v»i. Jugherter Awzeiger.
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingsbert.
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M IOI.
Dienstag, 23. Mai 1882.
—17. Jahrg.
—
* B.T. Jie Eröffnung der Golthardbahn.
Die ersten Tage dieser Woche gehören dem
gotthard. Aller Augen wenden sich ab von den
roßen Centren, in welchen sonst die Weltgeschichte
emacht wird. Sie blicken hin zu den gewaltig
agenden Bergen der Schweiz, zwischen denen sich
in diesen Tagen ein weligeschichtlicher Akt vollzieht,
der größer und vor Allem segensreicher ist, als all
die glorreichen Thaten der hohen Politik. Der erste
zisenbahnzug, welcher in wenigen Stunden die Ver⸗
reter Deutschlands, Italiens, der Schweiz und
er öffentlichen Meinung Europas, die in den Be—
ichterstattern der gesammten Presse gewissermaßen
in Person zugegen ist, von Luzern nach Mailand
führt, verkündet in seinem Dahinbrausen, daß wieder
eine völkertrennende Schranke gefallen ist, daß die
MNenschheit trotz aller natürlichen und künstlich er⸗
eugten Hindernisse dennoch auf der Bahn der welt⸗
erbindenden Kultur fortschreitet.
Wer künftig von Luzern nach der lombardischen
Hauptstadt fährt, wird die Beschwerlichkeiten gar
aicht ermessen können, welche sich bisher einer solchen
seise in den Weg stellten. Erst mußte man auf
den Dampfer gehen, der über den Vierwaldstätter
See fährt, dann folgte eine beschwerliche Postfahrt
von etwa 20 Stunden, darauf wieder ein Stück
Fisenbahn, dann auf's Neue eine Dampferfahrt und
endlich nochmals ein Stück Bahnstrecke. So einfach
iber ging es nur in den heißesten Sommermonaten;
jur Winterszeit hieß es, im Schlitten über die
Schneefelder dahinziehen; im Frühjahr aber ver—
perrte haufig eine Lavine den Weg und zwang zu
unerwünschtem längeren Aufenthalt droben im Hospiz.
bs ist klar, daß eine solche Verbindung, die schon
iüt den Einzelnen mit Schwierigkeiten verknüpft
für den Güterverkehr nahezu unmöglich sein
nußte.
Der Verkehr mußte sich daher andere Straßen
uchen. Deutschland sandte seine Waaren und be—
og die italienischen Produkte auf dem Wege der
Semmering⸗ und der Brennerbahn. Westdeutschland
‚og seit der Erdffnung des Mont⸗Cenis-Tunnels
diese neue Verkehrsader vor. Aber jene Verbin⸗
dungen hatten dennoch viele Nachtheile. Es mußte
sterreichisches und französisches Gebiet passirt wer—
)en, und der Umweg vergrößerte außerdem die Höht
xer Frachten, so daß ein umfassender Produktions⸗
ustausch, wie er sich zwischen Deutschland und
Jtalien eigentlich hätte entwickeln müssen, noch nicht
zattfand. All diese Hindernisse sind jetzt durch das
nrtaunliche Werk beseitigt, durch welches Deutsch⸗
and und Italien die Moͤglichkeit gegeben wird, sich
uf dem neutralen Boden der Schweiz die Hand
u reichen.
Den Parlamenten der drei Länder und den
eilenden Staatsmännern muß heute der Dank da—
uͤr ausgesprochen werden, daß fie das Unternehmen
uuf das Eifrigste förderten. Den Unternehmern,
en Erbauern der neuen Gebirgsstraße und ihren
heitern gebührt die höchste Anerkennung für die
ergie des Schaffens, mit der sie wiederum einen
Sieg menschlicher Kraft und menschlichen Könnens
dem harten Stein der Vergriesen berewigt haben.
edenken aber soll man an diesem Tage uuch der
riden rastlosen Befehlshaber des Tunnelbaues, der
erren Favre und Hellwag, denen es nicht ver⸗
— war, die Vollendung ihres Werkes zu sehen;
en auch der 179 im Laufe der 10 Jahre
unglückten Arbeiter, welche den Sieg der Kultur
er die Naturgewalten mit ihrem Leben bezahlen
ien. Auch dieser Sieg hat Menschenopfer ge—
'ordert; aber wie klein sind die Opfer dieses mensch⸗
jeitfördernden Werkes gegen diejenigen, die in den
Zerstörungskriegen fallen, welche Menschen gegen
Menschen führen!
Die Pflicht des Dankes wird aber zum Theil
erschwert, wenn man erwägt, daß man heute bei
uns vielfach das Heil in der nationalen Absperrung
in der Erschwerung des Verkehrs sieht. Die neu
Politik stimmt nicht damit überein, daß man Berge
beseitigt, sondern damit, daß man solche aufthürmt.
Und nichts zeigt besser den Umschwung, der sich in
dieser Hinsicht bei uns vollzogen hat, als eine
Nebeneinanderstellung der Glückwunschschreiben, mit
denen Fürst Bismarck und König Humbert die
Kunde von dem erfolgten Durchstich begrüßten. Der
stanzler „hegt die Ueberzeugung, daß das Unter—
nehmen den betheiligten internationalen Inter—⸗
esseenn zum Segen gereichen werde.“ Der König
aber „ruft seinen Gruß durch den neugeöffneten
Weg, den die Wissenschaft und die Arbeit
der Civilisation und dem Handel gebahnt
haben.“
Die nothwendige Folge der Fertigstellung der
Gotthardstraße müßte zunächst ein Handels ver⸗
trag mit Italien sein, welcher den Produzenten
»eider Länder möglichst große Erleichterungen ge⸗
vährte. Jene reizenden und billig zu erwerbenden
Erzeugnisse der Kunstindustrie, denen Italien von
jeher die Heimath war, würden unsern Häusern
unmuthigen Schmuck verleihen, die Früchte und
Weine ein gesundes und ungemein wohlfeiles
Nahrungsmittel bieten, die Seidenstoffe der Lom⸗
bardei durch den geringeren Preis mit der franzosischer
Pruduktion erfolgreich konkurriten. Wir können
wiederum für unsere Eisenwaaren, für Kohlen und
ür die Erzeugnisse unserer Textilindustrie eines der
lohnendsten Absatzgebiete finden. Aber um dies zu
erreichen, ist ein Entgegenkommen noͤthig, welches
die Produktion in beiden Ländern anspornt und ihr
den Weg durch den Gotthard auch wirklich er—
cchließt. Je eher dies geschieht, um so eher wird
auch der Hauptzweck des Gotthardweges erreich!
werden.
Eine fernere Erwägung drängt sich uns bei der
kröffnung der Gotthardbahn unabweislich auf und
roͤffnet aus der trüben Gegenwart einen frohen
Blick in die Zukunft. Wenn es ein Widerspruch
ist, der auf die Dauer nicht bestehen kann, daß man
die natürlichen Hindernisse des freien Verkehrs immer
nehr beseitigt und zu gleicher Zeit künstliche Hin—
dernisse für denselben erzeugt, dann ist es auch ein
Widerspruch, daß man durch Wegräumung der na⸗
rürlichen Festungen, welche die Berge bilden, dem
Brundsatz von der friedlichen Völkerverbrüderung
hatsachlich Zugeständnisse macht und zugleich immer
zrößere Kriegslasten auf die Nationen häuft. An
diesen beiden Widersprüchen, welche eng mit ein⸗
ander verbündet sind, muß schließlich die heutige
Staatslunst scheitern. Die Mauern der Zolle,
welche man aufrichtet, dienen nicht sowohl dazu
die Produktion im Lande zu schützen, vielmehr
werden die immer steigenden Staatseinnahmen,
welche sie abwerfen, von den immer steigenden Kosten
'ür die Unterhaltung der ungeheuern Kriegsmacht
ast gänzlich verschlungen. Da es aber nicht mehr
möglich ist, dem Fortschritte der Menschheit zu wider⸗
tehen, da man gezwungen ist, durch Telegraphen,
Schienenwege, die Erschließung früher unwirthlicher
Bergstraßen und die Beseitigung der Landengen die
Lölker immer enger mit einander zu verbinden, so
verden mit Naturnothwendigkeit auch die künstlichen
Hemmnisse fallen müssen, welche der Verbindung in
den Weg gelegt werden.
Das ist die Zubversicht, welche wir aus dem
vollendeten Werke der neuen Völkerstraße schöpfen.
Es ist die tröstende Zuversicht auf den sieghaft vor—
wärtsschreitenden Genius der Menschheit.
Politische Uebersicht.
Deutsches Reich.
Nach ministerieller Anordnung haben
in Bayern am Tage der allgemeinen Berufszählung
5. Juni) die Schulen geschlossen zu bleiben.
Nach den in Berlin eingetroffenen Berichten
aus Friedrichsruh erholt sich der Reichskanzler
nur sehr langsam von seiner letzten schweren Er⸗
krankung. Der Fürst ist noch immer sehr leidend,
er fühlt sich schwach und angegriffen; dennoch ist
eine glückliche Wendung zum Bessern zu verzeichnen
und der Fürst hofft, daß er bis Pfingsten soweit
hergestellt sein werde, um Friedrichsruh verlassen
zu können. Wahrscheinlich dürfte dann der Reichs⸗
kanzler einige Wochen in Berlin bleiben, um Ende
Juni seine Cur anzutreten. Von dem Gutachten
der Aerzte wird das Weitere abhängen.
Als Nachfolger des jetzigen Breslauer Fürst⸗
bischofs Hertzog als Berliner Domprobst wird der
Militär⸗-Pfarrer Aßmann in Neiße genannt.
Ausland.
Paris, 21. Mai. Gestern wurde die Schluß⸗
ibrechnung der Kriegskosten vom Jahre 1870 vor
die Kammer gebracht. Man sah der Sitzung mit
einiger Spannung entgegen, da man glaubte,
Tassagnac würde die oft erhobenen Anklagen, daß
Bambetta Gelder unterschlagen habe, auf der
Tribüne wiederholen. Gambetta war erschienen.
TFassagnac und seine Freunde fehlten aber; vermuth⸗
iich wollien sie ihrem Gegner nicht Anlaß zu einem
zratorischen Triumph geben. Im Abendblatt des
„Pays“ entschuldigte Cassagnac sein Nichterscheinen
und erklärte, er sei nicht gekommen, weil er die
Details nicht genau genug kenne. Die zweite Hälfte
des Krieges habe er damals in deutscher Gefangen⸗
chaft zugebracht und habe übrigens nie beabsichtigt.
u sprechen, selbst wenn er erschienen wäre. Hätte
hn Gambetta provozirt, so hätte er sich vielleicht
hinreißen lassen lassen. Jedermann wisse, daß von
der Morgan⸗Anleihe 48 Millionen nicht verrechnet
seien, über welche Morgan oder Gambetta Aus—
kunft geben müsse.
Aus Rom, 21. Mai, wird dem „D. M.⸗Bl.“
elegraphirt: Es heißt, der intimste Freund des
papstes, der Bischof Rotelli, werde in vertraulicher
Mission nach Berlin und Petersburg gehen.
Rom, 21. Mai. Am gestrigen Gotthard⸗
Bankett zu Genua toastete der deutsche Botschofter
Herr v. Keudell auf Italien und das Königshaus
Zavoyen, dabei Italiens Initiative zum Gotthard⸗
Tunnelbau anerkennend. Der italienische Minister
Baccarini toastete auf den deutschen Kaiser und
die Schweiz.
Newyork, 21. Mai. Das englische Schiff
Western Belle“, von Greenock, ist in Folge Col—
ision mit einem Eisberge gesunken. Der Kapitän
und 13 Mann sind umgekommen, 6 Mann gerettet.
Lokale und pfälzische Nachrichten.
*St. Ingbert, 23. Mai. Heute Vormittag
fand im Stadthaussaale dahier die in vor. Nr. er