Full text: St. Ingberter Anzeiger

d uns wieder ein liebenswürdiger Zug des Kron⸗ 
nzen gemeldet. Es ist allgemein bekannt, mit 
cher Gewissenhaftigkeit und Fürsorge die kron⸗ 
mlichen Herrschaften ihren Pflichten als Guts- 
ischaft und Patrone ihrer Gemeinden Bornstedt 
d Eiche allezeit nachgekommen sind uid wie die— 
Ien besonders auch die Pflege des kirchlichen Lebens 
die Ausbildung der Schuljugend sich gngelegen 
lassen. Wie s. Z. Friedrich Wilhelm J. in 
erhausen, so inspiziren der Kronprinz und die 
prinzessin alljährlich zu wiederholten Malen 
tets unangemeldet ihre Schulen in den beiden 
ern, und verfehlt insbesondere der Kronprinz 
dals, durch eigenes Prüfen Lehrern und Schülern 
rig auf den Zahn zu fühlen“. So hatte auch 
taiferliche Hoheit dieser Tage speziell dem Un— 
aacht in der dritten Classe der Bornstedter Schule 
ere Zeit beigewohnt, um den neu berufenen 
ner und seine Unterrichtsweise kennen zu lernen; 
johe Herr wollte alsdann nur noch einen con⸗ 
renden Blick in die erste Classe werfen, als 
züch der Briefträger mit einer Depesche an den 
er Matthias eintrat, durch welche derselbe an 
Sterbebett seiner hochbetagten Mutter in einem 
oxse bei Spandau berufen wurde. Der Kronprinz 
ischte nach dem offenbar schmerzlichen Inhalte der 
depesche und erklärte sofort dem Lehrer, daß der⸗ 
he unverzüglich abreisen müsse, um noch den letzten 
üchtigen Wunsch seiner Mutter zu erfüllen. 
sber meine Classe — die Kinder“ — stammelte 
c Lehrer. „Gehen Sie,“ antwortete der hohe 
die werde ich übernehmen bis um 11 Uhr wo 
Brediger zum Confirmandenunterricht kommt; 
en Sie nur, daß Sie Ihre gute Mutter wo— 
glich noch lebend antreffen.“ Und so übernahm 
Kronprinz des deutschen Reiches und von 
reußen in der That das Amt des Lehrers in der 
sten Classe der Bornstedter Schule und prüfte die 
inder von 10 bis 11 Uhr in der Geschichte der 
eformation, hier und da treffende Schilderungen 
chichtlicher Persönlichkeiten und Thatsachen jener 
toßen Zeit mit einflechtend. 
In einem sächsischen Gymnasium wurden 
or Kurzem mehrere Primaner in ihrem Zimmer 
jon dem visitirenden Rector bei dem verbotenen 
dartenspiel ertappt. Der Recior trat unbemerkt 
inter den einen Primaner, der gerade ein recht 
hlechtes Spiel hatte. „Was thun Sie da mii 
xn Karten?“ fragte der Rector. Der Primaner, 
xr die Stimme des Rectors nicht sogleich erkannte, 
hoortete mit Seelenruhe: „Da passe ich!“ 
lan kann sich die gegenseitige Verblüfftheit denken, 
»die Scene Allen klar wurde. 
„ODer Anbeter des Fräulein Leh— 
rann.) Lehmann hat eine reizende Tochter. — 
türlich heißt sie Else — der die bösen Männer 
wundert nachschauen. Aher Else ist klug und 
idt züchtig vor sich hin. Eines Tages erhält sie 
lgende patschuliduftende Epistel: — „Angebeietes 
räͤulein! Schon lange bin ich in heftiger Liebe 
t Sie entbrannt! Sie würden mich zum Glück— 
hsten aller Sterblichen machen, wenn Sie mir ge— 
nen wollten, Ihnen dies mündlich zu sagen. 
eute Abend 6 Uhr, Ecke der Leipziger⸗ und Fried⸗ 
höstraße. Erkennungszeichen: Ich trage einen 
rauen Ueberzieher, schwarze Beinkleider und in der 
and eine rothe Rose. — Der Dienstmann wartet 
Antwort.“ — · „Papa“, sagt Else, „willst 
zu den Brief nicht beantworten, Du schreibst solche 
utliche Handschrift. — — Und Lehmann ant— 
ortet, wie der „Berliner Börsen⸗Courier“ zu er⸗ 
hlen weiß, wie folgt: „Mein Herr! Meine Tochter 
at heute gerade keine Zeit, aber kommen Sie nur 
änktlich an die bewußte Ecke, Sie können mir dann 
istehen, was Sie drückt. Erkennungszeichen: Ich 
age einen schwarzen Ueberzieher, graue Beinkleider 
end in der Hand einen derben Knotenstock.“ — 
der Empfänger Lehmann's Handschrift auch 
m deutlich gefunden hat? 
(maßregeln gegen die Trunk— 
dt.) In Schwelm hängt fast in jeder Restau⸗ 
mon die Liste der notorischen Trunkenbolde aus, 
enen die Wirthe bei Strafe keine geistigen Ge— 
iänke verabfolgeu dürfen. Es sind im ganzen 
danzig Personen, unter denen sich auch ein Frauen⸗ 
mmer befindet. 
DasMittel gegen die Phyllorera 
seblaus) en tdeckt. Nach einem interessanten 
wder „Patrie“ veröffentlichten Briefe, welchem 
t ausgezeichnete Chemiker G. Roy an alle Mit⸗ 
ieder der unter dem Präsidium des Chemikers 
umas stehenden Commission zur Nertichtimng 
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der Phylloxera gerichtet hat, beansprucht dieser 
helehrte den ausgesetzten Preis von 300,000 
Francs, nachdem es ihm gelungen sei, ein die 
lusbreitung der Phylloxera vastatrix verhindern- 
des, respective deren gänzliche Zerstörung herbei— 
ührendes Mittel zu entdecken. 
— Die österreichische Regierung hat durch einen 
heben mit dem Oberstlieutenant d. Zubovits abge⸗ 
hlossenen Vertrag ein eigenthümliches neues Kampf 
nittel für die Armee eingeführt, welches bedeutende 
Modificationen im modernen Kriegswesen zur Folge 
saben dürfte, den Landtorpedo nämlich. Derselbe 
bietet die Möglichkeit, mit minimalem Aufwande 
jon Mitteln, Zeit und Arbeitskräften lange Reihen 
yon Minen herzustellen, welche je nach Bedarf 
»ollkommen ungefährlich gemacht, zur Explosion in 
Folge eines Kontaktes eingerichtet oder beliebig 
ingezündet werden können; eine einen Kilometer 
sange Strecke kann auf diese Weise durch 60 
Mann in fünfzehn Minuten abgesperrt werden. 
Welchen immensen Vortheil dieses System für die 
Berstärkung vorübegehender und dauernder Befestig⸗ 
ingen, die Absperrung von Defileen, den Schuß 
xponirter Flanken oder einzelner schwacher Abtheil⸗ 
ingen ꝛc. bietet, ist auch dem Nichtmilitär sofort 
inleuchtend. Lieutenant von Zubovits hat etwa 
ieben Jahre auf Vollkommnung dieses neuen 
dampfmittels verwendet und bei den Versuchen, 
velche in der Krivoscie angestellt wurden, hat sich 
zasselbe glänzend bewährt. 
FGNMeue Tertilpflanze in Frank— 
eich.) In Frankreich ist vor kurzem eine neue 
Textilpflanze entdeckt worden, welche für dies Land 
yvon größtem Nutzen werden würde, falls die Hoff⸗ 
aungen, die sich aa diese Entdeckung knüpfen, sich 
uu vollem Maße erfüllen. Es ist dies nämlich eine 
in einigen Theilen Frankreichs wild wachsende 
Asklepiade mit einfachem Stengel und gegenstän⸗ 
zigen Blättern, Fafetone genannt, die aus Süd⸗ 
imerika stammt und die man früher nur als scharfe 
Hiftpflanze kannte. An der Blüthe derselben be⸗ 
indet sich ein Büschel von langen weißen, seiden⸗ 
eichen Haaren, die man früher mit Nutzen ver⸗ 
venden zu können hoffte; doch waren alle hierüber 
ingestellten Versuche erfolglos. Neuerdings hat 
ein gewisser Bordier gesunden, daß der Stengel 
ieser Pflanze einen feinen weißen haltbaren Flachs 
iefert, der den aus der Jute gewonnenen bei weitem 
ibertrifft. Da in Frankreich jährlich für 16 bis 
8 Miillionen Franken Jute eingeführt wird, so 
vürde durch Anbau der bisher lästigen und ver—⸗ 
ichteten Giftpflanze Frankreich um ein Kapital von 
ingefähr 350 Millionen Franken reicher werden. 
f(Gnsere Ahnen.) Wir finden in der 
„Italie“ folgende etwas phantastische statistische Auf⸗ 
tellung: Haben Sie jemals über die Zahl der 
Vorfahren nachgedacht, die jedem Familienchef seit 
der christlichen Aera vorangegangen sind? Wenn 
nan 3 Generationen per Jahrhundert annimmt, so 
ieht man sofort — da unsere Generation in 
das Ende des 19. Jahrhunderts fällt, daß der 
sechsundfünfzigste unserer Vorfahren ein Zeitgenosse 
don Jesus Christus gewesen sein kann. Suchen 
wir nun, wieviel Männer und Frauen es bedurfte 
im Einem unserer Zeitgenossen das Leben zu geben. 
Er muß vor allem Vater und Mutter, dieser Vater 
ind diese Mutter müssen jeder wieder Vater und 
Mutter gehabt haben; das giebt 2 Großväter und 
2 Großmütter, also das Doppelte. So geht es 
'ort bis in die 56. Generation, welche zur Zeit 
Thristi gelebt hat, entspricht mitthin der Zahl 2 
ur 57 Potenz erhoben. Um also einen der jetzt 
ebenden Zeitg enossen in die Welt zu setzen, bedurfte 
es nicht weniger als 139,245,017,489,534, 976 
»der iu Worten ausgedrückt: Einhundertneunund⸗ 
reißigtausendzweihundertundfünfundvierzig Billionen 
iebzehntausendvierhundertundneunundachtzig Milli⸗ 
onen fünfhundertvierundreißigtausendneunhundert⸗ 
indsechsundsiebzig Geburten. 
F London, 24. Nov. Die Eisenbahnbrücke 
bvon Bromley an der London⸗Dover⸗Bahn brach 
heute Morgen zusammen. Sieben Arbeiter haben 
dabei das Leben eingebüßt, mehrere Personen 
wurden verwundet. Die für die Reise nach dem 
Continent bestimmten Züge haben infolge des Un—⸗ 
'alles nicht abgehen können. — Eine Lloyds ein⸗ 
gegangene Depesche meldet, daß zwei Walfischfahr⸗ 
»oote, welche zu dem Dampfer „Winton“ gehoöͤrten, 
don Rotterdam nach Odessa bestimmt, um 17. d. 
M. bei Port Agenton angetroffen worden sind. 
Die mit 28 Personen besetzten beiden Boote, welche 
die Bemannung des „Winton“ bargen, sind ge— 
cheitert; sämmtliche Personen sind bis auf eine 
rtrunken. 
— Im englischen Kanal sowie an der Küste 
on Jersey wüthete am Samstag ein furchtbarer 
Sturm, der zahlreiche Schiffsunfälle verursachte. 
Um Pwlldu⸗Point im Bristoler Kanal erlitt am 
„amstag Abend der Dampfer Lammershagen aus 
damburg völligen Schiffbruch, aber die einschließlich 
des Kapitäns 20 Köopfe starke Mannschaft bewirkte 
hre Rettung mittelst der Boote. 
F Crossen, 27. Nov. Der frühere Minister— 
räsident von Manteuffel ist gestern gestorben. 
FGie größte Weinrebe auf der 
Erde.) Im Schloßgarten zu Hamtoncourt befindet 
ich eine im Jahre 1769 gepflanzte Weinrebe, deren 
Zweige eine Länge von 30 Meter erreichen und 
ährlich eine Quantität ausgewählter schwarzer 
Trauben im Werthe von 30,000 Francs erzeugen. 
Die Königin Viktoria hat die Nutznießung dieser 
wunderbaren Weinrebe der Prinzessin Pavel⸗Ram⸗ 
ningen eingeräumt. 
FGimpelfranzen.) Die Königin Vic— 
toria duldet keine Damen in ihrer Nähe, die sich 
das Haar über die Stirne in die Augen kämen. 
Bei der Hochzeit der jüngsten Tochter der Königin 
erhielten die Brautjungfern die Weisung, daß sie 
veder mit Simpelfranzen, noch in Stelzenschuhen 
exscheinen dürften. Eine junge Dame, welche sich 
ürzlich mit über die Stirne gekämmten Haaren zu 
iner Audienz einfand, erhielt von dem Lord-Käm⸗— 
merer den Wink, sich nicht eher in dem Palaste 
olicken zu lassen, bis ihr das Haar wieder so lang 
Jewachsen sei, daß sie dasselbe von der Stirne rück⸗ 
wärts kämmen könnte. 
fF GObstbäume in Töpfen.) Die Kultur 
derselben ist zuerst von den Chinesen und Japanesen 
betrieben worden, die nicht nur Aepfel- und Birn⸗ 
bäume, sondern auch Pfirsich- Kirschen⸗ und Apri— 
tosenbäume in Töpfen ziehen. Um sich selbst solche 
Zimmerobststämmchen zu verschaffen, pflanze man 
nach der „Fogr.“ in einen passenden Topf ein junges, 
kleines, bereits veredeltes Obstbäumchen, nachdem 
man es seiner sämmtlichen größeren und stärkeren 
Wurzeln und auch oberirdischen Triebe beraubt hat. 
Die Pflanze ernährt sich vollständig durch die ver— 
hleibenden feinen Haarwurzeln. Auch Weinreben 
lassen sich so behandeln. Eine sehr gute Erde für 
Topfbaumzucht ist folgende Mischung: 23 halbzer⸗ 
etzter Lehmrasen, s verrotteter Dinger; dazu wird 
twa uo pulverisirter Kalk und etwas Holzkohlen ⸗ 
asche gemischt. Die beste Verpflanzzeit ist Oktober 
uind November. 
Gie großte Höhe), welche amerikanische 
Fisenbahnen übersteigen, sind folgende: Die Nord⸗ 
Zacifie 4396 Fuß, Central⸗Pacific 6430 Fuß, 
Inion⸗Pacific 6939 Fuß, die Bahn über die Anden 
14307 Fuß. Unter den europäischen Bahnen sind 
olgende die höchsten: die Shwarzwaldbahn 2550, 
ene über den Semmering 2670, der St. Goithard⸗ 
Tunnel 3472, die Brenner-⸗Bahn 4101 und die 
Nont⸗Cenis⸗Bahn 4956. 
F In den Vereinigten Staaten ist 
augenblicklich ein heftiger Streit über die Frage 
ntstanden, ob in Zuktunft alcoholhaltige Getränke 
nnerhalb der Grenzen des Freistaats noch ange— 
ertigt, verkauft oder getrunken werden dürfen. Nach 
der Ansicht fanatischer Puritaner und deren weiblichen 
gefolges, der wüthenden Wasserhexen, kann die 
derderbte Menschheit nur dadurch dem Höllenrachen 
intrissen werden, daß ihr Genuß von Bier, Wein 
ind Branntwein vollständig untersagt wird. In 
den Staaten Kansas, Jowa und Maine hat das 
zurch seine Prediger fanatisirte Volk durch allge—⸗ 
meine Abstimmung einen auf gänzliches Verbot 
uler alcoholhaltiger Getränke lautenden Verfass⸗ 
uingszusatz angenommen. Das Sprichwort, „daß 
zerbotene Früchte am besten schmecken,“ bewährt 
ich natürlich auch; denn das geheime Schnaps⸗ 
rinken nimmt in jenen Staaten ganz entsetzlich zu. 
In Ohio haben im letzten Wahlkampfe die frei— 
innigen Deutschen den Puritanern und Fremden⸗ 
jassern eine so entschiedene Niederlage bereitet, daß 
dieser Staat vorerst nichts mehr zu fürchten hat 
— in Ohio wird weiter getrunken. — Zur Illu—⸗ 
tration der gegenwärtigen Verhältnisse möge fol— 
gendes dienen. In Illinois wird ein Wirth, der 
in Minderjährige ein Glas Bier verkauft, verhaftet 
und in das Gefängniß geworfen. Volljährig ist 
hier ein männliches Individuum mit 24 Jahren, 
ein weibliches mit 18 Jahren. Gesetzzlich berechtigt 
sum Heirathen ist ein Mann mit 20 Jahren, ein 
Mädchen mit 18 Jahren. Wenn nun so ein