Full text: St. Ingberter Anzeiger

pGord und Süd.) Man schreibt aus 
zrankfurt a. Main. „Er hat mich een blaues 
zuge jehauen!“ Mit diesen Worten, die sofort 
ʒen Berlinererkennen ließen trat ein Mann, dem An⸗ 
chein nach ein Reisender, in das Lokal eines Chi⸗ 
urgen und bat, ihm die blutunterlaufenen und 
vuaden Stellen im Gesicht entsprechend zu behan⸗ 
Fein. Das geschah, wobei der Verletzte des Langen 
nd Breiten erzählte, daß er wegen Oeffnens eines 
gensters im Eisenbahnkoupee mit einigen Frank— 
surtern in Streit gerathen sei und schließlich mit 
nem derselben einige Ohrfeigen und Faustschläge 
gewechselt habe. Der Spreegathener gab dabei un⸗ 
Zerholen seiner Indignation über das grobe Auftreten 
Ind das gewaltthätige Vorgehen der Frankfurter 
lusdruck. „Noch nicht einmal in Frankfurt un' 
chonst Schmisse. Nette Jejend!“ sagte er empört. 
Ic habe ihn aber janz ecklig vermöbelt,“ setzte er 
jolz hinzu. Kaum hatte der Chirurg seinen rai⸗ 
onnitenden Patienten entlassen, als ein zweiter mit 
in Worten erschien: „Er hot mer ä blau Aag 
Ichage“, sich das aus einer Kratzwunde am Auge 
opselnde Biut stillen ließ uund dabei sein Abenteuer 
u Eisenbahncoupé erzählte. „S'is ä Schann', 
immt d'r su ä Olwel aus Berlin hieher, is noch 
qet emol do und will aach schon hag'n!“ rief er, 
atrüstet aus, wobei ihn anscheinend der Gedanke 
iber die „stnüppel“, die es seinerseits gesetzt, mit 
nicht geringem Stolz erfüllte. 
p'Rödelheim. Eine 6djährige Wittwe fühlte 
das Bedürfniß, sich noch einmal zu verheirathen, 
wogegen ihre Kinder bei der Ungleichheit des Alters 
wischen Braut und Bräutigam ernste Bedenken an 
den Tag legten und erklärten, ihre Einwilligung 
zu solch' mähchenhaftem Schritt nicht geben zu 
soönnen. Entrüstet hierüber lief die alte Frau fort 
und ertränkte sich in der Nidda. 
Wiesbaden, 25. April. Der spanische 
Hraf de Montis, welcher im hiesigen Landgerichts- 
gefängniß die ihm wegen Diebstahls zuerkannte 
uͤngere Freiheitsstrase nun verbüßt hat, wurde heute 
früh von zwei Schutzleuten geschlossen nach Basel 
rausportiert, allwo er von den schweizerischen Sicher⸗ 
heilsbeamten in Empfang genommen und nach Genf 
zefördert werden wird; daselbst steht er wegen Ju— 
welendiebstahls unter Anklauge. 
F. Die Aerzte haben oft wunderliche, richtiger 
ganz gescheidte Cinfälle. Dr. Willmar Schwabe in 
Leipzig erzählt in seiner ärztlichen Zeitschrift, 
in Weib aus dem Volke sei in das Sprechzimmer 
eines Arztes gekommen und habe den entblößten 
Arm hingestrekt mit dem Worte: „Verbrannt!“ — 
Arzt: „Geriebene Kartoffeln auflegen!“ — Nach 
Rrei Tagen zeigt die Frau wieder ihren Arm und 
sagt: „Besser!“ — Arzt: „Fortfahren mit ge— 
riebenen Kartoffeln!“ — Am achten Tage kommt 
ie wieder und sagt: „Gesund! Was bin ich 
chuldig?“ — Arzt: „Nichts! Sie sind eine ver⸗ 
nunftige Frau und Zeit ist für mich Geld.“ 
f In Dresden hat der Gedantenleser Mr. 
umberland seine geheimunißbosllen Künste auch auf 
einet Privatsoirée bei einem der vocnehmsten Ade— 
igen producirt. Eines seiner Kunststücke besteht 
»elanntlich darin, daß er einem Fremden die Kör— 
zerstelle zeigt, an welcher der Betreffende gewöhn· 
ich Schmerzen oder wenigstens Beschwerden fühlt 
JZufällig halte sich zu diesem Experiment die jugend— 
uiche Comtesse C. bereit erklärt und M. Cumber— 
land — der mit seinem Geisterblick Alles durch: 
driugt, kniete vor der schönen Grafentochter nieder 
und berührte den rechten Schuh und zwar an der 
Stelle der kleinen Zehe. Die allgemeine Verwunde— 
rung war groß. Die Komtesse erröthete und schwieg, 
aber unwilikürlich nickte sie leise. Wenn sie an ihr 
leines, tückisches Hühnerauge gedacht hätte, würde 
sie sich erst gar nicht dem Gedankenleser gegenüber— 
gestellt haben. 
fEin Gehängter verhaftet.) Trag 
schlomisch wirkte ein Gerichtsbeschluß, der am 
Samstag von der Strafkammer am Landgericht II 
zu Berlin gefaßt wurde. „Es wird beschlossen — 
p hieß es — die Sache zu vertagen und den 
Angeklagten zu verhaften.“ Veim Aufruf der Sache 
war nämlich der Angeklagte, wegen Diebstahls im 
Atu angeklagt, nicht erschienen. Nach Ausweis 
Zustellungsurkunde war der Angeklagte rite ge— 
n en. Die aus dem Heimathsdorf des Ange— 
din erschienenen Zeugen erklärten auf Befragen, 
aß der Angeklagte sich schon vor vier Wochen er⸗ 
sangt habe. So glaubwürdig diese Bekundung 
An auch erschien, so genügte sie doch den Bestim— 
ungen der Strafprozeßordnung gemäß nicht, um 
zeine Einstellung des Verfahrens zu rechtfertigen, es 
nußte daher formell der Beschluß gefaßt werden, die 
Zache zu vertagen und die Verhaftung vorzunehmen. 
7 Ein recht nettes Ordensgeschichtchen, für 
dessen Wahrheit man uns einsteht, wird uns aus 
einem deutschen Kleinstaate mitgetheilt. Der sou⸗ 
veräne Beherrscher jenes Bruchtheils deutscher Ein⸗ 
Jeit lustwandelte an einem der jüngsten herrlichen 
Frühlingstage in seinem Schloßparte. Plözßilich 
derspurte der Fürst große Müdigkeit in seinen 
durchlauchtigsten Beinen und wollte sich auf eine 
in der Nähe befindliche Bank niederlassen. Aber 
bevor noch dieser fürstliche Entschluß zur Ausfüth 
rung gelangte, sprang ein Partwächter mit dem 
Ausruse: „Am Gotteswillen: Durchlaucht“ — zwi— 
chen Fürst und Bank, um dies etwas voreilige Be—⸗ 
zinnen zu verhindern. Erst nach längerer Pause 
konnte der außer Athem Gerathene vollenden: — 
„sie ist frisch gestrichen!“ Der Fürst begriff sofort 
die Situation. Er sah sich, wenn auch nicht vor 
dem Tode, so doch vor der Oelfarbe gerettet. 
Rasch entschlossen, griff er deshalb in seine rechte 
Westentasche und holte aus der Tiefe derselben 
einen blitzenden Orden hervor, den er unter huld⸗ 
voller Danksagung seinem kühnen Retter hötchst⸗ 
eigenhändig an die tapfere Brust heftete. Gern 
jäͤlte der Fürst die That des Braven mit eiuem 
zweiten Ordenssterne belohnt, aber — er hatte ge⸗ 
rade keinen mehr bei sich. 
4F GOeutsche Roheisenproduktion.) 
Nach den statistischen Ermittelungen des Vereins 
»eutjcher Eisen? und Siahlindustrieller belief sich 
die Roheisenproduttion des deutschen Reiches (ein⸗ 
chließlich Luxemburgs) im Monat März 1884 auf 
304,900 Tonneu, daruntrr 175,770 Tonnen 
Buddelroheisen, 10,516. Tonnen Spiegeleisen, 
38,943 Tonnen Bessemer⸗Roheisen, 40,845 Tonnen 
Thomas-Roheisen und 35,726 Tonnen Gießzerei— 
Roheisen. Die Produktion im März 1873 betrug 
385,536 Tonnen. Vom 1. Januar bis 31. März 
1884 wurden produziert 888,8337 Tonnen 833,751 
Tonnen im Vorjahr. 
Die Sammlung, aus deren Ertrag dem Ge⸗ 
neral Chanzy, Oberkommandanten der Loire⸗Armee 
im Jahte 1870,71, ein Denkmal errichtet werden 
oll, ist jetzt geschlossen. Sie hat 148, 000 Frcs 
ergeben, von denen die Regierung 10,000 Fres. 
ugesteuert hatte. Das Deukmal wird in Le Mans, 
oo die Franzosen den Deutschen die letzte Schlacht 
ieferten, errichtet werden. Merkwürdig ist es, daß 
Frankreich nie so viele Denkmäler zu Ehren seiner 
— „Sieger“ errichtet hat, als dies nach dem 
eßten Kriege geschehen ist. Weder nach dem Krim⸗ 
roch dem nalienischen Kriege wurde das dankbare 
Frankreich von einer solchen Dentmalswuth ergriffen. 
Der „Gaulois“ schreibt: „Die Herren Pas⸗ 
al, Eugéne Rendu und andere Freunde des Prin⸗ 
en Napoleon reisen heute nach Sedan, um 
in Ort und Stelle das Schlachtfeld vom 2. Sep⸗ 
ember zu besichtigen, damit sie mit Beweisen in 
händen die Wahrheit über jenen denkwürdigeu Tag 
Herstellen können. Morgen, Sonntag, werden die 
Focschungsreisenden zu Charleville eine oöffentliche 
herfammsung abhalten, in welcher sie die Ergeb⸗ 
uisse ihrer Arbeiten vom Vorabende dazu benützen 
verden, um von ihrem Gesichtspunkte aus, die 
kolle Napoleon ill. herauszustreichen.“ Vielleicht 
jehen die bonapartistischen Redner so weit, zu be⸗ 
jaupten, Napoleon III. habe gar nicht kapituliert 
dieser „Gesichtspunkt“ wäre zum mindesten originell 
Ter „Telegraphe“ briugt folgende Juforma— 
ion. In royalistischen Kreisen sagen Personen, 
velche vertrauliche Mittheilungen vom Grafen von 
Paris erhalten zu haben behaupten, das das Pro— 
zramm der für bald in Aussicht gestellten Restau⸗ 
ation darin bestehen würde, einfach die Konsti— 
ution von 1852 wieder aufzunehmen, selbstver⸗ 
tändlich mit dem Titel König und der dreifarbigen 
Fahne. Wir wissen nicht, woher der „Telegraphe“ 
ziese Information genommen und zweifeln stark au 
deren Richtigkeit. Es liegt heute noch sehr weit, 
von der Konstitution der wiederhergestellten Mo— 
aarchie zu sprechen, und wäre ein befremdendes 
Demementi gegen jede orleanistische Tradition, wenn 
mnan glauben wollte, daß der Enkel Ludwig Phi—⸗ 
cipps die Konstitution des Kaiserreichs annehmen 
tönnte. 
Madrid, 28. April. Auf der Eisenbahn 
wischen Badajoz und Eindad Real faud gestern 
eine Entgleisung Statt. Ein Eisenbahnzug 
türzte in den Fluß. Die Zahl der Todten beträgl 
nehr als 60, darunter gegen 50 beurlaubte Sol— 
daten. Einige Journale glauben, daß der Unfall 
—X—— 
F Madrid, 28. April. Der Eisenbahnun— 
fall, welcher durch Einbruch der Brücke bei Alendia 
jerbeigeführt wurde, ist augenscheinlich eine Schand⸗ 
hat der Revolutionäre. Die Brücke war absichtlich 
deschädigt, die Beschädigungen künstlich verborgen 
und der Telegraphendraht durchschnitten. Der Zug 
ttürzte bis auf den Postwagen und zwei andere 
Wagen, die an der Brücke hängen blieben, in den 
Fluß. Die Zahl der bisher aufgefundenen Todten 
»eträgt 38, die der Verwundeten 22, und zwar 
ind es meist beurlaubte Soldaten. Allgemein 
jerrscht in Spanien die tiefste Entrüstung über 
das schändliche Attentat. 
F(GEebendig verbrannt.) Am Mittwoch 
rüh, kurz nach 2 Uhr brach in dem Bell-Hotel in 
der Old Bailey in London ein Feuer aus, das 
leider mehrere Menschenleben forderte. Die Flam⸗ 
men, welche im Erdgeschoß zum Ausbruch kamen, 
ergriffen rasch die zu den oberen Geschossen füh— 
renden Holztreppen. Der Besitzer des Gasthauses 
Mr. Billinghurst, stürzte nach dem dritten Stock— 
verke, wo seine Schwägerin mit zwei Kelluerinnen 
schlief, weckte sie und forderte sie auf, ihm rasch 
zu folgen. Mit Mühe gelang er noch in's Freie; 
die Frauenzimmer, die anscheinend ihre Kleider an⸗ 
jogen und noch etwas retten wollten, waren zu⸗ 
rückgeblieben und sahen eine Minute später den 
Ausweg versperrt. Sie erschienen beim Fenster 
und riefen verzweiflungsvoll um Hilfe, die ihnen 
edoch trotz aller heldenmüthigen Versuche Mr. 
Billinghurst's und zweier Polizisten, welche von 
dem Dache des Nachbarhauses einen Rettungsver⸗ 
uch machten, nicht mehr gebracht werden konnte. 
Ehe die Feuerwehr erschien. war der obere Theil 
des Hauses eingestürzt und alle drei Frauensper⸗ 
onen waren in den Flammen umgekommen. Das 
Feuer wurde bald darauf bewältigt und die Leichen 
in einem so verkohlten Zustande aufgefunden, daß 
die Identifikation ganz unmöglich ist. 
F (Selbstmord auf der Bühne.) Ein 
urchtbarer Selbstmord rief am Mittwoch in der 
HPdusikhalle in Motherwell in Lamarkshire (England) 
jervor. Der Vorstellung wohnten etwa 700 Kinder 
und mehrere Hundert erwachsene Personen bei. 
Ein Kaufmann Namens John Middleton, der sich 
in guten Vermögensverhältnissen vom Geschäfte 
zurückgezogen hatte, befand sich mit seiner Frau 
und seinen drei Kindern unter den Zuschauern. 
Während einer Pause sprang er, als die Darsteller 
sdinter die Szene getreten waren, auf die Bühne, 
zog ein Rasirmesser aus der Tasche und durchschnitt 
sich mit dem Ausrufe: „Dies war Schein und dies 
ist Wahrheit', den Hals von Ohr zu Ohr. Ein 
nächtiger Blutstrahl spritzte empor und der Selbst⸗ 
mörder sank entseelt auf die Bretter nieder. Eine 
chreckliche Szene entstand. Mit entsetzlichen Jammer⸗ 
rufen drängte Alles dem Ausgange zu, während 
die Frau und die Kinder des Todten zu ihm 
türzten und sich, in seinem Blut knieend, der 
Verzweiflung überließen. Nur dem thatkräftigen 
Fingreifen des Theaterdirektors gelang es, ein großes 
Ungltück abzuwenden. Mehrere Kinder waren bereits 
auf der Treppe gestürzt und standen in Gefahr, 
odtgetreten ju werden. Die Ausgangsthüren 
vurden geöffnet und in wenigen Minuten war 
zie Halle geleert. Viele Kinder wurden auf der 
Straße ohnmächtig und mußten nach Hause ge 
ragen merden. 
F(GPetroleum als — Heilmittel.) 
fine alte Frau in dem fashionablen nordamerikanischen 
Seebade Newport glaubt daran, daß die Men—⸗ 
chen von allen Leiden befreit werden können. Mag 
Jemand nun von Kopf-, Zahn⸗ oder Leibschmerzen, 
Lungen⸗, Nieren-, Herz⸗ oder Leberleiden, Hühner—⸗ 
nugen, Rheumatismus, Schwindsucht, Nasenbluten. 
Ryrenreißen oder sonst eiwas geplagt sein; die 
Frau, die man das Petroleum⸗Lieslenennt, empfiehlt 
tets die äußerliche Anwendung von Petroleum, an 
dessen Heilkraft sie offenbar felseufest glaubt. Wenn 
vir uns nun auch nicht so sehr, wie diese gute Frau, 
jürt das Petroleum begeistern können, so müssen 
vir doch anerkennen, daß es in gewissen Fäilen 
nit dem besten Erfolge gebraucht werden kann. 
das Petroleum⸗-Viest riet einmal einer Freundin, 
deren Tochter die krankhafte Neigung hatte, abends 
uus dem Hause zu laufen, das Mädchen, um es 
zum Daheimbleiben zu bewegen, außerlich mit Pe— 
roleum einzureiben. In diesem Falle that das 
ungereinigte Kohlenöß Wunder, das Mädchen blietz 
rnicht nur zuhause, sondern versteckte sich auch vor