Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Inabert.
Der ‚St. Inugberter Anzeiger“? erscheint wöchentlich fünfmal: Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonutag; 2mal wöchentlich mit Unterhaltungs
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A 37. Samstag, 23. Februar 1884. 19. Jahrg.
Volitische Uebersicht.
Deutsches Reich.
Muünchen, 21. Febr. Die Kammer der
Reichsräthe verwies den Antrag Keßler betreffs der
Beschränkung der Verehelichungsfreiheit an den
Ausschuß, lehnte den Antrag Soden betreffend die
größere Vertretung der Landwirthe im Eisenbahn⸗
rathe mit großer Majorität ab und nahm einstim—
mig das Gesetz betreffend die Ausführung des
Reichsgesetzes über die Krankenversicherung der Ar⸗
deiter an.
Berlin, 20. Febr. Der Reichsanzeiger ver⸗
öffentlicht den Wortlaut der bezüglich des Todes
bon Dr. Eduard Lasker zwischen Friedrichs—
ruh und Wafhington gewechselten Noten; zu—
nächst den Erlaß des Reichskanzlers an den Ge⸗
sandten v. Eisendecher, datirt vom 9. Februar
ferner das Schreiben Sargents datirt vom 1. Febr
an den Staatssekretär Grafen Hatzfeldt und die
Resolution des Kongresses der Vereinigten Staaten
vom 9. Januar 1884.
(Ein Jubilãum Kaiser Wilhelms.)
Kaiser Alexander Ul. von Rußland läßt keine Ge⸗
legenheit vorübergehen, um seinem Großoheim Kaiser
Wilhelm in ersichtlicher Weise eine Aufmerksamkeit
zukommen zu lassen. Am 27. Februar werden es
70 Jahre, daß Kaiser Wilhelm den Georgenorden
erhielt für seine Betheiligung an der Schlacht bei
Bar⸗sur⸗Aube, welche er theilweise in den Reihen
des russischen Grenadirregiments Kaluga, dessen
langjähriger Chef er nun bereits ist, mitmachte.
Das Regiment wird den genannten Tag festlich
begehen, außerdem aber auf Befehl des Kaisers
eine Deputation mit dem Kommandeur, Oberst
Korsakow, zur Gratulation nach Berlin entsenden.
Dieser Deputation dürfte sich auch einer der Groß⸗
nten als persönlicher Vertreter des Kaisers an⸗
schließen.
Ausland.
Paris, 20. Febr. Der Herzog v. Aumale
ist fortwährend kränklich. Sein Gesundheitszustand
lößt seinen Freunden Besorgnisse ein. (Der Her⸗
zog, vierter Sohn des weiland Koͤnigs Ludwig
Philipp, hat am vergangenen 16. Januar sein 62
Lebensjahr vollendet.)
Kairo, 20. Febr. Zwei englische Infanterie⸗
Regimenter werden nebst zwei von englischen Offi⸗
zieren befehligien egyptischen Bataillonen nach Afsuan
abgesandt.
NUeber das Treiben der Anarchisten
cheilt ein Newyorker Correspondent folgendes mit:
Reben der deutschen , Freiheit“ befitzen die Anar⸗
histen in Amerika ein böhmisches Organ in Chi—-
ago, sowie ein englisches Blait — „Liberty“ —,
das in Boston unter der Leitung Benjamin R.
Tuker's, eines geborenen Amerikaners, erscheint. In
kuropa erscheint in deutscher Sprache nur ein
Anarchisten · Organ, der , Rebell“, auf dessen Rüd.
eite als Druckort angegeben ist: Freie Volks—
druckerei in Nirgendsheim“. Der „Rebell“ wird
illem Anscheine nach in der Schweiz gedruckt —
entweder in Genf oder in St. Gauen. Nach
Amerika scheint derselbe in elwas größeren Quan⸗
ataten verschict zu werden. Die Anarchisten in
Amerika haben seit Moft's Antunft die Zahl ihrer
Sectionen beständig vermehrt, so daß sie bereits
mn allen größeren Städten Anhänger zählen. Phila—
elphia allein zählt bereits sechs Sectionen, und
ner in Newyork existiren deren vier. nämlich:
erstens die Most'sche. dann eine Gruppe. die etwas
zemäßigtere Ansichten vertritt, (weun hier über—⸗
haupt von Maßhalten die Rede sein kann); die
Rritte Gruppe bilden die Oesterreicher und Böhmen
ind die vierte die in den entlegenen Vierteln, der
ogenannten oberen Stadt, Wohnenden. Die meisten
Versammlungen der Anarchisten werden hinter ver⸗
chlossenen Thüren gehalten, und nur die, welche
zur Anwerbung von neuen „Gesetzesverächtern“
dienen sollen, sind öffentlich. Die Section Most's
stt die stärkste. Sie soll schon mehr als 200 Mit⸗
zlieder zählen. Beobachtet man diese bei ihren
ffentlichen Versammlungen und in ihrem gewöhn⸗
ichen Kneiplocal, so merkt man bald, wie bunt
usammengewürfelt die „Gesetzlosen“ sind. Unter
'hnen bewegt sich z. B. ein wirklicher russischer
Baron aus Livland, ein blutjunger hübscher Mensch
nit feinen Gesichtszügen, dessen Manieren indeß
durch den „bösen“ Umgang gelitten haben. Eine
jervorragende Figur, eine Art „Lokalgröße“ unter
den Arbeitern Newyorks ist dann der Bierwirth
„Justus“ Schwab, in dessen niedrigem Local zu
ebener Erde die Socialisten und Anarchisten ver—⸗
kehren. Eine echt deutsche Gestalt, blaue Augen,
hjellblondes Haupthaar und ein frisches, männlich
schönes Gesicht, umrahmt von blondem Vollbart,
das ist der Mann, der für den tollen „Welten⸗
stürmer“ Most während dessen Gefangenschaft in
London sorgte und ihm zu den Mitteln verhalf
um in Newyork die „Freiheit“ von Neuem heraus⸗
zeben zu können. So ist er Most's „Finanzminister“
geworden. „Justus“, wie derselbe allgemein ge—
nannt wird, übt über seine „Getreuen“ eine Herr⸗
schaft aus, die Einen in Erstaunen setzen muß.
Nur ein Wink, nur ein Wort von ihm — und
Alle folgen ihm blindlings, selbst jener wild aus—
ehende, baumlange Mensch mit den schwüligen
Fäusten, der stets schreit: „Et jeht los!“ Jeden
remden Besucher, der sich in ihre „Höhle“ ver⸗
teigt, betrachten die „Gesetzlosen“ natürlich mil
Mißtrauen, doch kann man im Allgemeinen von
hnen sagen: Sie führen mehr Bomben, Granaten
und Dynamit im Munde als in der Tasche.
Lokale und vickzische Nachrichten.
* St. Ingbert, 22. Febr. Wie uns mit—
getheilt wird, wurde Herr Kaplan Zotz dahier als
ctaplan nach Rülzheim erannnt.
*St. Ingbert, 22. Febr. In der gest—
cigen Stadtrathssitzung wurde unter 19 Bewerbern
derr Peter Badar als Todtengräber gewählt
— Bei der am 16. Febr. zu Limbach Stati
zjefundenen Jagdverpachtungen wurde die Feld⸗ und
Waldjagd von Altstadt den HH. Gebr. Weber
in Limbach um 120 Mk. und diejenige von Nie—
derbexbach dem Fabrikanten Hrn. Schüler von
St. Johann um 480 Mk. zugeschlagen.
— Kaiserslautern, 19. Febr. Der 2
Pfälzische Frühjahrssaatgutmarkt ist von 139 Aus
tellern beschikckt. Am heutigen ersten Tage wur—⸗
den 208 Verkäufe mit einem Gesammigewichte von
197,85 Ctr. und einer Verkaufssumme von 3962,36
M. abgeschlossen. Bei dem vorijährigen ersten
FrühjahrsSaatgutmarkte wurden an den 3 Markt⸗
tagen nur 152 Verkäufe abgeschlossen.
— Kaiserslautern, 20. Febr. Gestern
Abend bei kaum eingetretener Dunkelheit attakirte
in bis jetzt unbekanntes Frauenzimmer auf dem
Schillerplaß ein kleines Mädchen und riß demselben
ie Ohrringe aus, so daß beide Ohrläppchen durch⸗
gerissen wurden.
— Birkweiler, 20. Febr. Einen Beweis
für die Wirkung der für die jetzige Jahreszeit so
abnormen Witterung liefert die Thatsache, daß, wie
das „L. T.“ meldet, im Daschberg hierselbst an
mehreren Stellen Wurzelreben gefunden wurden,
welche in der Erde junge Schosse von 2—23 Zoll
getrieben hatten.
— Von der Alsenz. Die reisenden Hand⸗
werksburschen sind für die Bevölkerung eine wahre
dandplage, denn sie wird von den herumreisenden
Stromern in einer Weise belästigt, daß die immer
lauter werdenden Klagen des Landvolkes vollständig
berechtigt sind; zudem paart sich bei diesen unver—
schämten, Fechtmeistern“ mit dem sogenannten „An⸗
klopfen? eine unerhörte Rohheit, die zu ernsten
Bedenken veranlaßzt. So kam es vor, daß in der
Bemeinde Lohnsfeld am vergangenen Freitrag den
15. Febr. ein so „liebenswürdiger Fechtbrüder“
sich für die ihm gegebenen Geschenke mit Schimpf—
worten, wie sie nur aus dem Munde eines ver—⸗
kommenen Individuums gehört werden können, be⸗
dankte. Ja, seine Rohheit sollte auch culminiren.
Bei der Nichtverabreichung eines Mittagessens machte
derselbe seinem Zorne zuerst durch rüde Aeußerungen
Luft. Als der Hausbesitzer sich dieses verbat, schlug
das fragliche Subjekt mit seinem Knotenstock auf
Ersteren. Zufällig kam noch ein Mann aus Lohns-
jeld dazwischen, welcher hörte, wie der unverschämte
jechtbruder, der, nebenbei gesagt, aus Enkenbach
ein sollte, in aller Wuth schimpfte. Fraglicher
Mann wollte dem bedrohten Hausbesißer Hilfe
eisten, doch es erging ihm schlecht. Eör erhielt
nämlich von dem mehrmals erwähnten Stromer
einige derbe Hiebe auf den Kopf. Möge es der
Polizei gelingen, dieses ruchlosen Menschen habhaft
—
ob seines ungebührlichen Benehmens groß machte.
— Frankenthal, 19. Febr. Daß die poli⸗
zeilicen Wahlen nicht nur eine am Ende ja er⸗
lärliche Verbitterung der Gemüther mit sich bringen,
ondern mitunter auch zu „bösen Häufern“ im
cichtigen Sinne des Wortes führen können, zeigt
zachstehender Fall. Im Juni v. J. praäsentirie
sich der 26 Jahre alte und schon oft vorbestrafte
Steinhauer Johann Emmer dem Restaurateur Dei⸗
desheimer in Haardt als „Agitator“ der Fort⸗
chrittspartei. Er scheint die Wirthschaft des Ge—
nannten zu seinem speziellen Wirkungskreis erkoren
zu haben und „agitirte“ dort auch so nachdrücklich,
daß die natürlich kreditirte Zeche in wenigen Tagen
den Betrag von 26 Mk. erreichte, ganz abgesehen
von 5 Mk., die dem Kämpfer für die „uͤnverdußer⸗
lichen Menschenrechte“ in Baar von dem nach Aus—
age des Angeklagten ebenfalls für die „Freiheit“
ehr begeisterten Deidesheimer eingehändigt wurden.
Soweit ist nun aber jedenfalls die ideale Auffassung
über das Wesen der Dinge bei D. nicht gegangen.
daß er nicht auf Bezahlung der „Wahlzeche“ be—
standen hätte. Der „Agitator“ jedoch vertröstete
ihn auf sein „Guthaben“ an die Fortschrittspartei
mit dem Bemerken, daß er 100 Mt. ja für den
Fall, daß Herr Sartorius gewählt würde, 150 bis
200 Mk. bekommen werde, außerdem schwindelte er
D. vor, er sei Steinbruch⸗ und Weinbergbesitzer
und also wohl zahlungsfähig. Herr Sartorius fiel
durch, ebenso aber auch der Wirih, wobei es natür—⸗
lich uns ferne liegt, diese Thatsachen in irgend eine
Verbindung bringen zu wollen, denn schwerlich hat
die Fortschrittspartei einem derartigen, schon oft
hestraften Subjekte gegenüber sich in Verbindlich-
eiten eingelassen, wie der Angeklagte gern qlauben