Full text: St. Ingberter Anzeiger

Delegirtenwahlen die Republikaner im Senate einen 
Zuwachs von einigen 20 Stimmen erhalten dürften. 
Soweii sind diese Wahlen nach dem Sinne Gam⸗ 
betta's ausgefallen und Letzterer kann nun daran⸗ 
gehen, die von ihm so lange geplante Revision des 
Senaies in radikalem Sinne vorzunehmen. 
In Frankreich wird der militärischen Aus— 
bildung der Schuljugend andauernd große Auf⸗ 
merksamkeit geschenkt, und auch finanzielle Opfer 
werden nicht gescheut. Jede Woche werden aus 
den Staatswerkstaͤtten 2000 Gewehre an Gymna⸗ 
sien und Militärschulen abgegeben, um mit ihnen 
die Schülerbataillone auszurüsten und auszubilden. 
Paul Bert (der jetzige französische Unterrichtss und 
Cultusminister) hat versprochen, fich der militäri— 
schen Jugenderziehung eifrigst anzunehmen, und da 
auch Gambetta sich für diese Angelegenheit sehr 
interessiren soll, so ist wohl nicht zu bezweifeln, 
daß sie bald in Fluß kommen wird. 
Aus Spanien. Von Zeit zu Zeit taucht das 
Verlangen Spaniens, den Schlüssel zur Meerenge 
von Gibraltar und die Festung dieses Namens 
wieder in seine Gewalt zu bekommen, auf und 
dringt bis in die Räume der Cortes. So ist auch 
jüngft wieder an die Regierung die Frage gerichtet, 
ob sie bereit sei, mit England wegen der Abtretung 
Gibraltars in Unterhandlung zu treten. Der Mi— 
nister des Auswärtigen, der Marques de Vega Ar⸗ 
mijo, erwiderte darauf, daß er sich auf die Dis— 
cussion dieser Angelegenheit nicht einlassen könne, 
daß er aber im besten Interesse des Landes und 
der freundschaftlichen Beziehungen zu allen Mächten 
handeln werde. Augenblicklich und wohl noch auf 
lange Zeit wird die Sehnsucht der Spanier nach 
Wiedergewinnung Gibraltars unbefriedigt bleiben. 
— Ernster sind die Verwicklungen, welche aus der 
Bedrohung Marokkos durch die Franzosen 
entstehen iönnen. Der Aufstand im südlichen Oran 
wird vorzugsweise von der marokkanischea Ooase 
in Figuig geschürt, die vor den Franzosen fliehenden 
Araber ziehen sich über die Grenze von Marokko 
zurück, um bei nächster Gelegenheit wieder einzu⸗ 
brechen. Es wiederholen sich hier dieselben Scenen, 
wie an der Ostgrenze von Algier, wobei Spanien 
in gewisser Hinsicht die Rolle des eifersüchtigen 
Italiens übernimmt, denn Spanien kann eine Aus— 
dehnung der französischen Macht auf Kosten Marok— 
kos noch weniger leiden, als Italien, da es selbst 
an der anderen Seite der Straße von Gibraltar 
Besitzungen hat. Es scheint, daß Spanien auf die 
Unterstütung Englands in dem Falle rechnen dürfte, 
daß franzoͤsische Truppen nach Marokko eindringen, 
um dort wie in Tunis die Züchtigung der ihnen 
unbequemen Stämme zu übernehmen. Lord Lyons 
hat in Paris bereits dem vorigen Cabinet darauf 
bezügliche Andeutungen gemacht. 
Lokale und pfäl⸗eische Nachrichten. 
i. St. Ingbert, 2. Dez. In einem wegen 
„Raummangel“ fast 2 Spalten langen Artikel 
referirt die „St. Ingberter Zeitung“ in ihrer Num⸗ 
mer vom 1. Dezember über die letzte Generalver⸗ 
— nimmt 
dabei (abgesehen von anderen Anzüglichkeiten, gegen 
die wir uns nicht zu wenden haben) Veranlassung, 
unseren, im „Anzeiger“ erschienenen kurzen Bericht 
etwas einseitig“ zu nennen. Dieser Vorwurf ver⸗ 
anlaßt uns, wider Willen, der Sache noch einmal 
näher zu treten. War unser Bericht vielleicht deß⸗ 
halb einseitig, Herr Redalteur P., weil wir die 
gegen die disherige Geschäftsordnung verstoßende 
Wahlhandlung vor Eintritt in die bekannt gegebene 
Tagesordnung eine eigenthümliche nannten? 
Sie war mehr wie eigenthümlich; wir behaupten 
jetzt, daß sie incorrekt war. Für Herrn P. 
mag es nicht sehr schmeichelhaft sein, zu erfahren, 
daß er nur durch Stimmenentscheid des J. Vorstandes, 
ebentuell dadurch, daß sich Herr Lithograph D., 
wie es scheint in übel angebrachter Noblesse, der 
Abstimmung enthielt, als Mitglied aufgenommen 
wurde. Aber wahr ist es, und unser Bericht kann 
deßhalb doch nicht einseitig genannt werden. Wohl 
genirte das Wahlresultat Hrn. P. am Abend wenig. 
Denn kaum war er mit knapper Noth als Mitglied 
aufgenommen, als er auch schon im Saale erschien 
und nach kurzer Zeit recht lebhaft in die Debatten 
eingriff. Wer hätte das nach einer Wahl, bei der 
das Zuͤnglein so verdächtig schwankte, noch gethan? 
(Bescheidenheit ist eine schöne Zier, doch kommt 
Man weiter ohne ihr.““ Und was soll die Trieb⸗ 
feder dieser lebhaften Antheilnahme gewesen sein? 
Das Interesse an den Bestrebungen des Vereins? 
So sagt Herr Redakteur P. Wir wollen es gelten 
lassen, bekennen ihm aber, daß ihm dabei, ob ab⸗ 
sichtlich oder unabsichtlich, lassen wir dahin gestellt, 
eine gute Dosis Wichtigmacherei mit unterlief. 
Oder waren seine geheimnißvollen Andeutungen 
iber seine Beziehungen zu gewissen maßgebenden 
dreisen etwas anderes, als Wichtigthuerei, die uns 
in den Mann im Volksmund erinnert, der das 
gras wachsen sieht und den Fle.. husten hört! 
herr Redakteur P. beschäftigt sich gern mit Personen 
ind besitzt eine gewisse Fertigkeit, Dem und Jenem 
ins anzuhängen, das zeigt uns schon die wie ein 
denunziatiönchen aussehende Anspielung im Eingang 
es angezogenen Artikels der „St. Ingberter Zeitung.“ 
doch das geht uns nicht an. Uns ist unange— 
jehm, im Vorstehenden etwas mehr von einer Per— 
on haben sprechen zu müssen, als uns eigentlich 
ieb ist. Herr P. mag aber hieraus ersehen, daß 
vir unserm ersten Bericht leicht hätten eine größere 
Ausdehnung geben können, ohne den Boden der 
Wahrheit zu verlassen. Herr P. muß zugeben, 
»aß der von der Versammlung gefaßte Beschluß 
ezüglich der Häuserfteuerrevision ganz so lautete, 
als wir referirten. Und die verschiedenen miß— 
ungenen Versuche des neuaufgenommenen Mit- 
zliebes P. die Paragraphen der Statuten einzeln 
»urchzurathen, entgegen einem früheren Beschlusse 
der Generalbersammlung, gibt der Eingangserwähnte 
Artikel der „St. Ingberter Zeitung“ ebenfalls zu. 
Wo liegt also da die Einseitigkeit? Drum Herr P. 
n Zukunft hübsch langsam mit Behauptungen, die 
zu beweisen, Ihnen schwer fallen! 
St. Ingbert, 2. Dez. Der unter (*) 
St. Ingbert, 1. Dez. in vor. Nr. gebrachte Ariikel, 
zie heutige Stadtrathssitzung betr, war durch Ver—⸗ 
ehen des Setzers so sinnentstellend verstümmelt, 
daß wir uns veranlaßt sehen, denselben nachstehend 
vörtlich nach dem Manuskripte zum Abdruck zu 
zringen: 
(*.) St. Ingbert, 1. Dez. In der morgigen 
Stadtrathssitzung wird eine Frage, die in letzter 
zeit hier vielfach die Gemüther erregte und zum 
Theil in recht anzüglicher Weise debattirt wurde 
— die Frage der Häusersteuerrevision — er— 
edigt werden. Die betreffende Commission hat ihre 
Erhebungen in dieser Angelegenheit beendet, so daß 
dieselbe für das Plenum des Stadtrathes beschluß⸗ 
reif ist. Wie auch der Beschluß desselben ausfallen 
nag, dessen sind wir gewiß, daß derselbe nur in 
reiflicher Erwägung der vorliegenden Verhältnisse 
und unter Berücksichtigung des vollen Interesses 
der Stadt gefaßt wird. 
* St. Ingbert, 2. Dez. Gestern Abend 
zegen 10 Uhr saßen im Gastzimmer des Hotel 
daur mehrere Reisende, die sich mit Kartenspiel 
interhielten mit dem Gastgeber zusammen, als die 
Mittelthüre im Hausgange geöffnet wurde. Herr 
Lehnert trat heraus in den Hausgang und sah 
Jemand der schon nahe der Ausgangsthüre war. 
Annehmend, daß es der Hausknecht sei, der noch 
inen Gang zu besorgen habe, rief er denselben 
heim Namen. Der Angerufene nahm aber sofort 
steißaus und verschwand nach der Blieskasteler Straße. 
derr Lehnert, dem die Sache verdächtig schien, sah 
iach dem Hausknecht, der aber schon im Bette 
ag; als dieser den Sachverhalt erfuhr, griff er 
nach seinen Kleidern und gewahrte zu seinem 
—„chrecken, daß sein Portemonnais mit 28 Mark, 
einen Ersparnissen, verschwunden war. — Der Dieb 
jat jedenfalls das nicht geschlossen gewesene Ein— 
ahrtsihor als Eingang durch den Hof und die 
Zinterthür benützt und ist mit den Lokalitäten 
ziemlich vertraut, hatte auch wahrscheinlich Kennt⸗ 
niß von dem im Portemonnais befindlichen Gelde 
des Hausknechtes. — Der Polizei wurde sofort An⸗ 
zeige gemacht, derselben soll es aber bis jetzt noch 
nicht gelungen sein, den Dieb zu ermitteln. 
* St. Ingbert, 2. Dez. Gestern Abend gegen 
3 Uhr wurden die Bewohner der Kohlenstraße durch 
einen starken auf der freien Straße gefallenen 
Pistolenschuß alarmirt. Der junge Missethäter, 
zer aus reinem Uebermuthe den Schuß abgefeuert 
jatte, wurde später in schlagender Weise über das 
Anpassende seiner Handlung aufgeklärt. 
* St. Ingbert, 2. Dez. Ueber den allge⸗ 
meinen Krankenunterstützungs⸗ und 
Sterbekassen-Verein St. Ingbert wird 
ins mitgetheilt, daß derselbe jetzt nahe an 90 Mit⸗ 
zlieder zaͤhlt. Sehr zu wünschen wäre es, daß die— 
enigen ordentlichen Mitglieder, die das vorgeschrie— 
zene ärtztliche Gesundheitsattest noch nicht beigebracht 
jaben, sich solches bald möglichst bei dem Vereins⸗ 
rzte zu verschaffen suchen. In nächster Zeit sollen 
die Statuten in den hiesigen Zeitungen veröffent 
licht und darnach Einzeichnungslisten bei der Bürger 
chaft in Zirkulation gesetzt werden. 
— Kaiserslautern, 27. Nob. In der 
Jestrigen Monatsconferenz der hiesigen Volksschul⸗ 
lehrer kam ein Gegenstand zur Besprechung, der 
für sämmtliche Lehrer der Pfalz Interesse haben 
zürfte. Auf der Tagesordnung stand nämlich die 
Lehrordnung für die Volksschulen der Pfalz.“ 
Rach eingehender Beleuchtung seitens des Herrn 
vokalschulinspektors wurden die Fragen, ob eine 
Revision gedachter Lehrordnung und eine Beschnei— 
zung der Lehrgegenstände nothwendig erscheint, 
insummig bejaht. Um nun zu ermitteln, wo und 
n welchem Umfange eine Reduktion vorgenomnmien 
verden könnte und sollte, wurden Kommissionen 
jebildet, bestehend aus je 3 Lehrern einer jeden 
Abtheilung, die auf Grund ihrer gemachten Erfahr⸗ 
ingen in der nächsten Conferenz darüber referiren 
ollen. Wir wir hören, soll sich hohe k. Regierung 
Jegenwärtig auch mit diesem Gegenstande beschäf⸗ 
igen und geneigt sein, Abhilfe zu schaffen. Die 
steferate der hiesigen Lehrer dürften vielleicht für 
hohe Stelle schätzbares Material abgeben. 
— Kaiserslautern, 29. Novb. Der Tag— 
ier Heinrich Böckel, der als dem Branntwein- 
runke ergeben geschildert wird, gerieth gestern Früh 
nit seiner Familie in Streit, wobei er, jedenfalls 
in betrunkenem Zustande, zum Messer griff. Sein 
Sohn wollte ihn zurückhalten, jedoch bei dem da— 
durch entstandenen Handgemenge erhielt der Vater 
Böckel einen Messerstich in die linke Brustseite, 
welcher Verwundung er gestern Abend noch erlegen 
ist. Angenommen wird, daß der Vater sich durch 
üngeschick selbst verletzte und den Sohn keine Schuld 
rifft. Jedenfalls wird die gerichtliche Untersuchung 
Aufklärung in die Sache bringen. (K. St.) 
— Von der Odenbach. In einem an der 
Ddenbach gelegenen Oertchen wurde in jüngster 
Zeit schuldenhalber 5, sage fünfmal versteigert, und 
seht doch noch eine Menge Geld verloren. Schuld 
'aran ist eine Entscheidung des kgl. Oberlandes— 
gerichts Zweibrücken bezüglich der Begründung der 
gInscriptionen · auf Grund Vollstreckungsbefehls. 
Zläubiger, die auf Grund solcher Schuldtitel zu 
ordern haben, wollen jetzt von den Schuldnern ihr 
Beld haben und lassen die Güter derselben beschlag— 
nahmen, so daß, wenn der betreffende Schuldner 
noch einige Gläubiger hat, er sozusagen gerade zu— 
ammengerissen wird und eine Menge unnöthiger 
dosten entstehen, die, wenn der Vollstreckungsbefehl 
eine Inscription begründen würde, gespart werden. 
Dieses ist die Rachwirkung des Reichsgesetzes bezüg⸗ 
lich des Nachverfahrens. (Pf. V.) 
Vermischtes. 
F Frankfurt, 29. Nov. Der Schuhmacher 
Karl Pfeifer von Obermörlen hatte ein gutes Ge— 
chäft gemacht, ließ aber seinen Profit statt ihn aus 
zie Sparkasse zu tragen, in Bier d'raufgehen. Er 
rank sich einen ganz gehörigen Rausch an und blieb 
n Folge dessen auf der Straße liegen. Schußleute 
anden ihn und brachten ihn, nachdem er ihnen unter 
—„chimpfen Widerstand geleistet, aufs Revier. Heute 
neinte der Schuster: „Ach, Ihr liewe Herren, ich 
hin ja so unschuldig, wie äü neugeboren Kind.“ 
Bräs.: „Was Sie nicht sagen!“ Angekl.: „Ich war 
o schwer beschwabbelt, daß ich ääch rein gar nizx 
iett mehr gewußt hob'.“ Präs.: „Sie sollen die 
geamten aber doch beleidigt haben.“ Angekl.: „Geh'n 
Se fort, deß blide die sich nor ei'. Ich wer'n doch 
noch zu meim Vergnige „Lump“ un' „Spitzbub“ 
cufe derfe.“ Präs.: „Haben Sie keinen Widerstand 
zeleistet?“ Angekl.: „Deß war'n mei' Bää, nor 
mei Bää, die hawe halt nix von de Schutzleut' 
visse wolle un' wollte uff'm Platz bleiwe. Ich haw'n 
zie beste Wort' gewe ...“ Schutzmann: „Ja, 
„Ihr Lumpen, Ihr Spitzbuben“ haben Sie gerufen 
iber damit nicht Ihre Beine, sondern Un s gemeint.“ 
Angekl.: „Woher wisse Se deß dann so genau? 
dosse Se doch die Leut' geh', waß brauche Se ei'm 
dann uffzehewe, 's hott Ihne ja käa Deiwel nett 
Jehääse, daß Se die Spaßwörter ‚Lump“ un' „Spitz⸗ 
zub“ uff sich beziehe solle. No, da seh'n Se's, 
herr Prasedent, wie unschuldig ich bin, beziehe die 
Feut' deß uff sich un' wolle mich ins Loch bringe, 
veil mei Bäa Widerstand geleist' hawe!“ Der Ge— 
ichtshof ließ sich von der Vertheidigungsrede des 
„chusters in feiner Ansicht von der Sache nichl 
rre machen und verurtheilte den Braven zu 19 
Tagen Gefängniß und 7 Tagen Haft. (xrkf. P.!