Full text: St. Ingberter Anzeiger

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— Stodtorch 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. Sf. Inoben 
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gzlatt und Sonniags mit Sseitiger illustrirter Beilage. Das Blatt kostet vierteljiährlich 1 40 — einschließlich Trägerlohn; durch die Post bezogen 1 60 H, einschließlich 
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MA IJ. Dienstag, 2. Januar 1883. 18. Jahrg. 
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J 
* Zum neuen Jahre. 
Die Mainlinie ist zwar überbrückt, aber noch manch' 
andere Brücke ist zu schlagen, ehe wir ein einig 
Holk von Brüdern, und zwar nicht nur in der 
Stunde der Gefahr, sondern auch im öffentlichen 
Leben überhaupt sind. Noch eine große Kultur— 
yeriode, nach Dezennien von Jahren bemessen, 
verden wir durchleben müssen, ehe wahre Sitte 
und ächte Humanität alle beherrschen und jene sitt⸗ 
iche Freiheit und Macht schaffen wird, welche die 
Fdelsten der Nation zu allen Zeiten erstrebten. 
Doch trösten wir uns mit den Worten Geibels: 
„Und wenn Dir oft auch bangt und graut, 
Als sei die Höll' auf Erden, 
Nur unberzagt auf Gott vertraut! 
Es muß doch Frügßling werden.“ 
Mag die Zukunft auck bringen, was sie mag, — 
ind wir eingetreten mit froher Zuversicht in das 
neue Jahr, mit der festen Absficht treuer Pflicht⸗ 
erfüll ung. mit dem Herzen voll ächter Nächstenliebe 
mit heiterem Gemüthe und vollem Gottvertrauen, 
hleiben wir treu diesen Vorsätzen, so wird das neue 
Jahr, bei allen Enttäuschungen, die es unseren 
doffnungen bereiten wird, doch für uns? werden 
in glückseliges Jahr! Das gebe Gott! 
ab. Noch sind die bayerischen Notizen des letzten 
Jahres, die Nürnberger Landesindustrie-Ausstellung, 
15. Mai bis 30. September, wie die Münchener 
elektro-magnetische Ausstellung, dann in dynastischer 
Beziehung die am 12. April erfolgte Vermählung 
des Prinzen Arnulph mit der Prinzessin Therese 
don Lichtenstein und die Verlobung der Prinzessin 
Isabella von Bayern mit dem Herzog Thomas von 
Benua, Vetter und Schwager des Königs von 
Italien, zu erwähnen. Von bayerischen Parlamen— 
tariern schieden während des Jahres 1882 die 
Reichstagsabgeordneten für Passau und Regensburg, 
Oberlandesgerichtsrath Abt und Bierbrauer Brückl, 
aus dem Leben, dann die früheren Reichstagsab— 
geordneten für Zweibrücken und Kempten, Ober— 
Oberlandesgerichtsrath C. H. Schmidt und Dr. 
Völk, der letztere, tief betrauert, am 22, Januar 
In Berliner militärischen Kreisen hält man 
eine demnächstige Vermehrung der Feldartillerie für 
wahrscheinlich. 
Die „Kreuzzeitung“ deutet an, daß die Re— 
gierung dem Krankenkassengesetz in der Ge⸗ 
stalt, wie es aus den Berathungen der Commision 
hervorgehe, ihre Zistimmung nicht geben werde. 
Der „Germania“ zufolge ist, in unterrichteten 
katholischen Kreisen von einem Beschlusse oder einer 
Absicht des Episcopats, eine Immediatvor⸗ 
stellung an den Kaiser behufs Rückberufung 
der abaesetzten Bischöfe zu richten, nichts bekannt. 
Grkf. J.) 
Die Berliner „Post“ bringt einen ernsten Ar— 
tikel über den unsicheren Zusiand des europä⸗ 
schen Friedens und betont insbesondere, daß 
Frankreich mit der äußeren Machtstellung, die es 
hat, unzufrieden ist und keinen anderen Weg des 
Strebens kennt, als die unglückliche Revancheidee. 
Wieder ist ein Jahr zu Grabe gegangen; ein 
teues ist herauf gezogen, begrüßt und begleitet von 
Tausenden, ja Millionen froher Wünsche und Hoff⸗ 
tungen. Unaufhörlich rollt es fort das Rad der 
zeiten und läßt uns nur die Erinnerung zurück. 
Bar vielfältiger Art sind diese Erinnerungen, welche 
ich an das verflossene Jahr knüpfen. Viel Freude 
at dasselbe in manche Familie gebracht; aber auch 
n gax viele Sorgen und Kummer ein voll ge— 
üttelt und geschüttell Maß. Hier zog selige Wonne 
in in des Hauses geheiligte Räume, dort schlug 
)er Tod eine empfindliche Lücke, hier ruhte Glück 
uind Segen auf jedem Beginnen, dort waltete des 
Unglücks Stern und ließ auch nicht eine Hoffnung 
zur Verwirklichung gelangen. Eines freilich müssen 
wir alle dem geschiedenen Jahre nachrühmen: es 
var für unser Vaterland ein Jahr des äußeren 
Friedens. Und schien es auch noch vor kurzem, 
ils ob böse Rachbarn von Osten und Westen uns 
den Frieden stören wollten — heute, bei Beginn 
des neuen Jahres, lacht uns die Friedenssonne, 
venn wir unseren Diplomaten glauben dürfen, 
ceiner als zuvor. Freilich ein gar eigenthümlicher 
Frieden ist es, den wir rühmen müssen. Da stehen 
sich die Völker, die sich die zivilisirten nennen, 
bis an die Zähne bewaffnet, einander gegenüber, 
eifersüchtig, mißtrauisch, sich gegenseitig belauernd 
und bereit, jeden Augenblick über einander herzu— 
allen. Wir sehen betrübt, wie dieser bewaffnete 
Friede au dem Wohle der Völker zehrt und wie er 
den Fleiß der Bewohner verschlingt. Beklommen 
zewahren wir beim Eintritt in das neue Jahr, wie 
die unausgeglichenen Gegensätze, die ungelösten 
Fragen über dem europäischen Horizonte hängen, 
zleich dunkeln Gewitterwolken, die sich hier und da 
nur zertheilen, um sich zu neuen gewitterschweren 
Massen zusammenzuballen. Und doch dürfen wir 
ruhig und getrosten Muthes sein; wissen wir doch, 
»aß derjenige, der die Geschicke unseres deutschen 
Vaterlandes leitet, das Staatsruder mit starker und 
zeschickeer Hand führt. Haben wir doch auch von 
Sr. Maj. dem Kaiser seit Begründung des Reiches 
das heilige Wort, daß er allezeit sein wolle ein 
Mehrer des deutschen Reiches, nicht in kriegerischen 
Froberungen, sondern in den Werken des Friedens 
auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit 
ind Gesittung. Viel ist freilich auf diesen Gebieten 
ioch zu thun. Und wenn wir mit stolzer Befrie— 
igung auf die äußere Macht unseres Vaterlandes 
chauen dürfen, so möchten wir nach einem Blick 
nuf die innern Zustände desselben fast mit dem 
Dichter ausrufen: „Untröstlich ist's noch allerwärts!“ 
Noch immer befehden sich die Söhne derselben Erde 
wegen der Gegensätze von Arm und Reich, wegen 
Verschiedenheiten gleichberechtigter Anschauungen in 
Bolitik und Religion. Dabei sehen wir die Partei⸗ 
zegensätze oft in Gehässigkeit, gegenseitige Mißachtung 
und Verdächtigung umgeschlagen. Die ehrliche 
Achtung vor der gegentheiligen Meinung, vor Allem 
aher den Ruhm der Charakterfestigkeit und Ge— 
innungstreue sehen wir gar jehr im Schwinden 
begriffen. Auf sozialem Gebiete wird auf der einen 
Seite ein Kampf bis auf's Messer gepredigt. Das 
Schlimmste aber ist, daß alle diese Gegensätze mit 
ihrer ganzen Bitterkeit in die verschiedensien Ver— 
zältnisse des Lebens, wohin sie am wenigsten ge⸗ 
jören, geflissentlich hineingetragen werden, so daß 
man sich schier gar nicht davor zu retten weiß. 
Da bleibt dem neuen Jahre noch viel uu bessern! 
Politische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
Ein Rückblick auf das verflossene Jahr zeigt 
ür Bayern neben der Fortführung der seit 1871 
ingehaltenen Reichspolitik in den inneren Ange— 
egenheiten ein erfolgreiches Streben der Regierung 
iach allmählichem Ausgleich der namentlich bei den 
»orjährigen Landtagswahlen so charakteristisch auf 
inander gestoßenen politischen Gegensätze. Das 
in den Cabinetsvorsitzenden Dr. v. Lutz gerichtete 
önigl. Handschreiben vom 23. Februar eröffnete 
nit seiner Mahnung zu weniger leidenschaftlicher 
Auffassung des Parteilebens den Reigen. Die am 
2. März in einer Petition um größere Beachtung 
der bekannten Tegernseeer Erklärung gegebene Ant⸗ 
vort der Kammermehrheit schien zunächst nicht sehr 
dersöhnlich; immerhin erwiesen sich in der am 29. 
März erfolgten Debatte üder den Cultusetat die 
Waffen der Kammermehrheit und speciell ihres Re— 
erenten Dr. Rittler als von leidlich harmloser 
Zeschaffenheit. Der letztere hat dann gegen das 
ende des Jahres in der vielbesprochenen Errnennug 
um Professor des Regensburger Lyceums nach der 
Zehauptung der „extremen“ Presse den Lohn seines 
Verrathes“ empfangen. In Sachen der Simul— 
anschule faßten am 15. Februar und am 9. März, 
n solchen des siebenten Schuljahres am 15. Feb⸗ 
uar und am 13. März beide Kammern entgegen— 
zesetzte Beschlüsse, wobei sich die Reichsrathskammer 
cegelmäßig als Vertreterin der liberalen Ansicht be— 
vährte; das Gleiche galt hinsichtlich einer in der 
weiten Kammer am 10. Februar angenommenen, 
m Reichsrath am 11. März abgelehnten Resolu— 
ion gegen das Tabackmonopal, nur daß in der 
erstgenannten Körperschaft bei diesem Anlaß der 
inke Flügel der liberalen Partei mit der rechten 
Zeite des Hauses gegen das Monopol eintrat. Unter 
»em 29. April wurde dann der Landtag geschlossen 
ind zum ersten Male seit der Begründung des 
Deutschen Reiches brachten weder Sommer noch 
Zerbst eine Landtagssession; ob wegen militärischen 
Mehrbedarfs der Nachwinter noch eine Session zei⸗ 
igen wird, hängt natürlich in erster Linie von dem 
Berlaufe der bevorstehenden Reichstagasverbandlungen 
Ausland. 
Paris, 30. Dez. Der österreichische Bot— 
schafter, Baron Wimpffen, hat sich erschossen. Der— 
selbe fuhr Vormittags um 10 Uhr aus, verließ 
zegen 1192 in der Avenur Marceau seinen Wagen 
ind schoß sich mit dem Revolver durch die rechten 
Schläfe; Die Kugel kam an den linken Schläfen 
heraus. Wie verlautet, zeigte Baron Wimpffen 
schon seit einigen Tagen große Aufregung in Folge 
von Widerwärtigkeiten anläßlich der Miethung und 
Ausstattung eines neuen Hotels, welches er im Be⸗ 
zriff war zu beziehen. — Der Zustand Gambetta's 
eigte Abends eine leichte Besserung, doch ist die 
Situation immerhin nicht unbedenklich. 
Im „Evénement“ setzt Aurelien Scholl seine 
hetzereien gegen die Deutschen und das 
deutsche Element überhaupt in Paris fort: er 
dersichert, die letzte Volkszählung! hätte keine ge— 
nauen Ziffern liefern können, weil die Deutschen 
es darauf angelegt hätten, ihre Herkunft zu ver— 
räugnen oder zu entstellen, und warnt dann ge— 
vissermaßen vor den Deutsch-Oesterreichern, von 
denen manche vorstädtische Riertel wimmelten. Diese 
deutschen Oesterreicher hätten alle eine sehr ausge— 
prochene Vorliebe zum deutschen Vaterlond zurück⸗ 
‚zukehren und dies sei der Wurm, der an dem öster— 
reichischen Kaiserreiche nage. Die Slaven ließen 
sich hierüber nicht täuschen und Fürst Bismarck noch 
weniger. Das französische Publikum hätte also 
Unrecht einen Unterschied zu machen zwischen dem 
„Sauerkraut so“ und dem „Sauerkraut anders“. 
Dann läuft der Chroniquer des „Evoͤnement“ gegen 
das nordische Gebräu, das braune und das blonde 
Bier, und die sich immer mehrenden Bier—⸗