Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert.
der ‚St. Ingberter Anzeiger“ erscheint wochentlich fünfmalr Am Montag, Dienstag, Donuerstag, Samstag und Sonnmtag; 2mal wöchentlich mit Unterhaltungs
ßlatt und Sonntags mit Sseitiger illustrirter Beilage. Das Blatt kostet viertelijahrlich 1 60 õeinschließlich Traägerlohn; durch die Post bezogen 1M 75 , einschließlich
(0 Z Zustellungügebühr. Die Einrückungsgebühr für die 4gespaltene Garmondzeile oder deren Raum beträgt bei Inseraten aus der Pfalz 10 —, bei außerpfälzischen und folchen
auf welche die Expedition Auskunft ertheilt, 135 ⸗, bei Reclamen 30 . Bei 4maliger Einrückung wird nur dreimalige berechnet.
—5 47. Samstag, 8. März 1884.
19. Jahrg.
* Des Haundwerks „güldener“ Boden.
Nachdruck verboten.
Solch schlechte Zeiten, wie gegenwärtig, können
»och unmöglich schon dagewesen sein.“ Wie oft
jört man diese Klage und haupisächlich ist es der
handwerkerstand, der dieses Klagelied fort und fort
ertönen läßt. Es wird wohl von keiner Seite be⸗
ritten werden, daß namentlich das Kleinhandwerk
zegenwärtig in einem für seine Angehörigen, wie
r die Gesellschaft recht unbefriedigenden Zustande
ist, aber über die Wege, welche einzuschlagen sind,
um eine Hebung des Handwerkerstandes zu bewerk⸗
telligen, gehen die Anfichten so recht weit ausein
mder. Insbesondere sind es die Handwerker selbst
velche, durch den nun über zehn Jahre anhalten⸗
hen Druck auf das Erwerbsleben der vielen Versuche
müde, auf Abwege gerathen und, anstatt Besserung
herbeizuführen, immer größere Unklarheit in ihre
Verhältnisse bringen. Die Mehrzahl der Handwerker,
aamentlich in den Mittel- und Kleinstädten, wollen
ein Aufblühen ihres Standes durch Abänderung
der Gewerbefreiheit herbeiführen in der Weise, daß
wieder, wie im Mittelalter, womöglich obligatorischt
Innungen oder fakultative mit gewissen Vorrechten
der selbstständigen Meister eingeführt werden sollen.
Andere suchen das Verlangen nach dem alten Zunfl⸗
wang durch den Zusatz „zeitgemäß modifiziert“ zu
mildern, streiten aber untereinander heftig über das
Maß der Modifikation. Noch andere verwerfen,
zleich dem Verfasser, allen und jeden Zwang und
joffen auf eine allmähliche Reform des Gewerbe⸗
tandes durch soziale Mittel. Ein Hauptmittel in
dieser Bezichung wird immer eine tüchtige ent⸗
prechende Ausbildung des Lehrlings in technischer,
mtellektueller und sittlicher Hinsicht sein, wie endlich
zuch gute Fortbildungs⸗ und Fachschulen fördernd
ind bessernd einwirken werden. Um alles in der
Belt aber soll man nicht die Gewerbefrage als eine
Sache der Politik oder Gesetzgebung betrachten
stur zu häufig übersieht man, daß in dieser Ange-
egenheit einestheils persönliche und lokale, andern⸗
heils aber vorzugsweise technische und weltwirth
chaftliche Gesichtspunkte maßgebend sind. Das
Allerletzte aber ist das Zurtdwünschen des alten
zunftzwanges. Die Zunfte gingen hauptsächlich
in der weiteren Verbreitung der Arbeitstheilung,
et Maschinen und des Großkapitals und an der
durch die heutigen Transportverhältnisse (Eisenbahnen,
Dampfschiffahrt) erleichterten Beweglichkeit von Men⸗
chen und fertigen Handwerksprodukten zu Grunde.
Die Franzosen, Engländer und Amerikaner er⸗
lannten die segensreichen Einwirkungen, welche die
Schnelligkeit der Beförderungsmittel mit fich brachten,
weit früher, Deutschland kam fünfzig Jahre später
erst zu dieser Einficht. Jeht leiden wir darunter,
und der Umstand, daß die Einführung der wirth⸗
caftlichen Freiheit mi der größten politischen und
sinanzieslen Umwälzung zusammenfiei, brachte die
allgemeine, durch den Nistiardenzauber für die Zu—
taͤnde in Deutschland noch verschlimmerte gewerbuͤche
Erschütterung.
a su Hauptirrthum unserer deutschen Handwerker
eht aber noch darin, daß sie die Wiederherstel⸗
ug besserer Zustände immer und immer nur bon
en niemals aber von innen erwarten, daß sie
ie fort und fort die Gesetzgebung, nur nicht
selbst reformieren wollen. KRur fuͤr diejenigen
gne X alte Spruch „Handwerk hat einen gül⸗
b Boden“ wahr, welche selbst einen guten Grund
nde und als lebendige Kräfte darauf schaffen
en.
Was nützen alle Belehrungen in Wort und
Schrift, wenn man mit Sehnsucht alte längst ab—
zethane Zeiten wieder zurückersehnt, wenn ohne
seden Sinn und Verstand fortwährend das Ideal
des früheren deutschen Handwerksmeisters mit langer
Pfeife und Zipfelmütze, das echte Abbild des deut⸗
chen Michels, geschildert wird, der infolge der
Zwangsinnungen frei von unwürdiger und „er⸗
rückender“ Konkurrenz geblieben sei, der über gute
Hesellen und Lehrlinge verfügt habe u. s. w. Was
nützt es, wenn hundert und tausendmal gepredigt
vird, daß das beste Mittel, gute Gesellen und Lehr⸗
inge zu bekommen, nur im Vorbilde liege. Es
zilft alles nichts, der deutsche Handwerker hat eben
in zähes Fell, er will nicht ceinsehen lernen. Der
Staat und immer wieder der Staat, der soll helfen!
Zu dieser Einsichtslosigkeit kommt noch häufig
ein falscher Stolz. Und dieser falsche Stolz ist es,
welcher gute Kräfte aus dem Handwerk hinaus
drängt, anstatt daß sie das Höherhinauf im Hand—
werke selbst suchten.
Wie oft hört man sagen: „Mein Sohn soll
einmal nicht nur ein Handwerker, wie ich selber,
werden, der hat Talent, der ist zu etwas Besserem
geboren.“
Gesetzt aber, der gute Junge hätte wirklich
gute Anlagen, — Elternaugen wittern bekanntlich
ungeheuer gern in ihren Kindern schlummernde Talente,
— machen ihn diese guten Anlagen wirklich un—
tauglich zum Handwerke? Müssen sie wirklich daselbß
verfüummern oder untergehen?
Mit Zuversicht darf wohl behauptet werden
daß nicht nur unsere gewerblichen, auch unser
socialen Zusiände im Großen und Ganzen weit
besser wären, wenn über die Berufswahl der Mehr—
ahl unserer jungen Leute ein verständiger praktischer
ZSinn entschiede, weniger kurzsichtige Eitelkeit und
nißverstandene Zärtlichkeit herrschte, und wenn end⸗
cich der Gewerbestand nicht so gern als ein Asys—
ür Unfähigkeit betrachtet würde.
„Der Junge ist dumm, der muß Schuster
werden“, heißt es. Als od beim Schuhmacherhand⸗
verk nur Dumme Platz nehmen könnten. Wie
elten mag es wohl vorkommen, daß ein halbwegs
»egabter Kopf vom Vater zu diesem Handwerke
zedrängt wird. Ei bewahre, der muß Kaufmann
werden, der muß studiren oder dar sich zum Künstler
ausbilden! Solchen traurigen Verirrungen allein
aber ist es zuzuschreiben, daß wir im Gewerbestande
Meister haben, die gar keine Meister sind, während
andernteils darbende und verkommne Handelsbe⸗
dlissene, Kunststümper und „Stellenlose“ aller Art
in Hülle und Fülle, auf der Erde herumstrolchen,
den Mitmenschen zur Last.
Eine bessere Ueberlegung und größere Einsicht
bei der Berufswahl aber würde endlich die Zahl
der unzufriedenen und unglücklichen Menschen be⸗
deutend vermindern und die zahlreichen Fälle von
Trunksucht, Irrsinn, Verbrechen aller Art und Selbst⸗
nord würden sicher abnehmen.
Es liegt also sehr viel in den Händen des
Gewerbsmannes selbst, sollen die Zeiten besser
werden. Es heißt nur daran arbeiten und, wenn
im Handwerke Selbstachtung und Zuversicht, wo
sie noch bestehen, erhalten und gestärkt, und wo
sie fehlen, gepflanzt und gepflegt werden, dann
wird das Handwerk auch wieder einen güldenen
Boden bekommen.
Napoleon sagte zu seinen Soldaten: „Jeder
von euch trägt den Marschallstab im Tournister.“
In ähnlicher Weise könnte man den Lehrlingen zu—
rufen: „Jeder von Euch kann Großindustrieller und
Fabrikherr werden, habt nur Kopf und Hand und
derz dazu und rührt euch gehörig!“
Daß dies kein leerer Wahn ist, daß aus armen
Gesellen bedeutende und reiche Fabrikherren ge—
worden, lehren uns Tausende von Beispielen, und
daß niemand davon ausgeschlossen ist, danken wir der
Bewerbefreiheit.
Der kleine Handwerker hat aber die Großin⸗
dustrie nicht als boͤsen Feind anzusehen, sondern
theils als Bundesgenossen, theils als die höhere ihm
jelbst zugängliche Rangstufe des eignen Berufs.
Nur muß er sich sorgsam hüten, jener diejenigen
Bebiete streitig machen zu wollen, in welchen sie
hm naturgemäß überlegen ist. —
Wir stehen wieder vor dem Zeitabschnitte, an
velchem Tausende von Knaben ins praktische Leben
ibertreten, und daher dieser Mahnruf. Mögen die
Eltern ja strenge Prüfung halten, damit von den
rxwachsenen Soöhnen ihnen nicht der Vorwurf ge⸗
nacht werde: „Jor Eltern seid an meinem traurigen
S—chicksale schuld; hättet ihr mich nicht zu diesem
Berufe gezwungen.“
Den neuen Lehrlingen aber möge noch besonders
ür spätere Zeiten, für ihr ferneres Wohl und
Fortkommen dringend ans Herz gelegt werden, daß
Fleiß, Nüchternheit, Ausdauer, rasche Anwendung
der zweckmäßigsten Werkzeuge, gute Maschinen und
Arbeitsmethoden, strenge Gewissenhaftigkeit, sowohl
m der Wahl des Materials, als auch in der Aus⸗
ührung der Arbeit und besonders in der Inne⸗
njaltung des Ablieferungstermins, Unterlassen des
Virthshausbesuches während der Arbeitszeit und
trenge gegen ssch selbst, damit, wenn sie einmal
elbst Meister geworden, Gesellen und Lehrlinge ein
jutes Vorbild haben, die besten Mittel sind, das
handwerk wieder zu heben. Dann erst wird das
Sprichwort wieder wahr werden: „Handwerk trägt
einen goldenen Boden.“
Den gegenwärtigen Meistern aber möchte man
zurufen: „Aendert euch selbst, so werden sich auch
die Zeiten ändern!“
Wenn von dem Gesagten aber nur einige Körnchen
auf guten Boden fallen und Früchte tragen, so wird
der Erntesegen ein tausendfacher sein. Das walte
Gott! P. W.
Politische Uebersicht.
Deutsches Reich.
Müunchen, 6. März. Die Abgeordneten⸗
sammer bewilligte sämmtliche übrigen von der Re—
zierung postulirten Lokalbahnen, nahm ferner den
Antrag Pfahler auf Einstellung von 2,435,000 Mtk.
ür eine Linie von Zwiesel nach Grafenau mit 74
gegen 61 Stimmen an und genehmigte schließlich
das ganze Gesetz mit 110 gegen 29 Stimmen.
Der Haupiausschuß des bayer. Volksschul⸗
lehrer⸗Vereins bittet um materielle Besserstel⸗
'ung der aktiven und emeritirten Volksschullehrer
Die Petenten wünschen in Gemeinden bei 1000
Seelen 1000 Mk., in Gemeinden von 1000 bis
2500 Seelen 1100 Mk., in Gemeinden von 2500
bis 10,000 Seelen 1200 Mk., in Orten von
10,000 bis 50,000 Seelen 1400 Mb., in Orten
von mehr als 50,000 Seelen 1600 Mk. Mindest-
gehalt, nebst freier Wohnung oder entsprechender
Wohnungsentschädigung, dann für die Schulverweser
700 bis 1100 Mt. nebst freier Wohnung und für
die Schulgehilfen 660 bis 800 Mk. nebst freier
Wohnung. Referent Abg. Reindel stellte