Full text: St. Ingberter Anzeiger

Der Landauer „Eilbote“ schreibt: Bon 
verschiedenen Seiten werden Fälle von Erstickungs— 
lod in Kellern mit gährendem Weine gemeldet. 
Bekanntlich entwickeln sich bei der Gährung große 
Mengen Kohlensäure-Gas, welches schwerer als die 
umosphärische Luft sich in Schichten, die oft hoch 
hinaufreichen, über dem Boden der Keller lagern. 
Ein sicheres Kennzeichen für das Vorhandensein 
solcher Gase ist, wenn das mitgenommene Licht im 
—VV 
man schleunigst den Keller, und betrete ihn erst 
wieder, wenn durch Oeffnen der Kellerluken und 
durch Zuführung von frischer Luft etwa durch Hand⸗ 
windmühlen die Gefahr beseitigt ist. 
— In Neustadt a. H. hat sich ein proviso⸗ 
risches Komite gebildet, um in der Pfalz einen 
Tarnevalsverein nach Art der Kölner Vereine in's 
Leben zu rufen. 
— In Kaiserslautern wird der 16. Novem⸗ 
her, als der Tag an welchem die Welt untergehen 
sollte, aber nicht untergegangen ist, durch ein nach⸗ 
räglich abzuhaltendes Festessen gefeiert. Dieses 
—X 
Abends 8 Uhr, bei Thomas im Karbsberg statt. 
— Giterarisches). Im Verlage vou Aug. 
Gotthold's Buchhandlung in Kaiserslautern 
ist unter dem Titel „Unsere eßbaren 
Schwämme“ ein Schriftchen von A. Wilde 
herausgekommen, welches wir der allgemeinen Be⸗ 
ahtung recht sehr empfehlen, da die Schwämme 
oder Pilze trotz ihres bedeutenden Nahrungswerthes 
bei uns noch lange nicht die Beachtung und Ver⸗ 
wendung gefunden haben, welche sie verdienen. 
Die verschiedenen Arten der Schwämme sind in 
dem Schriftchen genau beschrieben, dazu noch durch 
colorirte Bilder veranschaulicht, so daß man da— 
nach die giftigen von den nichtgiftigen leicht unter— 
scheiden kann, und zum Schluß ist noch über die 
Zubereitung der Schwämme das Nöthige an— 
gegeben. 
— Aus Otterberg wird der „Pf. Pr.“ be⸗— 
richtet, daß der vom dortigen Stadtrath vor einem 
Jahr gefaßte Beschluß, es solle die den dortigen 
Lehrern gewährte Theuerungszulage jederzeit wegen 
Unfleißes, Mißverhaltens oder aus sonstigen Grün⸗— 
den vom Stadtrath zurückgezogen werden können 
— vom Bezirksamt Kaiserslautern als ungesetzlich 
aufgehoben worden ist. — Die Klage der Gemeinde 
Otterberg gegen den früheren Bürgermeister Mayer 
(Regreß wegen des verlorenen Prozesses mit Dr. 
Goldfuß) ist dadurch beigelegt worden, daß Herr 
Mayer sich um 400 M. mit dem Anspruch der 
Stadt abgefunden hat. 
— Der Gewerbeverein Speyer hat beschlossen, 
im nächsten Frühjahr eine Ausstellung von Lehrlings⸗ 
arbeiten zu veranstalten. 
Frankenthal, 21. Noo. Wie verlautet, 
soll sich dieser Tage ein auf einem hiesigen Bureau 
obeschäftigter junger Mann nach Unterschlagung einer 
ziemlich bedeutenden Summe aus dem Staube ge— 
macht haben; derselbe soll jedoch in Bremen ver⸗ 
haftet worden sein. (Frkth. 3.) 
— Rorxheim, 20. Nov. Ein mit 1800 CEtr. 
Kochsalz beladenes zu Thal fahrendces Neckarschiff 
ank gestern Morgen im Rhein in der Nähe der 
Petersau. Die Mannschaft des Schiffes rettete sich 
nit knapper Noth. (Frrkth. 3.) 
Vermißchtes. 
4 Laut Bestimmung des deutschen Reichspostamtes 
können Geschäftskarten, welche mit den Post⸗ 
karten in Form und Größe übereinstimmen, zur Be⸗ 
förderung gegen die ermäßigte Tare für Drucksachen 
m Weltpostverkehr nur dann zugelassen werden, 
wenn dieselben auf der Vorderseite legiglich die 
Aufschrift, nicht aber die Ueberschrift „Postkarte“ 
tragen, auf der Rückseite hingegen blos gedruckte 
Mittheilungen enthalten. 
Neunkirchen, 20. Nop. Von Herrn Ge— 
heimen Kommerzienrath Stumm erhält die „Saar⸗ 
und Blies-Zeitung“ folgendes Schreiben zur Ver— 
oöffentlichung: „Soeben wird mir mitgetheilt, daß 
das dortige „Tageblatt“ die Behauptung aufgestellt 
—VV 
und indirekt unterstützt worden.“ Diese Behauptung 
ist eine ebenso dreiste Lüge, wie die von dem radi⸗ 
kalen Blatte früher kolportirte Rachricht, Herr von 
Hertling sei während der Wahlen zum Besuche bei 
mir gewesen. Ich habe entsprechend der dem reichs⸗ 
treuen Wahlkomitee abgegebenen Erklärung sowohl 
m ersten wie im zweiten Wahlgange fur Herrn 
Täglichsbeck gestimmt, so schwer mir dies auch durch 
as Verhalten dieses Herrn und seiner näheren 
zreunde im Wahl⸗Comitee gemacht worden ist.“ 
F(Für die Aufhebung des 7. Schul—⸗ 
ahres) plaidirt in recht bemerkenswerther Weise 
er nachstehende Brief des bayer. Landtagsabgeord⸗ 
ieten Bernhard Mayer von Schönbrunn an die 
zauern der Dachauer Gegend: „Angliegent sende 
ch ihnen eine Bittstehlung an die Kammer der 
tdeichsräthe. Die Aufhebung des 7ten Schuljahres 
etrefent und wann sie damit einverstanden sind so 
zestätigen sie dieselbe und laßens von recht viellen 
n ihrer Gemeinde unterschreiben und sendens wieder 
in mich. Recht herzliche grüße Landtagsabgeort⸗ 
eter Bernhard Mayer in Schönbrunn.“ (Und da 
age noch einmal Jemand, daß das 7te Schuljahr 
—X 
F Stuttgart, 21. Nop. Am Samstag Abend 
atgleiste auf dem hiesigen Rangirbahnhof ein Zug, 
vobei zwei Poste und Gepäckwagen zertrümmert 
ind ein Postbeamter leicht verletzt wurde. Gestern 
Ubend 9 Uhr erfolgte fast an gleicher Stelle der 
jusammenstoß von zwei Passagierzügen; fünf Per— 
onen wurden schwer verwundet; ein Weichensteller, 
yelcher das Unglück verschuldet hat, ist verhaftet. 
Der „FIrkf. Pr.“ schreibt man aus Straß⸗ 
»urg: „Das Knabenseminar zu Zillisheim ist nun⸗ 
nehr unter die Leitung des ausgezeichneten alt⸗ 
eutschen Priesters Palm (früher Stadtipfarrer in 
zandau i. Pf.) gestellt, was der Anstalt jedenfalls 
ehr zum Vortheil gereichen wird. Der Pariser 
Monde“ ist freilich sehr unzufrieden damit.“ 
Eine recht traurige Erfahrung) 
jat eine achtbare Mainzer Familie gemacht. Ein 
Nitglied derselben lernte vor einiger Zeit auf der 
teise einen Herrn kennen, der sich S. nannte, aus 
sondon zu sein vorgab und sich als ein so fein— 
ebildeter, liebenswürdiger Mann zu geriren wußte, 
aß Jener ihn hier in seiner Familie einführte. 
zier lernte derselbe die Tochter des Hauses kennen 
ind verstand es, binnen Kurzem ihre vollste Zu— 
eigung zu gewinnen. Es bildete sich ein sörmliches 
tiebesverhältniß zwischen Beiden und endlich trat 
er Londoner Gastfreund mit dem Antrag vor den 
zater der Dame, ihm dieselbe zur Frau zu geben. 
etzterer versäumte nun nicht, nach London zu 
hreiben und sich nach Herrn S. zu erkundigen und 
a die erhaltene Auskunft sehr günstig für Herrn 
5. lautete und die Tochter einverstanden war, so 
zurde der Pact abgeschlossen und bestimmt, daß die 
dochzeit an einem gewissen Termin in London 
attfinden sollte. Gleichzeitig war aber auch zwischen 
em Vater und seinem zukünftigen Schwiegersohn 
in Abkommen dahin getroffen worden, daß Letzterer 
im Tage der Trauung bei einem Londoner Bankier 
ine vorläufige Mitgift von 10,000 M. zu erheben 
rmächtigt sei, wozu ihm die Legitimation gleich 
aitgegeben wurde. Der Bräutigam reiste nun voraus 
ind die Braut mit ihren Angehörigen folgte einige 
Wochen später nach. In einem bestimmten Hotel 
u London sollte S. am Hochzeitstage seine Braut 
ibholen. Der Tag kam, Alles war zur Stelle, 
iur der Bräutigam nicht; man wartete und war⸗ 
ete, allein vergeblich. Böse Ahnungen steigen auf, 
nan geht auf das Bankhaus, wo die 10,000 M. 
eponirt worden, und hier erfährt man, daß Herr 
5. bereits in aller Frühe das Geld in Empfang 
jsenommen und, wie sich weiter herausstellt, damit 
as Weite gesucht hat. Der angegebene Name S. 
var ein fälschlich angenommener, und der wirkliche 
5., wie der F. Zig. geschrieben wird, eine in der 
chat hochangesehene Perfönlichkeit Londons, steht 
ußer jeder Beziehung zu dem raffinirten Gauner, 
iber dessen Verbleib die Polizei trotz aller An⸗ 
trengungen bis jetzt nichts zu ermitteln vermochte. 
F Eine Allerweltsstadt war jedenfalls bis 
um Jahre 1866 Mainz. Bis damals herrschten 
ämlich dort folgende Zustände: Hessische Landes⸗ 
ꝛerrlichkeit, französisches Recht, deutsche Bevolkerung, 
ömische Kirche, preußischer Kommandant, öster⸗ 
eichischer Gouverneur, italienische Besatzung, Thurn⸗ 
ind Taxische Post, bayerische Telegraphie, badische 
ßasanstalt und der beste Gasthof der „Englische 
)of.“ Welche Stadt hätte wohl an bunter Man⸗ 
iifaltigkeit etwas Aehnliches aufzuweisen? 
4 Ein Vergiftungsfall, der auch weiteren Kreisen 
ur Warnung gereichen dürfte, wird der „Volksztg.“ 
IIs voslkommen verbürgt mitgetheilt. Zwei junge 
damen, die sich seit Kurzem bei einer in Berlin 
vohnenden Beamtenfamilie vorübergehend zum Be⸗ 
uch aufhielten, erkrankten Ende voriger Woche 
unter so verdächtigen Symptonen, daß eine Ber 
ziftung vermuthet wurde. Der hinzugerufene Arzt 
onstatirte, daß die Damen durch den Genuß von 
ogenanntem „Wurstgift“ von dem noch ein Theil 
in einem vorhandenen Wurstreste vorgefunden 
vurde, erkrankt seien. Durch rechtzeitig eingegebenes 
Begengift gelang es dem Arzte, noch glücklich seine 
zeiden Patientinnen dem sicheren Tode zu ent— 
reißen. 
fF Ein Analphabet, der Buchhändler 
st, gehört gewiß zu den bemerkenswerthen Er— 
cheinungen. Ein solcher Mann existirt, wie das 
dAl. J. mittheilt, in Berlin, und genießt als Bürger 
die höchste Achtung. Derselbe betreibt seit vielen 
Jahren ein ambulantes Buchhändlergeschäft von sehr 
nedeutender Ausdehnung. Er kann weder lesen noch 
chreiben und was am meisten zu verwundern, ist 
der Umstand, daß der Herr etwa nicht nur Schau— 
rromane oder Kinderfibeln verkauft, sondern daß 
er sogar meist wissenschaftliche und die besten belle— 
ristischen Werke vertreibt. Die Bestellungen, die 
r sich selbst einholt, sind ganz außerordentlich zahl— 
eich und das Gedächtniß des Mannes ist erstaun— 
ich. Aus den Hieroglyphen, die er in sein Notiz- 
huch macht, kann nur er klug werden und außer⸗ 
dem ist der Umschlag, das Format und die Größe 
zer Bücher für ihn der absolut sichere Anhalt, und 
noch niemals ist ein Irrthum passirt — gewiß ein 
Anicum in der Buchhandlungswelt. 
f Ansteckung durch eine Zeitschrift. 
Ddie vier Kinder der Wittwe eines Eisenarbeiters 
n Berlin erkrankten nach einander an der Diph— 
eritis, Während die drei jüngeren Kinder genasen, 
egte sich das älteste Kind, ein Mädchen von 10 
zahren, um nicht wieder aufzustehen. Einige Tage 
yor seinem Tode bat das Kind, ihr ein im Besitze 
er Mutter befindliches illustrirtes Journal zu geben, 
amit sie in ihrem Betichen darin blättern könne, 
ind am Abend, als die Mutter etwas Ruhe hatte, 
ijahm sie selbst das Journal vor, um kurze Zeit 
arin zu lesen. Schon nächsten Tages aber stellten 
ich, wie das Kl. J. mi theilt, bei ihr ebenfalls 
iußerst bedenkliche Symptome ein, und der am 
indern Morgen erscheinende Arzt erklärte, daß die 
Frau ebenfalls von der Diphteritis ergriffen sei, 
ind glanbt mit Bestimmtheit annehmen zu können, 
aß durch das Umblättern beim Lesen mit dem 
ingefeuchteten Finger in diesem Falle der Anstek— 
ungsstoff auf die Mutter, welche zwei Tage später 
tarb, übertragen wurde. 
F Die Poesie des Küssens hat in Berlin 
zurch Urtheil des Schöffengerichts einen harten 
5toß erlitten und das „küssende Publikum“ wird 
n Zukunft sehr subtile Distinktionen machen müssen 
es gibt nämlich im juristischen Sinne „legitime, 
zerechtigte und illegitime“, unberechtigte Küsse), 
venn es sich der prosaischen Bekanntschaft des 
5taatsanwalts entschlagen will. Angeklagt ist der 
Zürstenbinder Hermann Otto Tausig wegen Ver— 
ibung groben Unfugs. Der Angeschuldigte ver—⸗ 
ieß eines Sonntag Abends im Monat August 
d. J. ein Bierlokal in etwas „gehobener“ Stim— 
nung. In der Rosenthalerstraße begegnete ihm 
in junges Mädchen, welches sich seines Beifalls in 
sohem Maße zu erfreuen hatte. Er eilte ihr nach 
ind versuchte sich derselben zu attachiren. Allein 
der galante Antrag, das Mädchen zu begleiten, 
vurde von diesem zurückgewiesen. Nichts desto 
veniger wich der Angeklagte nicht von des Mäd— 
hens Seite. Die schoͤnen Dinge, von denen er 
erselben zu erzählen wußte, beantworte das Mäd⸗ 
hen mit konsequentem Schweigen. Emport ob 
zieser Verschmähung beschloß Tausig, sich an ihr 
uu rächen. Als Beide an der Alexanderkaserne in 
der Münzstraße angekommen waren, fiel der Ange⸗ 
lagte über das Mädchen her, umarmte es und 
üßte es „barbarisch.“ Der Revierwächter erst 
jebot dieser Rache Einhalt, indem er zur Citirung 
her Parteien nach der Polizeiwache schritt. Auf Befra⸗ 
jen des Vorsitzenden, ob er das Mädchen geküßt habe, 
intwortete der Angeklagte: „Hätte ick etwa'n hauen 
oll'n, Herr Jerichtshof? Der Staats-⸗Anwalt hält 
zroben Unfug für erwiesen und beantragt eine Geld⸗ 
trafe von 10 Mark eventuell J1 Tag Haft für eine 
ingemessene Sühne. Mit den Worten: „Det Küssen 
s also ooch schon verboten!“ verläßt der Angeklagte 
den Saal. 
FJagdmalheur. In der Wetterau kam 
etzte Woche einem enragirten Nimrode ein feister 
Zursch vors Korn; er drückte ab, verwundete jedoch 
zas Thier nur leicht, fachte dadurch aber die Wuth 
desselben so an, daß es sich gegen seinen Angreifer