Full text: St. Ingberter Anzeiger

Fürst Bismarck beginnt eine neue soziale 
Frage zu studieren, die der Zusammenlegung des 
bäuerlichen Besitzes. Er soll sich zu der 
Ansicht hinneigen, daß das System geschlossener 
höfe wieder eingebürgert, ja geradezu bauerliche 
Fideikommisse eingeführt werden. Der preußische 
Hreinister für Landwirthschaft,. Lucius, geht in 
seiner Auffassung dieser Frage lange nicht so weit, 
und es soll deshalb anläßlich der auf der Tages⸗ 
ordnuug stehenden Frage über die bäuerliche Erb— 
folge in Westfalen zu Reibungen zwischen ihm und 
dem Reichskanzler gekommen sein. 
Auslaud. 
Auf Samstag den 28. d. M. sind die öster⸗ 
reichisch⸗ ungarischen Delegationen einberufen 
vorden. In Wien will man jetzt in der That 
die bestimmten Beweise in Hünden haben, daß der 
ufstand in der Herze g o win a von England 
angeschürt worden ist. Der Fürst von Montenegro 
ist so zu sagen von Oesterreich unter Klausur ge⸗ 
nommen; am 19, d, M. beschied er in Gegenwart 
des österreichischen Gesandten Obersten v. Thömmel 
aine um Unterstützung bittende Deputation aus der 
Herzegowina abschlägig und erklärte, wer sich nicht 
die Heimath zurückbegeben wolle, werde von ihm 
in Podgorizza internirt werden. An die Aufrich⸗ 
igkeit des Fürsten zu glauben, werden sich beide 
Theile indeß entschieden hüten; er ist eben nicht 
mehr Herr in seinem Lande und kläglich zwischen 
zem Willen seines kriegslustigen Volkes und der 
sterreichischen Oberaufsicht hin⸗ und hergezogen. 
In einzelnen ausländischen Blättern werden 
aeuestens Versuche gemacht, das deutsch⸗eõ ster⸗ 
reichische Bundniß als nicht mehr so fest 
wie früher darzustellen. Sonderbarer Weise reichen 
sich in diesem Falle die verschiedensten Organe die 
hand und man sieht das seltene Schauspiel, daß 
ungarische Journale mit russischen, slavenfeindliche 
nit panflavistischen, an demselben Strange ziehen. 
Dem Berl. Tgebl.“ schreibt man zu diesem Thema 
don vorzüglicher diplomatischer Seite: Welches auch 
die Motide sein mögen, die einzelne Organe an 
der Festigkeit des deůtsch⸗ osterreichischen Bündnisses 
zweifeln lassen — dieses Bündniß besteht in un⸗ 
Jeschwächter Kraft fort und man darf mit aller 
ẽntschiedenheit behaupten, daß es im gegebenen 
Falle auch die — „Feuerprobe“ bestehen wird. 
Vielleicht wird eine nicht ferne Zukunft diese unsere 
Andeutung — wir beschränken uns für heute auf 
ine bloße Andeutung — durch Thatsachen erhärten 
ind alle Zweifel dann mit einem Schlage ver— 
tummen machen. 
Brünn25. Jan. Gozialistischer Ge— 
heimbund.) Die Staagispolizei hat hier einen 
jozialistischen Geheimbund entdeckt. Der verant⸗ 
wortliche Redakteur der hiesigen Arbeiterblätter, 
Dundela, und die Besitzerin eines Wirths hauses 
in Julienfeld bei Brünn. in deren Wirthshaus ge⸗ 
heime Zusammenkünfte der Sozialistenpartei statt⸗ 
anden, wurden verhaftet. Eine arößere Kahl von 
Zchriften saisirt. 
Paris, 25. Jan. (Drohende Krisis.) 
Die Gambeitistischen Blätter stellen eine furchtbare 
arisis in Aussicht, wenn Gambetta in der Min⸗ 
derheit bliebe. Einer Deputation von Saint⸗Denis 
hei Paris, die ihm ein Banket von 500 Gedecken 
unbot, antwortete Gambetta, „er nehme diese Kund⸗ 
zebung für den Tag nach seinem Sturze an.“ — 
XIX.Siocle“ und andere gemaäßigte republikanische 
Blätter rathen nun auch zur Versöhnlichkeit, aber 
inden diese nur möglich, wenn Gambetta die Listen⸗ 
Abstimmung aufgebe. 
Paris, 22. Jan. Gambeita hofft in 
der Kammer eine Mehrheit von 40 Stimmen zu 
erzielen; dabei rechnet er auf die Stimmen der 
Realtivnäre auf der Rechten, denen gewisse Ver— 
prechungen gemacht sein sollen. Gambetta wird in 
der Donnerstagssitzung sehr stramm auftreten und 
nicht das geringste Zugeftändniß machen. Im 
Ministerrate im Elysee gab Gambetta gestern dem 
Präsidenten Grevy Erklarungeu, in denen er die 
Tragweite seiner Worte in der Samstags⸗Sitzung 
des Revisions⸗Ausschusses abzuschwachen sich bemühte. 
Greby meinte mit einiger Ironie. daß Dies über⸗ 
flüssig sei, da er nicht voraussetzen köͤnne, daß 
jein Conseilspräsidert auf seine Zustimmung zähle, 
wvenn derselbe die Bahn der strengen Gesetzlichkeit 
derlassen wolle. 
Der „Temps“ kann einige Angaben über den 
von dem Kriegsminister General Campenon ausge⸗ 
Abeiteten Enswurf eines neuen französischen 
Rekrutirungsgesetzes machen. Dangach waren 
soldende die Grundzüge dieser Vorlage: Der Mili⸗ 
tärdinst ist für Jedermann obligatorisch. Die Dauer 
der Dienstzeit beträgt drei volle Jahre; aber da 
die Rekrutirung 70,000 Mann mehr liefert, als 
)em Budget gemäß unterhalten werden können, so 
egiebt sich die Nothwendigkeit, aus den drei unter 
ie Fahne berufenen Contingenten eine gleiche An— 
ahl auszuscheiden. Demgemäß werden 10,000 
Mann in ihrer Eigenschaft als unerläßliche Stützen 
hrer Familien von jedem Dienste entbunden, 10,000 
HUann, die für ihre Familien nicht ganz unent— 
ehrlich, aber doch sehr wichtig sind (Familienstützen 
weiten Grades), nach einjährigem Dienste und 
20,000 Mamn nach zweijährigem Dienste entlassen. 
Auf diese Weise wird das erste Contingent um 
10,000, das zweite um 20,000 und das dritte um 
O,O00 Mann herabgesetzt, was für die drei Dienst⸗ 
abre zusammen die erforderte Reduktion von 70,000 
Nann ergiebt. Um die Rekrutirung der jungen 
rdeute, die sich einem höheren Berufe widmen, zu 
rleichtern, soll gestattet sein, die Einberufung der⸗ 
elben durch drei Jahre aufzuschieben, während sie 
indererseits, wenn sie das vorziehen, schon im Alter 
on 17 statt von 18 Jahren in die Armee eintreten 
könnten. 
Wasßhington, 26. Jan. Endlich ist die 
candalöse Komödie des Guiteauprozesses 
hrem Ende genaht; die Geschworenen haben heute 
iach einstündiger Berathung Guiteau des 
Dordes des Präsidenten Garfield 
für schuldig erkhärt. Das Urtheil des 
Richters ist noch nicht bekannt, jedenfalls aber wird 
es auf Grund des Verdicts der Jury auf Tod 
durch den Strang lauten. 
In Aegypten gestalten sich die Dinge immer 
edenklicher. Die Mitglieder der Notablen⸗-Ver— 
ammlung halten es offen mit den unzufriedenen 
Iffizieren, die sich auf ihre Mannschaften stützten. 
Ddie in Aegypten wohnenden Europäer können jeden 
AUngenblick in eine fatale Longe kommen 
Lokale und pfälzische Nachrichten. 
— Kaiserslautern. Die Schächtereifrage 
Jat bekanntlich hier die städtische Verwaltung, die 
Zürgerschaft und die Presse wiederholt beschäftigt. 
euerdings hat nun Hr. Bezirksthierarzt Bauwerker 
»on hier eine „den Thierschutzvereinen gewidmete“ 
Broschüre herausgegeben über, Das rituelle Schächten 
der Israeliten im Lichte der Wissenschaft“, und 
diese Schrift hat, wie der „Stadtanz.“ berichtet, 
den praktischen Erfolg gehabt, daß, obwohl der 
hiesige Stadrath sich in der Frage noch nicht de⸗ 
iinitiv schlüssig machen konnte, Herr Bezirksrabiner 
Dr, Landsberg dahier in so ferne präjudizirend 
ingriff, als derselbe sich nun persönlich von den 
Borgängen beim Blutauffangen geschächteter Thiere 
m hiesigen Schlachthause überzeugt und dann die 
Auffangung des Blutes verboten hat. 
— Bergzabern. An die durch Versetzung 
des Lehrers Wolf nach Blieskafstel erledigte israeli⸗ 
tische Volksschullehrerstelle wurde vom Stadtrath 
Herr Lehrer Salomon Baer (z. 3. in Alsenz 
rüher in St. Ingbert) einstimmig gewählt. 
— Bobenheim, 18. Jan. Paul Elsberger, 
der älleste Maun hiesiger Gemeinde, ist heute im 
Alter von 87 Jahren gestorben. Derselbe erfreute 
iich noch bis vor kurzem einer ausgezeichneten Körper⸗ 
und Geistesfrische. (F. 3.) 
— Speyer, 20 Jan. Die am 17. Jan. 
hier verhaftete Hochstaplerbande zählt als Mitglieder 
rast lauter junge Leute, nur Charles Guerlin, Kauf⸗ 
nann aus Berlin, ist 34 Jahre alt; ihm schließen 
ich an Joseph Riedel, 21 J., Metzger aus Wil⸗ 
zing bei Cham, Xader Burghauser, 19 J., Schnei⸗ 
dergeselle aus Regensburg, und Kunigunde Rüdel, 
Näherin aus Kissingen. 22 J. Die Untersuchung 
im Gange. Pf. ZRta.) 
Vermischtes. 
(Auch eine Belohnung) In Trier 
zat ein Briefträger das Fest seines fünfzigjährigen 
Umitsjubilaums gefeiert. Er erhielt deshalb von 
einer vorgesetzten Behörde — den Titel Ober— 
hriefträger.“ 
Mainz, 24. Jan. „Es kommt nichts so 
chnell von der Regierung“ ist eine bekannte aber 
nuch sehr wahre Redensart Ein hiesiger Industrieller 
jatie wegen eines Unternehmens eine kleine Differenz 
nit der Regierung und durch ein am 25. Februar 
». Is. an das Ministerium des Innern gerichtetes 
Schreiben erbat er sich von diesem eine nothwendige 
Auskunft. Die Antwort auf das am 25. Februar 
ibgegangene Schreiben ist glücklich am 12. Januar 
882 hier eingetroffen! (M Tabl) 
f Der Schluß der Jagd tritt in ganz 
Elsaß-Lothringen mit dem 31 Januar ein. 
Dem entsprechend sind die deutschen Postanstalten 
in Kenntniß gesetzt, daß vom 1. Februar an 
Wildpret in Elsaß Lothringen nicht mehr einge— 
führt werden darf. 
(Ein Menschenfreund) hat der Stadt 
Stuttgart eine bedeutende Stiftung, bestehend in 
einem Kapital von 200000 M. zur Errichtung 
eines Volksbades, gemacht. 
4 Der Polizeikommissär von Ars a. d. Mosel 
entdeckte am letzien Mitiwoch zu Chatel St. Germain 
eine Falschmünserbande, welche sich mit Herstellung 
falscher Zwanzigmarkstücke abgegeben hat. Man 
hob die Gesellschaft mit allen ihren Instrumenten 
und Geräthen auf. Die Untersuchung gegen die 
Thäter wurde eingeleitet. 
4 Gon der Erde verschlungen.) Am 
Donnerstag senkte sich plötzlich auf der am Wester⸗ 
wald gelegenen Grube „Zufällig Glück“ ein kaum 
ein Jahr altes zur Zubereitung der Erze dienendes 
Gebäude und setzte sich erst auf einer 25 Meter 
tiefen Sohle. Leider wurde auch ein junger Mann 
mit in die dunkle Tiefe gerissin. 
4 In Düsseldorf verliebte sich ein tugend— 
haftes Banquierstöchterlein in den Kassier ihres 
Vaters. Der kluge Papa merkte das erst, als beide 
zugleich mit 120,000 Mt. aus der väterlichen Kasse 
nach Amerika verschwunden waren. 
F GMoth macht erfinderisch.) Aus 
Solingen wird geschrieben, daß viele dortige Ein— 
vohner angesichts der starken Belästigung, welche 
hnen durch den Besuch der vielen fremden Hand- 
werksburschen widerfährt, auf eine recht orginelle 
Idee gekommen sind, sich dieselben vom Halse zu 
halten. Sie brin gen im Hausflur, gleich vorn 
so daß es jedem Eintretenden sofort in die Augen 
ällt, große Plakate mit der Innschrift: „Fußgen 
darm Schlechtendahl“, „Berittener Gendarm Backer“ 
Polizeikommissär Greiffmann“ u. s. w. Die 
Stromer sehen die Plakate und verschwinden sofort 
auf Nimmerwiedersehen. 
(Rauchbare Würste.) Den Zollbeamten, 
welche behufs Nachversteuerung in ver schiedenen 
Landorten der Unterelbe im Hanoverischen revidirten, 
fiel an zahlreichen Stellen die große Anzahl von 
Blutwürsien auf, welche die sogenannte Rauchkam- 
mer bei dem Landmanne zierten. Bei einer näheren 
Besichtigung ergab sich denn, daß der Inhalt nicht 
Schweinefleich sondern geschnittener Tabak war 
welchen die Landleute vor dem Zollanschluß der 
Unterelbe eingekauft hatten, und in getrocknete 
Rinderdärme gestopft hatten, um ihn auf diese 
Weise den Falkenaugen der „Grünröcke“ an 
entziehen. 
4 In aller Stille wird augenblicklich in Berli 
eine Erfindung in die Praxis eingeführt, von dere; 
Inslebentteten die Amerikaner gewaltiges Geräusd 
zemacht hätten und die auch in der That de— 
drößten Aufsehens würdig ist. Eine wie groß 
Umwälzung auch die Nähmaschine im Nähhandwer! 
und im Hauswesen hervorgerufen hat, e in Refugiun 
blieb immer noch der Nähnadel und dem Finger 
qut; das war bei der sogenannten „überwendlichen 
Nath und beim Knopfloch. Jetzt fällt aud 
dieses Bollwerk der Handarbeit, der Stolz de⸗ 
Zchneidergesellen; denn nach zwanzigjährigen Ver 
uchen ist es einem Herrn Gutmann in Berlin ge— 
ungen, einen Apparat zu erfinden, der für eir 
Billiges an jeder Nähmaschine angebracht werder 
ann und mit bewundernswerther Präzision Knopf⸗ 
öcher, Bindlöcher, überwendlichen Stich und einen 
reizenden Zierstich fertigt. An der praktischen Ver 
wendbarkeit ist gar kein Zweifel, da schon sei' 
Wochen beim Gardeschützenbataillon in — 
Apparat in Thätigkeit tst und das Erstannen aslse 
Fachleute hervortuft. 
(Inseraten-Humor.) In dem „Ber 
liner Intelligenzblatt“ waren jüngst folgende ergötz 
liche Inserate zu lesen: „Ein neunjähriger Reisende, 
in Spiritus sucht für seinen vrrstorbenen Chef einen 
aeuen Prinzipal in obiger Flüssigkeit.“ — „Weger 
Auflösung seines Chefs sucht ein gewiegter Commis 
der einige Kenntniß in der Französischen und Eng. 
lischen Zunge hat, einen zufriedenstellenden Voster 
im Laden.“ 
Breslau, 20. Januar. Bei der Be— 
lagerung von Paris wurden dem Rentner Hastier 
aus seinem Landsitz in Epersnay bei Paris etwe 
60,000 Francs in Werthpapieren geslohlen. Wi 
der „Tribüne“ gemeldet wird, ist der Dieb jer 
in der Person eines Agenten, der damals der 
Feldzug als Marketender mitmachte, in einem Dori 
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