Full text: St. Ingberter Anzeiger

orzugsweise in vielleicht etwas verdorbenes Fleisch. 
Wie derlautet, beabsichtigt man in England und 
Frankreich diesem Gegenstande von ärztlicher Seite 
ane ganz besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. da 
nan es mit einem sehr gefährlichen, weil mikros⸗ 
opisch kleinen Thiere zu thun hat. 
F Ein furchtbarer Kindermord wird 
uus Walthamstow bei London gemeldet. Ein Schmied 
Ramens Gouldstone, 26 Jahre alt, kehrte am Mit 
woch Abend gegen 6 Uhr von der Arbeit heim, 
ind trat, anscheinend in sehr verdrießlicher Stimmung, 
adas Zimmer, wo seine Frau, die vor einer Woche 
nit Zwillingen niedergekommen war, im Bette lag. 
Fr ersuchte die Wärterin, sich zu entfernen, da er 
Finiges mit seiner Frau zu besprechen habe. Ohne 
srgend ewwas Schlimmes zu ahnen, ging die Frau 
jn den hinter dem Hause gelegenen Garten, wo 
nach einigen Minuten ihre Aufmerksamkeit durch das 
Aeberströmen des Wasserbehälters erregte wurde; 
je eilte in das Haus, um die Ursache des Wasser⸗ 
uslaufs zu ergründen, hob den Deckel der Cisterne 
uf, und war entsetzt, als sie in derselben die drei 
Altesten Kinder des Gouldstoneschen Ehepaares er⸗ 
gänkt fand. Mit zitternden Händen zog sie die 
men Kinder heraus, die offenbar nur einige Mi— 
quten im Wasser gelegen hatten, sah aber, daß das 
deben entflohen und keine Rettung mehr möglich sei. 
In diesem Augenblide schlugen entsetzliche Hilferufe 
zuzs dem Zimmer der Wöchnerin an ihr Ohr; sie 
ailt die Treppen hinab, sindet aber die Zimmerthüre 
hon innen verschlossen; ein Nachbar kommt zur 
hilfe, und ihren vereinten Anstrengungen gelingt 
3; die Thüre zu sprengen und sich Eingang in das 
Zimmer zu verschaffen, wo sich inzwischen ein furcht⸗ 
hares Drama abgespielt hatte. Gouldstone hatte den 
zeiden Säuglingen, welche die beklagenswerthe Frau 
n ihren Armen hielt, mit einem Hammer die 
Schädelknochen eingeschlagen. Das Blut strömte 
mus klaffenden Wunden über den Busen der un— 
zlücllichen Mutter. — Das eine Kind war eine 
Leiche, das andere athmete noch schwach und war 
offenbar gleichfalls dem Tode verfallen! Die Polizei 
war alsbald zur Stelle und Gouldstone ließ sich 
uhig in Haft nehmen. Er gestand zu, die ältern 
zinder ertränkt und die Zwillinde erschlagen zu 
saben, und erklärte, er fühle sich jetzt glückllich, und 
eine Frau sei wieder zu einem ledigen Madchen 
eworden. Der arme Mann leidet offenbar an einer 
Heistesstörung; er war außerordentlich mäßig; ein 
sehr tüchtiger und verläßlicher Arbeiter, ein guter 
Familienvater, und soll nur über den „furchtbaren 
dindersegen“ Klage geführt haben. Bei der Ge— 
burt der Zwillinge war er ganz tiefsinnig; und die 
Sorge, wie es ihm möglich werden würde, seine 
Familie zu ernahren, scheint seinen Geist getrübt 
und ihm in der Ermordung der Kinder den ein⸗ 
achsten Wege gezeigt zu haben, die Ernährungsfrage 
zu lösen. 
Cassamicciola, 12. August. Heute früh 
Uhr wurde hier ein unbedeutender Erdstoß 
oerspürt. Der Minister Genala hat sich nach dem 
Westabhange des Epomeo begeben, woselbst sich 
zroße Risse gebildet haben. 
Von der Schreckensinsel Issschia berichten 
talienische Blätter noch eine Reihe Einzelnheiten. 
Der „Viccolo“ bringt folgende Episode: Mehreren 
Soldaten, die mit Ausgrabung von Leichen beschäf— 
iigt waren, gelanug es, in einen Gang einzudringen, 
Riesen etwas zu erweitern und einen noch lebenden 
ungen Mann, der 110 Stunden unter dem Schutte 
gelegen, zu retten. Erwar, als man ihn an das Tages- 
icht brachte, unverletzt, sprach zusammenhängend, 
jatte einen normalen Puls, versicherte, keinen Hunger 
zu verspüren, und fügte hinzu, er wäre, wenn er 
noch einige Zeit lang unten gelegen hätte, noch 
nicht aus Mangel an Nahrung, sondern aus Ekel 
iber den Geruch gestorben, den die Leiche seines 
neben ihm liegenden Vaters von sich gab. Er habe 
Alles gehört, was man oben sprach, aber schon jede 
doffnung aufgegeben, da seine Hülferufe so lange 
Zeit nicht beachtet wurden. Man forderte ihn auf, 
ich doch zu setzen, er blieb aber lieber stehen und 
egte den ganzen langen Weg bis zur Marina 
zu Fuß zurück. Gleichzeitig bat er, man möge 
9 Ausgrabung fortsetzen, weil unweit von der 
Leiche seines Vaters sich noch sein Vetter am Leben 
)efinden dürfte. Man grub nach seiner Andeutung 
weiter, stieß auf einen Querbalken, entfernte diesen 
d aller Vorsicht und fand nach vierstündiger Ar— 
9 diesen jungen Mann, der, nachdem er mit 
em Weine gelabt worden, auch bald wieder frisch 
gesund war. — Die „Italie“ erzählt Nach— 
tehendes: Ein Soldat vom 11. Artillerie-Regiment 
ließ sich nicht nehmen, daß an einer gewissen Stelle 
unter den Ruinen sich Jemand befinden müsse, der 
hülfe verlange. Nach siebenstündiger Arbeit lam 
ine Hand. und zwar eine Frauenhand zum Vor⸗ 
chein. In diesem Augenblick tritt eine alte Frau 
zinzu, betrachtet die Stelle der Ausgrabung und 
chreit dann: „Da unten muß meine Tochter 
iegen!“ Man arbeitet mit allem Eifer weiter, und 
etzt liegt der ganze Arm blos. Nach und nach 
erscheint der ganze Koörper, aber ein Fuß im Kleide 
zerwickelt und dieses zwischen zwei Blöcken einge⸗ 
lemmt. Wenn man dieselben berührt, stürzt Alles 
usammen. Der Artillerist zieht vor, das Mädchen 
u entkleiden, und legt es dann gerettet in die 
Arme seiner Mutter. Ein anderer Soldat vom 6. 
Versaglieri⸗Regiment hat mehrere Stunden mit dem 
dopfe nach unten in einer Höhlung, die er selbst 
gegraben, geaarbeitet. Von Zeit zu Zeit läßt er 
ich nach oben ziehen, athmet frische Luft ein, macht 
nehrere Schritte um die Zirkulation des Blutes 
nach den Beinen zu befördern, und beginnt wieder 
n der unbeqnemen Lage seine Rettungsarbeit. Plötz⸗ 
ich ruft er: „Zieht mich empor!“ und bringt ein 
choͤnes junges Mädchen heraus. Kaum erblickt sie 
»as Tageslicht, so stößt sie einen Schrei aus, um⸗ 
irmt ihren Retter und küßt ihn. — Wie die 
„Gazetta Piemontese“ berichtet, hat der hochbetagte 
Bischof von Casamicciola, Monsignore Mennelle, der 
jei der Katastrophe mit verschüttet worden ist, und 
erst als Leiche aus den Trümmern hervorgezogen 
vurde, volle vierundzwanzig Stunden in seinem 
hrabe gelebt und konnte sogar noch den Soldaten 
Unweisu:g geben, in welcher Richtung sie nach ihm 
zraben sollen. Seinem Neffen, der den Soldaten 
ei dieser Arbeit half, rief er jortwährend zu: „Hier 
zin ich! In dieser Richtung müßt ihr nach mir 
zraben! Rettet mich doch! Rettet mich!“ veider 
var die Lebenskraft des Greises einige Minuten, 
»evor man die letzte Trümmerschichte von ihm ab⸗ 
räumen konnte, erschöpft, und er hauchte daher im 
Angesichte der schon nahen Hülfe sein Leben aus. 
7 Ueber den Tod des auf einer Forschungs⸗ 
reise an der Westküste Afrikas verunglückten Dr. 
Wilhelm Retzer aus Freinsheim bei Dürkheim 
erhält der Schwäb. Merkur“ folgende Miittheilung: 
In einigen, bei den Seinigen aus Cameroons in 
Wiesbaden am 15. Inli eingetroffenen Zeilen vom 
O. Mai erzählt Dr. Retzer, daß er mit seinem 
Begleiter Dr. Passavant demnächst einen Ausflug 
nach Viktoria unternehmen werde, um von da aus 
den Cameroonsberg zu besteigen. Er erwähnt nur 
janz flüchtig, daß er das Fieber habe; nach neueren 
Nachrichten war er viel kränker, als er angegeben, 
litt in Folge von gänzlicher Appetitlosigkeit an 
zroßer Schwaͤche und machte den Ausflug eigentlich 
veniger der Besteigung wegen mit, als um in 
einer bei Viktoria gelegenen Gesundheitsstation Er— 
holung zu finden. Die Fahrt geschah in einem 
von. Dr. Passavant gekauften Canoe. Die Abfahrt 
von Cameroons fand am 16. Mai, Morgens 6 Uhr 
ttatt, die Ankunft in Bimbia Abends 5 Uhr. 
Nach der Abfahrt von Bimbia am 177, überraschte 
die Reisenden ein heftiger Sturm; zu welcher Zeit 
dies geschab, ist nicht berichtet. Instrumente, Bücher 
und aller sonstiger Ballast wurden aus dem Boot 
zeworfen. Retzer, zu schwach, um lange schwimmen 
zu können und ein Herr aus Hamburg hiriten sich 
auf dem Kiel des Bootes, die mitgenommenen 
Neger hielten sich am Rande fest, Passavant 
chwamm nebenher. Plötzlich wurden die deiden 
Ersteren durch Sturm und Wogen vom Kiel hinab— 
geschleudert, kurze Zeit hielten sie sich durch 
Zchwimmen oben. Passavant schwamm, aus Furcht 
zu ermüden, dem Ufer zu, hielt sich mehtere Stun— 
den an einem Felsen fest und wurde so gerettet 
und zwar durch einen Gummisack, welcher ihm zu— 
fällig in den Weg schwamm und ihn trug. Retzer 
allein, vom Fieber geschwächt, erlag und sank. Kurz 
vorher frug ihn Passavant, wie es ihm gehe, wo⸗ 
rauf er erwiderte, er hielte es nicht mehr lange aus. 
Der Hamburger hörte ihn noch rufen: „Ich kann 
nicht mehr! boys, boys!“, ein Hülferuf, der wohl 
den Negern galt, dann war Alles still. Die Forsch— 
ungsreise, bei welcher Retzer den Tod fand, war 
von dem Basler Passavant auf eigene Kosten aus— 
zerüstet worden und war auf 3 Jahre berechnet. 
Sie bezieht sich auf einige gänzlich unbetretene Ge— 
biete einwärts von Cameroons. Dr. Passavant hat 
sich mehrere Jahre auf die Reise vorbereitet und 
vird dieselbe dem Vernehmen nach nun fortsetzen, 
achdem er seine Instrumente ꝛc. erneuert hat. Die 
Abreise erfolgte Anfangs Januar auf einem dem 
damburger Haus Wörmann gehörigen Schiffe. Das 
zZiel derselben war zunächst die Wörmann'sche Fak— 
orei bei Cameroous. Hier in der Nähe soillte das 
erste Jahr zum Zweck der Alkklimatisation zugebracht 
verden. W. Retzer ist der zweite Pfälzer, welcher 
eit Kurzem im Beginn einer Forschungsreise um⸗ 
zekommen, nachdem Dr. Mook vor 2 Jahren, in 
Begriff, eine Reise um die Welt zu machen, im 
Jordan ertrunken ist. Retzer war ein Maͤnn, der 
vegen seiner seltenen einfachen Liebenswürdigkeit 
und wegen der Biederkeit seines Charakters Jeden 
zum Freund fich erwarb, der ihn kennen lernte. 
Wer ihn kannte, trauert heute um ihn. 
F(Unglücksfall.) Als am 23. Juli in 
Gedes, unweit Syracuse bei New⸗VYork, acht Ar—⸗ 
beiter damit beschäftigt waren, den Hochofen der 
Znondaga Eisen-Kompagnie neu auszumauern, 
stürzte das alte Mauerwerk, welches 60 Fuß hoch 
war, ein und die acht Leute, sämmtlich Familien- 
däter, wurden auf der Stelle getödtet. 
EGie Vorgängerdes Kapitäns Webb.) 
Tapitan Webb ist keineswegs, wie man glauben 
möchte, der Erste gewesen, der das tolle Wagniß 
unternahm, die Stromschnellen des Niagara zu 
durchschwimmen. Wie uns ein alter hier woͤhnender 
Deutsch⸗Amerikaner mittheilt, hat vielmehr Webb 
ereits drei Vorgänger gehabt. In den Vierziger 
Jahren galt Mr. Fuller, der Redakteur des zu 
Milwaukee erscheinenden „Daily Wiskonsin“, als 
der beste und künste Schwimmer in der ganzen 
Inion. Im Frühjahr 1849 besuchte er mit mehreren 
Freunden den Niagara und sofort stieg in ihm der 
Bedanken auf, ob es wohl möglich sei, die Wirbel 
am Fuße des Kataraktes zu durchschwimmen. Seine 
Freunde, die seine Alles in die Schanze schlagende 
Verwegenheit kannten, erklärten jeden derartigen 
Versuch für einen selbstmörderischen Frevel. Unent- 
vegt aber richtete Fuller an den Steuermann der 
Führe, die den Verkehr mit dem Canadischen Ufer 
bermittelt, die Frage, ob noch Niemand das Wag- 
niß imternommen habe. „O, doch“, antwortete der 
alte Charon: „Zwei englische Soldaten von Toronto.“ 
„Wo sind sie durch?“ frachte Fuller mit funkelnden 
Augen. „Dort!“ erklärte der Fährmann und deutete 
eine Strecke stromaufwärts. Goddamm!“ wandte 
sich der Redakteur aa seine Freunde: „Soll sich ein 
Amerikaner nachsagen lassen, er habe weniger Courage, 
als so zwei englische Kommisbrodschluder!?“ Ohne 
auf irgend einen weiteren Zuspruch zu hören, stelzte 
er mit seinen langen Beinen nach der bezeichneten 
Sielle hin, riß sich die Kleider vom Leibe und sprang 
in den Strom, der dort etwa tausend Fuß breit 
var. Schon in den nächsten Minuten sahen ihn 
eine schreckensbleichen Freunde mit den schäumenden 
Wirbeln kämpfen. Bald tauchte er auf — bald 
derschwand er — dann kam er abermals in die 
döhe — um gleich darauf wieder unterzugehen. 
Uber der zähe Schwimmer hielt Stand und da 
„faßt ihn der Strudel mit rasendem Toben — es 
war ihm zum Heil, er riß ihn zur Höhe und an 
das Ufer“, wo ihn seine Freunde, welche die Fähre 
hestiegen hatten, in Empfang nahmen. Auch der 
Fährmann kam herbei. Mit echt Amerikanischem 
Gleichmuth klopfte er dem keuchenden Redakteur auf 
die Achsel und sagte: „Habt Eure Sache gut ge— 
nacht, Sir, denn die zwei Engländer, von denen 
ich Euch sprach, sind unterwegs ersoffen.“ Zweifels⸗ 
»hne war die Stelle, wo Fuller den Niagara durch— 
chwamm, ungleich gefahrloser, wie der Punkt von 
wo aus Kapitän Webb die Passage zu bewerk⸗ 
ttelligen suchte und ist es sehr möglich, daß gerade 
der ja immerhin auf Leben und Tod zugespitzte 
Bräcedenzfall Fuller's den Kapitän bewogen hat, 
noch einen rabiateren Trumpf auszuspielen. Merk— 
würdig bleibt es dabei, daß die Schwimmparthie 
des redakteurlichen Leander, die doch damals so viel 
Furore machte, bis jetzt doch nirgends in gebührende 
Rückerinnerung gebracht worden. 
— Ueber die weiblichen Beamten in Washing— 
fon äußert sich ein Kabinetsmitglied in folgender, 
venig galanter Weise: „Ein Dutzend Frauen ver— 
ursachen uns mehr Trubel, als hundert Männer. 
Unter den Frauen herrscht Eifersucht über Beför—⸗ 
derungen, über Arbeits-Anweisung, über die Sitze, 
velche sie in einem Zimmer innehaben, und über 
ausend wirkliche oder eingebildete Bevorzugungen. 
In diesen Eifersüchteleien und kleinen Streitigzkeiten 
vird bis an das Oberhaupt des Departements ap— 
pellirt. Die Frauen verfolgen mich nicht nur in 
neiner Office (Amtsstube), sondern auch in meinem 
Zause, und versuchen sogar, mich aus dem Bette