St. Ingberker Anzeiger.
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P 148. Samstag, den 17. September 1881.
Die islamitische Bewegung in Afrika.
An die Stelle Danzig's ist in der allgemeinen Aufmerksamkeit
stordafrika getreten. Die Lage des dort seit 1200 Jahren herr⸗
chenden Islams ist es, welche die dortigen politischen Kondul—
ionen so gefährlich macht. Von Marokko bis nach Aegypten ist
der Mohamedanismus in Bewegung und fern im Osten in Afgha⸗-
ustan blitzt es ähnlich auf. An der äußersten Westküste von Nord⸗
ifrika sind seit Monaten Waffensendungen gelandet, spanische, ita—
ienische, englische; die Vorgänge in Algier und Tunis haben dort
den mohamedanischen Fanatismus gereift. In Aegypten revoltirt
das Heer; in wie weit dies ein direkter englischer Schlag gegen
Frankreich ist, mag dahingestellt bleiben; die bisher eingegangenen
stachrichten zeigen die Sachlage nicht ganz klar Der Vorschlag
iner türkischen Besetzung des Vasallenlandes ist jedenfalls der
gipfelpunkt der Abgeschmacktheit; eine solche könnte das arme Land
och gerade brauchen. Bemerkenswerth ist dabei eine Erhebung im
Sudan; Scheikh Mohamed Achmed hat als Ursache derselben direkt
zie von Bu Amema in Algier über die Franzosen erfochtenen „Siege“
ezeichnet; man fürchtet an der Südküste des Mittelmeeres die
Frauken“ nicht mehr so wie früher. Aus Afghanistan aber
ommt die Nachricht von einer Versöhnung der beiden streitenden
Fürsten Abdurrahman und Achmed Eyub behufs Proklamirung
des „heiligen Krieges“ gegen die Engländer; jener Nachricht sind
allerdings wieder räthselhafte Begebenheiten mit Truppenübergängen
jon dem einen zu dem andern u. s. w. gefolgt.
Die Ursache dieser Erscheinung ist in dem gesunkenen Ansehen
ner Türkei gegeben. Obgleich unter verschiedenen weltlichen Herr⸗
chern stehend, betrachten mit Ausnahme der „schiitischen“ Perser
ast alle Mohamedaner den Sultan als ihr geistig nationales Ober⸗
aupt, als den „Khalifen.“ Nun aber ist durch die letzten Ereig⸗
nisse sen Ansehen sehr herabgemindert worden. Mehr als die
dälfte seines europäischen Gebietes haben ihm die Jahre 1877 -81
zirekt oder indirekt entzogen; in Asien ist er eigentlich nur noch
berwalter der Engländer. Dieser Stand der Dinge hat die isla—
nitische Trägheit erschüttert und den religiösnationalen Stolz ge—
reizt. Es ist, wie vor 1870 die Ohnmacht der deutschen Nation
Tausende von Gemüthern in schweigendem Einverständniß gegen
iie 1815 geschaffene Lage erhielt. Eine eigenthümliche Rolle spielt
»abei die Heimath des Islams, Arabien. Dort ist die türkische
Oberhoheit stets nur mit Unwillen ertragen worden; die Unruhen
jörten nie auf; in den zahlreichen Gefechten unterlagen die türki—
chen Truppen gewöhnlich den Araberstämmen. Jene Verhältnisse
atten indeß nur eine lokale Bedeutung. Aber was sich jetzt in
Mekka vorbereitet, ist etwas Anderes. Die Feinde Midhat Pascha's
jaben bekanntlich behauptet, daß der gegen Abdul Aziz am 31.
Mai 1876 geführte Streich eigentlich der ganzen osmanischen
Oynastie zugedacht war; man wollte die unfähigen Nachfolger der
Selim und Soliman durch eine andere regierende Familie ersetzen.
der von Abdul Hamid neuerdings in den Prozeß gegen die Sul⸗
ansmörder des 4 Juni 1876 entfaltete besondere Eifer läßt auf
ezüg“he Entdeckungen schließen; nach Stambuler Ueberlieferung
vürde ein Nachfolger den gewaltsamen Tod eines oheimlichen Vor—
zängers sonst wohl weniger tragisch genommen haben. Nun will
nan aber der Existenz einer gegen die osmanische Dynastie ge—
ichteten Verschwörung in den heiligen Stätten von Arabien auf
iie Spur gekommen sein; die in Mekka gesammelten Pilgergelder
pären angeblich zur Ausrüstung eines neuen dort zu proklamiren⸗
en „Khalifen“ bestimmt. Es fiel seinerzeit auf, daß Midhat und
ne übrigen verbannten Sultansmörder in Arabien mit Begeisterung
egrüßt wurden; es ist dies ein sehr bemerkenswerthes Symptom.
S„chwerlich war es ein guter Rath, der Abdul Hamid zur Aus—
oahl gerade jenes Landes für den Strafort der Mörder seines
ONheims veranlaßte. Außer Mekka soll Tripolis ein Hauptmittel⸗
zunlt jener islamitischen Bewegung sein, an diesem Kreuzpunkt der
ialienischen, französischen und türkischen Interessen auch die Ver⸗
indung von dem Ausgangspunkte des Islams bis an die Nord⸗
oestküste des afrikanischen Welttheiles sich befinden.
Einzelne Folgerungen aus diesem Stande der Verhältnisse zu
iehen ist es entschieden noch zu fruüh. Was für die an der drieu—
alischen Frage direkt interessirten Mächte aus dieser islamitischen
Zewegung hervorgehen kann und wie sich Frankreich, England und
talien in erster, Rußland und Oesterreich in zweiter Lime zu der⸗
»lben gruppiren werden, kann in diesem Augenblick Niemand sagen.
zewiß ist nur, daß wenn jene Frage durch den national⸗religioͤsen
janatismus wieder in Bewegung lommt, Deutschland als nicht
irekt betheiligt die Schiedsrichterrolle fester als jemals in der Hand
jat. Wie die Pariser „France“ am verwichenen — rich⸗
ig sagte: „Herr v. Bismarck wird seine Neutralitte ausspielen“.
Man braucht für den Islam keinerlei Sympaihien zu haben,
m sich für diesen religiösnationalen Aufschwung in den don dem—
elben beherrschten Gegenden bis zu einem gewissen Grade zu inte⸗
essiren. Sie wird ganz gewiß nicht zu einer Regenerirung jenes
laubens führen, der vor 1200 Jahren den groͤßten Theil des
rüheren römischen Weltreichss im Siurme überfluihete. Aber sie
eweist zum mindesten, daß in der Weltgeschichte noch immer andere
Faktoren maßgebend sind als Parlamenisparteien, Boörsenspiel und
Zaumwolle. Gelegentlich konnte man in Europa und auch in
Deutschland daran beinahe zweifeln.
Deutsches Reich.
Baden-Baden, 15. Sept. Die Kaiserin Augusta ist von
doblenz mittelst Extrazug gestern Abends 101,. Uhr hier einge⸗
roffen und fuhr begleitet von ihrer Hofdame mit Equipage hieher,
vo sie um 10*4 Uhr ankam. Die Kaiserin stieg im Mesmer'⸗
schen Hause ab. Das Gefolge, darunter Dr. Velten, ist gleichfalls
der Extrazug hier angekommen.
Hamburg, 14. Sept. Die ganze Bevölkerung ist in
reudigst erregter Stimmung. Unter Glockengeläute und den
ubelnden Zurufen der dichtgedrängten, überall nach Tausenden zäh⸗
enden Volksmenge zog der Kaiser, begleitet von dem Kronprinzen,
em Prinzen Wilhelm und dem Großherzog von Mecklenburg⸗Schwerin,
von Altona her genau um 11 Uhr in die Stadt.
Die officiöse Berliner „Provincial-Correspondenz“ sagt über
en Besuch des russischen Kaisers in Danzig: Es war dem
cussischen Kaiser ein Herzensbedürfniß, sowohl dem Kaiser Wilhelm
»en Ausdruck persönlicher Verehrung darzubringen, wie auch zum
ersten Mal nach seiner Thronbesteigung in einer für alle Welit
verständlichen Weise zu bekunden, daß er die langjährigen, freund⸗
haftlichen und friedlichen Beziehungen mit dem deuischen Nachbar⸗
ande erneuert und befestigt zu sehen wünsche und seinerseits in
einer Weise zu ändern gedenke.“ Die Zusammenkunft, sagt sie
weiter, habe der eigentlichen nächsten Bestimmung nach nur zwischen
)em deutschen und russischen Kaiser stattgefunden, aber im Geiste
ei mit beiden der österreichische Kaiser vollkommen geeinigt gewesen.
das herzliche und innige Verhältniß zwischen Veutschland und
Desterreich- Ungarn habe erst kürzlich im Gasteiner Besuch des Kai⸗—
ers Franz Joseph bei dem Kaiser Wilhelm erneuten Ausdruck ge⸗
unden. Das Einvernehmen der drei Kaiserreiche habe seit zehn
zahren Europa den Frieden erhalten (d. h. mit Ausnahme des
cussischetürkischen Kriegs) und werde sich auch künftig bewähren,
)en Völkern diejenige Sicherheit und Beruhigung verschaffen, welche
hnen ermögliche, die ganze Kraft der friedlichen Arbeit, der ge⸗
unden Entwickelung der inneren staatlichen, wirthschaftlichen und
gesellschaftlichen Verhältnisse zu widmen.
Ausland.
Wien, 14. Sept. Der Kaiser von Oesterreich toastirte am
11. dss. Mis. in Miskolcz anläßlich des Namensfestes des Czaren
uuf diesen „seinen ausgezeichneten Freund.“
Aus Rom, 14. Sept., wird berichtet: Hr. v. Schlözer
vurde heute vom Papst empfangen und reist dem Vernehmen nach
norgen oder übermorgen nach Berlin.
London, 14. Sept. Die Times erfährt, Frankreich werde eine
Verlängerung des Handelsvertrages mit England zugestehen. — Ein
Telegramm der Times aus Konstantinopel meldel: Der gestrige
Ministerrath hat beschlossen, einen kaiserlichen Kommissar zur Un⸗
ersuchung der Vorgänge in Kairo nach Aegypten zu entsenden.