Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberker Anzeiger. 
der St. Ingberter Anzeiger und das (2 mal woͤchentlich) mit dem Hauptblatte verbundene Unterhaltungsblatt. Eonntags mit illustrirter Bei⸗ 
age) erlscheint woͤchentlich viermal: Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag. Der Abonnementspreis betragt vierteljahrlich 
As 40 — einschließlich Traͤgerlohn; durch die Post bezogen 1 A BG60 H, einschließlich 40 Zustellgebuhr. Anzeigen werden mit 10 H, von Auswärts 
mit 15 — fur die viergespaltene Zeile Blatischrift over deren Raum, Neclamen mit 30 4 vro Zeile berechnet. 
P 148. Samstag, den 17. September 1881. 
Die islamitische Bewegung in Afrika. 
An die Stelle Danzig's ist in der allgemeinen Aufmerksamkeit 
stordafrika getreten. Die Lage des dort seit 1200 Jahren herr⸗ 
chenden Islams ist es, welche die dortigen politischen Kondul— 
ionen so gefährlich macht. Von Marokko bis nach Aegypten ist 
der Mohamedanismus in Bewegung und fern im Osten in Afgha⸗- 
ustan blitzt es ähnlich auf. An der äußersten Westküste von Nord⸗ 
ifrika sind seit Monaten Waffensendungen gelandet, spanische, ita— 
ienische, englische; die Vorgänge in Algier und Tunis haben dort 
den mohamedanischen Fanatismus gereift. In Aegypten revoltirt 
das Heer; in wie weit dies ein direkter englischer Schlag gegen 
Frankreich ist, mag dahingestellt bleiben; die bisher eingegangenen 
stachrichten zeigen die Sachlage nicht ganz klar Der Vorschlag 
iner türkischen Besetzung des Vasallenlandes ist jedenfalls der 
gipfelpunkt der Abgeschmacktheit; eine solche könnte das arme Land 
och gerade brauchen. Bemerkenswerth ist dabei eine Erhebung im 
Sudan; Scheikh Mohamed Achmed hat als Ursache derselben direkt 
zie von Bu Amema in Algier über die Franzosen erfochtenen „Siege“ 
ezeichnet; man fürchtet an der Südküste des Mittelmeeres die 
Frauken“ nicht mehr so wie früher. Aus Afghanistan aber 
ommt die Nachricht von einer Versöhnung der beiden streitenden 
Fürsten Abdurrahman und Achmed Eyub behufs Proklamirung 
des „heiligen Krieges“ gegen die Engländer; jener Nachricht sind 
allerdings wieder räthselhafte Begebenheiten mit Truppenübergängen 
jon dem einen zu dem andern u. s. w. gefolgt. 
Die Ursache dieser Erscheinung ist in dem gesunkenen Ansehen 
ner Türkei gegeben. Obgleich unter verschiedenen weltlichen Herr⸗ 
chern stehend, betrachten mit Ausnahme der „schiitischen“ Perser 
ast alle Mohamedaner den Sultan als ihr geistig nationales Ober⸗ 
aupt, als den „Khalifen.“ Nun aber ist durch die letzten Ereig⸗ 
nisse sen Ansehen sehr herabgemindert worden. Mehr als die 
dälfte seines europäischen Gebietes haben ihm die Jahre 1877 -81 
zirekt oder indirekt entzogen; in Asien ist er eigentlich nur noch 
berwalter der Engländer. Dieser Stand der Dinge hat die isla— 
nitische Trägheit erschüttert und den religiösnationalen Stolz ge— 
reizt. Es ist, wie vor 1870 die Ohnmacht der deutschen Nation 
Tausende von Gemüthern in schweigendem Einverständniß gegen 
iie 1815 geschaffene Lage erhielt. Eine eigenthümliche Rolle spielt 
»abei die Heimath des Islams, Arabien. Dort ist die türkische 
Oberhoheit stets nur mit Unwillen ertragen worden; die Unruhen 
jörten nie auf; in den zahlreichen Gefechten unterlagen die türki— 
chen Truppen gewöhnlich den Araberstämmen. Jene Verhältnisse 
atten indeß nur eine lokale Bedeutung. Aber was sich jetzt in 
Mekka vorbereitet, ist etwas Anderes. Die Feinde Midhat Pascha's 
jaben bekanntlich behauptet, daß der gegen Abdul Aziz am 31. 
Mai 1876 geführte Streich eigentlich der ganzen osmanischen 
Oynastie zugedacht war; man wollte die unfähigen Nachfolger der 
Selim und Soliman durch eine andere regierende Familie ersetzen. 
der von Abdul Hamid neuerdings in den Prozeß gegen die Sul⸗ 
ansmörder des 4 Juni 1876 entfaltete besondere Eifer läßt auf 
ezüg“he Entdeckungen schließen; nach Stambuler Ueberlieferung 
vürde ein Nachfolger den gewaltsamen Tod eines oheimlichen Vor— 
zängers sonst wohl weniger tragisch genommen haben. Nun will 
nan aber der Existenz einer gegen die osmanische Dynastie ge— 
ichteten Verschwörung in den heiligen Stätten von Arabien auf 
iie Spur gekommen sein; die in Mekka gesammelten Pilgergelder 
pären angeblich zur Ausrüstung eines neuen dort zu proklamiren⸗ 
en „Khalifen“ bestimmt. Es fiel seinerzeit auf, daß Midhat und 
ne übrigen verbannten Sultansmörder in Arabien mit Begeisterung 
egrüßt wurden; es ist dies ein sehr bemerkenswerthes Symptom. 
S„chwerlich war es ein guter Rath, der Abdul Hamid zur Aus— 
oahl gerade jenes Landes für den Strafort der Mörder seines 
ONheims veranlaßte. Außer Mekka soll Tripolis ein Hauptmittel⸗ 
zunlt jener islamitischen Bewegung sein, an diesem Kreuzpunkt der 
ialienischen, französischen und türkischen Interessen auch die Ver⸗ 
indung von dem Ausgangspunkte des Islams bis an die Nord⸗ 
oestküste des afrikanischen Welttheiles sich befinden. 
Einzelne Folgerungen aus diesem Stande der Verhältnisse zu 
iehen ist es entschieden noch zu fruüh. Was für die an der drieu— 
alischen Frage direkt interessirten Mächte aus dieser islamitischen 
Zewegung hervorgehen kann und wie sich Frankreich, England und 
talien in erster, Rußland und Oesterreich in zweiter Lime zu der⸗ 
»lben gruppiren werden, kann in diesem Augenblick Niemand sagen. 
zewiß ist nur, daß wenn jene Frage durch den national⸗religioͤsen 
janatismus wieder in Bewegung lommt, Deutschland als nicht 
irekt betheiligt die Schiedsrichterrolle fester als jemals in der Hand 
jat. Wie die Pariser „France“ am verwichenen — rich⸗ 
ig sagte: „Herr v. Bismarck wird seine Neutralitte ausspielen“. 
Man braucht für den Islam keinerlei Sympaihien zu haben, 
m sich für diesen religiösnationalen Aufschwung in den don dem— 
elben beherrschten Gegenden bis zu einem gewissen Grade zu inte⸗ 
essiren. Sie wird ganz gewiß nicht zu einer Regenerirung jenes 
laubens führen, der vor 1200 Jahren den groͤßten Theil des 
rüheren römischen Weltreichss im Siurme überfluihete. Aber sie 
eweist zum mindesten, daß in der Weltgeschichte noch immer andere 
Faktoren maßgebend sind als Parlamenisparteien, Boörsenspiel und 
Zaumwolle. Gelegentlich konnte man in Europa und auch in 
Deutschland daran beinahe zweifeln. 
Deutsches Reich. 
Baden-Baden, 15. Sept. Die Kaiserin Augusta ist von 
doblenz mittelst Extrazug gestern Abends 101,. Uhr hier einge⸗ 
roffen und fuhr begleitet von ihrer Hofdame mit Equipage hieher, 
vo sie um 10*4 Uhr ankam. Die Kaiserin stieg im Mesmer'⸗ 
schen Hause ab. Das Gefolge, darunter Dr. Velten, ist gleichfalls 
der Extrazug hier angekommen. 
Hamburg, 14. Sept. Die ganze Bevölkerung ist in 
reudigst erregter Stimmung. Unter Glockengeläute und den 
ubelnden Zurufen der dichtgedrängten, überall nach Tausenden zäh⸗ 
enden Volksmenge zog der Kaiser, begleitet von dem Kronprinzen, 
em Prinzen Wilhelm und dem Großherzog von Mecklenburg⸗Schwerin, 
von Altona her genau um 11 Uhr in die Stadt. 
Die officiöse Berliner „Provincial-Correspondenz“ sagt über 
en Besuch des russischen Kaisers in Danzig: Es war dem 
cussischen Kaiser ein Herzensbedürfniß, sowohl dem Kaiser Wilhelm 
»en Ausdruck persönlicher Verehrung darzubringen, wie auch zum 
ersten Mal nach seiner Thronbesteigung in einer für alle Welit 
verständlichen Weise zu bekunden, daß er die langjährigen, freund⸗ 
haftlichen und friedlichen Beziehungen mit dem deuischen Nachbar⸗ 
ande erneuert und befestigt zu sehen wünsche und seinerseits in 
einer Weise zu ändern gedenke.“ Die Zusammenkunft, sagt sie 
weiter, habe der eigentlichen nächsten Bestimmung nach nur zwischen 
)em deutschen und russischen Kaiser stattgefunden, aber im Geiste 
ei mit beiden der österreichische Kaiser vollkommen geeinigt gewesen. 
das herzliche und innige Verhältniß zwischen Veutschland und 
Desterreich- Ungarn habe erst kürzlich im Gasteiner Besuch des Kai⸗— 
ers Franz Joseph bei dem Kaiser Wilhelm erneuten Ausdruck ge⸗ 
unden. Das Einvernehmen der drei Kaiserreiche habe seit zehn 
zahren Europa den Frieden erhalten (d. h. mit Ausnahme des 
cussischetürkischen Kriegs) und werde sich auch künftig bewähren, 
)en Völkern diejenige Sicherheit und Beruhigung verschaffen, welche 
hnen ermögliche, die ganze Kraft der friedlichen Arbeit, der ge⸗ 
unden Entwickelung der inneren staatlichen, wirthschaftlichen und 
gesellschaftlichen Verhältnisse zu widmen. 
Ausland. 
Wien, 14. Sept. Der Kaiser von Oesterreich toastirte am 
11. dss. Mis. in Miskolcz anläßlich des Namensfestes des Czaren 
uuf diesen „seinen ausgezeichneten Freund.“ 
Aus Rom, 14. Sept., wird berichtet: Hr. v. Schlözer 
vurde heute vom Papst empfangen und reist dem Vernehmen nach 
norgen oder übermorgen nach Berlin. 
London, 14. Sept. Die Times erfährt, Frankreich werde eine 
Verlängerung des Handelsvertrages mit England zugestehen. — Ein 
Telegramm der Times aus Konstantinopel meldel: Der gestrige 
Ministerrath hat beschlossen, einen kaiserlichen Kommissar zur Un⸗ 
ersuchung der Vorgänge in Kairo nach Aegypten zu entsenden.