Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Inaberler Anzeiger. 
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Samstag, den 2. Juli 
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Deutsches Reich. 
Wie ein Münchener Correspondent des „Pf. Kur.“ ver— 
nimmt, soll namentlich auch die Frage einer Reorganisation der 
gendarmerie zu Differenzen zwischen dem kgl. b. Kriegsminister 
und dem bisherigen Staatsm einister des Innern geführt haben. 
die Gendarmerie steht bekanntlich in Baiern in militärischer Be— 
iehung unter dem Kriegsministerium — obwohl dieselbe keinen 
Theil der Armee bildet — in administrativer aber unter dem 
Siaatsministerium des Innern, wie denn auch der Etat für dieselbe 
im Etat für Sicherheit im Budget des letztgenannten Staatsmini⸗— 
teriums aufgeführt ist, Diese Doppeltbestellung hat ohne Zweifel 
ihre mehrfach nachtheiligen Seiten und ist geeignet, zu Differenzen 
wischen den beiden Ministerressorts zu führen. Es erscheint deß⸗ 
jalb auch als wahrscheinlich, daß der bisherige Staatsminister des 
Innern eine Aenderung dieses Verhälinisses neuerdings beantragt 
jabe, wie denn auch dieser Gegenstand schon auf früheren Land— 
jagen zur Sprache gekommen ist und ohne Zweifel auch die nächste 
Kammer der Abgeordneten bei der Budgetberathung beschäftigen 
dürfte. 
Der Bundesrath wird sich nächstens mit den Ausführ— 
ungsbestimmungen des Innungsgesctzes zu beschäftigen haben. 
Wie man hört, wird ein Normalstatut für die nach den jetzigen 
Bestimmungen des Gesetzes zu regelnden Innungen ausgearbeitet 
werden. Bezüglich des Unfallversicherungsgesetzes ist eine Umar—⸗ 
heitung des Entwurfs beschlossen, welche die Reichsanstalt und den 
Reichszuschuß anstreben wird. 
Wie jetzt verlautet, würden di Meuwahlen zum Reichs⸗ 
cage Anfangs Oktober stattfinden. Unmittelbar darauf soll der 
zreußische Landtag zu einer kurzen Session und in der zweiten 
Hälfte des November der neugewählte Reichstag einberufen werden. 
Die Bestimmung des 8 288 des Strafgesetzbuches, wonach 
Dirjenige, der bei einer ihm drohenden Zwangsvollstreckung in der 
Absicht, die Befriedigung des Gläubigers zu vereiteln, Vermögens—⸗ 
tücke veräußert, mit Gefängniß bis zu 2 Jahren bestraft wird, 
sindet nach einem Urtheil des Reichsgerichts, 111. Strafs., vom 4. 
Mai d. J., auch dann Anwendnng, wenn der Gläubiger noch keine 
Schritte zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Forderung gethan, 
wvohl aber durch wiederholtes Mahnen seine ernste Absicht, die 
dlage zu erheben und im Wege der Zwansvollstreckung Befriedi⸗ 
gung zu suchen, dem Schuldner kund gethan hat. 
die deutsche Kaiserin Augusta liegt zu Coblenz sehr 
rank darnieder; doch hat sich nach den neuesten Bulletins Ihr 
zustand etwas gebessert. 
Die sächsische Regierung hat über Stadt und Bezirk 
Leipzig den kleinen Belagerungszustand verhängt. Bisher sind 
etwa hundert Ausweisungen von Führern und weniger bekannten 
Mitgliedern der Socialdemokratie erfolgt. 
Ausland. 
Wie die Wiener „Presse“ berichtet, soll die diesjährige Zu⸗ 
ammenkunft des Kaisers Wilhelm mit dem Kaiser Franz Josef 
Anfangs August und zwar in Salzburg stattfinden, weil Kaiser 
Franz Josef seinem hohen Gaste es ersparen wolle, auf der Rück⸗ 
reise von Gastein einen Abstecher von der direkten Reisetour zu 
machen. Wie der „Kreuz. Ztg.“ indessen aus Wien berichtet wird, 
hält man dort die Annahme der „Presse“ zwar nicht für unglaub— 
vürdig, hat aber in unterrichteten Kreisen noch keine Kenntniß 
‚on einer definitiven Feststellung des Programms für die diesjäh— 
rige Monarchenbegegnung. In Aussicht genommen ist die Zu— 
ammenkunft der beiden Souveräne für jeden Fall. 
Prag, 29. Juni. Die gestrigen Erxcesse czechischer Arbeiter 
und Studenten gegen das Corps „Austria“, welches als Abschluß 
eines Stiftungsfestes eine Spritzfahrt nach Kuchelbad unternommen 
hatte, überbieten alles bisher dagewesene. Weil die deutschen Corpsstu— 
denten in Kuchelbad wo man alle möglichen Provocationen und 
Insulte gegen Sie in Scene gesetzt, beim Absingen der National⸗ 
yymne durch die czechischen Studenten einer Aufforderung dieser, 
jon ihren Sitzen aufzustehen und die Corpsmützen abzunehmen, 
nicht Folge leisteten, wurden sie daselbst mit Steinen, Gläsern und 
Holzklötzen beworfen. Die Gendarmerie bewies sich außer stande, 
die Bedrohten zu schützen. Mit dem Rufe: „Deutsche Hunde 
nach Hause!“ stürzte sich die fanatisirte Menge auf die Studenten 
und trieb sie in die Flucht. Die Studenten fortwährend von 
Steinen der werfenden Menge verfolgt, eilten über die Bahndämme, 
Felder und waldigen Abhänge zum Dampfschiff, wo nur mit Mühe 
uind unter dem Schutz der Gendarmerie die Einschiffung der zum 
Theil Schwerverwundeten gelang. Als das Dampfschiff in Prag 
anlangte, wurde es daselbst von einer nach Tausenden zählenden 
Menge mit Steinwürfen begrüßt; doch erwies sich die aufgebotene 
Polizeimacht stark genug, um die Studenten zu schützen. Die Ver⸗ 
vundeten wurden unter starker Polizeiescorte in Wageñ in's Laza— 
reth geschafft. Zu der gestrigen Hetze hatten „Narodni Listy“ offen 
aufgefordert. 
In Paris ist am 27. Juni der älteste Staatsmann Euro—s 
pas, Dufaure, gestorben. Derselbe war sieben Mal Minister 
unter fünf verschiedenen Staatsoberhäuptern. 
Der französische Gouverneur Albert Gréͤvh in Algier, 
Bruder des Präsidenten, hat an den Ministerpräsidenten Ferry eine 
längere Depesche gesandt, worin er die Verantwortlichkeit für die 
blutigen Auftritte in Süd-Orau entschlossen zurückweist und den 
Minister des Innern, unter welchem er direkt steht, sowie den 
Kriegsminister Farre, der die militärischen Angelegenheiten der 
französischen Kolonie unter sich hat, offen anklagt, seinen Warnungen 
und Rathschlägen kein Gehör geschenkt und zugeleich seine Aktion 
gelähmt zu haben, so daß er nicht im Stande gewesen sei, die 
nothwendigen Maßregeln zu ergreifen, um den Aufstand im Süden 
der Provinz Oran im Keime zu ersticken. Dieses sei ihm um so 
weniger möglich gewesen, als die algerischen Militärbehörden, welche 
der Kriegsminister Farre direkt beeinflusse, ihm gegenüber keineswegs 
einen besonders guten Willen an den Tag gelegt hätten. Die 
Depesche des Gouverneurs theilt eine Menge Einzelheiten als Belege 
mit. (Minister Constans und Farre sind Kreaturen Gambeita's.) 
Französische Blätter bringen jetzt nähere Berichte über die 
von Bu Amema unter den Kolonisten in der algerischen Provinz 
Dran angerichteten Blutbäder. Danach hat der verwegene In— 
surgentenführer sein Handwerk gründlich verrichtet und, wo er sich 
zeigte, Schutt und Trümmer und Haufen von Leichen zurückgelassen. 
Besonders der gambettistische „Voltaire“ bringt eine genaue Schil⸗ 
derung der begangenen Scheußlichkeiten, an deren Schluß es heißt: 
„In der Aufregung des Augenblicks geht man schon so weit, zu 
erklären, daß die Militärbehörde den Aufstand aus Haß gegen 
die Zivilregierung künstlich unterhalte. Es wäre Wahnsinn, diese 
Stämme zu schonen. Dis wilde Thier, welches in dem Araber 
wieder die Obechand gewonnen hat, kann nur durch Furcht und 
exemplarische Züchtigung im Zaume gehalten werden.“ 
In Konstantinopel ist am 29. Juni das Urtheil in dem 
Prozesse gegen die der Ermordung des Sultans Abdul Aziz Ange— 
klagten gefällt worden. Said Bey und Riza Bey wurden zu zehn⸗ 
jahriger Zwangsarbeit, die übrigen neun Angeklagten zum Tode 
perurtheilt. 
Pfälzisches Schwurgericht. 
II. Quartal 1881. 
23. Juni. Anklage gegen 1. Barbara Kanoffsky, 42 J. a., Ehe⸗ 
rau von Wilhelm Worster, Schuster in Zell; 2. Karl Peter Kanoffskh, 
35 J. a., früher Kappenmacher, jetzt Fuhrmann in Kirchheimbolanden; Georg 
deinrich Beckmann, 89 J. a., Weinhändler in Neustadt a. H., die beiden 
rsten wegen Meineids, letzerer wegen Verleitung hiezu. Vertreter 
herek. Slaatsbehörde: Staatsanwalt Scherrer; Vertheidiger der ersten zwei 
Angeklagten: Rechtsanwalt Rosenberger, Vertheidiger des Beckmann: 
Rechtsanwalt Gießen 
Die Verhandlung nahm den ganzen Tag in Anspruch. Gegen 80 Zeugen 
wurden verhört. Die Angeklagten leugnen entschieden, die ihnen zur Last 
gelegten Verhan lungen begangen zu haben. Die beiden Kanoffsky geniehßen 
im Allgemeinen einen guten Ruf, was sich jedoch von dem Angeklagten Beck⸗ 
mann nicht sag n läßt, dessen Sucht nach Geld ihm keinen beneidenswerthen 
Nemen erworben und der auch schon öfters die Grenzen des Strafgese es 
gestreift hat. Die Geschworenen verneinten schlicß'ich die Schuldfragen bei 
sämmtlichen Angeklagten worauf der Gerichtshof dieselben sofort in Freiheit 
etzte und die Kosten des Verfahrens mit Einschluß derjenigen der Vertheidig⸗ 
uing der Staatskasse zur Last legte. Auf Antrag des k. Staatsanwaltes 
vurden jedoch die Kosten der Entlastungszengen, die sich ungefähr auf 3809 
Mark belaufen mögen, den Angeklagten überbürdet. Die Sitzung schloß erst 
Abends um 10 Uhr.