St. Jugheyter Amzeiger.
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert.
der ‚St. Ingberter Anzeitzer“ erscheint woͤchentlich funfmal: Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2mal wochentlich mit Unterhaltungs
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M 190. Sonntag, 30. September 1883. 18. Jahrg.
zur Einweihung des Nationaldenk⸗
mals auf dem Niederwalde.
„Hurrah, Du schönes, stolzes Weib, Hurrah
Hermania!“ Wem kommen nicht diese Worte des
hegeisterten Sängers Ferdinand Freiligrath it den
Sinn beim Anblick des gewaltigen Denkmals deut—
—
gestetn Deutschlands Kaiser, Fürsten und die Großen
des Reiches auf dem Niederwalde versammelien.
Boll Bewunderung und Ehrfurcht blicken wir zu
iht auf, voll Muth und Zuversicht und voll Ver⸗
rauen in die Zukunft. Wir schöpfen dieses Ver—
rauen aus der Vergangenheit, einer Vergangenheit,
zie noch nicht weit hinter uns liegt und in deren
dedenken jenes mächtige Standbild der Verkörper⸗
mng deutschen Reiches errichtet wurde. In ihrer
dechten hält Germania die Kaiserkrone und auf
hren Zügen thront hehre Freude, den edlen Schmuck,
vbieder zu Ehren gebracht zu haben, der lange ver⸗
esfsen in der Gruft zu Aachen ruhte. Die Linke
Jjalt kraftvoll des Schwertes Griff umfaßt. Es
uht in der Scheide, denn sie will den Frieden;
iber sie ist allezeit bereit, es zum Schutze Deutsch⸗
ands zu schwingen und deutschen Muth uͤnd deutsche
draft zu bewähren. Im Anölick der edlen Gestalt
rwacht in unserer Brust das Gefühl, das leider
zut zu oft darin schlummert, das Gefühl des Na—
ionalstolzes. Stolz auf seine Nationaliiät, welcher
deutsche sollte es nicht sein, wenn er vor seinem
reisigen Auge die Geschichte seines Volkes vorüber
iehen läßt, von Hermann dem Cherusker bis herab
uuf unsere Tage? Wohl sind dem deutschen Volke
hhwere Prüfungen nicht erspart worden, woͤhl wurde
s* oft zu Boden gedrückt und gedemüthigi, aber
mmer vermochte es sich wieder emporzurichten und
die Fesseln abzustreifen, welche ihm im Zustande
nnerer Zerrissenheit angelegt worden waren. In
ieser Erinnerung liegt aber zugleich die Gewähr,
aß der deutsche Nationalstolz, so berechtigt er audh
st, niemals die Grenze überschreiten wird, die zur
delbstüberhebung führt. War diese Kette bittecer
ersahrungen nicht vielleicht notwendig, um Deutsch⸗
and zu befähigen, eine hohe Mission in der Kultut⸗
ntwicklung der Menschheit zu erfüllen? Möchten
iese Erfahrungen nichi verloren sein, möchte der
nationale Gedanke allezeit hoch gehalten werden in
Sturm und Sonnenschein! Vor Allem im Sonnen.
hein, in den Tagen der Größe und Macht! Die
veneration der Jahre 1870771 wandell vboruber
ind neue Generationen enistehen. Den großen
Nännern unserer Zeit ist nach menschlichem Er⸗
nessen nur noch eine kurze Reihe von Jahren ver⸗
oͤnnt, üuber das Wohl des Vaterlandes zu wachen.
dann werden sie von hinnen ziehen und kommen—
en Geschlechtern die Sorge für die Wohlfahrt
deutschlands überlassen. Möoge ihr Geist auf die
pigonen üͤbergehen und unser Volk durchdringen,
damit er sich fortpflanze auf Kinder und Kinds—
inder. Und wenn die Flamme dem Verglühen
ihe sein sollte, dann moͤge sie sich von NReuem
utzünden am Anblick des gewaltigen Dentmals,
ws bestimmt ist, immerdar unser Voit zu erinnern
nm die Tage größten Aufschwunges und an die
Diederauftichtung des deumgchen Keiches in neuer
racht und Herrlichteit. Wit aber denen eb ber
Hnnt war, in diefer großen Zeit zu leben, wir
ufen dem greisen Heldenkaiser, der gestern am Fuße
der Germansa stand, um des Demtnuis Weihe zu
ulenden, wir rufen ihm zu: Heil, Kaiser Dir!
und Hurrah, Germania!
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Politische Uebersicht.
Deutsches Reich.
München, 27. Sept. Obwohl erst der 28.
September der eigentliche Termin für die Anmel—
dung zum Landtag ist, haben sich doch bereits heute
etwa 30 Herren bei'm Bureauvorstand eingeschrie—
den. Die erste Lesung, in welcher der Finanz⸗
minister den Budgelvortrag halten wird, findet vor⸗
ausfichtlich am Samstag statt und zwar Mittags
11 Uhr, nach Beendigung des Traueragottesdtenstes
für v. Schlör.
In den Einlauf der bayerischen Kammer
der Abgeordneten kamen u. A. die Petitionen um
Behaltsregulirung und Gehaltsaufbesserung von
Seite sämmtlicher Bediensteten der kgl. Verkehrs⸗
anstalten (Civilbewerber und Militäranwärter II.
Tl.), der sämmtlichen Depeschenboten der k. Tele—
zraphenstationen, und der Postboten der Pfalz.
Rüdesheim, 28. Sept. Der Weihe⸗
aktdes Niederwalddenkmals ging unter
zroßartiger Theilnahme Alldeutschlands beim gün—
tigsten Wetter vor sich. Der Kaiser, der Kron⸗
prinz, Kronprinzessin, Königliche Hoheit Prinz Luit⸗
pold von Bayern, Kriegsminister Mailinger und
General Orff, König von Sachsen, Großherzog und
Großherzogin von Baden, Großherzog von Hessen,
Sachsen mit Prinzen, Generale und Staatsminister
aller deutschen Staaten sind anwesend und wurden
ʒegeistett begrüßt; nahmen Auffahrt durch die
tampfgenossen⸗ Spaliere bis zum Denkmal.
Die Uebergabe erfolgte durch den Landesdirektor
Sartorius. Der Kaiser antwortete in begeisternder
Ansprache; er nahm sodann einen Rundgang um
das Denkmal. Am 175 Uhr erfolgte Abfahrt nach
Rüdesheim. Die Huldigung der Feststädte Rüdes—
jeim, Bingen und Mainz war großartig. Es pa—
'adiren 30 Fest-Schiffe verschiedener Staͤde auf dem
Rhein, darunter viele aus der Rheinpfalz. — 8
Uhr Weiterfahrt nach Bingen. (K. 3.)
Der Kaiser und der Kronprinz wer⸗
den heute Samstag, den 29. Sept. zum Besuche
der Großh. Familie in Darmstadt eintreffen.
Wiesbaden, 28. Sept. Der Kaiser, der
Kronprinz und sammtliche hier weilenden Fürsi
lichleiten trefsfen sorben von der Einweihung des
National⸗Denkmals, von Rüdesheim kommend hier
in. Sämmiliche Schüler hiesiger Schulen bilden
Spalier. Das Geläute sämmilicher Glocken durch
lönt die Stadt; es herrscht unbeschreiblicher Ens—
husiasmus.
Berlin, 27. Sept. Wie der Voss. Ztg. aus
dondon telegraphirt wird, feiert die Dail Hews
die morgen stattfiadende Enthüllung des Niederwald⸗
»enkmals durch einen Leitartikel, in welchem sie
agt: Die Einigung Deutschlands war
in Gewinn für die ganze Welt. Die
kristenz einer einigen überlegenen Macht im Mittel⸗
»unkt des europäischen Staatensystems ist günstig
ür den Frieden, den Fortschritt und die Civilfation
Furopas Zukunft hängt im hohen Grade von Deuisch-
ands Haltung ab.
Berlin, 27. Sept. Dem Vernehmen nach
wird Mukhtar Pascha demnächst hier erwartet.
Ausland.
Paris, 27. Sept. Challemel ⸗Lacour wird
morgen zurückerwartet, er übernimmt wieder sofort
die Leitung des Ministeriums des Aeußeren. Der
rzönig von Spanien wird voraussichtlich am Mon—
ag den Ariillerieübungen in Fontainebleau bei—
vohnen —
J Lokale und pfälzische Nachrichten.
*St. Ingbert, 29. Sept. Ein Mann
Namens Herthy aus Ramberg, der in Gersweiler
bei Saarbrücken wohnte, wurde wegen Wilddieberei
zu 8 Monaten Gefängniß verurtheilt und verbüßt
nun seine Strafe in Saarbrücken. Da dessen Fa—
nilie, Frau mit sechs Kinder im Alter von 1 bis
15 Jahren, in Folge dessen subsistenzlos geworden
sind, wurden dieselben in der Gemeinde Gersweiler
nusgewiesen und per Bahn hierhergebracht, um nach
ihrer Heimath Ramberg befördert zu werden.
— Zweibrücken, 25. Sept. (Schwur⸗
gericht.) Verhandlung gegen Karl Kummeter,
52 J. a., Schuster, und Jak. Reiß, 19 J. a.,
Sohn von Karl Reiß Wwe., Beide von Klein—
niedesheim, wegen Meineids. Vertreter der
kgl. Staatsbehörde 2. Staatsanwalt Schneider.
Vertheidiger Rechtsanwalt Schuler.
Vor dem Schöffengerichte Frankenthal wurde
am 26. April abhin gegen drei Tagner von Klein⸗
niedesheim Namens Bogert, Deiß und Volz wegen
Werfens mit Steinen und Sachbeschädigung ver⸗
jandelt. In dieser Verhandlung wurde durch die
»estimmtesten Aussagen der Belastungszeugen Merkel,
Vater und Sohn, festgestellt, daß in der Nacht vom
22. auf den 23. Februar dieses Jahres mehrmals
mit Steinen gegen das Haus der Familie Merkel
geworfen wurde. Dadurch aufgewedckl, verließen die
beiden Merkel das Haus und gewahrten bei hellem
Mondlichte drei Mannspersonen, von denen sie zwei
mit Bestimmtheit als den Bogert und Deiß erkann⸗
ten, welche, als fie die beiden Ersteren erblickten,
mit Steinen nach ihnen warfen. Die dritte Person
vurde nicht erkannt, scheint aber nach Allem Volz
gewesen zu sein. Bogert, Deiß und Volz läugne⸗
hen die That und ftellten auf, sie seien an frag⸗
lichem Abend bis 10 Uhr in der Wirthschaft von
Georg Schall gewesen; kurz nach 10 uͤhr hätten
sie diese Wirthschaft verlassen und sich mit den An—
geklagten auf die Aufforderung des Kummeter hin,
der von seinem Sohne wegen plötzlicher Erkrankung
seines Pferdes nach Hause gerufen worden sei, in
dessen Stall begeben, wo sie bis Morgens 3 Uhr
derweilten. In der Hauptverhandlung vor dem
Schöffengerichte in Frankenthal wurden die beiden
Angeklagten, welche mit ihnen und noch mehreren
Anderen eine berüchtigte und gefürchtete Elique bil⸗
deten, als Entlastungszeugen produzirt und von dem—
selben in Wesentlichen obige Aufstellungen eidlich
xhärtet. Da nun diese Aussagen mit den übrigen
Zeugenaussagen in unlösbaren Widerspruch standen
ind daher die Schuld des Bogert und Genossen in
Frage gestellt wurde, so erfolgie Freisprechung der
Letzteren. Auf eingelegte Berufung des kgl. Amts⸗
anwaltes hin wurden sofort weitere Erhebuͤngen ge⸗
oflogen und diese Voruntersuchung ergab zwingende
Verdachtsmomente dafür, daß die beiden heutigen
Angeklagten in jener Schöffengerichts-Verhandlung
hren Eid wissentlich durch eine falsche Aussage ver—
letzt haben.
Die Geschworenen sprachen die Angeklagten im
Sinne der Anglage schuldig, worauf Kummeter zu
einer Zuchthausstrafe von 8 Jahren und Reiß zu
einer solchen von 3 Jahren verurtheilt wurde. Außer—
dem wurden denselben die bürgerlichen Ehrenrechte
auf die Dauer von fünf Jahren aberkannt und die
dauernde Unfähigkeit als Zeugen oder Sachverstän⸗
dige eidlich vernommen zu werden, ausgesprochen.
Mit dieser Verhandlung schloß die Schwurge⸗
cichtssession des III. Quartals 1883, worauf die
Geschworenen unter herzlichen Worften dee nte