
außerhalb der Tendenz der Genossenschaften liegende Geschäfte ein—
zelassen hätten. (Mangelhafte Kontrole hat aber auch schon häufig
Vorschußvereine empfindlich benachtheiligt. Die Red.) Noch er—
vähnte er, daß zahlreiche südwestdeutsche Genossenschaften (ländliche
Darlehenskassenvereine und landwirthschaftliche Konsumvereine) sich
m vorigen Jahr auf einer Konferenz zu Darmstadt unter Zu—
timmung des anwesenden so verdienten Schulze⸗Delitzsch für die
Einführung, wenn auch ganz kleiner „Geschäftsantheile“ entschieden
hätten, weil sie eine wesentliche Grundlage der auf Selbsthilfe
cuhenden Genossenschaften bildeten.
Der Londoner „Standart“ schreibt: „Was würde Arnim
der verstorbene deutsche Botschafter in Paris) sagen, wenn er
lebte und Bismarck als eine fast populäre Person in Paris
ähe, nachdem er sich selbst zwischen Bismarck und die Franzosen
zu stellen versucht hat? Sobald Gambetta im Amte ist, muß er
direkte innige Beziehungen mit Bismarck anknüpfen. Europa wünscht,
daß die Klagen über Elsaß-Lothringtn verstummen, nachdem Frank—
ceich durch Bismarcks Hilfe Ersatz (in Tunis) erhalten“
Die Hochzeit der Prinzessin Vickoria mit dem Kronprinzen
von Schweden ist, wie die „Vost“ meldet, jetzt auf 1. Oktober
ds. Is. festgestellt.
Ausland.
Der französische Minister des Auswärtigen, Barthelemy
Saint⸗Hilaire, wird vom „Voltaire“ und von fast allen opportu—
nistischen (Gambetta ergebenen) Blättern wegen eines Schreibens