Full text: St. Ingberter Anzeiger

zjespitzt. Es handelte sich um die Frage, ob der 
dongreß nur über eine von den Kammern vorge— 
legte Frage berathen dürfe, wie Gambette erklärt, 
oder ob er souverain sei. „Was würden Sie thun?“ 
fragte Barodet, von der äußersten Linken, den Mi⸗ 
nisterpräsidenten, „wenn der Kongreß sich über diese 
Grenze hinwegsetzt?“ „Was er außerhalb dieser 
Grenze ihäte,“ antwortete Gamoetta, „wäre unge— 
setzlichh.“ Legrand: „Was würd? hierauf geschehen?“ 
Gambetta: „Was gegenüber allen revolutionären 
Maßregeln geschieht.“ Legrand: „Würden Sie sich 
für berechtige halten, den Kongreß aufzulösen?“ 
GBambetta: „Ich kann darauf nicht anworten.“ 
Nach Kurzem Zögern setzte er hinzu: „Das wäre 
Sache des Präsidenten der Republik.“ Clemenceau: 
„Aber um zu handeln, braucht der Präsident einen 
Minister.“ Gambetta: „Man würde immer Mi⸗ 
nister finden.“ Hierauf rief Langlois, ein bekannt⸗ 
lich sehr erregter Mensch, übrigens von der Partei 
der gemäßigten Republikaner: „Das ist organisirte 
Insurrektion!“ Die Aufregung, die nun entstand, 
war so groß, daß man die Siztzung für eine halbe 
Stunde fuspendirte. Die Kommissions-Mitglieder 
erzählten sofort das Vorgefallene in den Couloirs, 
welche von Abgeordueten gefüllt waren. Die 
Freunde Gambettas suchten seine Worte abzu— 
schwächen, er selbst soll dies gleichfalls versucht 
haben. Hierauf wurde die Sitzung wieder aufge— 
nommen und über das Listenstrutinium, auf dem 
Gambetta zu bestehen erklärte, berathen; man be— 
schloß, diese Frage von der Senatsrevision zu 
rennen. Die Frage, ob das Mandat des Kon⸗ 
gresses begrenzt oder unbegrenzt sei, ob derselbe 
sonderän beschließen oder nur über die Regierungs⸗ 
vorlagen abstimmen dürfe, wurde nicht präjudizirt. 
Die Lage Gambetta's wird von Stunde zu 
Stunde schlimmer. Ein wahres Wuthgeschrei erhebt 
sich in vielen französischen Blättern über die Aeußer⸗ 
ungen des Herrn Gambetta auf die Frage, was 
zeschehen würde, wenn der Kongreß sich über die 
ihm dpn den beiden Kammern eventuell gesteckten 
Grenzen hinwegsetzte. Die Einen vergleichen ihn 
mit dem Staatsstreicher vom 2. Dezember, die An⸗ 
deren) zum Mindesten mit Herrn Guizot, als dieser 
—— sein Einschreiten gegen die Bankete die Fe— 
zruar⸗Revolution herbeiführte. Wir unsererseits 
müssen indeß gestehen, daß Herr Gambetta lediglich 
die Consequenzen seiner eigenen Theorien gezogen 
hat. Zum Unglück ist nun diese selbst eine schlech— 
terdings unhaltbare. In den Verfassungsgesetzen 
findet sich kein Wort darüber, daß die beiden 
Kammern berufen wären, dem Kongreß seine Tages⸗ 
ordnung vorzuzeichnen. Selbst wenn aber das 
Plenum hier auf die Seite des Herrn Gambetta 
fritt, was nur schwer anzunehmen ist, wird er noch 
immer am Listenskrutinium scheitern. Sein Sturz 
scheint uns unvermeidlich. 
Zur Losung der Gambetta⸗Krisis in Frank⸗ 
reich werden verschiedene Vermittilungsversuche 
—5 Eine Anzahl regierungsfreundlicher De— 
putirten sollte zusammentreten, um über Vorschläge 
zu einer Wiederannäherung zwischen Gambetta und 
der Kammermehrheit zu derathen. Man hält es 
für möglich, die Stellung des Cabinets durch ein 
Hertrauensvotum neu zu befestigen, noch ehe die 
Verfassungsrevision in der Kammer zur Berathung 
gelangt. Das wäre aber doch nur Flickarbeit, die 
höchstens auf Tage vorhalten würde; ein Ver— 
trauensvotum in irgend einer Nebenfrage kann ein 
Cabinet, das in der Haupifrage Schiffbruch leidet, 
nicht über Wasser halten. Gambetta fühlt das 
jehr wohl, und er sucht daher den ganzen Conflict 
auf ein anderes Gebiet hinüberzuspielen. Eine 
Handhabe hierzu giebt ihm der Umstand, daß die 
Mehrheit des Kammerausschusses nicht etwa nur 
aus Gegnern des Listenscrutiniums, sondern aus 
Anhängern einer allgemeinen, unbegrenzten Ver— 
fassungsrevision besteht. Die gambettistischen Blätter 
betonen nun, daß es sich jetzt nicht mehr um das 
Listenstrutinium oder um sonstige partielle Aender⸗ 
ungen, sondern um den Bestand der Verfassung 
selbst handle, wobei namentlich die Existenz des 
Senats in Gefahr sei. Gambetta selbst hat in der 
Revisions⸗-Commission ganz ähnlich hervorgehoben, 
daß die Verfassung bedroht sei, wenn dem Congreß 
eine unbeschränkte Vollmacht ertheilt würde; ein 
derartiges revolutionäres Vorgehen würde der Präsi⸗ 
dent der Republik als Hüter der Verfassung nicht 
dulden können. Stellt Gambetta die Frage so, 
dann kann er sich vielleicht noch mit einem halben 
Erfolg aus der Affaire ziehen, indem er die all— 
gemeine Revision vereitelt und der Kammer ein 
Votum für begrenzte Revision abringt. Auf sein 
Listenserutinuum mußte er dann allerdingo vo- 
äufig verzichten. Es liegt nicht außer dem Be— 
eich der Moglichkeit, daß Gambetta sich in seiner 
etzigen Zwangslage mit einer derartigen Lösung 
efreundet. 
Paris, 22. Jan. (Das Rekrutirungsgesetz.) 
der „Temps“ kann einige nähere Angaben über 
»as nenue von dem Kriegsminister, General Cam⸗ 
jenon, entworfene Rekrutirungsgesetz machen. Dar⸗ 
jach wären folgendes die Grundzüge dieser Vor—⸗ 
age: Der Militärdienst ist für Jedermann obliga⸗— 
orisch. Die Dauer der Dienstzeit beträgt drei 
olle Jahre; aber da die Rekrutirung ein Effectiv 
on 70,000 Mann mehr liefert, als dem Budget 
emäß unterhalten werden könnte, so ergibt sich 
ie Nothwendigkeit, aus den drei unter die Fahnen 
erufenen Contingenten eine gleiche Anzahl auszu— 
cheiden. Demgemäß werden 10,000 Mann in 
zrer Eigenschaft als unerläßliche Stützen ihrer 
amilien von jedem Dienste entbunden, 10,000 
Pann die für ihre Familien nicht ganz unentbehr⸗ 
ich, aber doch sehr wichtig sind (Familienstützen 
weiten Grades), nach einjährigem Dienste und 
20,000 Mann nach zweijährigem Dienste entlassen. 
luf diese Weise wird das erste Contingent um 
O,000, das zweite um 20,000 und das dritte 
m 40,000 Mann herabgesetzt, was für die drei 
dienstjahre zusammen die erforderte Reduction von 
'0O,000 Mann ergibt. Um die Rekrutirung der 
ungen Leute, die sich einem höheren Berufe widmen, 
u erleichtern, soll gestattet sein, die Einberufung 
erselben durch drei Jahre aufzuschieben, während 
ie andererseits, wenn sie das vorziehen, schon im 
Alter von 17 statt, von 18 Jahren in die Armee 
eintreten könnten. 
RNom, 22. Jan. Guiseppe Garibaldi 
vurde in Neapel, wo er seit dem Jahre 1860 nicht 
nehr gewesen, mit namenlosem Jubel empfangen, 
Die Spitzen der Behörden begaben sich an Bord 
eines Schiffes. Garxibaldi, der überaus leidend 
st, mußte auf einer Trabgahre ausgeschifft werden. 
Die Ufer waren von unabsehbaren iubelnden 
Holksmassen besetzt. 
Der König von Spanien ist am 18. ds. 
von seinem Besuche beim portugiesischen Hofe nach 
Hdadrid zurückgekehrt. Während der König von 
bortugal dem spanischen Monarchenpaar zu Ehren 
zllänzende Feste gab, prächtige Jagden veranstaltete 
ind überhaupt eine große Intimität an den Tag 
egte, war der Empfang der spanischen Gäste sei— 
tens des portugiesischen Volkes ziemlich kühl. 
In Petersburg wird demnächst der große 
Prozeß gegen die eingefangenen Nihilisten⸗— 
ührer zur Verhandlung kommen. Den Ver— 
zrechern ist die Anklageschrift bereits zugestellt 
vorden. Unter den Angeklagten befinden sich von 
Adeligen fünf Männer, zwei Frauen, ferner 183 
Zürgerliche, die Frau eines Beamten und die 
Tochter eines Priesters. Das Haupt der Partei 
var der 25jährige Alexander Michailow. Es han⸗ 
»elt sich um acht gegen das Leben des Zaren 
Alexander Il gerichtete Attentate. Außer diesen 
acht Attentaten kommen zur Verhandlung: Der Mord 
des Generals Mesentzow, der Millionendiebstahl 
aus der Kronrentei in Cherson, der mißglückte Ver⸗ 
suuch, die Kronrentei in Kischinew zu bestehlen. 
Die Staatsanwaltschaft beantragt für alle Ange⸗ 
lagten die Todesstrafe. 
Konftantinopel, 22. Jaa. Man nimmt 
hzier an, daß Oesterreich, Italien, Rußland und 
Deutschland in Folge des jüngsten englisch⸗franzö— 
ischen Rundschreibens bezüglich Aegyptens sich eben⸗ 
falls äußern würden, damit ihr Schweigen nicht 
‚ahin gedeutet werde, daß die ägyptische Frage 
son ihnen als eine rein französische Frage aner— 
annt werde. 
In dem unsäglich wiederwärtigen Prozeß 
Buiteau sprach der Verteidiger Scoville am 
Donnerstag ein schneidendes Wort aus. Derselbe 
rklärte die Arthur, Conkling und Grant, nament⸗ 
ich die beiden letzteren, wegen ihrer gegen Garfield 
eobachteten Haltung als an der Mordthat des 3. 
Juli moralisch mitschuldig. Die besondere Herbor⸗ 
ebung der beiden letzteren Führer des „Ringes“ 
st wohl nur eine formelle Höflichkeit gegen den 
etzigen Präsidenten der Vereinigten Staaten; that⸗ 
ächlich richtet sich die ganze Wucht der Erklärung 
jegen ihn. Für die Ausschreitungen ihrer Partei 
nitglieder sind die Parteien überhaupt stets mit 
»erantwortlich; es ist dies eine Solidarität, deren 
tetes Bewußtsein das politische Leben viel moralischer 
Jestalten würde, als es ist. „Jetzt ist Arthur Präsi— 
ella, ugen Guticuus, 
Schusse zusammenbrach. 
Lokale und vpfälzische Nachrichten. 
() St. Ingbert, 24. Jan. Die gesterr 
Abend bei Wiw. Poller stattgehabte General—. 
»ersammtung des Gewerbe-Vereins wa' 
»erhältnißmäßig nur schwach besucht. Nach Ent 
gegennahme der Jahresrechnung pro 1881 wurd 
iese von einer Commission geprüft und für richtig 
efunden, worauf die Versammlung dem Rechne 
decharge ertheilte. Das vom Ausschusse in seiner 
ttzten Sitzung festgestellte Budget pro 1882 wurd— 
odann ohne Aenderung angenommen. Die nur 
clgende Neuwahl hatte nachstehendes Refultat 
. Vorstand: Hr. J. Woll, Lakirer; 2. Vor— 
tand: Hr. K. Umbehr, Schlossermeister 
techner: Herr Schreinermeister Morlo 
„chriftführer und Bibliothekar: Hr 
ehrer Günther; Beisitzer: die Herren 
Sieber, Gipser, Seibel, Buchbinder, Wag 
nrer, Dachdecker, J. Pfleger, Maurermeistert 
hdellenthal, Maurermeister und Tock, Uhr— 
nacher. 
- Die in der Pfalz erhobene Kollekte zur 
Anschaffung einer Orgel in der prot. Kirche zu 
Atterberg hat den Betrag von Mk. 1595,15 
ergeben. (Pf. Pr.) 
— Kaiserslautern. Der Stadtrath be— 
chloß, ein Anlehen von 600,000 Mk. aufzunehmen 
rus welchem eine Reihe außerordentlicher Ausgaben 
zestritten werden soll, so das Aufsetzen eines dritten 
Stockes auf das Rathhaus, Canalisation, Pflaster⸗ 
irbeiten, Schlachthausbau, Tilgung der Restschuld 
»es Annuitäten⸗Anlehens von 1870 im Betrag 
on 200,000 Mk. Zuschuß für die Lauterthalbahn, 
20,000 Mk. ꝛc. Die Zustimmung einer zu be— 
ufenden Bürgerversammlung zur Aufnahme des 
Unlehens ist vorbehalten; dann erst wird sich der 
3tadtrath schlüssig machen, ob er Obligationen 
usgeben oder mit der badischen Versorgungsanstalt 
»as Annuitätencapital⸗-Geschäft fortsetzen will. 
Der k. Oberpostmeister Herr Sator in 
Speyer wurde am Samstag Abend in der Ge⸗— 
ellschaft „Harmonie“ vom Schlage getroffen und 
tarb kurze Zeit darauf. Herr Salor hatte die 
Stelle des Oberpostmeisters der Pfalz nur etwo 
in halbes Jahr bekleidet. 
Vermischtes. 
Das tägliche Einkommen verschiedener eurs⸗— 
däischer Fürsten beträgt: 
Zaiser von Rußland 125,000 Fr 
Sultan Hamid 90,000, 
daiser von Oesterreich 50,000, 
deutscher Kaiser 41,000, 
dönig von Italien 32,000, 
Zräsident der französischen Republik 25,000, 
Dagegen muß sich der Präsident der Vreinigten 
ctaaten mit einem täglichen Gehalt von 350 Fr 
ufriedenstellen. 
Vorgestern früh zwischen 7 und 8 Uhr wurd⸗ 
der ledige Tagner Theobald Roth, 51 Jahre alt, 
von Iggelbach, an den Neuwiesen, eine viertel 
Stunde von Iggelbach, erfroren aufgefunden. 
F Die bisherigen Nachrichten über den höchsten 
Bewinn der Brückenauer Lotterie (50,000 
Marhk) sind alle falsch. Das betreffende Loos ist 
yon der Nürnberger Collecte Müller und Co. nach 
Rorddeutschland verkauft worden. Gemeldet bat 
ich noch Niemand. 
Das größte Wunder Europas wird gerad 
n einer Schaubude in Metz den erstaunten Leuten 
orgezeigt. Es ist dies nämlich eine lebende Doppel⸗ 
nißgeburt eine Kuh mit zwei Köpfen, 
vovon einer die Form eines Hundskopfes hat, * 
Füße, wovon 3 auf dem Rücken. Eines der beiden 
futer befindet sich unterhalb des Hundskopfes auf 
dem Rücken. Diese ungeheuerliche Abnormität iß 
jor Z Jahren in Werder bei Potsdam zur Welt 
jekommen. Der Besitzer dieses kuriosen Viehstücke— 
äßt auch noch als Nebenwunder einen mit dre 
Füßen zur Welt gekommenen Gaisbock, der spring 
aind voltigict wie ein gewöhnlicher, sowie einen mi 
drei Füßen geborenen Gockel sehen. Merkwürdig 
staritätensammlung das! 
F In Magdeburg hat die Bäcker⸗Innun 
heschlossen, daß die Lehrlinge, welche bei Meistern 
ie der Innung angehören, in die Lehre treten, be 
»er Einschreibung einer Prüfung unterstell t werden 
oslen und daß, falls es sich herausstellt, daß di 
z„chulbildung des Geprüften allzu mangelhaft ist