Full text: St. Ingberter Anzeiger

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Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
F St. Ingberter Anzeiger“ erscheint wochentlich fünfmal: Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und onntag; 2mal wöͤchentlich mit Unterhaltur ge⸗ 
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M 43. 
Politische Uebersicht. 
In Abgeordnetenkreise Preußens nimmt 
nan zuversichtlich an, daß die Regierung dem 
ingebrachten Gesetzentwurf zur Pensionirung dee 
Volksschullehrer im Wesentlichen in der Form, wir 
* in der Kommission festgesetzt worden, zustimmen 
vird. Aus der Haltung der Regierungsvertreter 
in der Kommission hat man allgemein diesen Ein— 
druck gewonnen. Einzelne Bedenken, welche die 
Regierung noch haben dürfte, werden in vertrau⸗ 
ichen Verhandlungen erörtert und im Gesetzentwurf 
noch berücksichtigt werden. Das Gesetz würde frei— 
lich einen Mehraufwand von etwa drei Millionen 
Mark verursachen, was allerdings bei der gegen— 
värtigen Finanzlage schwer in's Gewicht fällt. In— 
dessen wird jedoch von keiner Seite verkannt, daß 
gerade diese Aufwendung eine der allerdringlich⸗ 
ten ist. 
In einer der letzten Nummern des von Dr. V. 
Böhmert herausgegebenen „Volkswohl“ findet sich ein 
ʒeachtenswerther Aufsatz: „Das Sp aren und die 
5ozialdemokratie“. Es wird darin nachgewie— 
sen, daß überall, wo die Sozialdemokratie herrscht, auf⸗ 
fallend viel weniger gespart wird als anderwärts, 
ind dies wird darauf zurückgeführt, daß die sozial⸗ 
demokratische Lehre jede Selbsthilfe, jede auf dem 
Boden der heutigen Gesellschaft erreichare Verbesse⸗ 
tung der materiellen Lage der Arbeiter für werth— 
sos erklärt und ihnen einen kommunistischen Zu— 
sunftostaat vorgaukelt, in dem ihnen die kleinen Er— 
parnisse doch nichts nützen könnten. Es kommt 
sjinzu, daß die sozialdemokratische Agitation mit 
hreij bestuͤndigen Versammlungen und Voriräügen 
naturgemäß das Wirthshausleben befördert und da⸗ 
nit manchen Groschen, der gespart werden könnte, 
Jerschlingt. Sparttieb und Sozialdemokratie find 
zatürliche Feinde; jede Beförderung des ersteren ist 
ugleich eine Bekämpfung der letzteren. Hat ein 
Arbeiter erst einmal Geschmack am Sparen gewon- 
len, freut er sih an dem Wachsthum seines kleinen 
dapitals, so wird er vor allen Dingen die Neig⸗ 
ing für das Wirthshaus verlieren und statt dessen 
üür die Freuden der Häuslichkeit empfänglicher 
verden; damit aber ist er für die Sozialdemokratie 
in der Regel schon verloren. Auch Schäffle legt 
nuf diese Erscheinung einen besonderen Werih. In 
einer Schrift „die Aussichtslosigkeit der Sozial⸗ 
demokratie“ führt er aus, daß das Sparen die 
Sozialdemokratie am wirksamsten bekämpfe. „Jeder 
Sparkassenpfennig wirkt der Revolution bei den 
Proletariern selbst entgegen. Es gibt keinen besseren 
Schutz der bestehenden Ordnung, als die Erhaltung 
und Ausarbeitung des Privateigenthums, des Ka— 
pitals, über die ganze Produzentenwelt durch Er⸗ 
barung.“ In den Berichten der Fabrikinspeltoren 
vird diese Wahrnehmung auch mit ganz bestimmten 
hatsächlichen Angaben delegt, es wird ihlenmaßig 
nachgewiesen, daß überall wo die Sozialdemokraue 
serrscht, das Sparen nicht aufkommt und umgekehrt, 
vo das Sparen in Uebung ist, die Sozialdemokratie 
beinen Boden findet. Die hohe sozialpolitische und 
Noralische Wichtigkeil, welche jede Beförderuug des 
Spartriebes in sich trägt, liegt nach diesen Bemer— 
ungen auf der Hand. 
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Der Konig der Belgier, Leopold L. richtete 
den Fürsten Bismard einen Brief, in welchem 
r demselben den Dank fur die großen Dienste 
sspricht, welche der Reichskanziet dun die Fin— 
Sonntag, 1. März 1885. 
20. Jahrg. 
herufung der Konferenz der Zivilisation in Afrika Mitwirkung an den Arbeiten der Konferenz aus⸗ 
geleistet habe. sprach. Demnächst erhob sich der italienische Bot⸗ 
schafter, Graf Launahy, um als Doyen im Namen 
der Versammlung zu danken und der hohen Ver⸗ 
dienste zu gedenken, welche sich Fürst Bismarck 
selbst um das glückliche Gelingen des Konferenz⸗ 
werkes erworben habe. Fürst Bismarck machte 
hierauf den Anwesenden die Mittheilung, daß die 
internationale Gesellschaft des Congo ihren Beitritt 
zu den Beschlüssen der Konferenz erklärt habe und 
berlas das darauf bezügliche, von Stirauch als 
Bevollmächtigten der Gesellschaft unterzeichnete 
Schriftstüuck. Die Versammlung schritt sodann zur 
Unterzeichnung der auf einem besonderen Tische 
ausgebreiteten, auf Pergament gedruckten 14 Ver⸗ 
tragsinstrumente. Nach Beendigung dieser Feier⸗ 
lichkteit wurde um 3132 Uhr die Sitßzung durch den 
Fürsten Bismarck geschlossen. 
Berlin, 27. Februar. Der „Reichsanzeiger“ 
publizirt das Gesetz, betreffend die weitere Erwer⸗ 
bung von Privatbahnen (die braunschweigische, die 
schleswigsche und die Münster-Enschede Bahn).“ 
Auslaud. 
Bern, 27. Febr. Mehrere Anarchisten sind 
hier verhaftet worden. Auch in anderen Stadten der 
—AIVI 
gefunden haben. Wie verlautet, liege ein bezüglicher 
Beschluß des Bundesraths vor. ar 
Paris, 26. Februar. Drei deutsche Sozia⸗ 
listen, die sich an der Kundgebung bei Vallés Be⸗ 
gräbniß betheiligt hatten, werden ausgewiesen werden. 
Das „Berl. Tgbl.“ schreibt: Schon Ende 
»origen Monats brachten wir die Nachricht, daß 
jier englische Depeschen eingelaufen seien, wonach 
die bei der Sklavenküste von Quettah oder 
Keta im Binnenlande ansässigen Awong⸗Leute die 
deutsche Flagge gehißt und den englischen Handlern 
in Quettah gedroht hätten, keinen Proviant mehr 
zu liefern. Jetzt sind, wie schon im, heutigen 
Morgenblatt berichtet wurde, in Hamburg briefliche 
Berichte eingelaufen, wonach in Quettah selbst die 
Sachen sehr bedenklich ständen, so daß Unruhen 
ausgebrochen, bei denen der britische Gouverneur 
verwundet wurde. Im Zusammenhang mit den 
ersten Nachrichten muß fast der Verdacht rege 
werden, als ob die Engländer das Spiel wieder⸗ 
holten, gegen deutsches Vorgehen aufzuwiegeln, und 
dabei selbst blutige Früchte ernteten, indem die 
Neger sich die anscheinenden Zerwürfnisse zwischen 
Deutschen und Engländern zu Nuzße machen möchten. 
In Afrika sollte doch anständiger Weise die Eifer⸗ 
sucht zwischen den Weißen den Schwarzen gegenüber 
außer Spiel bleiben. Mittlerweile wird dem 
Reuterschen Büreau noch aus Madeira unterm 19. 
d. gemeldet, daß dortselbst Nachrichten von der 
Westküste Afrika's eingetroffen sind, denen zufolge 
ein Küstenstrich westlich von Benin von Deutschland 
annektirt worden ist. Die Beninküste und der 
dandstrich gleichen Namens liegen in Ober⸗-Guinea 
wischen den Mündungen des Alt⸗Calabar ⸗Flusses 
ind des Volta⸗Flusses und nehmen das Gebiet der 
ganzen Sklabenküste, der Benin-Bai, der Riger⸗ 
nündungen und der Biafra⸗Bucht ein. Im Süden 
)es Gebietes Äbefindet sich das Kamerungebirge. 
„Westlich von Benin“, wie diese Meldung besagt, 
läge unter Anderem an der Goldküste jener Strich 
den einst Brandenburg unter dem Großen Kur⸗ 
ürsten besaßk. 
Lokale und pfälzische Rachrichten. 
St. Ingbert, 28. Februar. Dieser Tage 
warf eine Ziege des Bergmannes Engel dahier 
drei Jungen, worunter ein munteres Böcklein mit 
4Augen, zwei vorn seitlich am Kopfe stehend 
und zwei auf dem Scheitel. 
— Oberauerbach, 26. Februar. Am 
Montag entfernte sich der Ackerer Daniel Leiner 
von hier aus seiner Behausung, ohne daß man 
über dessen Verbleib etwas erfahren konnte. Die 
nun angestellte Suche nach demselben hatte das 
Ergebniß, daß man ihn heute früh im Fichten⸗ 
wäldchen des Schlages Kirchwald, Niederauerbacher 
Gemarkung, erhängt fand. Leiner, ein tüchtiger 
und braver Familienvater, scheint in einem Anfalle 
von Geistesstörung Hand an sich gelegt zu haben. 
Derselbe hinterläßt Ftau und 8 Kinder. (3. 3.) 
Deutsches Reich. 
Berlin, 26. Februar. Die heutige Schluß— 
itzung der afrikanischen Konferenz begann um 214 
Uhr unter dem Vorsitz des Fürsten Bismarck. In 
der Eröffnungsrede sprach der Fürst sein Bedauern 
arüber aus, daß sein Gesundheitszustand und seine 
inderweitigen Dienstgeschäfte ihn daran gehindert 
sätten, persönlich den Verhandlungen beiwohnen 
zu können; er habe jedoch mit lebhaftem Interesse 
)en Gang derselben verfolgt und seine Theilnahme 
mnehrfach zu bethätigen Gelegenheit gehabt. Der 
steichskanzler gab der Befriedigung darüber Aus— 
hruck, daß es gelungen sei, übet die einzelnen Punkt⸗ 
des Konferenzprogramms eine Einigung zu erzielen. 
Det Präsident resumirte sodann kurz die einzelnen 
don der Konferenz gefaßten, jetzt in einer General⸗ 
alte vereinigten Beschlüsse und zollte dem versöhn⸗ 
ichen Geiste Anerkennung, der sowohl bei den Be⸗ 
athungen der Konferenz selbst, wie bei den außer⸗ 
jalb derselben stattgehabten Verhandlungen obge⸗ 
valtet habe. Der unter den Auspicien Sr. Maj. 
des Königs der Belgier gegründete, jetzt von fasl 
allen Mächten anerkannte Congostaat werde eine 
der werthvollsten Stüßzen für den Bestand des 
Werkes der Konferenz bilden. Fürst Bismard 
schloß, indem er im Namen Sr. Maj. des Kaisers 
und Königs den anwesenden Bevollmächtigten, so⸗ 
wie den Delegirten den Dauk für ihre erfolgreiche 
Vermischtea. 
— Der letzte der Veteranen aus dem Heere 
Rapoleons J., der älteste Mann in der ganzen 
Umgegend von Idar, Herr Karl Dreher, ist dieser 
Tage zur großen Armee abberufen worden. Äm 
29. April 1790 geboren, trat Dreher 1808 in 
Neubreisach bei den chasseurs à cheval ein und 
zing nach sechswöchentlichem Dienst als Freiwilliger 
nach Spanien, wo er die Schlacht don Saragossa 
nitmachte; dann“ kam er mit dem französischen 
deere nach Oesterreich und betheiligte sich an den 
Schlachten von Aspern und Wagram. 1813 
wurde er bei Großbeeren verwundet, gerieth auf 
dem Marsche nach Leipzig in Gefangenschafi und 
machte dann noch die Schlacht bei Hanau mit. 
Dreher hatte an den Folgen seiner Verwundung 
nicht viel zu leiden und war bis in seine letten 
Jahre ein rüstiger Mann geblieben.