Full text: St. Ingberter Anzeiger

verwerflich aus folgenden Gründen: a) ihre Ein— 
wirkung auf die Kinder steht zum Theil mit der 
Erziehung zum sittlichen Charakter in Widerspruch 
b) sie greift störend in den Unterricht ein; 0) nicht 
die Schule, sondern allein die Familie kann das 
Geldsparen der Kinder leiten und kontroliren; d) 
in der Erziehung zum sittlichen Charakter ist die 
Erziehung zur Sparsamkeit eingeschlossen; insbe— 
sondere verfügt die Schule über hinreichende Mittel 
zur direkten Pflege des Sparsinns; 0) die Schule 
darf nicht den Zwed haben, Filiale der öffentlichen 
Sparkasse zu sein. 2. Der vierte deutsche Lehrer— 
tag empfiehlt die Einrichtung der Kinder⸗ und 
Pfennigsparkassen ohne Verbindung mit der Schule 
und ohne die amtliche Betheiligung der Lehrer 
a) weil diese Kassen Jedem Gelegenheit geben, 
selbst die kleinsten Ersparnisse zinstragend zu be— 
iegen, b) weil mit ihnen die schädlichen Wirkungen 
der Schulsparkassen nicht verbunden sind. — Kor⸗ 
referent ist Herr Pastor Senckel aus Hohenwalde 
Geschäftsführer des Vereins für Gründung von 
Jugendsparkassen in Deutschland. 
GDas Lippenbeißen.) Vor einigen 
Tagen ist einer jungen Dame in Berlin der be— 
ginnende Lippenkrebs mit glühendem Eisen ausge— 
brannt worden. Verursacht war derselbe durch ge⸗— 
wohnheitsmäßigen Druck der Zähne auf die Lippen. 
Komptoiristen und Briefschreibende glauben öfter, 
sich die Gedanken aus den Lippen saugen zu können, 
während sie in Wahrheit nur einem Krebsgeschwür 
vorarbeiten. Auch viele Damen versuchen sich oft 
durch ein Beißen auf die Unterlippe ein energisches 
Aussehen zu geben und theatralische Wirkung zu 
erzielen. Wer daher unter seinen Angehörigen einen 
Lippenbeißer hat, möge mit allen Mitteln dafür sor 
gen, ihm diese verhängnißvolle Unart abzugewöhnen. 
4 Ein Bärenfrühstück. In Wesel trug sich 
vor einigen Tagen eine heitere Szene zu, als ein 
Bärenführer mit einem Kameel, 3 Affen und 
„Papa Braun“ daherkam und letzterer einen Bäcker⸗ 
jungen erblickte, diesen mit seiner Tatze zur Erde 
warf und sämmtliche Brödchen, die der Bäckerjunge 
in einem Korbe trug, gierig unter endlosem Jubel 
einer Kinderschaar verschlang. Der Bärenführer, 
der diesen „Raubanfall“ hintertreiben wollte, wurde 
ebenfalls vom Bären aufs Pflaster gezogen und so 
blieb nichts anderes übrig, als den Bären ruhig 
gewähren zu lassen. Nachdem er den Korb voll 
Zrödchen verschlungen, ließ er sich wieder ganz 
friedlich zum Tanz antreiben; der Bärenführer aber 
mußte das Bärenfrühstück mit 4,20 Mk., wollend 
oder nicht wollend, bezahlen. 
(oethe sim Urtheil seiner Zeitge— 
nosssen.) Julius W. Braun, der rühmlichst be— 
kannte Herausgeber des 3-bändigen Sammelwerks 
„Schiller im Urtheile seiner Zeitgenossen,“ wird dem⸗ 
aächft eine ähnliche verdienstvolle, von eisernem Fleiß 
und großer Belesenheit zeugende Schrift in Bänden 
„Goeihe im Urtheil seiner Zeitgenossen“ vernffent⸗ 
lichen. Wir sind bereits durch die Güte des Herrn 
Herausgebers in den Besitz des ersten Aushaͤnge— 
bogens gelangt und schon diese eine Probe deutel 
darauf hin, daß das Buch die größte Sensation 
hervorrufen muß. Es liegen uns aus dem Jahre 
1773 einige Urtheile der Zeitgenossen Goethe's über 
„Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand“ vor. 
Wir theilen hier nur Einiges aus der Kritik Wie⸗ 
land's im „Deutschen Merkur“ mit, wobei wir be⸗ 
merken, daß dieses Erstlingsdrama unseres Dichter— 
fürsten zuerst anoym erschien und im „Gelehrten⸗ 
Zeitungs⸗Comtoir, 36 Kreuzer kostete: „Wir zeigen 
den Lesern jetzo ein Drama an, bei dem unsere 
kritischen Liencees staunen, und ungewiß sein werden, 
in welche Klasse sie es setzen sollen. Ein Stück, 
worin alle drei Einheiten auf das grausamste ge⸗ 
mißhandelt werden, das weder Lust⸗ noch Trauer⸗ 
spiel ist: und doch das schönste interessanteste Mon⸗ 
firum, gegen welches wir hundert von unseren komisch⸗ 
weinerlichen Schauspielen austauschen möchten, deren 
Versasser dafür sorgen, daß der Puls ihrer Leser 
nicht aus seinem gewöhnlichen Gange gebracht, und 
ihre Nerven von keinem fieberhaften Anfalle schauern⸗ 
der Empfindung ergriffen werden. Wir wissen nicht, 
ob der Verfasser das Glück oder Unglück haben wird, 
mehr solche schwache Leser anzutreffen, als wir auf⸗ 
richtig gestehen, daß wir gewesen sind. Wir hatten 
dies Schauspiel, wie der Verfasser es nennt, schon 
mehrere Male gelesen und glaubten, daß durch diese 
so kurz hinter einander und wiederholte Lektüre 
insere Empfindungen bis auf einen Grad von 
Mäßigkeit herabgestimmt waren, der nöthig ist, um 
Alenden angenehmen sowohl als unangenehmen 
Eindrücken einer Lektüre nachzuspüren und ruhig 
über unsere Vergnügungen raisonniren zu können. 
Aber diese ersten Versuche waren noch immer ver— 
zeblich: ehe wir es uns versahen, waren wir wieder 
mitten im Taumel der Empfindung, und alle Regeln 
elbst der Vorsatz, zu kritisiren, verschwanden wie 
Schattenbilder vor dieser kräftigen Sprache des 
hderzens.“ (Frkf. 3.) 
f Der König der Niederlande besuchte 
am 13. Juli Nürnberg und machte bei verschiedenen 
Beschäftsleuten Einkäufe. So erwarb er u. A. 
alte Krüge sowie Metallarbeiten der früheren Nürn— 
»erger „Beckschlager“. Der König fuhr nach 12 
Uhr ins germanische Museum und besuchte hierauf 
die Ausstellung. 
Das hollendische Truppentransportschiff „Ad⸗ 
der“ ist in der Nähe von Scheveningen vor wenigen 
Tagen mit Mann und Maus untergegangen, wie 
nan aus jetzt erst aufgefichten Leichen ersieht. Die 
Bemannung betrug etwa 60 Personen. 
F(GDer Bierkonsum in Italiem haf 
seit ein paar Jahren bedeutende Dimensionen an— 
zenommen. Nach einem erschienenen Zollnachweis 
wurden im ersten Semester dieses Jahres allein von 
österr. Biere in Italien 61,484 Fässer importirt 
Rechnet man hiezu noch den Import von bayerischem 
Biere und den Konsum der in den nun bereits 
zah lreich entstandenen einheimischen Brauereien fabri— 
zirten Biere, so dürfte in Italien, wo man das 
Bier in füheren Jahren meist nur in Delikatessen— 
handlungen bekam, es nun bald auch zu den Na— 
tionalgetränken gerechnet werden. 
F Ueber das am 12. ds. Mis. stattgehabte 
Fisenbahnunglück in Rußland (siehe Nr. 188 
erhält das B. T. noch folgende Details: Die Ent 
Jleisung war durch einen Wolkenbruch veranlaßt 
welcher den ca. 15 Meter hohen Bahndamm unter 
wühlt, und das anstoßende Terrain in einen voll⸗ 
tändigen Sumpf verwandelt hatte. Gleichzeitig 
obte ein furchtbarer Orkan, welcher Telegraphen⸗ 
tangen ausriß und den Zug entgleiste. Acht 
Waggons stürzten herunter und versanken im Sumpf. 
so daß die Passagiere gleichsam lebendig begraben 
vurden. Auf der Abgangsstation sollen 239 
Passagiere in dem Zuge gewesen sein; davon sind 
34 unverletzt, 35 verletzt und 140 spurlos ver—⸗ 
schwunden. Mit Hilfe der Zugleine wurden fünf 
Personen aus dem Sumpf gezogen. 
4 Ein interessantes telephonisches Srper— 
iment fand gestern während der Beschießung der 
Forts von Alexandrien in Malta statt. Ein Tele— 
phon war in Malta an das Alexandrier Kabel an⸗ 
zgebracht und mit dem andern Ende des Kabels an 
Bord des auf der Höhe von Alexandrien liegenden 
Dampfers „Chiltern“ in Verbindung gebracht worden. 
Es wurde gefunden, daß entweder infolge der Dist— 
anz oder der durch das Feuer verursachten Schwing⸗ 
ung es thatsächlich unthunlich war, eine mündliche 
Botschaft zu senden, aber das Bombardement von 
Alexandrien wurde durch das Telephon in Malta 
— eine Entfernung von mehr als 1000 (englische) 
Meilen — deutlich gehöri. 
F (GEine entschlossene Frau) Der 
Sohn des Dichters Karl Gutzkow lebt seit längeren 
Jahren in Kalifornien und hat dort eine Ameri⸗ 
kanerin von echtem Schlage geheirathet, welche durch 
einen kühnen, wenn auch etwas gewaltthätigen Akt, 
der in der Liebe zu ihrem Gatten seine Triebfeder 
hatte, die Heldin der Pacificküste, geworden ist. 
Sie befand sich nämlich mit ihrem Manne auf dem 
Wege nach Redwood City in Kalifornien; ihr 
leichtes Buggy war jedoch von dem durchgegangenen 
Pferde zerschmettert worden und ihr Gatte lag mit 
berstauchten Fußen und einem gebrochenen Arme 
in der Chaussee. Ein mit geräumigem Wagen des 
Weges einherfahrender Mann wurde von ihr mit 
der Bitte angesprochen, sie und ihren Gatten mit 
ur Stadt zu nehmen, weigerte sich dessen aber unter 
»em Vorgeben, daß er zu große Eile habe. Da⸗ 
rauf zog Frau Gutzkow aus der Brusttasche des 
leberziehers ihres Gatten einen Revolver, fiel dem 
Iferde des Passanten in die Zügel, legte auf ihn 
elber an und versicherte mit eiserner Ruhe, daß 
dies seine letzte Fahrt sein werde, wenn er ihrer 
Bitte nicht nachgebe. Gegen solche Argumente hals 
kein Wiederstreben und der Fremde brachte die 
Ehegatten zur Stadt, zitirte aber Frau Gutzkow 
dort vor den Richter. Dieser entließ die resolute 
Frau mit dem wärmsten Lobe ob ihrer heroischen 
Aufopferung für den leidenden Gatten, welcher be 
yer Verhandlung, wie die kalifornischen Blätter be— 
richten, selbst aussagte, daß er der Sohn d 
deutschen Dichters Karl Gutzkow sei. 
Gassacre inder Südsee!) Lihdp 
ist von einem neuen Massacre, das von — 
sulanern unter Angehörigen des deutschen Reih 
angerichtet worden ist zu melden. Ein Mitathn 
des lüg. Linz. f. Rhld, u Wesif.erhäe 
die nachfolgenden authentischen Mittheilungen dich 
aus der Südsee: Am 2. Mai, Morgens 4 uüh 
erreichte die auf einer Fahrt von Paugir Gwist 
Celebes und den Philippinen) nach Matupi —* 
britannien) begriffene, Freya“ die mit einem Korcle 
chiff umgebene Inselgruppe der Hermits und 
tieht auf ein Korallenriff. Sofortiges Rückwän 
schlagen der Schraube und Ausbringen eines Anlen 
um das Schiff abzuhiewen, erwies sich, da a 
Wasser schnell fiel, als fruchtlos, und es blieb nich 
übrig, als auf das nächste Hochwasser zu warh, 
An Land schien nicht alles in Ordnung zu sen 
keine Vertreter der deutschen Station noch ein kin 
geborener ließ sich blicken; einige Kerle husche 
zwischen den Hütten hin und her. Dennoch ginge 
der Kapitän und ein deutscher Kaufmann ans Lam 
wo sie sofort auf die Trümmer der deutschen Stato 
tießen. Alle Häuser waren anscheinend vor längern 
Zeit niedergebrannt, im Dorf war keine Seele z 
sehen, doch zeigten alle Häuser Spuren, daß sie ti 
por wenigen Minuten verlassen waren. Der ha 
pitän und sein Begleiter kehrten zum Schiffe zurüs 
bewaffneten sich mit Hinterladerkarabinern nnd Re 
volvern und nahmen einen japanischen Matrofe 
mit, um mit den Leuten zu sprechen. Kaum 10 
Schritt vom Boote entfernt, wurde der Kapitä— 
durch einen Schuß aus dem Gebüsch getroffen un 
war sofort todt. Nun eröffneten die Wilden ei 
lebhaftes Feuer, so daß der deutsche Kaufmam 
und der genannte Matrose nur wie durch ein Wunde 
unverletzt das Schiff mittelst des Bootes erreichten 
das an 5 Stellen von Kugeln durchbohrt war 
Aber auf dem Schiff, wo große Verwirrung herrschte 
war die Lage nicht minder gefährlich. Die Kugel 
pfiffen fortwährend um die Bemannung herum, di 
sich nur mit Mühe mittelst einiger auf Deck stehenden 
Zisten schützte. Ein Schiffsjunge wurde durch ein 
Kugel, die ihm durch den Oberschenkel in den Baud 
drang, augenblicklich getödtet, und dadurch namentlie 
unter den Chinesen, welche in der Bemannung waren 
die Furcht vergrößert. Trotzdem mußte man während 
des Bombardements mit größter Energie daran ar 
beiten, die ganze Ladung über Bord zu werfen, un 
den Dampfer bis zum Abend genügend erleichten 
zu haben, da Allen klar war, daß man eine Nach 
aicht aushalten würde. Um 4 Uhr Nachmittag 
war alle Fracht im Hinterraum — hauptsacht 
aus Cogra (Cocosnußkern) bestehend — geworfen, 
und es wurden die ersten Versuche gemacht, slot 
zu werden. Die Maschine ging auch mit vol⸗ 
straft rückwärts, und man begann am Anker hinten 
zuhiewen. Doch mußte das bald aufgegeben werden 
weil die Wilden das Schießen mit erneuterhHeftir 
teit aufnahmen und das Schiff mit einem Kuge 
regen formlich übersaeten. Jetzt hieß es, mit Auß 
bielung aller Krafte auch die schweren Güter de 
Vorderraums noch zu werfen. Um 5 Uhr wu 
ein ziemliches Gewicht nach faft übermenschlich 
raflanstrengung beseiligt, die Maschine schlug wiede 
an und nadh viertelstündiger nochmaliger Arbeit wit 
die „Freya“ langsam und ward wieder flott. Du 
Freudengeschrei der Malrosen war fast so betaubend 
vie das Geheul der am Lande stehenden — 
velche noch forlwährend feuerten. Än Rettung de 
zeworfenen Gutes konnie natürlich nicht gedad 
werden, „Freya“ nahm daher Kurs nach der — 
passage und langte am 13. Mai glücklich in 3 
iupi an. Wie mein Gewährsmann bermun 
haben Salomons⸗Insulaner, welche auf der * 
mitsgruppe beschäftigt waren, den Trader ermot 
die deutsche Station verbrannt und sich zuget 
den Besitz der dort lagernden Waffen — 
ind Munition gesetzt, mit denen sie das morde 
Feuer auf die “ Freha erbffneten. Hoffentlich is 
Vant bald ein beltshes Krieheschiff, um die Sch 
auf den Hermits entsprechend zu züchtigen. m 
fEine Festrede. ——ã 
ich Das sagen wollte, was ich an diesem fe siß 
Tage alles sagen koͤnnte, so wüßt ich wahrh soi 
zar nicht, was ich sagen sollte. — Nun, ig 5 
jar nichts. — Aber was ich sagen wolee 
muß ich sagen: es hat auch gar nichts zu 
aß man wicht weiß was man sagen soll bean 
zas muß man sagen, dieses Fest meine 
pricht für sich selbst!“