Full text: St. Ingberter Anzeiger

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Zmtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Inabert. 
Der „St. Ingberter Anzeiger“ erscheint wochentlich fünfmalz: Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2mal wdchemich mit nterhaltung⸗ 
Blatt und Sonntags mit Sseitiger illustrirter Beilage. Das Blatt kostet vierteliährlich 1A SGO A einschließlich Trägerlohn; durch die Post bezogen 1 75 4, einschließlich 
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19. Jahrg. 
Politische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
Einen ganz gehörigen Rüffel bekom— 
men die „Deutsch⸗-Freisinnigen“ wegen ihrer kläg— 
lichen Haltung in der Dampfersubventions⸗ und 
Aolonialfrage von einem ihrer wenigen süddeutschen 
Organe, von der Neuen Würzburger Zeitung. 
Wir entnehmen diesem sehr bemerkenswerthen Artike! 
Folgendes: „Der Gang der Reichstagsverhandlungen 
über die Dampfersubventionsvorlage nimmt einen 
für die ganze deutsche Nation demüthigenden 
Charakter an. Die Regierung vertrat ihre 
Vorlage mit wenig Wärme, und die Abgeordneten, 
welche den „Fortschritt“ auf ihrer Fahne führen, 
verhielten sich ablehnend zu derselben. Wie wird 
man zu dieser Szene in London, Paris und Pe— 
tersberg in's Fäustchen lachen. Aufs Tiefste ist 
dieser Mangel des Verständnisses für das, was die 
wahre Größe einer Nation ausmacht, zu bedauern. 
Für die deutsche Nation im Besonderen aber is 
die Ausbreitung deutscher Kultur über den Erdball, 
d. h. die Erwerbung von Kolonialbesitz, nicht nur 
eine Pflicht, sondern die Lebensfrage. Entsendet 
doch alljährlich das deutsche Volk mehr als 100,000 
seiner kräsligsten und energischsten Söhne und 
Töchter in's überseeische Ansland, melche das Blut 
unserer Nebenbuhler im, friedlichen, vielleicht auch 
einmal kriegerischen Wettkampfe verbessern. Daß 
dieser Transfusion unseres Herzblutes in den 
Leib unserer Gegner durch Gründung deutscher 
Colonien Einhalt gethan werden muß, das be— 
ginnt, gottlob mehr und mehr, einsichtigen Vater— 
landäfreunden einzuleuchten. Es wäre natürlich, 
wenn sich vor allem die Partei, die sich 
„Fortschrittspartei“ nennt, an die Spitze dieser Be— 
wegung stellte, wie ja auch in allen anderen Län⸗ 
dern, Frankreich, Italien, Dänemark u. s. w., ge— 
rade die radikalen Elemente am eifrigsten auf die 
Machtentfaltung und Ausbreitung ihrer Nationalität 
bedacht sind. Das Umgekehrte ist leider in Deutsch— 
land der Fall. Ein Führer der radical-freisinnigen 
partei sieht in jener Morgendämmerung einer neuen 
Aera nichts als die Liebhaberei gewisser Kreise, deren 
Zröhe mit ihrer Entfernung von der See wächst. 
ẽr räth dem Reichstag, schon den ersten kleinen 
chüchternen Versuch in dieser Richtung, die Dam— 
Fersubvention, zu verhindern. Mag die ganze 
Parlamentsfraktion der deutsch-Ffreisinnigen Partei 
uuch diesem Vorgehen ihres Führers zustimmen, in 
en breitesten Schichten der freisinni— 
en Wählerschafüwird ihnen sicherlich 
Zu stimmung versagt. Die freudigste Unter⸗ 
tützung sollte jade Colonialpolitik finden. War es 
doch eine Erlösung aus bangen Zweifeln, als die 
Nachricht, das Deutsche Reich habe Angra Pequeno 
anter seinen Schutz gestellt, bekannt wurde. Nicht 
ur in den nationalliberalen auch in deutsch-frei— 
innigen Kreisen freute man sich aufrichtigst über 
iesen ersten Act deutschen Selbstbewußtseins gegen— 
lber dem Auslande. Gerade die deutsch-freisinnige 
dattei sollte nicht ihre Unterstütßung versagen, wo 
s sich im vollsien Sinne des Wortkes um einen 
fortschritt unserer wirthschaftlichen Entwickelung und 
natlichen Aushreitung handeli. Hier Steine an— 
att Brod dem sehnenden Herzen der Nation, bieten, 
dürde unr die Wurzeln ihrer Kraft untergraben, 
den Gegnern Recht geben, die ihr nur die Befähig- 
ing zum Nörgeln, nicht aber den Ernst eines 
nergischen Mitschaffens zum Aufschwung der deut— 
chen Nafion und hres neuen Volksfrühlinas au. 
prechen.“ Wie man sieht, haben alle Reden Bam⸗ 
jerger's und Richter's nichts genützt; ihre eigenen 
deute gehen ihnen durch. Diesem Würzburger 
Denkzettel gegenüber nimmt es sich ganz besonders 
nerkwürdig aus, wenn von gewissen Berliner „frei⸗ 
innigen“ Blättern immer noch behauptet wird, „für 
Fonsularwesen und Marine zum Schutz überseeischer 
Interessen von Deutschen habe gerade die freisinnig 
Partei stets warmes Interesse bekundet.“ Stets? 
Seit wann besteht denn diese „freisinnige Partei“ 
aͤberhaupt? Seit diesem Frühjahr. Und was hat 
sie seit diesem Frühjahr mit den der deutschen Volks— 
bertretung gestellten practischen „überseeischen“ Auf— 
gaben angefangen? Sie bis aufs Messer bekämpft. 
Ist diese Partei hierüber noch in einer Selbsttäu— 
schung begriffen, so möge sie nur die Neue Würz 
zurger Zeitung nachlesen. 
Lokale und pfälzische Nachrichten. 
* St. Ingbert, 28. Juni. Gestern ver— 
unglückte in dem nahen Schüren das 124 
ährige Töchterchen des Fuhrmannes Nau dadurch, 
daß es in einem unbewachten Augenblicke in eine 
m Hofe stehende, mit Wasser gefüllte Bütte fiel 
ind ertrank. Als Hilfe kam, war es für dit 
arme Kleine leider zu spät. Der traurige Vorfall 
ist wieder eine ernste Mahnung, kleine Kinder nie 
ohne Aufsicht zu lassen. 
— Am 2. Juli findet in Kaiserslautern 
ine Versammlung mittelrheinischer Gasfachmänner 
ztatt. 
— Der „L. Anz.“ schreibt: Der Führer der 
deutsch⸗freisinnigen“ Partei, Herr Abgeordneter 
fugen Richter ist ein sehr geschickter Agitator. Im 
Sommer vorigen Jahres hat er bekanntlich in 
Landau im Siiftsgarten eine Rede gehalten und 
fich darin als Anhänger des Weinschutzzolles be— 
tannt. In der „Pos. Ztg.“ zieht Herr Abg. Eugen 
Richter gegen alle Nahrungsmittelzölle los und 
klagt, daß die durch den Zolltarif von 1879 ver— 
ursachte Mehrbelastung der Nahrungsmittel beim 
Wein 4,842,408 Mk. betrage. In der Pfalz, wo 
Wein produzirt wird, ist Eugen Richter für Schutz— 
zoll auf Wein, in Posen, wo ein großer Theil der 
Bewohner den Wein nur dem Namen nach kennt 
ammert Eugen über den Weinzoll, weil derselbe 
eine „Mehrbelastung der Nahrungsmittel“ darstelle 
Das ist doch Alles, was man von einem deutsch— 
rreisinnigen Agitator verlangen kann. 
— Rhodt, 26. Juni. Ein trauriges Ge— 
chick raffte gestern eine 18jährige Näherin, die sich 
)er besten Gesundheit zu erfreuen hatte, hinweg. 
Dieselbe stach nämlich ein kleines Geschwürchen, das 
sich auf der Oberlippe gebildet hatte, mit einer 
Nadel auf, mit der sie kurz zuvor blaues Zeug ge— 
nähet hatte. Es bildete sich eine Geschwulst und 
der zu spät herbeigerufene Arzt konstatirte Blutber— 
ziftung, der auch das Mädchen nach wenigen Tagen 
erlag. Wiederum ein Fall, der beweist, wie vor⸗ 
—R 
— Lambrecht, 26. Juni. Wie nöthig es 
ist, von der aufliegenden Steuerliste Einsicht zu 
nehmen, um rechtzeitig bei zu hoher Einschätzung 
reklamiren zu können, davon hat ein hiesiger Ge— 
werbtreibender durch Vernachlässigung derselben, 
bittere Erfahrung machen müssen. Voriges Jahr 
mit einer Gewerbsteuer von Mk. 4457 belegt, 
muß derselbe nun bei dem ganz gleichen Ge— 
chäftsbetriebe eine Gewerbsteuer von Mt. 107.77 
ahlen; hierzu eine Haussteuer von Mk. 16.56 
ie darauf fallenden Umlagen mitea 180 860 er⸗ 
gibt die respektable Summe von Mk. 348.12. 
Jeder, der einigermaßen die Geschäftsverhältnisse 
dambrechts kennt, wird zugeben müssen, daß eine 
solche Besteuerung viel zu hoch gegruffen ist und 
ein Detail⸗Geschäft hierorts das um so weniger er⸗ 
tragen kann, als am Platze ein Konsum⸗Verein 
existirt, der keine Steuern und Umlagen zu zahlen 
braucht, daß der Hausirhandel nach wie vor blüht, 
und täglich eine Masse Postpacketsendungen ein⸗ 
treffen. Alles dieses hätte doch von der Einschätz 
ungskommission berücksichtigt werden müssen. Darum 
aufgepaßt und von den zustehenden Rechten stets 
den rechtzeitigen Gebrauch gemacht, damit man sich 
vor materiellem Verluste schützen kann! 
— Der Ernteurlaub für das Militär wird 
zwischen dem 5. und 8. Juli eintreten und werden 
per Kompaanie 50—52 Mann beurlaubt werden. 
Bermischtes. 
F Saarbrücken, 26. Juni. In der heu⸗ 
igen unter Ausschluß der Oeffentlichkeit gepflogenen 
Schwurgerichts⸗Sitzung wurde die 22jährige Kellnerin 
Magdalena Biermacher aus St. Ingbert, 
velche auch hier in verschiedenen Restaurationen als 
Bier⸗Mamsell funktionirte, schuldig erklärt, in der 
Strafkammersitzung des hiesigen kgl. Landgerichts, 
wo sie als Zeuge in einer Anklagefache wegen 
Zuppelei vernommen wurde, den vor ihrer Ver— 
nehmung geleisteten Zeugen⸗Eid wissentlich und vor⸗ 
ätzlich verletzt zu haben, wegen Meineids zu einer 
Zuchthausstrafe von zwei Jahren sowie zum Verlust 
der Ehrenrechte auf gleiche Dauer verurtheilt und für 
mmer unfähig erklärt, als Zeuge ꝛc. aufzutreten. 
F Saarbrücken, 26. Juni. In den näch⸗ 
sten Tagen wird nach der „Sbr. Zig.“ hier eine 
öffentliche Versammlung einberufen werden, die 
über eine Adresse an den Fürsten Bismarck 
beschließen soll, in welcher dem großen Staatsmann 
zegenüber das Einverständniß aller hiesigen 
deutsch⸗gesinnten Männer mit seiner Kolonial⸗ 
polititk und der Entrüstung über die matther—⸗ 
zigen Einwände seiner Gegner Ausdruck gegeben 
werden soll. 
F Gerein deutscher Ingenieure 
Pfalz-Saarbrücker Bezirksverein,) Die 
Versammlung in Gemeinschaft mit dem polhtech— 
nischen Verein aus Meß findet am Sonntag, 
5. Juli 1884, zu Mettlach, statt. Vormittags 
halb 10 Uhr ist Frühstück im Pavillon der Herren 
VBilleroh und Boch. Vormittags 10 Uhr Sitzung 
daselbst mit folgender Tagesordnung: J. Geschäft- 
iche Mittheilungen des Vorstandes. 2. Ueber 
duftpumpen mit potenzierter Leisteng durch Aus— 
zleichung der schädlichen Räume, Vortrag des 
herrn Bettinger. 3. Mittheilungen über Papier⸗ 
cheibenräder von Herrn Casar. 4. Mittheilungen 
über den Schwarzkopff'schen Sicherheitzapparat für 
Dampfkessel von Herrn N. Spengler. 5. Referat 
der Kommission für Berathung der Grundsätze zur 
Untersuchung von Dampfmaschinen und Dampf-⸗ 
tesseln: Herr Braune. 6. Referat der Kommission 
für die Kesselfrage: Herr Meyjes. 7. Referat der 
Kommission über den Entwurf für Normalbestim⸗ 
mungen für die Lieferung von Eisenkonstruktionen: 
Herr Müller. Nachmittags halb 1 Uhr: Begrüßung 
des polytechnischen Vereins aus Metz im Pavillon 
und Besichtigung des Museums und der Muster⸗ 
zimmer der Herren Villerohy und Boch. Nachmit—⸗ 
tags 2 Uhr vereinigt ein gemeinschaftliches Diner 
im Hoöͤtel Martin, von 3 Uhr ab ein Concert der 
Fahbrik⸗Kapesle im Vavislon die Mitgliesse 57