Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Iugherter Amzeiger. 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
ber St. Ingberter Anzeiter“ erscheint wochentlich fünfmal: Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2mal wöchentlich mit Unterhaltungs 
glatt und Sonntags mit Sseitiger illustrirter Beilage. Das Blati kostet vierteljährlich J.A 60 2 einschließlich Tragerlohn; durch die Post bezogen 1 75 4, einschließlich 
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auf welche die Expedition Auskunft ertheilt, 15 H, bei Neclamen 30 B. Bei 4maliger Einrückung wird nur dreimalige berechnet. 
VPolitische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
München, 9. März. Der Budget-⸗Referent 
er Kammer der Reichsräthe, Reichsrath v. Neuffer, 
jat nun auch seinen Bericht an den Finanzaus— 
chuß der Kammer der Reichsräthe erstattet über 
en Malzaufschlag und beantragt, dem Beschluß 
»er Kammer der Abgeordneten in allen Theilen 
eizutreten, es daher beim Alten zu belassen. Also 
iuch die hohen Herren, obwohl ein Theil derselben, 
die sog. Mittelbrauer, laut und wiederholt eine 
Frleichterung für sich verlangt, finden keinen Aus— 
veg und erklären, daß alle vorgeschlagenen Mittel 
ucht annehmbar seien. In der Abstufung des 
Hefälls sind die Brauer selbst nicht einig und können 
»s auch nie werden, da die Interessen zu weit aus— 
inandergehen. Eine allgemeine Herabsetzung würde 
zber einen zu großen Ausfall geben, nämlich eine 
derabsetzung von nur 10 Pfennig — was für die 
Brauer kaum fühlbar wäre — schon einen Ausfall 
zon 12 Mill. Mark. 
Schließlich spricht der Referent noch den Wunsch 
uus, daß die Regierung dem nächsten Landtage eine 
Borlage machen möge, die definitiv den Malzauf⸗ 
chlag festsetzen soll. Er enthält sich aber wohl— 
oeislich, auch nur anzudeuten, welcher Satz dann 
uu bestimmen sei. Sollte aber eine gleichmäßige 
herabsetzung des Steuersatzes nach der Finanzlage 
)es Staates möglich sein, dann deutet er eine Er— 
jöhung der Gewerbsteuer der größeren Brauereien 
und eine Ermäßigung der Exportrückvergütung an. 
Allerdings sei aber Letzteres ein delikater Punki, 
ind überhaupt sei von der Herabsetzung der Steuer 
Bedeutendes für die Brauer nicht zu erwarten. 
Nach dem Allem werden in 2 Jahlen bei der näch⸗ 
len Budgetverhandlung die nämlichen Fragen aber⸗ 
nals behandelt werden müssen. Wird aber dann 
was Anderes herauskommen, als jetzt? 
Aus München wird dem F. Journal von 
arlamentarischer Seite geschrieben Die Nachricht, 
aß die Vereinigung der Fortschrittler mit den 
Secessionisten auf den Führer-⸗Namen Stauffenberg 
jetauft wird, kann in liberalen Kreisen Süddeutsch- 
ands nur ein tiefes Bedauern und lebhafte Ver⸗ 
timmung wecken. Als ihm die Reichstags- Candi⸗ 
atur für Erlangen übertragen wurde, geschah dies 
n der festen Voraussetzung, daß gerade er die 
reundschaftlichen politischen Beziehungen zwischen 
ꝛen Nationalliberalen und seinen Parteigenossen an 
tstet Stelle berücksichtigen werde. In dieser Er⸗ 
vartung ist er von den Wählern auch unterstützt 
vorden. Man wollte dadurch ganz besonders einem 
dindringen des Nürnberger Fortschriits in jenem 
Vahlkreis vorgebrugt haben. Jetzt stellt sich heraus, 
aß gerade dieser AÄbgeordnete seinen Namen zu 
iner Association hergibt, die im Wesentlichen nur 
en Import fortschritlicher Ideen noach Süddeutsch⸗ 
and bezwecen kaun. Das bedeutet denn doch eine 
larke Mißachtung des guten Glaubens der natio⸗ 
alliberalen Wähler und obendrein eine vollständige 
herkennung der secessionistischen Anschauungen in 
üddeutschland. Die üblen Folgen müssen sich bald 
eigen. Denn die Stimmung des liberalen Suͤdens 
nochte in Bezug auf eine mehr oder weniger große 
erfe in der Betonung des liberalen Ghanen 
egenüber der Reichsregierung etwas auseinander⸗ 
sehen, volltommen einig war sie doch darin, daß 
ie allen Umständen der fortschrittliche Radicalis— 
in weit über das Ziel hinaus schieße und in 
einer Weise geduldet werden dütfe Wer über diese 
M 50. Dienstag, 11. März 1884. 
19. Jahrg. 
Stimmung sich hinwegsetzen will, macht sich miß⸗ 
iebig und — unmöglich. Und weiterhin muß es 
die liberale Partei in Süddeutschland aufrichtig 
eklagen, daß Herr v. Stauffenberg jetzt in so aus— 
jesprochener Weise den radikalen Heerzug mitmachen 
vird, denn es sei durchaus kein Hehl daraus ge⸗ 
nacht, daß es aller Orten den besten Eindruck ge— 
nacht hat, Herrn v. Stauffenberg innerhalb der 
iberalen Partei Bayerns neben Herrn v. Schauß 
nit so viel realpolitischer Mäßigung die Geschäfte 
des Führers besorgen zu sehen. Es berechtigt dies 
zu der Hoffnung, daß er im Unterschied von seinen 
norddeutschen Parteigenossen deswegen von weiteren 
Besichtspunkten und größeren Erwägungen sich leiten 
assen wolle, um eines Tages, wenn der Ruf an 
ie liberale Partei ergehen sollte, selbst mit an das 
Ruder des deutschen Reiches zu treten. — die Re— 
Jierungsfähigkeit noch zu besizen. Diese Hoffuung 
st jeßt zu Grabe getragen. Wer dem Herrn Rich— 
er in's Garn gegangen ist, sitzt in der prinzipiellen 
Ipposition fest und mag nur den Rest von Staats- 
inn, den er in diese Gemeinschaft mitbringt, bei 
Zeiten abthun, er kann ihn doch nicht mehr ver⸗ 
verthen. Das Bewußtsein der Verantwortlichkeit 
iner jeden Opposition hört an der Grenze auf, wo 
)er Fortschrittsverband anfängt. Ohne solches Be—⸗ 
vußtsein aber ist aller Staatssinn nicht denkbar. 
herr v. Stauffenberg wird wenig Freude mehr er⸗ 
eben, wo immer er die ehrliche Meinung liberaler 
sreise in Süddeutschland zu erfahren wünscht oder 
zu hören bekommt. Sie hat sich in ihm getäuscht 
ind — glaubt sich von ihm getäuscht! 
Berlin, 8. März Die Unthaten der revo— 
utionären Partei in Rußland, England, Frankreich 
Desterreich haben in der Presse verschiedener Länder 
rufs Neue den Gedanken in Anregung gebracht, 
Jemeinschaftliche Maßregeln gegen die Feinde der 
destehenden Ordnung zu ergreifen. Auch hier 
nn Berlin macht sich die schärfere Ueberwachung der 
Sozialdemokraten bemerkbar; selbst ein Tanzkränz⸗ 
hen wurde auf Grund des Sozialistengesetzes ver⸗ 
—X 
Die „deutsche freifinnige Partei“ 
jält, wie wenigstens der N. Fr. Pr. gemeldet wird, 
im 24. d. M. in Hamburg eine Versammlung ab, 
n welcher Stauffenberg präsidiren und Richter und 
kickert sprechen werde 
Anarchistenbewegungen, sagt die „Mosk. Zig.“, 
wäre jetzt ein günstiger Moment, die Regierungen 
zu gemeinsamer Aktion gegen die allgemein ver— 
breitete Pestbeule aufzufordern, um so mehr, als in 
England selbst, welches bisher Revolutionären aller 
Länder eine Freistätte bot, politische Verbrechen und 
Dynamit⸗Attentate an der Tagesordnung sind und 
England deßhalb nunmehr seibst an die Beihülfe 
anderer Staaten appellirt. 
Kairo, 10. März. General Gordon tele—⸗ 
graphirt, er könne die Garnisonen nicht retten, ohne 
daß Truppen nach dem blauen und weißen Ril 
gesendet würden. 
Lokale und pfälzische Nachrichten. 
*St. Ingbert, 10. März. In der letzten 
Strafkammersitzung des kgl. Landgerichts 
Zweibrücken wurde der 27 Jahre alte Bergmann 
Michael Keßler von Rohrbach und dessen Vater 
Peter Keßler, Schreiner, ebenfalls in Rohrbach 
wohnhaft, ersterer wegen Diebstahlsver— 
brechen zu 1 Jahre Zuchthaus und letzterer 
wegen Hehlerei zu 3 Monaten Gefängniß ver— 
urtheilt. Wie s. 3. in diesem Blatte mitgetheilt, 
hatte Michael Keßler am Abend des 26. Dezembet 
vor. Is. seinem Freunde Jakob Henrich, nachdem 
er gewaltsam durch die Scheuer und über den Heu⸗ 
speicher in dessen unverschlossene Schlaftammer ein— 
gedrungen war, einen Koffer mit 70 Mark Inhalt 
entwendet. Der geöffnete Koffer fand sich später 
im Walde bei Rohrbach, waͤhrend der Dieb das 
gestohlene Geld in der Hobelbank seines Vaters 
versteckt hatte. Obwohl nun Keßler senior wußte, 
woher das Geld in seiner Hobelbank stammte, nahm 
r doch davon zu sich und beauftragte sogar seinen 
Zohn, von demselben in Spiesen Einkaufe für die 
daushaltung zu machen. Er hatte varum auch für 
eine Person die Nutzanwendung des alten Sprüch⸗ 
wortes zu erfahren: Der Hehler ist so gut, ais 
wie der Stehler. 
*St. Inghbert, 11. März. Der kgl. Berg 
meister Herr J. Kamann dahier wurde, seinem 
Ansuchen entsprechend, unter Anerkennung seiner 
langjährigen mit Treue und Eifer geleisteten er⸗ 
prießlichen Dienste in den bleibenden Ruhestand 
versetzt. Möge es dem verdienstvollen Beamten 
bergönnt sein, noch recht lange in ungetrübtem 
Wohlseine sich desselben zu erfreuen! — Zum Berg⸗ 
meister dahier wurde der mit Titel und Rang eines 
k. Bergmeisters bekleidete Grubenverwalter Herr 
Emil Günther von Mittelberbach und 
zum Grubenverwalter in Mittelberb ach der 
Berge und Salinenpraktikant Herr Joseph Planer 
in Amberg, dieser in vrovisorischer Eigenschaft. 
ernannt. 
*St. Ingbert, 11. Marz. Besitzwech⸗ 
el.) Durch Kauf ging das Franz Buser'sche 
Haus in der Pfarrgasse um die Summe von 4400 
Mark in den Besitz des Herrn Essigfabrikanten 
Schmelzer dahier über. 
*— Die Musterung der Militärpflich— 
tigen findet für das Bezirksamt Zweibrücken in 
Zweibrücken vom 15. bis 28. April statt. 
*— In einer früheren Nr. ds. Bl. war gesagt, 
die Pfalz würde durch die Erhöhung der Prä—⸗ 
senzstärke des 4. und 8. Infanterie⸗Regiments wie⸗ 
der mehr belastet werden. Es trifft dies jedoch, 
wie der „Pf. Pr.“ berichtet wird, nicht zu; viel⸗ 
mehr partizipieren an dieser Erhöhung sämmtliche 
Kreise des Königreichs, indem in Zukunft das 4. 
und 8. Regiment aus dem ganzen Köniareich vas 
Ausland. 
Im Abgeordnetenhause zu Pest richtete Helfy 
in den Ministerpräsidenten eine Anfrage wegen der 
Berüchte über den Abschluß eines Bündnisses zwischen 
Ddeutschland und Rußland, in welchem 
Betersburger Blätter einen Triumph über Oesterreich, 
velches hiedurch zurückgedrängt sei, erblicken. Diese 
jöchst müßige Interpellation wurde Tisza zugestellt, 
velcher sie in einer Parteisitzung in folgendem be— 
intwortete: das Einvernehmen der beiden Nord— 
nächte wahre die Interessen des Friedens und lasse 
das deutsch-osterreichische Bündniß unberührt; Ruß⸗ 
ands Verhältniß zur Türkei sei gut, zumdl da 
Rußland erklärt habe, sich in die Frage des griech⸗ 
schen Patriarchats nicht einmischen zu wollen. 
Petersburg. In den Polizeibureaus sind 
Plakate ausgehängt mit Photographien des der Er— 
nordung Ssudeikins beschuldigten früheren Stabs⸗ 
apitäns Degajew. 5000 Rubel werden demjenigen 
ausgesetzt, dessen Mittheilungen die Ergreifung des 
lüchtigen Degajew herbeiführen, 10,000 Rubel 
demjenigen, welcher an der Ergreifung des Flücht⸗ 
inas selhst mitgewirkt — Andzesichts der neuesten