Full text: St. Ingberter Anzeiger

st. Ingherter Amziger. 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingsbert. 
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159. Montag 18. August 1884. 
s0. Jahrg. 
Politische Uebersicht. 
Ausland. 
London, 17. Aug. Die gestrige Nachricht 
er „Times“ von einer Kriegserklärung Chinas an 
Frankreich wird hier allgemein als unrichtig be— 
eichnet. Nach einem Telegranem des Reuter'schen 
Zureaus aus Shanghai von heute lagen auch dort 
eine Nachrichten aus Peking vor, welche jene Mel⸗ 
ung der „Times“ irgendwie bestätigten. Die 
hinesische Regierung habe vielmehr unterm 14. d. 
Mis. dem diplomatischen Korps einen Protest gegen 
as Vorgehen Frankreichs zugestellt und eine Me— 
iiation der Mächte nachgesucht, um zu einer güt— 
ichen Verständigung mit Frankreich zu gelangen. 
diese Mittheilung der chinesischen Regierung an das 
iplomatische Korps in Peking soll in durchaus 
riedlichem Tone gehalten sein. 
Wie bereits gemeldet hat die euglische Re⸗ 
zierung ein Kanonenboot nach der Insel Hel⸗ 
joland entsendet, um zum Schutze der Fischerei 
1h) Stellung zu nehmen. Wenn diese Mel⸗ 
»ung des „Daily Telegraph“ sich bestätigen 
ollte, so hätte die englische Regierung einen 
igenthümlichen Weg eingeschlagen, um die Be— 
chwerden der deutschen Blätter über den Ueber⸗ 
nuth englischer Fischer im allgemeinen und den 
üngsten Seeraub im besonderen zu bheantwarten. 
Deutsches Reich. 
tine bereits kurz gemeldete Verhaftung in 
blenz betraf wirklich zweifranzösische Spione. 
)r „Köln. Ztg.“ wird folgendes Nähere darüber 
richte: Am 7. ds. kamen im hiesigen Gasthof 
ir Stadt Lüttich zwei Fremde an, die sich als 
lein, officier frangais und Rühlmann, proprié- 
ure, ins Fremdenbuch eintrugen. Ihre einzige 
gufgabe hierselbst schien im Spazierengehen nach 
en Koblenz umgebenden und beherrschenden Höhen, 
amentlich dem Kühkopf, zu bestehen. Zudem folg⸗ 
n sie aus möglichster Nähe den Festungskriegs⸗ 
ungen. Am 11. ds. hatten sie sich im Walde 
art an eine Batterie herangemacht und so verdächtig 
abei benommen, daß dem deutschen Offizier der 
ahre Charakter der Fremden nicht mehr zweifel⸗ 
ijt sein konnte, umsoweniger, als dieselben im 
asthof, in dem viele deutsche Offiziere verkehren, 
aufdringlicher Weise sich seit Tagen an letztere 
tangemacht und Gespräche mit ihnen über die 
anover hervorzurufen gesucht hatten. Der deutsche 
jfizier erwies ihnen nicht die Ehre, sie an der 
zatterie zu verhaften, sondern erstattete seinem Vor⸗ 
esetzten Anzeige, der dann die Verhaftung derselben 
uch die Polizei veranlaßte. Die Untersuchung hat 
»Wvolle Schuld der beiden in mittlern Jahren 
henden Herren ergeben. Man fand bei ihnen 
e Menge Karten, Ortsaufnahmen, Skizzen, Auf⸗ 
ichnungen, die es zweifellos machen, daß sie Mili— 
uuspionage betrieben haben; und zwar nicht etwa 
uf eigene Hand während eines Urlaubs, sondern 
feunmittelbaren Befehl des französischen Kriegs- 
misters. Im Besitz des Klein fand sich unier 
en Papieren und Banknoten eine chiffrirte Depesche 
¶ftanzöfischen Kriegsministers Campenon an 
lein vor, die letzterer selbst entziffert und durch 
uizschneiden und Wiederzusammenkleben der Buch— 
hen lesbar gemacht halle und die in der Ueber⸗ 
ung etwa lautet: „Sie haben sich angesichts 
eses sofort nach Paris zu begeben und hier naͤhere 
efehle in Empfang zu nehmen, die eine Dienstreise 
ach Koblenz betreffen“. Die so sorgfältige Auf- 
Wahrung und seibstgefertigte Dechifftirung dieser 
epesche läßt über das Talent des Herrn Franzosen 
wdas Handwerk, zu dem er kommandirt war, 
ine gtoße Meinung aufkommen. Klein ist Platz⸗ 
genieur von Perpignan. Rühlmann, von dein 
an nicht weiß; ob der im Gasthof angegebene 
ame richtig ist, und der sich überhaupt etwas vor— 
higer benahm, ist chek de batteris (ewa 2. 
rilerie Offizier vom Platz) in Belfort. Die Schuld 
r Verhafteten hat sich so klar ergeben, daß die 
auntersuchung schon geschlossen werden konnte, 
daß die gerichiliche Verhamlung alsbald statifinden 
abfolgt bekommt. Es sei dieses der erste Schritt 
zur Arbeiterkolonie; hierzu käme dann noch die 
krrichtung von Herbergen zur Heimath in 
zrößeren Städten, die an den Hauptheerstraßen 
der fahrenden und vagabundirenden Leute lie— 
gen; als Letztes kaäme dann die Gründung einer 
Arbeiterkolonie für einen ganzen Kreis. 
Wie dies zu geschehen habe, zeigte Redner 
in dem Beispiele von Wilhelmsdorf bei Biele⸗ 
eld in Westphalen, der ersten Arbeiterkolonie in 
Deutschland und dann an dem weiteren Beispiele 
yon Dornahof in Würitemberg, der zuletzt errichteten. 
Es scheinen zwar die Schwierigkeiten, welche der 
Ausführung eines solchen Werkes entgegenstehen, 
iesengroß zu sein; aber allseitiges, einmüthiges Zu⸗ 
ammenwirken vermöchten viel, besonders wenn der 
Staat einem solchen Unternehmen mit einem un—⸗ 
nerzinslichen Darlehen unter die Arme greife; das 
zeigten ja die bereits gegründeten Arbeiterkolonien 
und die in der Errichtung begriffenen. Das Bild, 
das der Redner von dem Leben und Treiben in 
riner solchen Kolonie, in der die Leute während 
des ganzen Jahres mit landwirthschaftlichen Ar⸗ 
deiten und damit zusammenhängender Industrie 
zegen Verpflegung und geringe Vergütung an 
Beld beschäftigt werden, war höchst anziehend. Der 
Erfolg, den der Aufenthalt in einer derartigen Ko⸗ 
sonie für die Leute hat, ist in den meisten Fällen 
der gewünschte. Sie werden an Arbeit und Ord⸗ 
nung gewöhnt, erhalten beim Verlassen der Kolonie 
Arbeitsnachweis und kommen so wieder auf eine 
gesittete, menschenwürdige Lebensbahn. Für die 
Pfalz sei die Errichtung einer Arbeiterkolonie nur 
aoch eine Frage der Zeit, besonders da die um—⸗ 
liegenden Staaten darin voranmarschieren. Um sich 
zann der Ueberfluthung von Seiten des Landstreicher⸗ 
hums zu erwehren, sei sie gezwungen, zu dem 
erprobten Mittel der Gründung einer Arbeiterko— 
lonie zu greifen. Mit dem Wunsche, daß es im 
Interesse der Bevölkerung im Allgemeinen, wie der 
wandernden Leute von der Straße im Besonderen 
bald dazu kommen möge, beendete der Redner unter 
dem Beifall der Zuhörer seinen interessanten Vor⸗ 
trag, der die Aufmerksamkeit Aller bis zum Schlusse 
in hohem Grade gefesselt hatte. 
* St. Ingbert, 18. Aug. GKunstnotiz.) 
Bie aus dem Inseratentheile dieses Blattes zu er⸗ 
ehen, wird sich morgen (Dienstag) Abend im Café 
Iberhauser das von seinem hiesigen Auftreten im 
origen Jahre her noch im besten Andenken stehende 
Zapf'sche Männerquartett aus Wiesbaden 
hören lassen. Daß Herr Zapf mit seinen Barden 
nur Gediegenes, echt Künstlerisches bietet, davon 
ind wir fest überzeugt. Es ist vierstimmiger 
Männergesang, wie er in solcher Vollendung wohl 
elten oder nie zu Gehör gebracht wird, und bei 
)er Pflege, die man dem Männergesange heute 
überall bei uns zu Theil werden läßt, können diese 
Mustervorträge von Volksliedern und Kunstgesängen 
nit Recht ein erhöhtes Interesse in Anspruch nehmen 
ind verdienen vollauf die Ehre eines Besuches. 
Auch den Damen gilt unsere freundliche Einladung, 
das Konzert mit ihrer Gegenwart zu erfreuen; sind 
ie doch mit ihrem feinen Geschmack, mit ihrem 
Sinn für alles Edle und Schöne vorzugsweise be— 
rufen, die Hörerinnen in einem Konzerte zu spielen, 
n dem die schönste Blüthe der Sangeskunst ihren 
Duft und ihre Pracht entfaltet. — Schließlich 
vollen wir nicht verfehlen daran zu erinnern, daß 
u billigem Preis schon im Laufe des Konzerttages 
rintrittskarten heii Herrn Möestaurgfeur Raumane 
Lokale und pfälzesche Nachrichten. 
* St. Ingbert, 18. Aug. Vor einer sehr 
ahlreichen Versammlung hielt gestern Nachmittag 
m Oberhauser'schen Saale Herr Pfarrer Deggau 
jon Darmstadt den angekündigten Vortrag über 
Urbeiterkolonien. Ausgehend von dem Satze, 
zaß die Worte Arbeit und Arbeiter heute 
vieder zu Ehren gekommen seien, entwarf der Red⸗ 
er zuerst ein ergreifendes und packendes Bild von 
ꝛer Noth Derer, die das oft unverschuldete Unglück 
saben, arbeitslos zu sein und nun als Landplage 
agabundirend und bettelnd in einer Zahl von circa 
200,000 unser deutsches Vaterland nach allen 
dichtungen durchstreifen und immer tiefer in den 
S„chlamm ihres Lumpenlebens versinken, wenn 
hnen nicht zu rechter Zeit die rettende Hand ge⸗ 
oten wird. Staat und Polizei vermöchten da 
richt allein abzuhelfen; am gründlichsten und wirk— 
amsten könne dieses die freie Vereinsthätigkeit. 
1„tecke die Polizei so einen Landstreicher in's Ge⸗ 
ingniß, so würden dem Staate dadurch große 
dosten erwachsen; käme doch nach statistischen An⸗ 
aben aus Mecklenburg jede Inhaftirung und Ver— 
rtheilung eines Landstreichers den Staat auf eiwa 
O Mark zu stehen. Und doch sei mit einem 
olchen Verfahren den armen Gefallenen nicht 
eholfen. Vor allen Dingen gälte es, dieselben aus 
hrem Bummelleben und Nichtsthun herauszuziehen, 
ie von der Arbeit Entwöhnten allmälig wieder an 
ieselbe zu gewöhnen. Als das größte Hinderniß 
ieser Aufgabe bezeichnete der Redner die üble Ge—⸗ 
johnheit der meisten Leute, den vorsprechenden Ge— 
ellen ein Geldgeschenk zu reichen, das doch in den 
neisten Fällen in Gesellschaft gleichgesinnter Kum— 
ane in der ersten besten Schnapsschenke vertrunken 
verde und so nur demoralisirend wirke. Also weg 
nit der Verabreichung von Geldgeschenken, die zu⸗ 
dem den Einzelnen im Laufe eines Jahres theuer 
uu stehen kommen; dafür Vereinigung ganzer Di— 
trikte und Kreisverbände zur Errichtung von Ver— 
»flegungsstationen auf Entfernungen von 
twa 3 Stunden, in denen der reisende Hand⸗ 
verksbursche übernachten kann und Naturalien zum 
Aissen seineßz Hungers aber keinen Schnahs voer— 
Zur Varziner Entrevue. Wie man 
sittt, hat sich der deutsche Generalkonsul für 
pten, Herr v. Derenthall, der dem deutschen 
ahhafter Grafen Munster auf der Londoner Kon⸗ 
mnz als sachverständiger Beirath zur Seile siand, 
h Varzin begeben und wird dort während der 
wesenheit des Grafen Kalnoky bleiben. Die 
aufung dieses Diplomaten, der für einen der 
sen deutschen Kenner der Verhältnisse des Nil⸗ 
A Varzin in diesem Augenblicke 
utt dafür, daß bei den Besprechungen des 
uten Bismarck mit dem Grafen Kalnoky auch die 
Plische Frage einen Hauptgegenstand bilden pird.