Full text: St. Ingberter Anzeiger

am 3. d. im Petitions-Ausschuß der Ab⸗ 
geordneten⸗Kammer den Antrag: „Geeignet 
zur Erörterung im Plenum“ mit der Motivirung: 
zur Tagesordnung überzugehen. Dieser 
Antrag wurde angenommen. 
Berlin, 6. März. Die Thronrede, mit 
welcher heute Mitiag uͤm 12 Uhr der deutsche 
Reichstag eröffnet worden ist, besagt: Die 
Hauptauf gabe des Reichstags liege auf so— 
zialpolitischem Gebiete. Der wiederholt 
feierlich bekundete Wunsch des Kaisers in Betreff 
der Hebung der Lage der Arbeiter habe im Volke 
volles Veiständniß gefunden. Als Vorlagen 
werden in der Thronkede genannt: Unfallver— 
sicherung der Arbeiter; nach dem Zustandekom⸗ 
men dieser Vorlage seien Alter s⸗ und Invalidi— 
täts-Versicherungen anzustreben. Hierdurch 
soll den auf den Umsturz der gottgewollten und 
der monarchischen Ordnung gerichteten Bestrebungen 
der Boden eutzogen und die Beseitigung der 
Ausnahmemaßregeln angebahnt werden. Die Thron⸗ 
rede kündigt ferner Vorlagen über Verlängerung 
des Sozialistengesetzes, Abänderung des 
Hilfskafssengeseßes sowie des Aktienge— 
setzes und der vorjahrigen Pensionsgesetze sowie 
Kosbentionen mit Belgien zum Schutze der Werke 
der Literalur und Kunst sowie der Modelle an. — 
Die auswärtigen Beziehungen bezeichnet 
die Thronrede als hochbefriedigend; sie betont 
die Solidarität der friedliebenden Gesinnungen 
Deutschlands mit jenen der benachbarten und be⸗ 
freundeten Mächte, wodurch der Friede nicht nur 
für Deutschland allein gefichert sei. Die Befestig- 
ung der ererbten Freundschaft Deutschlands mit den 
benachbarten Kaiserhöfen, die Aufnahme des deutschen 
Kronprinzen in Italien und Spanien lieferten den 
Beweis,daß dem Ausehen Deutschlands im Aus— 
lande das Vertrauen der Fürsten und Völker auf 
unsere Politik zur Seite sieht. 
Berlin, 6. März. Die Verschmelzung des 
Fortschritts und der Sezession unter dem Namen 
Neue freisinnige Parthei“ ist auf die Initiatwe 
Richter's erfolgt. Die neue Fraktion wird geschlossen 
gegen die Verlängerung des Sozialistengesetzes 
stimmen. Die nationalliberale Partei wird sich nicht 
anschließen; ihre Stellung ist jetzt kiarer¶ da die 
Grenzlinie schaͤrfer als je gezogen ist. Ihre Be⸗ 
deutung als Mittelpartei ist so im Wachsen. 
Berlin, 6. März. Die Secessionisten und 
Fortschrittspartei erlassen einen Aufruf, worin sie 
den Gesinnungsgenossen den Vorschlag der Ver⸗ 
einigung der beiden Parteien unter dem Namen 
„Deutsch⸗freisinnige“ zur Billigung unterbreiten. 
Als Einigungspunkte werden im Wesentlichen auf⸗ 
gestellt: Verantwortliches Staatsministerium, ein— 
Jährige Finanzperioden, Allgemeines Wahlrecht, 
Diatenbewilligung, gesetzliche Regelung des Verhält⸗ 
nisses zwischen Staat und Religionsgesellschaften, 
Bekämpfung des Staatssozialismus, Entlastung der 
nothwendigen Lebensbedürfnisse, moglichst Abkürzung 
der Dienstzeit, Bestellung der Friedenspräsenzstärke 
innerhalbe jeder Legislaturperiode. Der Aufruf 
schließt: „Dies Alles zur Befestigung der natio— 
nalen Einheit in Treue gegen Kaiser auf dem 
derfassungsmäßigen Boden des Bundesstaates.“ 
Die Provinzial-Korrespondenz bezeichnet als 
gesetzgeberische Aufgaben des Reichstages die 
ünfall-Versicherung, die Verlängerung des 
Sozialisten-Gesetzes, das Gesetz über 
Aktien-und Aktien-Kommandit-Gesell— 
schaften, die Novelle zum Hilfskassengesetz, das 
Reichs⸗Militär⸗ und Zivildeamten- Gesetz und die 
Kreditforderung für Marinezwecke. Der Schwerpunkt 
der Aufgabe bestehe darin, den äußeren Frieden zur 
Herstellung und Befestigung des inneren Friedens 
und der Eintracht zwischen den verschiedenen Gesell— 
schastsklassen zu benutzen. 
Ausland. 
Paris, 6. Marz. Die Polizei ist eifrig be—⸗ 
müht, etwa sich hier aufhaltende Theilnehmer an 
den neulichen Londoner Altentaten zu entdecken. 
Lokale und pfälzische Nachrichten. 
sr Blieskastel, 6. März. Die hiesige Stadt— 
oerwaltung hat sich in letzter Zeit durch einen Be— 
schluß einen, wir dürfen wohl sagen, ziemlich zweifel⸗ 
haften Ruhm erworben. Dieselbe hat nämlich, 
wahrscheinlich aus Ersparnißgründen, manche nehmen 
ruch einen anderen Grund an, die schon Jahre lang 
hier bestehende gewerbliche Fortbildungs— 
schule aufgehoben. Der Beschluß soll bereits dit 
Henehmigung der kgl. Kreisregierung erhalten haben 
— Zweibrücken, 6. März. Dem Verneh⸗ 
men nach ist die Brauerei „Zum Park“ dahier 
(Busch & Neidert) an die Firma Rothbart & 
Co in Fraukfurt a. M. übergegangen und wird 
borläufig unter der seitherigen Firma weiterbe⸗ 
krieben. (3. 3.) 
— Neustadt, 5. März. Vor dem Schöffen⸗ 
gerichte wurde gestern eine Sache verhandelt, die 
ür das Vereinswesen nicht ohne eine prinzipelle 
Bedeutung ist. Die Antlage richtet sich gegen die 
Vorstände der beiden hiesigen Ortsvereine der 
Schneider und Schreiner (zu den Hirsch⸗Dunler'schen 
HZewerkoereinen gehörig) wegen Abhaltung einer 
„ffentlichen Versammlung ohne dazu die distrikts⸗ 
»olizeiliche Erlaubniß eingeholt zu haben. In der 
raglichen Versammlung waren auch zahlreiche Nicht⸗ 
nitglieder anwesend und hielten dabei die Herren 
Frey und Fröbel aus Mannheim Reden. Die An—⸗ 
setlagten bestreiten, daß die fragliche Versammlung 
aine öffentliche im Sinne des Vereinsgesetzes ge⸗ 
vesen sei und daß in derselben das politische Gebiet 
»erührt worden. Der k. Amtsanwalt hielt dagegen 
die Klage aufrecht und beantragte für jeden der 
deiden Ängeklagten 6 Mk. Geldstrafe. Das Urtheil 
vurde auf nächsten Dienstag vertagt. 
— Am Sonntag fand zu Neustadt im 
Zaalbau eine Ausschußsitzung der „Pfälzischen 
dampfgenossenschaft“ statt. Herr Dr. Groß von 
Lambsheim haite schriflich sein Nichterscheinen ent⸗ 
chuldigt, da er den Landtagsverhandlungen in 
Muünchen beiwohnen müsse. Dagegen nahm der 
derr Reichstagsabgeordnete Dr. Buhl an den Ver⸗ 
Jandlungen über die Petition an den Reichstag für 
die Inbaliden von 1870/71 theil, und erklärte der— 
selbe alles, was in seinen Kräften stehe, thun zu 
voslen, da wirklich eine nicht geringe Zahl von 
olchen Invaliden die Pension bis jetzt entbehre. 
Der Ausschuß war über diese Mittheilung sehr er— 
reut, wie nicht minder darüber, daß auch die Herrn 
Rteichstagsabgeordneten Krämer, Mahla und Janson, 
nit welchen man Rücksprache nahm, zusagten. Aus 
den Verhandlungen ergab sich auch, daß Wittwen 
von Verwundeten, auch wenn die Ehe erst nach dem 
Zriege geschlossen wurde, wenn der Tod des In— 
»aliden nachweislich infolge von Verletzungen im 
Zriege einträt, pensionsberechtigt sind. Wir ersuchen 
die Presse um Verbreitung dieser für manche Wittwe 
wichtigen Mittheilung. Von einem Schreiben des 
Vorsihenden des badischen Kriegerverbandes, des 
Irn. Generallieutenant Frhrn. v. Degenfeld in 
darlsruhe, wurde mit hohem Interesse Kenntniß 
jenommen, da man in Baden in gleicher Weise 
Erhebungen über die nicht pensionirten Invaliden 
pflegt wie in Bayern. — Bezüglich des Unterrichtes 
der Sanitätscorps in der ersten Hilfe für Verwun— 
dete erklätte der Vorsitzende des Vereins der pfäl— 
zischen Aerzte, Herr Kreismedizinalrath Dr. Karsch, 
die Bereitwilligkeit des Vereins hierzu und werden 
vereits in Kaiserslautern und Edenkoben bezügliche 
TFurse abgehalten. — Die Gründung einer pfäl⸗ 
zischen Krieger-Sterbekasse erregt erhebliches Bedenken 
And wird der nächste Verbandstag hierüber zu ent⸗ 
cheiden haben. — Zum Vertreter des Verbandes 
nuf dem bayerischen Kriegertage in Munchen wurde 
Dr. Schmitt von Edenkoben gewählt. — Der Kreis⸗ 
Kriegerverband von Frankenstein in Schlesien, dessen 
Mitglieder durch eine Wasserfluth stark gelitten 
Jaben und welcher im Vorjahre einen namhaften 
Betrag für unsere wasserbeschädigten Kameraden 
sendete, erhält einen Unterstützung von 100 Mark. 
— Seit dem letzten Verbandstag sind 9 Vereine 
zeigetreten, in der Sitzung selbst wurden in die 
„Kampfgenossenschaft“ aufgenommen die Kriegerver⸗ 
eine Haardt bei Neustadt (Vorstand Herr Land⸗ 
wehrlieutenant Phil. Eber) und Beindersheim bei 
Frankenthal, so daß der Verband nunmehr 79 
Bereine zählt. — Unterstützungen erhalten zwei 
rieger in Kaiserslautern 20 Mk. und 16 Mark, 
1 Wittwe in Kirchheimbolanden 20 Mk., J Krieger 
in Winnweiler 168 Mk. — Der nächste Verbands⸗ 
lag findet im Mai oder Juni in Winnweler statt; 
ven Tag bestimmt der dortige Verein, der sein 10 
ähriges Stiftungsfest gleichzeitig begehen will. — 
Die Kassenprüfung ergab, daß der Verband ein 
Vermögen von etwa 2000 Ml. besitzt. Ein Rück⸗ 
blick auf das verflossene Jahrzehnt des Bundes er⸗ 
zibt die schönste Ordnung und Harmonie im Aus- 
schusse und gesammten Verbande. 
— Bei der am 3. März in Deidesheim 
ttatigehabten Gütecversteigerung der Wilhelm Goerg'- 
schen Erben wurden 57 Dezimalen Weinberg im 
Brain (ca. »4 Morgen), feinste Deidesheimer Lage 
von Gutsbesitzer Ferdinand Kimich in Deidesheim 
um Mk. 16,200 ersteigt. 
Frankenthal, 4. März. Der 16 Jahre 
alte Bäckerlehrling Jakob Ottinger von Winzingen 
erhielt am 17. Oktobecr v. Is. von seinem Vater 
300 Mk. um sie auf die Bank in Neustadt zu 
tragen. Ehe er sich auf den Weg machte, spraqh 
er in der Wohnung der Schneider Schober'schen 
Eheleute vor, mit denen er bekannt war. Daß 
niedecträchtige Schneiderlein wußte nun den Jungen 
dahin zu überreden, daß er in Gemeinschaft mit 
hm und mit dem Gelde, das der Verführer sich 
aushändigen ließ, durchbranute. Die „Reise“ ging 
nach Paris, wo der Schneider ein Logis miethet 
während der Junge Arbett suchte und auch fand. 
Der Dummtopf hat nun seinen ganzen Verdienst 
dem traurigen Ellenritter ausgehändigt, obwohl er 
nicht einmal selbst genug zu Essen bekam. Nach 
einiger Zeit verduftete der Schneider und der un⸗ 
selige Bube, der von allen Mitteln entblößt war, 
faßte den Entschluß, nach Hause zu wandern. Un—⸗ 
ter Entbehrungen aller Art bettelte er sich von 
Paris nach seiner Heimath durch, nachdem er 3 
holle Wochen unterwegs war. Da sein Vater selbst 
Strafantrag gestellt hat, so wurde er festgenommen 
und erfolgte heute seine Verurtheilung wegen Un— 
terschlagung in eine Gefängnißstrafe von 3 Mo— 
naten. (F. 3.) 
— Der „Reichs-Anzeiger“ veröffentlicht daß 
Verbot des zu Anfang des Monats Februar l. J 
in Frankenthal gegründeten Fachvereint 
der Schreiner und verwandten Berufsgenossen 
uuf Grund des Sozialistengesetzetzes. 
— Ueber das Vermögen des Gottschal 
Strauß, Kaufmann in Kirchheimbolanden, if 
der Konkurs eröffnet. Konkursverwalter: Geschäfts- 
mann Karl Wilz in Kirchheimbolanden. 
Vermischtes. 
7 Bitsch, 2..März. Gestern hatten wir 
das seltene Schauspiel, mehrere Forstbeamten in 
anfreiwilliger Gefangenschaft zu sehen. In voll⸗ 
herechtigter Ausübung ihres Dienstes unternahmen 
dieselben bei einem hiesigen Bürger eine Haus— 
uchung. Erdgeschoß und Keller wurden ohne Er— 
solg vurchsucht. Die Untersuchung der obern 
Räume wurde aber von besserm Erfolg gekrönt. 
Dort brachte man einen mit frischen, herrlichen 
sehkeulen und Rehziemer vollgepfropften Wasser⸗ 
kübel ans Tageslicht. Als man denselben in das 
Wohnzimmer des vom Schidsal schwer betroffenen 
Nimrods gebracht hatte, um ihn über das Besiß— 
eugniß des herrlichen Wildprets zu befragen 
chloß dieser plötzlich die Zimmerthür von innen 
1b. Die Frau aber ergriff die Rehbraten und 
varf sie unter ihre aufgedrungenen Gesellschafter. 
Finem von der Straße aus gegebenen Befehlt 
eines höheren Vorgesetzten, die Thür mit Gewall 
zu erbrechen, wurde vergebens Folge geleistet, de 
die Thür den wuchtigen Hieben widerstand. Etf 
inem zur Stelle gerufenen Schlosser gelang dies 
Das vorgefundene Wildpret wurde beschlagnahm 
ind der betreffende Hausbewohner verhaftet. Das 
nähere wird die bereits eingeleitete Untersuchung 
ergeben. 
Der Reichskanzler und die Reben. 
Durch Vermittlung des Hrn. Herm. Blankenhorn 
n Müllheim, Vorstand des Oberbadischen Wein— 
aubereins, hat, wie die „Bad. L. Z.“ mittheilt 
Zert Karl Mufer daselbst dem Reichskanzler ein 
Hedicht gesendet mit der Ueberschrift: „Die Reben 
Deutschlands an des Reiches Kanzler.“ Das Ge— 
dicht beginnt: — 
Großmächt'ger Fürst! Der Du in treuem Streden 
Schon Vieles für Produktenschutz gethan, 
O hör den Nothschrei auch von Deutlchlands Reben 
And nimm Dich gnädig uns'rer Bitte an, 
Was nützt es viel, wenn Dichter froh besingen 
Die süße Frucht an unser'm schwachen Reis; 
Wenn beim Gelag die Gläser hell erklingen, 
Dem Göttertrank. dem edeln Wein zum Preis. 
Das kann uns nimmermehr so sehr begeistern 
So lange unter des Gesetzes Schutz 
Die Fabrikanten Gott in's Handwerk kleistern 
Und künstlich Weine machen uns zum Trutz... 
Hierauf ist folgendes Antwortschreiben einge 
laufen: Reichskanzieie Berlin, 28. Febr. 1884 
An den Vorstand des Oberbadischen Weinbauvereint 
Herrn Herm. Blankenhorn Hochwohlgeb. in Müll⸗ 
heim. Der Herr Reichskanzler hat mich beauftragt