Full text: St. Ingberter Anzeiger

. Angberler Anzeige 
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M 143. Donnerstag, den 8. September 1881. 
Entrevue des Czaren mit Kaiser Wilhelm. 
Während allem Anscheine nach die Reise des Königs von 
Italien zwecks Zusammenkunft mit den Herrschern von Oesterreich 
und Deutschland sich wegen des Widerstandes einzelner italienischer 
Minister wenn nicht zu zerschlagen, so doch, zu verzögern 
)roht, kommt gönzlich unerwartet die einigermaßen überraschende 
Nachricht aus dem Osten, daß der Czar seine Hauptstadt verläßt, 
um noch im Loufe dieser Woche unseren greisen Kaiser auf deut— 
chem Boden zu begrüßen. In Danzig, der alten Königin der 
Weichselstädte, soll die Begegnung vor sich gehen und nicht nur 
vürden die beiden Kaiser zusammentreffen, es heißt, daß vielleicht 
ruchderdeutscheKronprinzan der Zusammenkunft sich bethei— 
igen werde. Freilich treten alle diese Mittheilungen vorläufig nur ge— 
üchtweise auf, aber doch in einer Form, daß ihnen die innere 
Glaubwürdigkeit nicht recht abgesprocheu werden kann. 
In Danzig circulirt schon seit einigen Tagen das Gerücht, daß 
im Freitag dieser Woche dort eine Znsammenkunft zwischen dem 
Kaiser Wilhelm und dem Kaiser Alexandrr III. von Rußland 
tatifinden werde. So weit die Danziger Zeitung bisher über 
ieses Gerücht sich zu informiren im Stande war, sind am Freitag 
Abend in der That telegraphische Mittheilungen an die Chefs der 
danziger Behörden gelangt, welche den Inhalt des Gerüchts als 
vollkommen begründet erscheinen lassen. Kaiser Alexander III. 
vird, wie es heißt, mit einem rufssischen Kriegsschiffe über See nach 
Danzig kommen, hier wabrscheinlich von dem deutschen Panzerge— 
chwader und der Hof-Yacht „Hohenzollern“, mit welcher Admiral 
» Stosch schon am Donnerstag von Kiel dort anlangt, auf der 
sthede empfangen werden und dann in Danzig auf wenige Stunden 
Zuartier nehmen. 
Zu gleicher Zeit werden, per Ertrazug vom Konitzer Cavalle— 
iiemanövder kommend, Kaiser Wilhelm mit Gefolge und wahr— 
cheinlich auch der deutsche Kronprinz dort eintreffen, und es soll 
sdann eine freundschaftliche Begrüßung der beiden Souveräne 
tattfinden. Kaiser Wilhelm wird im Gonvernementshause Absteige— 
juartier nehmen. Die Anwesenheit der Majestäten und der höch— 
ien und hohen Herrschaften ihres Gefolges wird sich auf einen 
Tag (Freitag, den 9. September) beschränken. Die Ankunft der 
dofkouriere wurde bereits zum Sonntag erwartet. 
Es wäre dies die erste Reise ins Ausland, welche der junge 
Fzar nach seiner Thronbesteigung unternääme. Gerade im jetzigen 
Augenblicke, da der Panslavismus in Rußland stärker denn je das 
daupt erhebt, müßte aber einer solchen Begegnung des deutschen 
ind des russischen Herrschers wohl eine doppelte Bedeutung zuge— 
nessen werden. Richtet sich doch die Spitze der panslavistischen 
Bestrebungen naturgemäß gegen die deutschen und österreichischen 
zuteressen, und damit unwillkürlich auch gegen die österreichisch— 
)eutsche Allianz. 
Glaubensfreudige Gemüther haben sich in letzter Zeit mehr— 
ach bemüht, die Ansicht zu verbreiten, daß den jungen Czaren be— 
deiis ein leises Grauen beschleiche vor seinen panslavistischen Freun— 
den. Man knüpfte daran die Hoffnung, daß die Anwesenheit des 
öniglichen Schwiegervaters in Petersburg vielleicht dazn beitragen 
tönne, Kaiser Alexander III. aus der politischen Strömung her— 
zuszuleiten, in welche er unglücklicherweise hineingerathen ist. Auch 
yon vertraulichen Handschreiben unseres Kaisers wurde erzählt, 
velche auf die Anschauungen des Czaren nicht einflußlos geblieben 
ein sollen. Was von alledem wahr iste wir wissen es nicht. Nur 
kLins wissen wir: daß die deutsche Nation in ihrer Gesammtheit 
ꝛen Wunsch hat, auch mit Rußland in guter Freundschaft und in 
Frieden zu leben, und daß es der schönste Erfolg ist, wenn die 
zusammenkunst der beiden Herrscher in Danzig dieses freundnach— 
arliche Friedens-Verhältniß von Neuem besiegeln hilft. 
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Deutsches Reich. 
Muͤnchen, 6. Sept. Baron Franckenstein wurde zum ersten 
Bräsidenten der Reichsrathskammer ernannt. 
* Die nunmehr erfolgte Festsetzung des Termins für die 
Reichstagswahlen ist geeignet, der Wahlbewegung an allen 
Irten einen erhöhten Impuls zu geben. Ueber die ganz besonders 
zroße Bedeutung der bevorstehenden Wahlen ist man sich auf allen 
Seiten klar; sie werden in einem ganz entscheidenden Wendepunkt 
Ziel und Richtung unserer inneren Politik besftimmen. Von maß— 
sebenden Einflusse für die Gruppirung der Parteien in der Wahl— 
»ewegung wird in erster Linie die Stellung der einzelnen Parteien 
uu den socialpolitischen Fragen sein, zu denen jetzt die des Tabaks- 
nonopols und der Altersversorgung der Arbeiter durch den Staat 
inzugetreten sind. Der neueste schöpferische Gedanke unseres leiten— 
den Staatsmannes, dem Staate die Fürsorge für die Arbeiter, 
denen die Schwäche des Alters die Möglichkeit zur eignen Bestreit— 
ing ihres Lebensunterhaltes benimmt, zit übertragen, ist ohne Zweifel 
»on weittragendster Bedeutung, indessen stehen doch der Realisirung 
ieses Gedankens namentlich in finanzieller Hinsicht noch zu große 
dindernisse entgegen, als daß man dieselbe schon in nächster Zu— 
unft erwarten könnte. 
*Das Reichsjustizamt beschäftigt sich in eingehender 
Weise mit einer Reform des Genossenschaftsrechtes. Wie man hört, 
ist schon für die nächste Reichstagssession eine bezügliche Vorlage 
;zu erwarten. In wieweit der bekannte Mirbach'sche Antrag auf 
Finführung der Theilhaft an Stelle und neben der jetzigen Soli— 
»arhaft Aussicht auf Verwirklichung durch die Gesetzgebung hat, 
»as hängt von noch nicht zu Ende geführten Erhebungen über die 
Wirkfamkeit der Schulze-Delitz'schen Verbände und verwandter Ge— 
rossenschaften (Reiffeisen'sche Darlehenscassen u. s. w.) ab. Dar— 
ehuscassen und Consumberbände, die auf dem Princip der Mir— 
ach'schen Theilhaft berufen, sind sehr wohl denkbar, sie stellen 
ben etwas durchaus anderes dar als die Genossenschaften nach 
Schulze⸗Delitzsch und werden nichts als den Namen mit denselben 
semeinsam haben. 
Vermischtes. 
Niederwürzbach, 7. Sept. Das gestrige Fest 
»er Einweihung unseres neuen Gotteshauses ist in würdigster 
Weise verlaufen. Sehr viele Fremde hatten sich cingefunden, um 
in dieser seltenen Feier Theil zu nehmen. Gegen 8 Uhr nahte 
ich der hochwürdige Herr Bischof Dr. Ehrler, in feierlicher 
Prozession am Pfarrhause abgeholt, der neuen Kirche, und die 
reier begann. Dieselbe nahm mehr denn vier Stunden in An— 
pruch. Seine bischöflichen Gnaden hielten sodann an die Ver— 
ammelten eine Ansprache und feierten eine Stillmesse. Herr Be— 
zirkdamtmann Dr. Schlagintweit von Zweibrücken wohnte 
der ganzen hl. Handlung bei. Eine große Menge von Geistlichen 
aus allen Theilen der Pfalz waren bei der Festfeier thätig. Mit 
eltener Virtuosität sang der hochwürdige Herr Pfarrer Bischof 
yon Offenbach, früher langjähriger Pfarrer von Ommersheim und 
Distriktsschulinspektor, die vielen Psalmen. Die lieblichen Klänge 
»er Bergwerkskapelle von St. Ingbert trugen nicht wenig bei, um 
die Herzen zur Andacht zu stimmen. Der hochwürdige Herr Bi— 
chof wird heute Nachmittag unsere Gemeinde verlassen, um nach 
Nittelberbach zu reisen, allwo die Einweihung des dortigen neuen 
ßvotteshauses vorgenemmen werden soll. 
Pirmasens, 3, Sept. Heute Nachmittag fand die 
erste Probefahrt des von Mechaniker Sandt gebanten Velocipeden— 
Fircus statt. Unter großem Jubel von Alt und Jung wurde 
asselbe in Gang gesetzt und von 108 Personen benutzt. Herrn 
Zandt wurde von dem Besitzer des Circus, Herrn Schwender, wie 
»on dem anwesenden Publikum für die meisterhafte Ausführung 
die größte Anerkennung gezollt. 
Die Eisenbahn-Schiffbrücke bei Speyer mußte des Hoch— 
vassers wegen am Dienstag Nachmittag abgefahren werden. Der 
Zahnverkehr auf der. Strecke Heidelberg-Speyer ist deßhalb unter— 
zrochen. 
— Reisende, welche gestern Abend mit dem Schnellzug von 
Frankfurt nach Mainz fuhren, sahen um etwa halb zehn Uhr das 
sessische Dorf Naunheim (links des Mains) in vollen Flam— 
nen stehen. 
FParis, 4. Sepi. Ein entsetzliches Aitentat wurde gestern 
n Lille verübt. Ein Kutscher erhielt von einem Unbekannten 
echs Kisten, um sie bei verschiedenen angesehenen Bürgern abzu—