Full text: St. Ingberter Anzeiger

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I. VIIMVI Il 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Jnabert. 
der „St. Ingberter Anzeiger“ erscheint wochentlich fünfmal: Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2mal wöchentlich mit Unterhaltungs 
glatt und Sonntags mit Sseitiger illustrirter Beilage. Das Blatt kostet vierteljährlich 1.M 60 A einschließlich Trägerlohn; durch die Post bezogen 1 75 4, einschließlich 
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auf welche die Erpedition Auskunft ertheilt. 15 ⸗9. bei Neclamen 80 . Bei 4maliger Einrückung wird nur dreimalige berechnet. 
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19. Jahrg. 
Politische Uebersicht. 
Deutsiches Reich. 
Karlsruhe, 18. Januar. Das Braumalz⸗ 
steuergesetz ist soeben veröffentlicht. Nach demselben 
darf Malz nicht durch andere Stoffe ersetzt werden. 
Malz, welches nicht zur Bereitung von Bier be— 
uutzt wird, untersteht keiner Steuer. Der Steuer⸗ 
betrag ist 10 Mk. für 100 Kg. für ungebrochenes 
Malz. Von der Steuerhebung im Nettogewicht 
Sackemalz) kommen 2 Prozent Bruttogewicht als 
kaxe in Abzug. 
Agitation gegen die Gewerbefreiheit. 
Die züngste Nummer der Innung bringt den Ent⸗ 
wurf einer Petition an den Reichssitag um Aufhebung 
der Gewerbefreiheit, welche in ganz Deutschland, 
desonders in Handwerkerkreisen, colportirt werden 
'oll. Die Innung ist, wie jetzt auch der gesammte 
Allg. dentsche Handwerkerbund, ein Organ des 
herrn Majors a. D. Freiherrn v. Fechenbach auf 
daudenbach in Bayern, durch dessen Mittel das 
ZBlatt begründet ist und dessen Zuschüsse dasselbe 
imn Leben erhalten. 
Das „Neue A B C-⸗Buch“ für'liberale Wähler, 
jerausgegeben als fortschrittliches Agitations-Hülfs- 
nittel für die bevorstehende Reichstagswahl, 
emüht sich, im Gegensatze zu der sonstigen fort⸗ 
chrittlichen und freihändlerischen Behauptung, die 
ialsche Lehre zu zerstören, daß Zölle auf Lebens— 
edürfnisse, speziell solche auf Produkte der Land⸗ 
wirthschaft, die Preise im Inlande steigern zu müssen. 
Unter der Rubrik Butterzoll heißt es: Der Butter⸗ 
soll ist 1879 von 4 auf 106 Pfg pro Pfund er⸗ 
höht worden. .... Auf die eigentlichen Butter⸗ 
Ireise übt der Zoll keine Wirkung.“ Die „eigent⸗ 
ichen Butterpreise“ können doch wohl nur die des 
aglichen Konsums sein, es befindei sich also das 
Neue ABC-Buch“, in dem jede Zeile die Mit⸗ 
irbeiterschaft des Herrn Eugen Richter verräth, in 
rfreulicher Uebereinstimmuug mit uns darüber, daß 
ezüglich des landwirthschaftlichen Schutzzolles auf 
Zutter die Zollerhöhung von 8 auf 20 Mk. per 
90 Kilogramm eine Wirkung auf den eigentlichen 
breis gehabt hat. Was nun bezüglich des einen 
andwirthschaftlichen Schutzzolls gilt, wird doch wohl 
ur die übrigen Zölle nicht unrichtig sein, es wäre 
ben auch nicht gut abzufehen, warum es für die 
ndustriellen denn nicht auch richtig sein sollte; man 
vird also erwarten dürfen, von forischrütlicher 
Seit das Steckenpferd bezüglich der „Vertheuerung 
er Lebensmittel“ durch Schutzzölle, in die Ecke 
jestellt zu sehen. 
Der Koln. Ztg. wird aus Paris geschrieben: 
n Bordeaur wurden Haussuchungen bei mehreren 
Lozialisten und Collektivisten vorgenommen. — Es 
sternstlich die Rede von der Herstellung der durch 
as Kaiserthum abgeschafften Brodtaxe. Als die 
are bestand, konmen die Backer fuͤr Verbacung 
on 60 Pfd. Mehl 20 fräaufschlagen; seit Ab⸗ 
haffung der Taxe fügen die Bucer 80 kr hinzu, 
odaß kin vierpfuͤndiges Brod, das 70 o kosten 
ollte, 80 e für die Arbeiter kostet, deren Haupt⸗ 
ahrung das Brod ist. Diese Ausgabe ist zumal 
nchigec arbeitsloser Zeit zu stark — Bis jetzt 
nstaugt sich die Aufhebung des Erlasses über den 
dehricht nicht. Heute hatten die Chiffonniers in 
er Cito Maugay, Rue Marcadet, eine Versamm⸗ 
ung der viele Weiber und Kinder anwohnten. Der 
hisfonnier Bernard, der den Vorsiß fuͤhrte, bean— 
tagte einen Protest auf gesehlichem Wege: der Er⸗ 
aß des Prafekten musse abgeschafft und verlangt 
werden, daß der Kehricht wie bisher auf die Stra⸗ 
hzen geworfen werde. Die Lumpensammler könne 
ein Präfekt nicht beseitigen, der 150,000 fr beziehe 
ind selbst unter seinem Erlasse nicht leide; ihm sei 
s einerlei, ob 30,000 Personen die Mittel zum 
Leben entzogen würden. Eine Stimme: „Sie 
»ürfen sagen, 100,000!“ Bernard beantragt schließ⸗ 
ich über einen Protest abzustimmen. Nach Bernards 
sede nahm die Versammlung eine Adresse an den 
Seinepräfekten an: dieser Protest soll am Montagç 
)zurch eine Deputation überbracht werden. Die 
France und andere Blätter haben den Lumpensamm⸗ 
ern heute einige tausend Franken zukommen lassen. 
jin der Versammlung ging es sehr ruhig her. — 
)as Zuchtpolizeigericht verurtheilte eine der nach 
er großen Arbeiterversammlung verhafteten Personen 
u zehn Tagen Gefängniß und ließ die andern frei. 
die Nachricht aus Madrid, daß Canovas del 
Lastillo zum Ministerpräsident ernannt worden, hat 
jier eine unangenehme Ueberraschung verursacht; 
iele republikanische Blätter ergeben sich der Hoff⸗ 
iung, daß der Sturz des Königthums bevorstehe. 
Das offiziöse Blatt „Paris“ bemerkt in einem mit 
ser geschmackvollen Ueberschrift „Fritzens Triumph“ 
ʒerzierten Artikel: „Wir fürchten für den spani— 
chen Bourbon, daß die Ereignisse uns nur zu bald 
—X—— 
zenommen, seine Koffer zu packen, um irgendwo 
n Deutschland mit seinem theuren Freunde Friedrich 
Bilhelm zusammenzutreffen oder sich unter dem 
„chutze der französischen Gesetze in seinem Schlosse 
ẽpinay an der Seine niederzulassen. Der ‚,Temps“ 
agt: „Der junge Konig, der öft eine über sein 
Uter hinausgehende Reife bewiesen hat, wird all 
einer Kaltblütigkeit bedürfen, um sich nicht auf 
ene Rückschrittsbahnen drängen zu lassen, die in 
Spanien wie überall anderswo zur Revolution 
ühren.“ Die France meint, der Koönig habe der 
Demokratie offen den Krieg erklärt; in Bälde werde 
ich herausstellen, wer von beiden den Sieg davon⸗ 
ragen werde. Die französischen Republikaner er⸗ 
nnern sich wohl nicht, daß Canovas vordem schon 
nanches Jahr ungestört das Steuer der Regierung 
eführt hat. 
Ausland. 
Paris, 21. Januar. Gestern wurde hier 
in seitens der Verfassungsrevisionspartei veran⸗ 
tal tetes, von etwa 1000 Personen besuchtes Meeting 
ibgehalten, wobei Hugues die Verfassung lebhafi 
ingriff, während der Municipialrath Michelin die 
oziale Revolution verherrlichte. Es wurde eine 
stesolution angenommen, welche gegen die selbst⸗ 
jändig auftretende Politik der Regierung protestirt 
ind die republikanischen Deputirten auffordert, sofort 
die Revision der Verfassung durch eine zu constitui⸗ 
ende Versammlung zu verlangen. Ein zweites, 
'on 2000 Personen besuchtes Meting beschloß die 
Irganisirung von Subscriptionen behufs Errichtung 
eines Denkmals für Deliscluze und die anderen 
wegen des Communeaufstandes Hingerichteten. In 
den gehaltenen Reden wurde ebenfalls die soziale 
Revolution gefordert. 
Wenn überhaupt noch ein Zweifel über die 
Bedeutung der Arbeiterdemonstrationen in Paris 
jätte bestehen können, so wäre er gelöst worden 
urch die Erklärung der Abgeordneten der Arbeiter, 
velche dieser dem Abg. Clemenceau und den De— 
utirten der äußersten Linken gab: „Es ist nicht 
insere Sache, Heilmittel für die gegenwärtige Krisis 
mzugeben, das ist Sache der Abgeordneten. Wenn 
öhr keine Heilung wißt, dann können wir uns 
nur mit einer Sache befassen und das ist die Re— 
volution!“ Diese Aeußerung ist so unzweideutig 
und so weit von jeder leeren Drohung entfernt, 
daß die dadurch hervorgerufene Beunruhigung in 
parlamentarischen Kreisen leicht begreiflich erscheint. 
Bis jetzt ist aber noch nichts geschehen, um dieses 
peinliche Gefühl zu beseitigen, wenn man nicht 
etwa die Anwesenheit zahlreicher Polizeibeamten 
ind einer Truppenabtheilung im Palais Bourbon 
dafür ansehen will. Die Rathlosigkeit in den par⸗ 
amentarischen Kreisen ist bereits so weit gediehen, 
daß man schon ganz ernstlich die Frage in Erwãg⸗ 
ung zieht, ob es nicht besser sei, den Sitz der 
Regierung wieder nach Versailles zu verlegen. 
Unterdessen stellen die Blätter Betrachtungen an 
über die Ursachen des Darniederliegens von Handel 
und Industrie und sie glauben diese Frage damit 
cichtig beantworten zu iönnen, daß daran einzig 
ind allein die auslaͤndische Concurrenz schuld sen. 
Das mag theilweise wenigstens richtig sein. Die 
Bariser Industrie kann in Folge der höheren Löhne 
mit dem Auslande vielfach nicht mehr lonkurriren. 
Mehr aber noch als diese Concurrenz schadet dem 
dande der Rückgang aller Kapitalien und Werthe; 
die Rente, die Eisenbahnpapiere, die Aktien der 
Finanz⸗ und Industriegesellschaften haben in den 
jeiden letzten Jahren enorme Einbußen erlitten. 
Die Mehrzahl dieser Gesellschaften befindet sich 
übrigens in Liquidation oder in vollständiger Auf⸗ 
ösung. Da hat man nun das Ergebniß der so 
ingeschickt angefangenen Umwandlung der Spro⸗ 
jentigen Renie; da hat man die Folgen der durch 
»ie Expedition nach Tonking und Madagaskar her⸗ 
vorgerufenen Beunruhigungen und der Ungewiß⸗ 
jeiten aller Art, welche durch die Politik der Pro⸗ 
ongation und des Schwindels herbeigeführt wurden. 
Jedermann sieht dem kommenden Tag mit Sorgen 
entgegen und schränkt seine Ausgaben auf das 
iußerst Nothwendige ein. Dieses Zurückweichen des 
baren Geldes, nachdem man dasselbe zehn Jahre 
ang mit vollen Händen ausgegeben hat, während 
die Geschäfte leicht und glücküch gingen, macht sich 
Jeute sehr herb fühlbar. So wie der Albeiler 
leidet auch der Arbeitgeber. Letzterer aber schweigt 
till, während der Ärbeiter aus Hunger Lärm 
schlagt und Drohungen ausstößt. Und wenn die 
brodlosen Arbeiter die Zahl 100000 erreichen in 
einer Stadt wie Paris, so bedeutet das eine wirk 
liche und ernste Gefahr. 
pf. L. C. Die Unfall⸗Versicherung der 
Arbeiter. 
IiI. 
Ist nun volle Sicherheit gegeben, daß durch das 
jeue Gesetz alle versicherten Arbeiter auch wirksam 
versichert sein werden, so lange sie eben im Dienste 
der „Berufsgenossenschafter“ stehen, so gewinnen 
vir dadurch bessere Aussichten, daß die Fabrikarbeit 
der verheiratheten Frauen mehr und mehr verschwin⸗ 
det. Die Unterhaltungskosten der Witiwe des 
Arbeiters gehören in den meisten deutschen Industrie⸗ 
weigen noch nicht zu den „Produktionskosten der 
männlichen Arbeit“. Brentano fürchtet zwar, daß 
die Versicherung von Wittwen⸗Pensionen nur einen 
nerstärkten Antrieb zur Folge haben werde, die 
'ostspieligere Männerarbeit durch die verhältnißmäßig 
»ann noch billigere Frauenarbeit zu ersetzen, wo 
aur immer möglich. Einer Versuchung dieser Art 
nöchte allerdings dadurch noch nicht ganz vorgebeugt 
ein, daß der Versicherungszwang nunmehr auch aunf