Full text: St. Ingberter Anzeiger

des Verewigten. Einige Tage später fiel auch seine 
jüngere noch ledige Schwester in die nämliche 
Krankheit. Vom Gedanken getragen, das Uebel 
fönnte denselben durch „böse Leute“ angethan 
worden sein, begab sich Joseph ins Badische zu 
einem Manne, um sich bei demselben Raths zu er— 
holen. Welcher Unsinn ihm von diesem Manne 
eingeredet wurde, konnte ich nicht bestimmt erfahren. 
Doch sagte mir der nun Dahingeschiedene, als ich 
verflossenen Montag seine geisteskranke Schwester 
besuchen wollte, dieselbe sei „verhext“; in 8 Tagen 
werde sie wieder hergestellt sen. Auf meine An— 
frage, wie denn dies geschehen solle, gab er mir 
nur die Antwort: Alles müsse geheim gehalten 
werden. Einige Worte jedoch, die er fallen ließ, 
gaben mir deutlich zu verstehen, daß ihm ver⸗ 
schiedene abergläubische Mittel und Beobachtungen 
vorgeschrieben worden sind. Seitdem vernahm ich 
noch, daß der zu Rathe gezogene Mann dem jungen 
Müller auf bloße Angabe seines Familiennamens 
alles haarklein solle erzählt haben, was sich mit 
seinen Schwestern zugetragen, daß derselbe ihm den 
Wahn beigebracht, böse Leute seien Ursache an dem 
schrecklichen Uevel, ein anderes Mitglied der Familie 
werde ebenfalls von demselben befallen, ein Selbst— 
mord werde erfolgen u. s. w. „Möchte das eviel⸗ 
leicht mich angehen?“, soll der Verblichene sich zu 
einem seiner Freunde geäußert haben. Kein Wunder, 
daß der Geist des jungen Mannes, durch diese und 
ähnliche Gedanken geplagt, umnachtet worden und 
ihn zur unheilvollen That geführt hat. Wäre der 
juͤnge Mann zu Hause geblieben oder hätte er sich 
an einen Arzt gewendet, so würde meines Erachlens 
das furchtbare Schicksal ihn nicht getroffen haben. 
Wann wird doch einmal der so verderbenbringende 
Aberglauben aus dem Volke verschwinden? 
Aus Sedan theilt man der „Metzer Ztg.“ 
mit, daß die Entfestigung der Stadt, von den 
Wällen der Zitavelle abgesehen, soviel wie gänzlich 
beendet ist. Die Stadt hat dadurch ungemein ge⸗ 
wonnen; neue Straßenzüge, so vom alten Bahn⸗ 
hofe gegen Balan, mit Brücken und Gartenanlagen 
wurden eröffnet und sind zum Theil bereits mit 
Neubauten besetzt. Der neue Bahnhof in leicht zu— 
gänglicher Lage gewährt nicht minder ein gefälliges 
Bild und bequeme Einfahrt in die Stadt, so daß 
im Vergleich mit früher Sedan sich ungemein zu 
seinem Vortheil verändert hat. Auch in Bazailles 
find, bis auf die Rückseiten einiger gegen die Maas 
hinaus gelegenen Häuser, die Spuren des Krieges 
vollsiändig verwischt. Als dauerndes Denkmal der 
Vergangenheit macht das monumentale, dichgefüllte 
Beinhaus im Friedhofe von Bazailles auf den Be⸗— 
sucher den ernstesten Eindruck. 
4— In Karlsruhe feierte kürzlich ein Veteran 
der Freiheitskriege, Oberst v. Reck, seinen 90. Ge⸗ 
burtstag. Der Jubilar ist seit 70 Jahren Ritter 
des Karl Friedrich-Militärverdienstordens, welcher 
ihm am 22. März 1814 verliehen worden ist. 
F Stuttgart, 29. Febr. Die drei des 
Raubmordes an Reinhardt Verdächtigen: Döttling, 
Silberhorn und Heid, sind verhaftet. Döttling, 
der Hauptschuldige, vermag kein Alibi nachzuweisen. 
Alle drei haben üblen Leumund; sie sind Menschen, 
welchen jede Zucht und Ordnung unerträglich ist. 
F Frankfurt a. M. Eine gräßliche Scene 
spielte sich neulich Nachts auf der Sachsenhäuser 
Brücke ab. Zwischen 1 und 2 Uhr bemerkte der 
patrouillirende Nachtwächter König beim Passiren 
der alten Mainbrücke, wie von der Nische aus, in 
welcher das Denkmal Kaiser Karl's steht, eine dem 
Anscheine nach dem Arbeiterstande angehörige, nicht 
schlecht gekleidete Frau, die um ihren Kopf ein 
blaugestricktes Tuch gebunden hatte, in das Wasser 
hinabschaute. Die Frau kniete auf der steinernen 
Brüstung, und der Wächter sagte sich sofort, daß 
das einsame Weib einen Selbstmord auszuführen 
beabsichtige. Er trat deshalb heran, umfaßte die 
Frau und wollie sie herunterziehen. Nun aber 
entspann sich ein heftiges Ringen zwischen Beiden. 
Die Frau machte die wildesten Anstrengungen, sich 
den Armen des Wächters zu entwinden, schlug mit 
aller Kraft diesem in's Gesicht, kratzte den Mann 
mit den Fingernägeln und schwang sich endlich mit 
Gewalt über die Brüstung. Noch vermochte der 
Wächter die bereits halb in der Luft hängende Frau 
einige Minuten lang über der schwindelnden Höhe 
zu halten; da aber keine Hülfe kam, die Lebens— 
müde aber mit krampfhafter Anstrengung sich zu 
befreien suchte und der Wächter nahe daran war, 
mit über die Brüstung gerissen zu werden, so mußte 
derselbe nachgeben und das Weib, das während des 
janzen Kampfes keinen Laut von sich gegeben, los⸗ 
assen. Die Unglückliche stürzte in die Tiefe, ein 
tatschen auf dem Wasser, und Alles war still. 
Entsetzt, todtenbleich, schaute der Wächter auf die 
dunkeln Fluthen, und wankte dann tief erschüttert 
fort, um Anzeige von dem schrecklichen Vorfall zu 
machen. 
FKoblenz, 3. März. Die Leiche des im 
Januar verschwundenen Polizeipräsidenten Geiger 
ist am Samstag bei Rheinbroͤhl im Rhein gefun⸗ 
den worden. Die Werthsachen sind alle vorhanden, 
es scheint sonach ein Unglücksfall vorzuliegen. 
F(Centrums-Sekt.) Wasser in Wein 
derwandeln, soll heut zu Tage Mancher können, 
iber Wein in Tinte, das mag doch wohl nur ein 
ölner Wirth fertig bringen, das heißt, er hats 
einmal gemacht und thuts sein Lebtag nicht mehr 
vieder. Dieser Herr nämlich dachte für den Fall, 
daß seine Karnevalsgäste ein exquisiter Appetitt auf 
Thampagner anwandeln sollte, diesen eine Sorte 
orzusetzen, die sich gewaschen hätte. Er ließ sich 
»eßhalb von einem mit der Fabrikation des edlen 
—„chaumweines bekannten Gaste das nöthige Rezept 
jeben und machte aus einer Sorte Mosel⸗- oder 
stheinwein einen Sekt, der, wie er meinte, „nicht 
jon schlechten Eltern war.“ Er hatte eine gute 
Anzahl Flaschen fertig und berechnete bereits im 
Stillen die Summe, welche ihm diese hausmacherne 
Marke einbringen sollte. Da stellt sich der erste 
Feinschmecker ein. „Ich will heut einmal etwas an 
nich legen“, meint der Mann in rosafarbener 
darnevalslaune, „Sie Muster aller Kellermeister, 
ne Flasche Sekt!“ Die Flasche kommt. „Sollen 
Zie mal 'ne Marke kosten,“ sagt schmunzelnd der 
sanymed. Puff! springt der Propfen gegen die 
Decke. „Was das knallt!“ „Und —“ doch das 
Hesicht des Mundschenks wird immer länger, denn 
er perlende Sorgenbrecher fließt ... schwarz wie 
Tinte in das Glas. „J, sollt ich mich denn ver— 
zriffen haben?“ Er holt eine zweite Flasche herbei, 
Dderselbe Knall, dasselbe Aufspringen des Propfens, 
ieselbe schwarze Tinte. Man kann sich den Jubel 
der Gäste und die Verlegenheit des Restaurateurs 
denken. — Wie man vernimmt, ist die Weinstein— 
äure bei der Fabrikation des Schaumweines, wozu 
geschwefelter Wein genommen worden war, blei⸗ 
saltig gewesen, wodurch sich Schwefelblei gebildet 
ind dem feinen Champagner die „hübsche“ schwarze 
Farbe gegeben hat. Dem Wirthe ist von seinen 
jeiteren Gästen der treffende Vorschlag gemacht 
vorden, die sonderbare Sorte „Centrums-Sekt 
narte uoire“ zu markiren. 
F Aus Nassau schreibt man der „Kobl. 3.“: 
„Das alte Märchen von den in Algier zurückge— 
jaltenen deutschen Kriegsgefangenen taucht immer 
vieder von neuem auf und findet, wie es scheint, 
uuch noch immer gläubige Ohren. Seit wenigen 
Tagen sind die Gemüther in hiesiger Gegend durch 
olgende schauerlich klingende Geschichte in die größte 
lufregung versetzt. Ein von der Sonne stark ge— 
zränter Mann mit sehr langem Kopf⸗ und Bart⸗ 
saare, angeblich auf der Reise nach Berlin begriffen, 
raf jüngst hier ein; er gab an, in einem kleinen 
Dorfe auf dem Westerwalde gebürtig zu sein, er 
sjabe in dem Feldzuge von 1870 als Soldat mit 
jefochten, wäre mit 60 seiner Kameraden in die 
Hefangenschaft der Franzosen gerathen und nach 
Algier verschleppt worden, woselbst sie auf einer 
dolonie von morgens früh bis abends spät, mit 
gdeißelhieben angetrieben, unter übermenschlichen 
Unstrengungen den Pflug ziehen mußten. Seine 
Flucht hätte er einem Lumpensammler zu verdanken, 
velcher, von Mitleid bewegt, ihn in einem Sacke 
nuf einem Wagen über die Grenze verbracht hätte. 
Seine Frau, welche er, als er nach Hause gekom⸗ 
nen, zwar noch am Leben getroffen, hätte sich aber 
vährend dieser Zeit mit seinem jüngeren Bruder 
erheirathet. Ob der Märchen⸗-Erzähler nur seiner 
Zhantasie die Zügel hat schießen lassen, oder ob 
einer Erfindung eine schwindlerische Absicht zu 
ßrunde liegt, ist nicht ermittelt.“ 
F Berlin, 28. Febr. Man schreibt der „Voss. 
3tg.“: Nach dem Betriebsreglement für die Eisen⸗ 
ahnen Deutschlands hat ein Reisender, welcher in 
Folge Verspätung ein Fahrbillet nicht mehr hat 
ösen können und hiervon unaufgefordert dem 
Schaffner sofort bei dessen Erscheinen Mittheilung 
nacht, Anspruch auf Beförderung gegen Nachlösung 
des erforderlichen Billets auf der nächsten Station, 
velche genügenden Aufenthalt bietet, und gegen 
zahlung eines Zuschlages von 1 Mark. Einem 
Zeschlusse der preußischen Staatsbahnen zufolge soll 
n Fällen, in welchen Reisende verspätet mit einer 
Nachbarbahn oder einem Anschlußzuge ankommen 
und aus diesem Grunde keine Zeit zum Lösen von 
Billets für die Weiterfahrt mehr haben, von Nach. 
erhebung des Strafgeldes von 1 Mark abgesehen 
werden. 
FBerlin. (Sieben Wochen unschul. 
digin Untersuchungshaft.) Der noch unbe— 
choltene Schuhmachergeselle Paul Lorenz und 
»er Schuhmachergeselle Karl Moritz Graf, welcher 
wei kleine Strafen wegen Diebstahls erlitten hat, 
purden am 9. Januar d. J. auf die Angabe eines 
Ddiensimädchens hin, welche den Ersteren als einen 
»er Diebe wiedererkennen wollte, die am Tage 
uvor bei ihrem Dienstherrn, dem Schankwirlh 
Fiermann einen Einbruch vollführt, in Unter 
uchungshaft genommen, und da die beantragten 
Alibi-⸗Beweise Mangels genauer Zeitangabe über 
die Ausführung des Diebstahls nicht vollständig 
gelingen konnten, wurden die beiden Verdächtigen 
vegen gemeinschaftlich begangenen schweren Dieb— 
tahls unter Anklage gestellt. In der am Samstag 
yor der IV. Strafkammer hiesigen Landgerichts J 
tattgehabten Hauptverhandlung gelang es aber 
dem Vertheidiger Rechtsanwalt Steinschneider, die 
Unschuld seines Mandanten Lorenz und damit zugleich 
die des Mitangeklagten voll zu beweisen, so daß 
der Gerichtshof nicht nur beide Angeklagte freisprach, 
sondern auch der Staatskasse die Kosten der Verthei— 
digung auferlegte. Selbst die Haupturheberin der 
Anklage, welche sich als eine Person herausstellte 
die früͤher unter Sittenkontrole gestanden, mußte 
nuf die eindringliche Examination des Vorsitzenden, 
randgerichts- Direktors Martius zugeben, daß sie 
ich mit ihrer bis dahin ganz sicheren Rekoqgnition des 
rorenz geirrt hatte. 
FBerlin. Ein musterhafter Sohn präsen⸗ 
irte sich in dem vierundzwanzigjährigen Metzger— 
jesellen Carl Sachs aus Bansdorf der ersten Straf⸗ 
ammer. Der Angeklagte hat nicht viel Lust zur 
Arbeit und liegt daher meist seinem allerdings wohl 
habenden Vater zur Last. Um den Sohn zur Raison 
u bringen, spedirte ihn der Vater bald nach zurüd— 
elegter Militärzeit nach Amerika, aber schon nach 
venigen Monaten kehrte der Herr Sohn zurück 
stun gab es jedes Mal, wenn der Vater kein Geld 
sergeben wollie, heftige Scenen zwischen Beiden. 
Der Sohn faßte den Vater oft bei der Kehle und 
rohte ihm mit dem Todtschläger; einmal hielt er 
hm auch einen Revolber an die Stirn, der aller⸗ 
ings — wie sich später herausstellte — nicht ge⸗ 
aden war. Der alte Vater trat mit seinem Dienst⸗ 
ersonal, nachdem er selbst den Strafautrag gestellt, 
yor Gericht als Zeuge gegen den Soha auf und 
er Gerichtshof erkannte den Angeklagten der Be— 
rohung mit einem Verbrechen für schuldig und 
derurtheilte denselben -— während der Staatsanwal 
nur sechs Wochen beantragte — zu drei Monaten 
Befängniß. Der Sohn ging in's Gefängniß, ohne 
zen Vater auch nur eines Blickes zu würdigen. 
Geichsgerichts-Entscheidung. In 
Fällen wo das Verweilen in einer fremden Wohnung 
rst durch die Aufforderung des Berechtigten, die 
Vohnung zu verlassen, zu einem unbefugten wird, 
at die Nichtbeachiung dieser Aufforderung nach 
inem Urtheil des Reichsgerichts, III. Strafsenats, 
om 7. Januar 1884 die Bestrafung wegen Haus⸗ 
riedensbruch zur Folge; es bedarf demnach keiner 
weiten Aufforderung, die Wohnung zu verlassen, 
im die Strafbarkeit des Verweilenden herbeizu—⸗ 
ühren. — Die aligemein verbreitete Meinung, daß 
sↄ einer dreimaligen bezüglichen Aufforderung bedürfe, 
im den Hausfriedensbruch verfekt zu machen, if 
onach eine irrige. 
F Die „Grenzboten“ bringen einen interessanten 
Artikel über „Mode und Patriotismus“, welcher 
charf die Thorheiten in der Tracht unserer Damen⸗ 
velt tadelt. Das Blait bemertt: „Wenn sie an 
ich selbst vorüberzögen, einmal mit Reifrock, dann 
nit zusammengeschnürten Knieen, bald mit der 
-„chleppe den Staub zusammenkehrend, bald kurj 
jeschürzt wie eine Bajedere, heute ein winzige 
)ütchen auf dem Haarthurme balancierend, morgen 
in Racken und übermorgen auf der Nase, drei Zol 
ohe Absätze, nicht einmal unter der Ferse, sondern 
inter dem Fußblatte, den Leib zusammengepreßt — 
och wo fände man ein Ende des Unsinns?“ Und 
ver bringe denn gegenwärtig die neuen Moden auf! 
dariser zweifelhafte Damen, und namentlich solche— 
velche außerdem Theaterprinzessinnen seien. Wenn 
s einer solchen Person einfalle, eine Aenderung in 
sleiderichnitt borzunehmen, welche ihre Reize erhöbe