Full text: St. Ingberter Anzeiger

Ausland. 
Bern, 4. Mai. Die Landsgemeinde Glarus 
hat heute den Antrag auf Wiedereinführung der 
Todessirafe mit großer Majorität abgelehnt. 
Wien, 4. Mai. Die hochoffiziöse Montags— 
revue schreibt: Deutschland und Oesterreich werden 
als politisch gewissermaßen parteilose, uninteressirte 
Mächte das Gewicht ausgleichender Vermittelung der 
Gegensätze in die Waagschaale der Konferenze Be⸗ 
rathungen werfen können. Namentlich dürften sie 
berufen sein, den Standpunkt der Rechte der Tür— 
kei nicht ohne schützende Vertretung zu lassen, falis 
die Türkei jede Theilnahme an den Betathungen 
vecweigern jollte. Ein natürlicher Zug wird Eug— 
land und Frankreich immer dahin führen, die Basis 
der Verständigung und gegenseitigen Kompenfationen 
in Beschränkung der Souveränitätsrechte des Sultans 
zu suchen. Dies kann in allen anderen Richtungen 
aber nur willkommen sein, wenn die englische und 
die französische Regierung den Weg direkter Aus— 
einandersetzung betreten, da der Ehrgeiz der übrigen 
Mächte schwerlich die Ehren eines ziemlich unbe⸗ 
quemen Schiedsrichteramtes anstrebt. Diese Ver⸗ 
ständigung würde die Gefahren eines stärkeren An⸗ 
einanderprallens der Meinungen ausschließen und 
eine feste Grundlage für die Berathungen schaffen, 
alles Uebrige aber bliebe den mäßigenden und be⸗ 
richtigenden Einflüssen der außerhalb des Streites 
stehenden Mächte überlassen, deren Uneigennützigkeit 
und unbefangenheit ebenso zweifellos ist, als ihr 
aufrichtiger Wille, die berechtigten Ansprüche aller 
Vetheiligten zu dbefriedigen. Damit würde die 
Wahrscheinlichkeit eines günstigen Erfolges geschaffen. 
welcher neben den nmttelbaren prakltischen Konse— 
quensen auch die fernere Wirkung hätte, die moralische 
und ideelle Bedeutung des europäischen Konzertes 
und seiner gemeinsamen Entscheidungen wesentlich 
gefördert zu haben. 
Paris, 5. Mai. Bei den gestrigen Gemeinde⸗ 
raihswahlen wurden gewählt: 7 Anhänger der 
Rechten (darunter der Sohn Dufaure's), 16 unab⸗ 
hängige Republikaner oder Opportunisten (darunter 
der Chirurg Després, welcher gegen die Ausschließ⸗ 
ung des geistlichen Elements von der Verwaltung 
der Hospitäler proiestirte), endlich 24 Autonomisten 
oder Intransigenten, außerdem sind 33 Stichwahlen 
erforderlich. 
Paris, 5. Mai. Der neue Pariser Munici⸗ 
palrath dürfte sich nicht wesentlich von dem früheren 
unterscheid n, nur das autonomistische Element ist 
mehr accentuict. In den großen Provinzialstädten 
dürften die gemäßigten Republikaner über die In— 
sransigenten obgesiegt haben. Uebrigens hatte 
der Wahlkampf in dem weitaus gröoßten 
Theile des Landes einen lokalen Charakter. 
Die Zusammensetzung der neuen Munizipalräthe 
scheint anzudeuten, daß sich dieselben mehr mit 
munizipalen als politischen Angelegelegenheiten be⸗ 
fassen werden und daß sie in politischer Hinsicht 
im Allgemeinen republikanisch sind. 
Lokale und pfälzische Nachrichten. 
— Kaiserslautern, 3. Mai. Gestern 
wurde die erste Nummer des hier erscheinenden 
Wochenblattes der deutschen freisinnigen Partei“ 
imler dem Titel „Der freisinnige Pfälzer“ ausge⸗ 
geben. Dasselbe joll in der West- und Nordpfalz 
insbesondere im Wahlkreise Kaiserslautern ⸗Kirch · 
heimbolanden die Sache der deutschen freisinnigen 
Partei vertreten. 
Die Kammgarnspinnerei Kaisers⸗ 
lautern hat in 1883 einen Rheingewinn von 
731. 880 Mtt. 10 Pfg. erzielt. Hievon wurden 
dem Rejervefonds 20 PCt. zugewiesen, wodurch 
derselbe auf 1,178, 182 Mt. 85 Pfg. gewachsen ist; 
auf die Atiie à 1000 fl. entfallen 230 Mt. Divi⸗ 
dende (also ca 1314 pCt.). Extra · Abschreibungen 
wurden vorgenemmen in der Höhe von 66,000 Mk.; 
daun wurde zur Dotirung des Pensionfonds und der 
Zrantkenkasse, sowie zu Geschenken an Kaiserslauterer 
Wohlthätigkeitsvereine eine größere Summe verwendet 
und 25,000M. als Gratifikationen an Angestellte 
Meister und Arbeiter vertheilt. 
— In Kaiserslautern machte der begna⸗ 
digte Möorder Jakob Karcher von Godramstein in 
einer Zelle des Zucht hauses durch Erhaängen seinem 
traurigen Dase in ein Ende. Er hatte sich mittelst 
eines Leintuche s an der Heizungsröhre aufgeknüpft. 
— Den zweiten Treffer der bayer. 100- 
Thaler⸗ Loose von 1866 mit Nr. 45519 im Be⸗ 
rage von 36, 000 Mk. haben nach der „Kais. Ztg.“ 
drei Kaiserslauterer Bürger gemacht, welche das 
ragliche Loos vor vielen Jahren gemeinschaftlich 
angekauft. 
— Der Verwaltungsgerichtshof hat entschieden 
Ztreitigkeiten hinsichtlich der Benützung öffentlicher 
zemeindebrunnen unterliegen auch nach den 
für die Pfalz geltenden gesehzlichen Normen der 
herwaltungsrechtlichen Zuständigkeit und fallen unter 
Art. 8 Ziff. Zi des Gesetzes vom 8. August 1878. 
Art. 33 des Gesetzes vom 28. Mai 1852, die 
Benützung des Wassers betreffend, wonach das 
Wasser in Brunnen zu den Privatgewässern gehört, 
ist ohne Einfluß auf die Anwendung dieser Zu⸗ 
ständigkeits-Normen. 
Verreniichtes. 
F München, 4. Mai. Ein imposanter Zug 
Leidtragender aus allen Ständen gab gestern Nach 
mittags 4 Uhr der verlcebten Freiftau von Lutz das 
— D 
folgte der trauernde Gemahl, Dr. Frhr. v. Lutz 
mit seinen Söhnen, sämmtliche übrigen Minister 
drei Geueräle, Reichsräthe, die Stadtvertretung, die 
Beamten des Kultusministeriums und eine Menge 
anderer Beamten. Hr. Dekan Buchrucker hielt die 
Trauerrede, die auf alle Anwesenden ein tiefer Ein— 
druck machte. Das Grab war reich mit prachtvollen 
ränzen, darunter einer von Sr. Maj. dem Könige 
zeschmückt. Die Trauermusik wurde von den Ka⸗ 
dellen Hünn und Lohmann unter Mitwirkung des 
Besangdereines „Neubavaria“, dessen Ehrenmitgliel 
Minister Dr. Frhr v. Lutz ist, exekutirt. Tie 
exgriffen verließ die Trauerversammlung das Grab 
fBamberg, 3. Mai. Der Kassier des Vor— 
schußvereins, Niedermeyer, hat sich gestern, weil er 
sich Veruntreuungen hatte zu Schulden kommen 
lassen, entleibt. Das Defizit beträgt nahezb 
200.000 Mart. 
fAus Württemberg. Eine blutige Szene 
hat sich in Asperg zugetragen. Der Maurer Gottlob 
Reichert, in Mitte der sechsziger Jahre stehend hat 
nämlich seine hochbetagte Ehefrau, als sie mit 
Melken beschäftigt war, mit einem Beile todtge— 
schlagen. Ein geringer Wortwechsel soll den Mann 
zu der schrecklichen That veranlaßt haben. Derselbe 
tellte sich alsbald selbst dem Gericht. Von den 
7 Kindern, welche die Familie hat, war zur 
Stunde der That Niemand im Hause anwesend, 
die jüngste Tochter war kurz vorher mit Milch ab— 
gefahren. Der Thäter Reichert wurde seither alt 
gutmüthiger, durchaus nicht roher Mann angesehen. 
der fleißig und redlich sein Brod zu verdiener 
suchte. Seine Vermögensverhältnisse sind geordnet 
Seine Frau hatte sich seit mehreren Jahren start 
dem Schnopstrinken ergeben. Merkwürdig ist, daß 
hor 9 Jahren der älteste Sohn der Familie ˖im 
Zorn einen Bruder erstochen hatte. Im Arrestlokal 
seigte Reichard grotze Reue über seine schreckliche 
That und vor die Leiche seiner Frau geführt, brach 
er in lautes Weinen aus. 
GMordversuch eines Kindes.) Es 
dürfie gewiß zu den Seltenheiten gehören, daß ein 
noch nicht der Schule entwachsenes Kind wegen des 
tersuches des Giftmordes sich vor Gericht zu ver⸗ 
intworten haben wird. Vor der Strafkammer des 
Landgerichts zu Mainz stand am Freitag die 13— 
ährige Kath. Protzmann aus Freilaubersheim, be— 
schuldigt, im Anfang dieses Jahres ihren eigenen 
Vater mittelst Phosphor vergiften zu wollen. Der 
Bater dieses Kindes ist bereits seit 4 Jahren Witt⸗ 
ver, aber ein ganz brutaler und roher Mensch, der 
dem Trunke ergeben ist und seine Kinder Tag für 
Tag in der gemeinsten Weise behandelt und schlägt. 
Fines Tages kam der Mann abermals in angetrun—⸗ 
enem Zustande nach Hause, und sofort nahm er 
inen Prügel, um ohne jede Veranlassung seine 
dinder zu mißhandeln. Dieser ewigen Mißhand⸗ 
lung müde, beschloß die 13jährige Tochter des 
Mannes, ihren Vater aus der Welt zu schaffen 
das Mädchen nahm zu diesem Zweck eine Partie 
Zchwefelhölzer und löste den Phosphor von den⸗ 
elben in Wasser auf und goß dies Wasser alsdann 
vem Vater in den Kaffee. Kaum hatte aber der 
Mann einen Schluck von dem Trunk genommen, 
als er an dem Geschmack den Phosphor erkanntt 
und den Kaffee ausgoß, aber einige Wochen späten 
ein Kind wegen dieses Vorfalles zur Anzeige 
zrachte. In der Gerichtsverhandlung wurde der 
Fall klar erwiesen, das Gericht erkannte indessen, 
zaß das Mädchen das Strafbare seiner Handlung 
anicht erkannt hätte. Von einer Gefängnißstraf— 
vurde deßhalb Umgang genommen, doch wurde be 
stimmt, daß das Mädchen einer Besserungsanstau 
überwiesen werden müsse. 
Einer verliebten Köchin in Frank— 
furt wurde ein schlimmer Streich gespielt. Besagt 
Köchin hatte ein Verhältnik mit einem verheirathe. 
ten Mann, dessen Gattin sie gern zu werden 
wünschte. Sie schlug ihm deßhalb vor, sich von 
seiner Frau scheiden zu lassen und übergab ihm, 
als er einwilligte, ihr Sparkassenbuch, um zur Be— 
streitung der Prozeßkosten darauf 300 Mark zu 
erheben. Wie die „Fr. N.“ erzählen, erhob der 
Mann aber nicht blos 300 Mk., wie die Eigen— 
thümerin des Buches wollte, sondern die ganzi 
Spareinlage, die rund 4000 Mark betrug. Mi 
dem Gelde eilte er dann zu seiner Frau, die e 
über die Art und Weise, wie er dazu gekommen, 
unterrichtete und aufforderte, mit ihm nach Amerikq 
zu gehen. Die Frau war, da beide in Deutschland 
nicht viel zu verlieren hatten, gleich dazu bereit 
und sie gingen mit dem Gelde schleunig auf und 
davon. Uls die Betrogene davon erfuhr, soll sie 
sich wie wahnsinnig geberdet haben. Seit drer 
Tagen wird sie vermißt. 
Im Juni v. J. fand in Berlin zur Regel— 
ung der Weinfrage eine Besprechung von Fach— 
leuten statt, welche auf Veranlassung des Reichs 
kanzleramtes in Gegenwart der Vertreter der Re— 
gierung tagte. Die Commission entschied zunächst, 
daß die Art der Kelterung, die Regelung der Gäh— 
rung, das Erwärmen des Weines, überhaupt allt 
Operationen, durch welche dem Weine weder Be— 
standtheile entzogen, noch Stoffe zugesetzt würden, 
gesetzlich nicht eingeschränkt werden sollen. Ge— 
billigt wurden die Operationen der Schönung 
mit Eiweiß, Hausenblase, Gelatine, 
Leim, Milch, Kaolin, dagegen erregte die 
Anwendung von Blut und Kochsalz als Schön— 
ungsmittel aus chemischen, wie auch sanitären Rück 
sichten Bedenken. Alaun als Färbungsmittel er⸗ 
schien bedenklich und wurde ein Verbot ange— 
rathen. Bariumsalze müssen verboten werden. Di 
Entsäuerungsmittel, als: Gebraunter Kalk, 
kohlensaurer Kalk, Soda und Potasche 
sind wegen ihrer den Wein alterirender, und auch 
gesundheitsschädlichen Witkung zu verbieten. Da— 
gegen fand die Einfühtung von Kohlensäure 
keine Bedenken. Das Schwefeln der Fässer 
und die Reinigung derselben mit Schwefel— 
säure ist gestattt. Der Zusatz von Tannin 
wurde erlaubt, der von Bleiglätte dagegen ver— 
boten. Das Auffärben von Weißwein mit Zucker⸗ 
koultur und das Auffärben von Rothwein mit Faͤrbe⸗ 
trauben, farbreichen Weinen, Heidelbeeren, Kirschen 
und Malben soll nicht als Nachmachen oder 
Verfälschen von Wein im Sinne des 8 10 
des Nahrungsmittelgesetzes zu betrachten sein. Be— 
züglich des Zuckerzusatzes einigte man sich 
solgendermaßen: Der Zusatz von reinem 
Roöhr- oder Rübenzuücker zum Most soll 
nicht aus ein Nachaäahmen oder Verfal— 
jchen von Wein zu betrachten sein. Die 
ser Beschluß wurde gefaßt mit allen gegen zwei 
Stimmen, darunter die des Hrn. Dr. Buhi⸗ Deides 
Jeim.) Einstimmig wucde dagegen die Verwendun— 
des unreinen Sfärke-resp. Kartoffelzucer 
ausgeschlossen. Mißbilligung fand auch der Zuder⸗ 
susat an Wein statt an Most. Zujsätze von 
Hlüzerin, Salizylsaure, kunstliqhes 
Bouquet'und Altkohoi sind ver boten, du 
degen das Ausspülen von Fäfsern und Flaschen ru 
einem Sprit und geringe, durch die — 
ung bedingle Sp uzusähe an den Wein erlau — 
doch als Haximum ein Liter Sprit auf ein de 
oliter Wein normirt. Das Verschneiden von do 
zu Wein wurde allgemein freigegeben; Chaptaun 
uͤng, Gallisirung, Petiotisirung und Mouillage 
halt normaler Grengen erlaubt, dagegen darf 9 
rein vergohrener Traubensaft den Namen 
dürweine führen, während verdesserte Wei 
unter dem Namen „Wein“ in den Verkeht g 
langen müssen. 
Von König Friedrich Withehn 
erzählt der „Bär“ eine hübsche Anrkdote. 8* 
Konig in schlichtem Civilüberrode in früher 
denstuͤnde einmal unweit Sanssouci spazieren gu 
Zemerlie er von fern eine Frau, welche auf de * 
ihten Milchwagen gespannten Esel eifrig los a 
Er ging näher und fragte nach der Ursache * 
Heftigleit. Mit Thränen in den Augen r 
die Frau: „Ach Gott, ich hab' so großze “ 
nun will ver dumme Esei nicht fott. n 
nicht zur rechten Zeil in Potsdam, so verlie