Full text: St. Ingberter Anzeiger

1882 betrug die Zahl dieser Verurtheilungen 
nur 15,412, im Jahre 1881 nur 12,226. Die 
unerlaubte Auswanderung zur Vermeidung des 
Militärdienstes ist also in erheblicher Steigerung 
begriffen, besonders gilt das von Bayern. Im Koͤnig⸗ 
reich Bayern wurden 1883 1752 Mann wegen 
unerlaubter Auswanderung verurtheilt, im Jahre 
1882 dagegen nur 616. Am Schlusse des Jahres 
1883 schwebten in Deutschland wegen unerlaubter 
Auswanderung 14,820 Untersuchungen. 
Ausland. 
Der Pariser „Figaro“ spricht über die Lon— 
doner Konferenz und führt sehr richtig aus, 
daß England diese Konferenz sicher nur in der Ab⸗ 
sicht berufen habe, um sich auf ihr möglichst ein⸗ 
trägliche Zugeständnisse machen zu lassen. Ferry sei 
mit heißer Liebe zu England im Herzen auf die 
Konferenz gegangen, habe aber recht bald erkannt, 
daß er auf nur geringe Gegenliebe rechnen könne. 
Dieses Verhalten veranlaßt den „Figaro“, folgendes 
zu schreiben: 
„Frankreich wird niemals vergessen, daß überall, 
wo ein Engländer lebt, dieser ein Feind seines Ein ⸗ 
flusses und seiner kolonialen Ausdehnung ist. Man 
braucht nur an Tunis, Egypten, Tonking, Mada⸗ 
gaskar zu erinnern, um sich darüber klar zu wer⸗ 
den, daß zwischen England und Frankreich eines 
Tages ein weit erbitterserer Kampf bevorsteht, als 
der mit Deutschland war, der zur Folge hatte, daß 
dieses Land für uns ein Verbündeter geworden ist 
welcher uns überall unterstützt, in Tunis, China, 
Madagaskar, Egypten, und auf der Londoner Kon⸗ 
ferenz wo Herr v. Derenthall mit Herrn Blignieres 
Graf Münfter mit Herrn Waddington Schulter 
aun Schulter stehen ... Herr Ferry hat be— 
griffen, daß er einen Fehler beging, indem er 
die Vorteile rühmte, die er von Englands Freund— 
schaft zu erzielen hoffte. Er läßt sich nun vom 
Strome des europäischen Concerts tragen, das, wenn 
man nicht über die Worte streiten will, nichts an— 
deres ist, als das Bündniß mit Deutschland, und 
augenblicklich hat sich die Lage geändert: „Eng- 
land steht Frankreich gegenüber, dieses wird von 
ganz Europa unterstützt.“ 
Das alles klingt sehr wahr und sehr vernünftig, 
und daß eine solche Erkenntniß durchschlüge, wird 
nirgends mehr gewünscht als in Deutschland. Nur 
können wir mit den „Worten“ nicht viel aufangen 
und möchten lieber „Thaten“ sehen, wenn diese 
auch vorerst nur negativer Natur wären und im 
Aufhören der widerüchen Hetzereien beständen. Ehe 
das aber geschieht, vermögen wir, gestützt auf schlechte 
und schlechteste Erfahrungen, unsere Ansichten über 
die Moͤglichkeit oder Wahrscheinlichkeit eines deutsch⸗ 
freundlichen Umschwunges in Frankreich nicht zu 
ändern und bleiben ungläubige Thomasse erster 
Klasse. 
London, 27. Juli. Der Observer glaubt, 
England habe jüngst Deutschland augefordert, 
seinen Einfluß aufzubieten, um die feindliche Hal⸗ 
iung der französischen Vertreter auf der Konferenz 
gegen die Zinsreduktion der egyrtischen Schuld zu 
modifizieren. Deutschland habe ablehnend geantwortet, 
weil eine Einmischung als ein Pressionsversuch an⸗ 
zusehen sei und verletzen könne, während Deutschland, 
da es kein spezielles Interesse an der Frage habe, 
keinen Grund zu Schritten habe, die Frankreich 
irritieren könnten. 
London, 28. Juli. Nach einer Meldung der 
Londoner Abendblätter werden die Vertreter der 
Mächte heute ein provisorisches Abkommen zur Be— 
streitung der dringendsten finanziellen Bedürfnisse 
Egyptens durch Vorschuß aus englischen Staats— 
miͤtteln sanctioniren, worauf die Eonferenz auf un— 
bestimmte Zeit vertagt wird. 
Englische Annexrion. Wie aus Captown 
berichtet wird, ließ Mr. Mackenzie, der residirende 
britische Commissar Bechuanaland zu Vrijburg in 
Stellaland die brilische Fahne aufhissen. Dieselbe 
wurde indeß später von dem Volke niedergerissen, 
in Folge dessen Mr. Mackenzie die ganze verfügbare 
Polizeimacht zur Verhaftung der Rädelsführer dieser 
Ausschreitung aufbot.“ 
Lokale und pfälzijche Nachrichten. 
St. Ingbert, 29. Juli. Gestern wurde 
auf dem hiesigen Friedhofe ein 16jähriger Arbeiter 
von hier beerdigt, der in der Glashütte der Herren 
Wenzel zu Friedrichsthal, wo er beschäftigt war, 
auf schauderhafte Weise seinen Tod fand. Wie er— 
zählt wird, stellte der junge Mensch Dielen auf; 
olößlich geriethen diese ins Umfallen, er kam mit 
dem Halse unter die Kanten derselben zu liegen und 
vurde so erdrückt. 
[PSchnappbach, 28. Juli. Begünstigt 
von gutem Wetter fanden gestern und heute auf den 
kgl. preußischen Steinkohlengruben die Bergmanns— 
este statt und verliefen dieselben in der heitersten 
Stimmung und soviel bekannt ohne allen Zwischeufall 
[*] In der verflossenen Woche vecunglückten auf 
Grube Camphausen (Kreuzgräben) durch schlagende 
Wetter mehrere Bergleute, worunter Vater und Sohn 
Der Sohn war sofort tot, während der Vater noch 
einige Stunden lebte und während dieser kurzen Zeit 
nur immer nach seinem Sohne rief. 
*— In Weilerbach wurde der dortige 
Einnehmer Wörlein wegen Unterschlagung im 
Amte verhaftet und in Untersuchung abgeführt. — 
In Ramstein fiel ein Kind des Bergmannes 
Fassel in einen Kübel siedendes Wasser und ver— 
brannte so jämmerlich, daß es starb. — In Weisen 
heim a. S. ertrank ein Kind in einem Brunnen 
— In Kaisershtautern wird der Milch 
panscherei scharf auf's Handwerk geschaut. St 
wurden laut Strafbefehl des dortigen kgl. Amts 
gerichts vom 1. Juli ds. Is. wegen Verkaufs ge— 
älschter Milch bestraft: Daniel Müller, Milch. 
hJändlet von Mehlingen, zu einer Geldstrafe von 
150 Mk. eventuell 40 Tagen Haft, und Elisabetho 
Rahm, die Ehefrau des vorigen, zu 100 Marl 
ebentuell 30 Tagen Haft. 
— Zweibrücken, 28. Juli. Die 3. Session 
des Schwurgerichts für 1884 wird am 15. Sept 
beginnen. Zum Vorsitzenden ist Hr. Oberlandes 
gerichtsrath Hessert und zu dessen Stellvertreten 
Hr. Vandgerichtsdirektor Herfeldt ernannt. 
— In Schweix bei Pirmasens hat dieser 
Tage ein 18jähriger Bursche auf Grund einer 
Wette 48 Stück Wecke auf einen Sitz vertilgt. 
Trotzdem die Wecke auch dort in sehr bescheidenen 
Brößenverhältnissen gehalten sind, ist diese Leistung 
unmerhin eine sehr achtenswerthe. 
— Kaiserslautern, 26. Juli. Zuwm 
Kreisrealschuljubiläum liegt nun folgendes Fest 
programm vor: Am 2. August, abends 8 Uhr 
Begrüßungsreunion in der Schuck'schen Brauerei. 
Am 3. Aug. Morgens: Besichtigung der aus— 
gestellten Schülerarbeiten und Lehrmittel in der 
Kreisrealschule, sowie hiesiger Sehenswürdigkeiten 
11 Uhr (präzis): Schulfestakt im Fruchthallsaalt 
für die Festgäste und die Eltern der Schüler 
Nach demselben Diner in den verschiedenen Gast— 
häusern. Nachmitiags 3—54 Uhr: Schauturner 
der Realschüler auf dem Marplatze, bei ungünstiger 
Witterung in der Turnhalle. 457 Uhr: Keller⸗ 
konzert im Gelbert'schen Felsenkeller, bei ungünstiger 
Witterung in der alten Pfalz. Abends von 8 Uhr 
ab: Festbankett für die Herren Festgäste. Am 
4. Aug. Morgens: Fortsetzung der Besichtigung 
der Realschulausstellung ꝛc., hiesiger Fabriken und 
Sehenswürdigkeiten. 211 Uhr: Musikalischer 
Frühschoppen in der v. Wächter'schen und Orth'schen 
Brauerei. Nachmittags 213 Uhr: Bei günstiger 
Witterung Versammlung der Festtheilnehmer mit 
Familiengliedern am Waldschlößchen zu einer Wald 
partie, bei ungünstiger Witterung Reunion in der 
Fruchthalle von 3 Uhr ab. 
— Edenkoben, 23. Juli. Aus der heutigen 
Schöffengerichtssitzung theilt die „Gegenwart“ fol⸗ 
genden Fall mit: Nach Art. 16 des Kapitalren⸗ 
ensteuergesetzes von 1881 steht dem kgl. Rentamte 
die Befugniß zu, von den Steuerpflichtigen in allen 
Fällen, in welchen sich bezüglich ihrer Steuererklär⸗ 
ung ein erheblicher Anstand zeigt, ein spezielles Ver— 
zeichniß der dem Kapitalrentenbezuge zu Grund— 
liegenden Kapitalforderungen und Renten innerhalb— 
hzemessener Ausschlußfrist zu verlangen. Bei der 
letzten Fatirung der Kapitalrenten wurde seitens des 
kgl. Rentamtes dahier die Fassion eines Kapitalisten 
nus dem Kanton beanstandet, weßhalb das königl 
Rentamt von vorstehender Befugniß Gebrauch machte. 
Der Kapitalist kam aber der an ihn wiederholt ge⸗ 
ttellten Auflage nicht nach, weßhalb er durch Straf⸗ 
yescheid erwähnten Amtes auf Grund des Art. 31 
itirten Gesetzes mit einer Ordnungsstrafe von 50 
Mark belegt wurde, wogegen der Bestrafte jedoch 
Finspruch erhoben hat. Zur Begründung dieses 
Finspruches stellte Angeklagter heute auf, daß er 
nus Rücksicht gegen seine Schuldner das verlangt 
Verzeichniß nicht einreichen durfte, indem die hier 
absolut nöthige Diskretion nicht allseitig gewahr' 
vird und er hierdurch in seinem Geschäfte zu Scha— 
den gekommen wäre und er auch geglaubt hätte 
zaß er dadurch, daß ihn der Kapitalrentensteueraus— 
schuß mit einer Rente von 500 Mk. höher, als er 
deklarirt, herangezogen habe,hinlängliche Sühne 
»ꝛrleiden mußte. Die vorgebrachten Entschuldigungs. 
gründe konnte das Gericht nicht als stichhalfig er— 
achten, weßhalb der Einspruch verworfen und Am 
geklagter zu einer Geldstrafe von 40 Mk. verurtheilt 
wurde. 
— Landau, 27. Juli. An der Absolu— 
torialprüfung hiefigen Gymnafiums betheiligen sich 
die 35 Schüler der Oberklasse und ein Privat. 
studierender. Interessant ist, welch' verschiedene Be— 
rufsarten dieselben nach ihren Aufgaben zu ergreifen 
gedenken. Obenan stehen die 11 Mediziner, es 
solgen dann 8 Juristen, 3 protestantische, J1 katho— 
lischer Theologe, 3 widmen sich dem Forstdienst, 
e 2 dem Finanzfache und der Chemie, je einer 
der Philologie, dem Vehrkehrswesen, der Musick, 
der Maschinenatechnik und dem Militär, zusammen 
11 verschirdene Berufsarten. Bedenklich erscheint 
die jährliche Zunahme der Mediziner, während die 
Zahl der Jurisprudenzstudierenden sich fast immer 
gleich bleibt, ja eher geringer wird. (Pf. Pr.) 
— Germersheim, 24. Juli. Bis heute 
sind 80,077 Mäuse eingeliefert worden. — Am 
18. Oktober d. J. werden es fünfzig Jahre, daß 
der Grundstein zum hiesigen Festungsbau gelegt 
worden ist. 
— Die Mörlheimer Mühle sammt Wohn— 
haus, Herrn Dieler gehörig, ist am Freitag Nacht 
gjänzlich niedergebrannt. Die Feuerwehren von 
Mörlheim und Queichheim waren rasch zur Stelle. 
Die daneben stehende Queichheimer Mühle blieb 
vom Feuer verschont. 
— Speyer, 26. Juli. Die Gesammtsumme 
der für die Retscherkirche bis heute im laufenden 
Jahre eingegangenen Beiträge beläuft sich aui 
3416 Mk. 14 Pf. 
Bermischtes. 
F* (GBadeanstalten für Arme.) In 
größeren Städten begegnen wir jetzt immer häu— 
iiger der sehr löblichen Einrichtung städtischer Fluß⸗ 
Badeanstalt für Handwerker, Arbeiter und Arme. 
In einzelnen Städten, z. B. Berlin, fängt die 
armere Bevölkerung auch an, Werth zu legen auf 
die Benutzung solcher Anstalten. Die deutsche Re— 
sidenz besitzt deren 8, ihren Gebrauch Jedem gegen 
Erlegung von 5 Pf. freistellend. Sie wurden von 
nahezu 500,000 Personen benutzt. In kleineren 
Orten ist es leichter, an einem entlegenen Ort im 
Fluß oder Bach sich zu baden, in größeren ist es 
dagegen für Arbeiter und Handwerker schwierig, oft 
unmöglich, da sie zu viel Zeit verlaufen würden. 
Daher kann es den städtischen Behörden und der 
Wohlthätigkeit in größeren Städten nicht genug 
empfohlen werden, dem guten Beispiel zu folgen 
und ähnliche Einrichtungen zu schaffen. 
Wer weiß es nicht aus eigner Erfahrung, wie 
erquickend es ist, nach heißem Tagewerk sich im 
kühlen Element zu bewegen! Wie nöthig ist dies 
aber dem Handwerker und dem Arbeiter, die in 
Folge ihrer Beschäftigungen entweder den Sonnen⸗ 
sͤrahlen noch mehr ausgesetzt sind, als ihre besser 
gestellten Mitmenschen, oder die in heißem, über— 
fülltem Raume mitten unter den Ausdünstungen des 
Arbeits· Materials sich befinden, oder dem Feuer 
selbst nahe zu sein gezwungen sind? Mit frischerem 
Mꝛuthe, frischerer Kraft geht Jeder nach solch be— 
lebendem Bade wieder an die Arbeit. Finden wir 
dies doch auch schon, leider sehr vereinzelt, in Fat 
briken, z. B. in Burbach, in Mülhausen i. E. die 
von Wasserarmen umgeben sind; dort werden die 
Arbeiter theils während größerer Pausen, theils nach 
vollendetem Tagewerk truppweise zum nahen Bade⸗ 
platz geführt; das Bad ist hier unentgeltlich. 
p'Saatbrücken, 29. Juli. Heute sind e— 
14 Jahre, daß auf dem hiesigen Friedhofe der erste im 
— 
erdigt worden ist. Es war ein Ulan der 4. Eskadron 
des Rheinischen Ulanen-Regiments Nr. 7. der 
abends dorher auf einer Streifpatrouille durch einen 
Schuß in den Kopf getötet worden ist. Der Mann 
war aus Hohenzollern und diente erst 6 Monate. 
Auf seinen besondern Wunsch erhielt er von pae 
Votgesehten, dem damaligen Rittmeister Herrn 
Luch die Erlaubniß, an der Patrouille Teil wene 
zu dürfen, und der Brave hatte wohl keine 
uͤng davon, daß sein Wunsch für ihn so verlang 
nißvoll und er der erste von all den Tausenden wer 
sollte, die in dem hier auf unseren Fluren tehnn 
Zampfe für die Ehre und Unabhängigkeit des i 
landes ihr Leben geopfert haben. Sein Grab hu