Full text: St. Ingberter Anzeiger

Anterhaltungsblatt 
5m 
St. Inaberter Anzeiger. 
A 104. 
Donnerstag, den 31. Dezember 
13835. 
Manuela 4 
Intrigante JZäden. 
Roman von Max von Weißenthurn. 
für welche Sie sich ausgaben! Ich überwacht 
Sie scharf, aber auch Anderen blieb Ihr Geheim 
niß nicht verborgen und Alles steht deßhalb fü 
Sie auf dem Spiele, wenn Sie nicht fliehen, s 
lange es noch Zeit ist!“ 
„Und Sie, Kapitän O'Donell, Sie, der Sie 
nich hassen, Sie kommen hierher, um mir diese 
Warnung zu sagen?“ 
„Der ich Sie hasse?“ wiederholte der junge 
Mann. Womit habe ich Ihnen denn bewiesen, 
daß ich Sie hasse?“ Ich kenne Manuela Rosegg's 
raurige Geschichte und ich glaube selbst in dieser 
Stunde, daß mehr gegen Sie gesündigt wurde, 
als wie sie selsst fehlte. Einen großen Fehler 
hat sie begangen; sie hat selbst Wiederbergeltung 
iben wollen und nicht der Worte gedacht, die da 
auten: „Die Rache ist mein“. Manuela, ich 
veklage Sie von ganzem Herzen! Verzeihen Sie 
nir alle harten Worte, welche ich je zu Ihnen ge⸗ 
prochen habe. Lassen Sie mich von dieser Stunde 
an Ihr Freund, Ihr Bruder sein! Reichen Sie 
nir versöhnt die Hand; ich kann und will nicht 
in Feindschaft von Ihnen scheiden!“ 
Sie bededte das Antlitz mit beiden Händen 
und er fuhr fort: 
„Ich bringe meine Schwester Luch nach Lon- 
»on; begleiten Sie uns. Es ist Ihnen schweres 
Anrecht zugefügt worden, doch nicht Ihnen allein. 
Sie kennen die Vergangenheit meiner Schwester, 
Sie wissen, wie auch ihr Leben vernichtet wurde 
von der gleichen Hand, welche Ihr Dasein zer⸗ 
törte. Luch wird Ihnen treu zur Seite stehen. 
Manuela, geben Sie den Kampf auf und entsagen 
Sie Ihrer Rache!“ 
„Meiner Rache?“ wiederholte sie. „Ich brauche 
ihr nicht zu entsagen. Meine Rache ist erfülli. 
Ja, ich bin Manuela Rosegg, die, für todi bestattet, 
aus dem Grabe auferstanden ist, um Vergeltung 
ür das ihr geschehene Unrecht zu üben. Nachdem 
ich aus dem Hause Doktor Wilson's, der mich in's 
deben zurückgerufen hatte, entflohen war, faßie ich 
ven Entschluß, Schauspielerin zu werden. Mit 
ernstem Eifer machte ich mich an die mir selbft 
jestellte Aufgabe und ich reussirte. Aus Amerika 
schrieb ich an Doktor Wilson, daß. wenn Alexander 
Nachdr uck verboten. 
Rortsezung. 
Nein, nicht mir,“ gab RoderichO' Donell schmerzlich 
berührt, von ihr so verkannt zu werden, zurück, 
„nicht mir, sondern dem Grafen Ainsleigh!“ 
„Dei Grafen Ainsleigh!“ wiederholte sie und 
wie im Todesweh kamen diese Worte über ihre 
dippen. „Was habe ich ihm gethan, daß er mich 
so hart verfolgt, er, gerade er ?“ 
Roderich O'Donell, der den Sinn ihrer Worte 
nicht verstand, entgegnete: 
„Er hat einen Deitektiv angenommen, der Alles 
ermittelte; sein Verdacht, daß Mademoiselle La⸗ 
bour mit Manuela Rosegg identisch sei, bewog ihn, 
Ihrer Spur nachzuforschen, und fübrte ihn so zu 
diesen Entdeckungen!“ 
„Ah, und auf diesen Verdacht hin find auch 
Sie nach London gefahren, um die arme Mrs. 
Wilson durch Kreuz⸗ und Querfragen zu ängstigen?“ 
„Wenn ich das that, so handelte ich durchaus 
nicht mit Rücksicht auf einen bloßen Verdacht, denn 
ich besaß die positive Gewißheit, daß der Sarg 
Manuela Rosegg's leer sei!“ 
In namenlosem Entsetzen blickte das Maͤdchen 
den Sprecher an. 
„Daß der Sarg leer sei?“ ssieß sie schwer her⸗ 
vpor. „Kapitän O'Donell!“ 
.Mit Hilfe meines Dieners“, erklärte er ruhig, 
„öffnete ich das Grab und überzeugte mich, daß 
mein Verdacht Thatsache sei!“ 
„Und Sie, ein Mann, der so gegen mich in⸗ 
zrigirt, Sie haben den Muth sich meinen Freund 
zu nennen 7“ 
„Ja, ich habe den Muth, denn ich bin in 
Wirklichkeit Ihr Freund, wenn auch der Schein 
zegen mich spricht. Von der Stunde an, in der 
ich Ihre Identität mit der Schauspielerin, welche 
ich als Ophelia in New⸗NYork gesehen hatte, kon⸗ 
statirte, muthmaßte ich, daß Sie nicht Die seien,