Full text: St. Ingberter Anzeiger

8t. Jugherter Amzeiger. 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
der St. Ingberter Anzeiger“ erscheint wochentlich fünfmalr Am Moutag, Dienstaz, Donnerstag, Samstag und Sountag; 2mal wöchentlich mit Unterhaltungs- 
ßlatt und Sonntagk mit Sseitiger illustrirter Beilage. Das Blatt kostet vierteljährlich 14 40 2 einschließlich Trägerlohn; durch die Post bezogen 1A 75 A, einschließlich 
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auf welche die Expedition Auskunft ertheilt, I3 , bei Neclamen 30 3. Bei 4maliger Einrückung wird nur dreimalige berechnet. 
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Politische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
Berlin, 20. Mai. Der Bundesrath wird 
ich morgen mit dem Antrage Buhl⸗Thilenius betr. 
die Rheinkorrektion beschäftigen und vermuthlich den⸗ 
elben zunächst den Ausschüssen zur Vorbereitung 
iberweisen. 
Berlin, 20. Mai. Der Pariser Korrespon⸗ 
lent der „Times“ behandelt in einem mehr als 
wei Spalten des Blattes füllenden Bericht die Ver⸗ 
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laubt eine baldige Beilegung des Konflikts in 
lussicht stellen zu können. 
Berlin, 21. Mai. Der Kaiser stattete gestern 
stachmittag Bismarck einen Besuch ab und folgt 
eute einer Einladung des französischen Botschafters 
Fourcel zum Diner. 
Ausland. 
Die Franzosen stürzen sich wieder rüstig in 
ie Annexionspolitit eines Ludwig XV. 
ind Napoleons UI. Nach Tunis kommt jetzt 
Tonking, der Kongo und Madagaskar, an die 
seihe. Der Senat kann jeden Tag den Kredit be⸗ 
willigen und die Truppen dampfen nach Tonking 
ib. Für Brazza fordert ein Gesetzentwurf in der 
dammer 25,000 ausrangierte Gewehre. Der 
Thronprätendent der vereinigten Monarchisten, der 
raf Chambord, soll lebensgefährlich erkrankt 
ein und man bereitet sich auf das Hinwelken des 
eßten Sprößlings der älteren Bourbonenlinie vor. 
PBenn „Heinrich V.“ wirklich zu seinen Vätern 
zersammel werden sollte, so werden die Orleans, 
velche ihre Thronansprüche an Chambord abtraten, 
vieder frei und so kann die Einigkeit aller Roya⸗ 
isten, auch der liberalen, leicht zur Möglichkeit und 
amit zugleich zu einer wirklichen Gefahr für die 
kepublik werden. Der Chauvinismus wie die Aus⸗ 
dreitung der Schutzherrlichkeit Frankreichs steckt nicht 
blos den Jüngern Gambettas im Blute, sondern 
uuch den Orleans: der Vater des Grafen von 
Paris, sonst ein aufgeklaärter und gemäßigter Prinz, 
iaselte von der Rheingrenze, welche die Julimonarchie 
ils Morgengabe der großen Nation bringen müßte, 
ind wie der ehrgeizige Aumale darüber denkt, ist 
attsam bekannt. Der Graf von Paris hat Ehr—⸗ 
jeiz und Sinn für politische Dinge, das beweisen 
eine Schriften über Gewerbsgenossenschaften und 
eine Higtoiro de la guere civile on Amèrique. 
ie 1874 in vier Bänden erschien und zu dem 
Jediegensten gehört, was über den Bürgerkrieg der 
bereinigten Staaten geschrieben wurde. Der Graf 
»on Paris diente waͤhrend des Bürgerkrieges im 
Heere der Union und betheiligte sich 1871 bei dem 
Feldzuge an der Loire. 
Der Pariser National bringt folgende Mitthei⸗ 
ung: „Man ist im Süden sehr aufgeregt über die 
keise, die der Feldmarschall v. Moltke gegen⸗ 
vaͤrtig an den Gestaden des Mittelmeeres ausfuührt. 
Graf Moltke scheint vielmehr ein künftiges Schlachtfeld 
dur chreisen als eine Erhohlungsreise zu machen. 
er besichtigt bis in's Kleinste alle Oertlichkeiten, läßt 
nach allen Durchgängen führen und macht an 
Grenze Italiens eine ähnliche Reise wie die im 
3 1869 an der Ostgrenze Frankreichs. Daher 
ien die Italiener dem Grafen Moltke einen 
amen Empfang und in San Remo ward ihm 
* wahre Ovation zu Theil.“ Es verlohnt sich 
kaum der Mühe, dieses abenteuerliche Mürchen 
* widerlegen. Graf Moltke verfolgt nur den 
eck der Befestigung seiner Gesundheit und denkt 
Dienstag, 22. Mai 1883. 18. Jahrg. 
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an andere Befestigungen, namentlich an die ihm 
zugeschriebenen Studien zur Anlage von solchen in 
den italienischen Alpen auch nicht im Schlafe. 
London, 20. Mai. Der Erbprinz und die 
Erbprinzessin von Sachsen-⸗Meiningen sind 
um Besuche des Prinzen und der Prinzessin von 
Wales gestern hier eingetroffen und vom Prinzen 
zon Wales und dessen Söhnen am Charinq⸗Croß⸗ 
Bahnhofe empfangen worden. 
Petersburg, 20. Mai. Die Vertreter Deutsch⸗ 
ands, Frankreichs, Oesterreichs, Englands und an⸗ 
»erer Staaten bei der Krönung sind gestern mit 
einem Spezialzug nach Moskau abgereist. 
Moskau, 21. Mai. Das Kaiserpaar mil 
Familie ist gestern Abend 6 Uhr hier eingetroffen 
ind begab sich unter dem Jubel der Bevölkerung 
ach dem Petrowskipalais, wo dasselbe bis zum 
kinzug in den Kreml bleibt. Der Fremdenverkehr 
st ein außerordentlicher, doch herrscht überall die 
größte Ordnung. 
Tunis, 21. Mai. In Folge von Zusammen⸗ 
tößen zwischen Einbrechern und Polizei, wobei 
nehrere Gensdarmen verwundet wurden, traten 
sjeute die fremden Konsuln zusammen, um Maß— 
ꝛegeln gegen die Unternehmen der Verbrecher zu 
berathen. Man beschloß, der Lokalpolizei das Recht 
u verleihen, die Einbrecher ohne Rücksicht auf die 
dationalität in Haft zu nehmen, worauf die zu— 
tändigen Bebörden zu benachrichtigen wären. 
— Wachenheim, 20. Mai. Im Besitze 
des hiesigen Gutsbesitzers und Weinhändlers Pfarr 
definden sich 2 Originalbriefe von Wieland und 
Göthe. Beide sind von Weimar aus gerichtet an 
eine Firma Gebr. Ramann in Erfurt und enthalten 
Weinbestellungen für die beiden berühmten Männer, 
die demnach Gott Bacchus ihre Huldigungen dar—⸗ 
zubringen nicht verschmäht haben. Der erste Brief 
ist datirt vom 5. Dezember 1803, der zweite vom 
24. Oktbr. 1814. 
— Wie man versichert, werden die Natio— 
nralliberalen als Kanditaten für die bevor⸗ 
tehende Reichstagswahl in Landau⸗-Neustadt Herrn 
Rentner Bürklin aus Wachenheim, früher ba⸗ 
discher Oberschulrath, aufstellen. 
— Aus der Pfalz, 20. Mai. Von Seiten 
des pfälzischen Krieger⸗ u. Kampfgenossen-Vereins 
wird folgendes publizirt: Es sind bereits so viele 
irztliche Zeugnisse von Invaliden eingelaufen, welche 
ihr Leiden vom Krieg her haben, aber den Pensions⸗ 
sermin versäumten, daß wir von Einsendung wei⸗ 
erer Gesuche abzusehen, bitten, da Herr Dr. Groß 
mehr als genügendes Material für den im Reichs⸗ 
ag zu stellenden Antrag hat. Der Termin für 
kinreichung von Pensionsgesuchen war seiner Zeit 
etwas kurz bemessen; denn wenige Jahre nach den 
Feldzügen waren viele Krankheiten noch nicht so 
entwickelt, daß sie die Erwerbsfähigkeit im Einzelnen 
wesentlich beschränkten; aber seit dem Jahr 1875 
sind, wie aus den ärztlichen Zeugnissen klar her⸗ 
bvor geht, viele Leiden zum Ausbruch gekommen, die 
unzweifelhaft von den Strapazen des letzten Feld⸗ 
zuges herrühren. Es gilt daher, einen neuen und 
jeßzten Pensionstermin zu eröffnen für solche, welche 
den Ursprung ihrer Krankheiten vom Krieg nachzu⸗ 
veisen vermögen. Da bereits viele von den früh⸗ 
eren Pensionisten gestorben sind und der Reichs⸗ 
Invalidenfonds ein Vermögen von 540 Millionen 
Mark besitzt, so kann für die armen pensionslosen 
Invaliden sicher etwas geschehen und werden viele 
Familien und Gemeinden dadurch entlastet werden, 
wvas man ja ohnedies durch die neue Sozialgesetz⸗ 
zebung anstrebt. Mancher Invalide mit Pension 
befindet sich besser als viele ohne Pension, und 
nanche Krankheiten kommen ihrer Natur nach eben 
päter zum Ausbruch. Wären es blos einzelne 
rieger, die in Betracht kommen, so könnte man 
ür diese in anderer Weise sorgen; aber so giebt 
s kaum eine Ortschaft, in welcher nicht ein oder 
nehrere Invaliden ohne Pension sich befinden, die 
hren Familien unendliche Noth bereiten und die 
m Dienst des Vaterlandes ihre Leiden erhalten 
jaben; deßhalb soll auch das Vaterland für sie 
sorgen. damit nicht die künftige Generation ent⸗ 
muthigt wird, wenn sie sieht, daß die alten Vete— 
ranen am Hungertuch nagen und höchstens jährlich 
einige Mark Unterstützung von Vereinen und Stif⸗ 
ungen erhalten, statt einer Pension worauf sie von 
Bott und Rechtswegen Anspruch haben. 
Vermischtes. 
Ueber eine hohe Reisende wird aus MUnchen 
dom 17. d. M. geschrieben: Jüngst verließ unsere 
Stadt ein Extrazug, bestehend aus einem Personen⸗ 
und einem flachen Güterwagen, auf letzerem aber 
befand sich in Gestalt eines Lattengerüstes eine so— 
genannte Schablone, um damit genaue Messungen 
des Bahnprofiles vorzunehmen und so zu erfahren, 
ob eine „Riesendame“ ungefährdet und unbehindert 
demnächst ihr! Reise von hier an den schönen 
sthein antreten kann. Die „hohe“ Dame bean⸗ 
e und pfälzische Nachrichten. 
—t. Blieskastel, 21. Mai. Heute Morgen 
zegen 9 Uhr brannten in unserer Nachbarge— 
neinde Blickweiler die Wohnhäuser von Mich. 
Schetting, Peter Kraus und Johannes 
Schößer, sowie die dazwischen liegende Scheune 
oon Christoph Müller vollständig nieder. Das 
Feuer konnte erst um 42312 gelöscht werden. Ver— 
ichert ist keines der betroffenen Gebäude. Enisteh,⸗ 
uingsursache bis jetzt unbekannt. 
— Wiesbach, 19. Mai. Am Morgen des 
17. Mai abhin wurde bei dem Ackerer Philipp 
Leiner dahier eingebrochen und in Summa 144 M. 
entwendet. Der Langfinger entpuppte sich gestern 
Abend in der Person eines noch schulpflichtigen Knaben, 
aum 12 Jahre alt. Derselbe fehlte schon einige 
Tage in der Schule, und wollte ihn der Lehrer je⸗ 
desmal durch den Polizeidiener holen lassen. Er 
'onnte aber weder zu Hause noch im Dorfe gefun⸗ 
den werden. In die Dieberei sind noch einige 
andere Bursche verwickelt, welche der Arm der Ge⸗ 
rechtigkeit hoffentiich auch mitbestrafen wird. Im 
Laufe des 17. und 18. Mai verausgabte der ju⸗ 
gendliche Dieb verschiedenes Geld, und in einem 
Garten vergrub er 86 Mk. 32 Pf. An baarem 
Geld fand sich bei ihm noch vor 2 Mk. 52 Pf. 
Ueber den Verbleib des Restes weiß man bis jetzt 
noch Nichts. 
— Kaiserslautern, 19. Mai. Als Raben⸗ 
nutter zeigte sich gestern eine Henne des Hrn. Ober⸗ 
neisters Fick auf dem Stahlwerk, indem sie ihre 
laum ausgebrüteten sechs Jungen verließ, noch ehe 
dieselben sich vollständig lobgeschält hatten, und sich 
aicht weiter um sie kümmerte. Glücklicherweise 
tellte sich eine Pflegemutter für die Neugeborenen 
ind zwar in einer Katze ein, die mit liebevoller 
Sorgfalt die Kleinen beleckte und sie, mit ihrem 
dörper sie beschützend warm hielt. Daß das selt⸗ 
ame Schauspiel allgemeines Erstaunen hervorrief. 
st selbstredend. Es ist nur die Frage, wie lange 
die Katze die übernommene Aufgabe erfüllen wird.