Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Jugherter Amzeiger. 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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M 244. 
Politische Uebersicht. 
Deutsches Neich. 
Der Reichskanzler hat den neuen Entwurf 
num Unfall-Versicherungs-Gesetz dem Vernehmen 
jach gebilligt und dürfte derselbe bis zum Zusam⸗ 
nentritt des Reichstages auch in seinen Einzelheiten 
ertiggestellt sein. Hoffentlich iit dem neuen Ent— 
vurf ein besseres Schicksal beschieden, als seinen 
»eiden Vorgängern. 
GZtur Reise des deutsichen Kron⸗ 
prinzen nach Rom.) Daß die Nachricht 
on der Reife des deutschen Kronprinzen, der 
eit nun dierzehn Tagen unter den erfreulichsten 
lmständen in Spanien weilt, von dort nach 
tom mit einer gewissen Ueberraschung aufge— 
ommen wurde und sich in Hinblick auf die 
igenthümliche Lage des Kirchenstreites sogar Ge 
uchte von einer Mission des Kronprinzen beim 
bapste tnüpften, durfte in mancher Beziehung 
atürlich erscheinen. Freilich ist nun aber gerade 
asjenige nicht wahr, was man an eine angebliche 
irchenpolitische Mijsien des Kronprinzen in Rom 
nüpft. Der Besuch des Erben der deutschen 
daiser⸗ und preußischen Königskron in der Haupi⸗ 
jadt Italiens gilt in erster vinie seinem königlichen 
rreunde und dem in politischer und persönlicher 
zreundschaft auch dem Kaiser Wilhelm verbundenen 
könig Humbert von Italien und dessen erlauchter 
fFamilie und wenn man will, auch dem italien⸗ 
schen Volke, welches bereits neulich in Genug für 
nen deutschen Kronprinzen so herzliche Sympathien 
in den Tag legte. Daß der kronprinzliche Bejfuch 
a erster Linie diesen Zweck hat, geht schon darans⸗ 
jervor, daß für den Kronprinzen im Quirinal, im 
oniglichen Residenzpalaste in Rom, mehrere Be— 
uchszimmer eingerichtet werden und der königliche 
)of in Italien bereits darüber unterrichtet ist, daß 
er deutsche Kronprinz am 17. oder 18. Dezember 
u Rom eintreffen wird. Der Aufenthalt des hohen 
derrn in der ewigen Stadt dauert auch nur zwei 
der drei Tage, da der Kronprinz zu Weihnachten 
vieder in der Heimath und im Kreise seiner Fa— 
nilie zu sein wünscht. 
So darf man getrost die Reise des Kronprinzen 
uch Rom auf einen Alt persönlicher Freundschaft 
ad Courtoisie zurückführen, wobei es allerdings 
elbstverständlich ist, daß der Kronprinz auch im 
damen seines hochbefaglten und an weiten Reisen 
ꝛerhinderten kaiserlichen Vaters in Rom erscheinen 
ind entsprechende Worte im Namen von Deuisch⸗ 
inds Kaiser und Reich an Jialiens Souverain, 
er fich als ein aufrichtiger Bundesgenosse im Frie⸗ 
enéͤbunde gezeigt hat, richten wird. 
Moglich ist es aber auch, daß der deutsche Kron⸗ 
rinz während seiner Anwesenheit in Rom dem 
erhaupte der katholischen Kirche einen Besuch ab— 
iatten wird, denn Kronprinz Friedrich Wilhelm 
pird dereinst auch Millionen Katholiken zu seinen 
Interthanen zählen und es liegt deßhalb für den 
ünftigten Kaiser von Deutschland sehr nahe, mit 
em Oberhaupie der katholischen Kirche, das soviel 
iber die Katholiken vermag, eine Begegnung zu 
aben. Sollten bei derselben auch einige Worte 
ber den derzeitigen Stand der Kirchenfrage in 
zreußen und Deuschland fallen, so werden sie sei⸗ 
us des Kronprinzen gewiß sehr friedlich lauten, 
der auch die Grenzen betonen, die Staat und 
in Preußen und Deutschland sich gönnen 
Samstag, 15. Dezember 1883. 
18. Jahrg. 
müssen. Der Besuch des Kronprinzen im Vatikan 
gründet sich indessen vorläufig nur auf Möglichkeiten 
and es ist daher besser, diesen Besuch nicht eher 
wieder zu discutiren als bis er eine Thatsache ge⸗ 
worden ist. Im Vordergrunde der Mission des 
kronprinzen in Rom kann nur sicher der Freund⸗ 
chaftsaustausch mit der italienischen Königsfamilie 
tehen, wie wir bereits vorstehend erwähnten. 
nicht in officieller Form zum König lomme und 
besteht darauf, daß der Empfang im Vatican feier⸗ 
iich sei und daß des Kronprinzen Auffahrt dazu 
nicht unmittelbar von der italienischen Königsburg 
her erfolge. Es wird indessen sowohl im Quirinal 
als im Vatican für den Besuch gerüstet. Die Re— 
zierungskreise halten sich uber die Frage, in welcher 
Form der Besuch bei'm König erfolgen werde, in 
iußerster Zurückhaltung und begnügen sich, zu ver⸗ 
ichern, daß der Besuch zunächst ein atto di cortesia 
zegen den König sei, und daß die Thatsachen selbst 
alle gegentheiligen Gerüchte zerstreuen würden. Im 
Quirinal herrscht kein Zweifel, datz der Papst den 
Zronprinzen empfangen werde. 
Rom, 183. Dez. Die Korrespondencia Stefani 
neldet: Offizielle Mittheilungen der Berliner Re⸗ 
zierung und eine herzliche direkte Depesche des 
daisers an den König Humbert erklären, der Besuch 
des Kronprinzen in Rom erfolge auf Wunsch des 
ttaisers Wilhelm. Der stronprinz nehme die ihm 
»om Quirinal angebotene Gasftfreundschaft an. 
Der Zweck der Reise sei, für den von der italien⸗ 
schen Bevölkerung dem Kronprinzen bereiteten Em⸗ 
sfang zu danken und die zwischen beiden Herrscher⸗ 
'amilien und Nationen bestehenden Bande immer 
ester zu knüpfen. 
Rom, 18. Dez. Der Kriegsminister befahl 
eine Truppenrevue über 30,000 Mann vorzube⸗ 
reiten, welche zu Ehren des deutschen Kronprinzen 
veranstaltet wird. 
Wie Rußlaud in Rumänien arbeiten 
läßt, davon werden der „Köln. Zig.“ Proben mit⸗ 
getheilt. Die „Independance Roumaine“, das 
russische Centralorgan in Rumanien, schreibt täglich 
in folgender Weise: „Die Politik Bratianos hat 
Rumänien mit gebundenen Händen der Willkür 
des Fürsten Bismarck preisgegeben und das Land 
unter das caudinische Joch der deutscheösterreichischen 
Politik gebeugt.“ Wohin diese Agitation zieit, 
»erräth sich unter Anderem ziemlich deutlich in fol 
jender Bemerkung desselben Blattes: Wir wollen 
nicht untersuchen, wem die Veranwortlichkeit für 
ine so ernste Lage zufällt“ (es ist von der poli- 
ischen Lage Rumaniens die Rede, die natürlich in 
en schwärzesten Farben geschildert wird), es kann 
ogar der Zeitpunki eintrelen, wo diese Verantwort 
ichkeit nicht bei den Ministern aufhören wird. 
Pas und wer hiermit gemeint ist, braucht nicht erst 
rklärt zu werden. 
Ausland. 
Die Tonkin-Debatte in der französischen 
ODeputirtenkammer hat sich aus der vorigen Woche 
zis in diese hinübergezogen unb erlangte am Mon⸗ 
ag durch die Rede, in welcher der Ministerpräsident 
Angriffe der Opposition zurückwies, eine besondere 
Bedeutung. Der Ministerpräsident legte zuuächst 
»ar, daß Frankreich keine abenteuerliche Colonial⸗ 
zolitik verfolge, sondern nur sich seine Colonien zu 
rhalten wünsche, cs sei deshalb nach Tunis ge⸗ 
jangen, um Algier zu schützen, und nach Tonkin, 
im Kochinchina zu schützen; die Ursache aller 
S„chwierigkeiten sei der fortwährende Cabinetswechsel 
n Frankreich. Weiter wies der Minister nach, daß 
ede Verständigung mit China an den wachsenden 
Ansprüchen desselben gescheitert sei, doch sei die di⸗ 
lomatische Aktion noch nicht beendigt und die mili⸗ 
ärische werde sich in den Grenzen halten, die durch 
Zesetzung Sontay's und Bacninh's vorgezeichnet 
eien. Die strategisch wichtigen Punkte müßten 
hesetzt werden, um in nützlicher Weise unterhandeln 
u können; Verstärkungen werde aber Admiral 
Sourbet erst erhalten, wenn er um solche nachsuche. 
Schließlich verlangte Ferry ein Vertrauensbotum 
m Interesse der Armee und Unterhandlungen. 
Die Rede machte sichtlich großen Eindruck auf 
die Kammer, welche schließlich die Credit⸗Vorlage 
ür die Tonkin⸗Expedition mit 381 gegen 146 
Stimmen genehmigte und dann auch eine von Beri 
norgeschlagene und von Ferry acceptirte Tagesord⸗ 
urung mit 315 gegen 206 Stimmen annahm, welche 
die Ueberzeugung ausdrückt, das Cabinet Ferry 
verde den Entschluß und die Ehre Frankteichs in 
Tonkin gebührend wahren. Das französische Mi⸗ 
zisterium hat demnach in der Tonkinfrage einen 
zlänzenden parlamentarischen Sieg davongetragen 
ind dürfte den Radicalen und Bonapartisten die 
duft zu einem neuen Ansturm vorläufig vergangen 
ein. 
Cordova, 12. Dez. Der deutsche Kronprinz 
st Mittags hier angekommen und nach dem Besuche 
der Kathedrale um 2 Uhr vach Alcazar weitergereist 
Cordova, 12. Dez. Bei dem Besuche der 
Moschee wurde der Kronprinz am Eingange durch 
die gesammte Geistlichkeit empfangen. Der Hoch⸗ 
iltar war glänzend erleuchtet. Der Kronprinz 
derweilte über eine halbe Stunde. Auf dem 
Bahnhofe war für den Kronprinzen vom Komité 
ein Dejeuner hergerich tet. Ebendaselbst wurde durch 
ine spanische Deputation eine Adresse überreicht. 
Sammtiliche Offiziere der Garnison waren zur Be⸗ 
zrüßung des Kronprinzen auf dem Bahnhofe an⸗ 
vesend. Es verlautet, der Kronprinz werde nicht 
in Valencia, sondern in Taragona noch einen 
kurzen Aufenthalt nehmen. 
Rom, 12. Dez. Der Vatican betrachtet, 
janz im Einklang mit der hiesigen öffentlichen Mei— 
nung, den Papsftbesuch als Hauptzweck der Romreise 
es deutschen Kronprinzen und ist mißvergnügt über 
ie officivs von Berlin aus veröffentlichte gegentheilige 
Deutung. Der Vatican wünscht, daß der Kronprinz 
Lokale und pfaälzische Nachrichten. 
7 Pixrmasens, 11. Dez. Der „P. Anz.“ 
chreibt: Dem hiefigen Burgermeisteramte ist heute 
inter dem Datum: Frankenthal, 9. Dez. 1883 
olgendes Schreiben zugegangen, das eigenlhümliche 
AI 
zeboren. Die wahre Ursache unferer wirthschaft⸗ 
lichen Uebelstände ist die unsinnig rasche Volleder⸗ 
mehrung dadurch, daß in Deutschlaud jahrlich 
500, 000 Geburten mehr sfind, als Sterbefaͤlle. Wo 
'oll das hinaus? muß fich jeder Denkende fragen. 
In einigen Jahren wird der Rest des in Ametita 
ais jetzt noch unbebauten ertragfähigen Bodens ver 
griffen sein und ist alsdann für eine große Massen⸗ 
auswanderung kein Platz mehr auf der Erde vor⸗ 
handen; wohin dann mit unseren Bevölkerungs⸗ 
iberschusse?! Deutsche Ehepaare sollten sich mit 
—383 Kindern begnügen und nicht 5101n die 
Welt setzen, wie es leider so oft der Fall ist. Soll 
Deutschland nicht an Uebervolkerung und Ueberlon— 
currenz verkümmern und schließlich zu Grunde gehen 
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