Full text: St. Ingberter Anzeiger

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St. Ingherter Anzeiger. 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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der St. Jugberter Anzeiger“ erscheint wbchentlich funfmalz Am Montag, Dienstag, Donuerstag, Samstag und Sonutag; 2mal woͤchentlich mit Unterhaltungs⸗ 
Llatt und Sonntagß mit Sseitiger illustrirter Beilage. Das Blatt kostet vierteljährlich 1 A 60 4 einschließlich Tragerlohn; durch die Post bezogen 1.4 75 H, einschließlich 
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M 108. * Donnerstag, 4. Juni 1885. 
20. Jahrg. 
Politische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
Berliu, 2. Juni. Der Kaiser empfing 
Mittags den Kronprinzen, welcher sich zur Reise 
nach Konigsberg verabschiedete. um 8 Uhr den 
Zeneral Kleist, welcher sich als kommandirender 
Beneral des ersten Armeekorps meldete. Um 4 Uhr 
erscheint der Reichskanzler zum Vortrage. I 
Ausland. 
Paris, 1. Juni. Bei dem Leichenbegängniß 
Bilior Hugo's sprach am Triumphbogen auch der 
Prasident des Kommunalraths Michelin. Die Rede 
desselben, worin die Wiedereinführung der kommu ⸗ 
nalen Autonomie verlangt wurde, rief Bekundungen 
von Mißfallen hervor. Um 234 Uhr traf die 
Spitze des Zuges am Pantheon ein, während die 
etzten ·Abtheilungen erst um 4 Uhr den Triumph⸗ 
bogen verließen. Im Zuge befanden sich zwoif 
Wagen mit Kränzen; außerdem wurden 800 Kranze 
von verschiedenen Delegationen getragen. Um 4 
Uhr erfolgte die Einsenkung des Sarges; 13 Red⸗ 
net sprachen am Sarge. Das Defiliren der Theil⸗ 
nehmer des Zuges dürfte kaum vor 7 Uhr beendet 
ein. Der Zug selbst verlief ohne jeden Zwischen⸗ 
all, die Ruhe wurde nirgends gestört. Den Abend⸗ 
lättern zufolge wurden eiwa 15 rothe oder schwarze 
Jahnen, welche von revolutionären Vereinen oder 
Freidenker ⸗Vereinen getragen wurden, noch vor Be⸗ 
ginn der Beerdigungoͤfeierlichleiten in der Gegend 
des Bois des Boudogne von der Polizei fortgenommen 
und widerstandslos zerrissen. Der Zwischenfall 
Nlieb von der Volksmenge unbeachtet. 
Vvaris, 1. Juni. Außer undermeidlichen Un⸗ 
Ilen im Gedränge ist die Feier ohne jorende 
Zwischenfälle verlaufen. Die Maßregeln waren 
musterhaft gerroffen. Wie vorausgesehen, erschienen 
einige zwanzig Vereine mit roihen Fahnen auf den 
ihnen angewiesenen Plätzen, wo die Polizei sie so⸗ 
fort umringte und ihnen die Fahnen entriß. Ein 
tnstlicher Widerfland fand nirgends fiatn. Die 
Spite des Zuges traf um 1R Uhr vor dem Pan⸗ 
heon ein, das Ende defilirie um 7 Uhr. Der 
dog enthielt einige unwurdige oder lomische Ele⸗ 
nente, aber im Ganzen muß die Leichenfeier als 
anbeschreiblich großartig bezeichnel werden. 
Paris, 2. Jum. Als die Spihtze des Leichen 
uges das Pantheon erreicht hatte, war erst die 
da desselben vor dem Triumphbogen angelangt, 
daß derselbe eine Lange von sieben Kilomelern 
hatte. Auf der ganzen langen Strecke bildeten 
dichte Menschenmiengen Spoalier, weiche, zwei oder 
drei Falle abgerechnet, in welchen durch wüstes 
Drangen mehrere Personen verwundet wurden, 
die musterhaftest· Ordnung hiell. Der aus so 
dielen disparaten Elementen zusammengesetzte 
dug hat keinen Augenblid gestockt und nicht ein 
anziges Mal ist die geringste Interbemion der 
holigei noöthig gewesen. Es ist das gewiß eine 
tstaunliche Leistung, welche sowohl den Organi 
en als der Pariser Bevolkerung zur großen 
* gereicht. Die Zahl der meistens kollossalen 
ranze und sonstigen Blumendeiorationen läßt 
gar nicht angeben. Etwa hundert Musil. 
waren im Zuge, die allerdings meistens 
Jdauderhafter Weise Trauermarsche oder die 
ntseillaise massattirten Die Speuer diͤdend⸗ 
—— den schönsten Kränzen und 
jedenen Delegationen, namentlich wurden 
—X— Sypißke 
die elsäfsischen Vereine und sodann die verschie⸗ 
denen fremden Delegationen lebhaft akklamirt 
daß die belgischen, italienischen und spanischen 
ꝛepublikanischen Vereine mit ihren Bannern offi⸗ 
iell im Zuge Aufnahme gefunden haben, wurde 
zielfach kritisirt; dagegen sind antideutsche Mani— 
estationen hier etwas so Gewöhnliches und 
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dieselben als etwas Bedenkliches zu erachten. 
Finen beinahe widerlichen Eindruck machten die 
Zruppen der russischen und polnischen Student⸗ 
nnen; komisch wirkten die Czechen, meistens 
S„chneidergesellen, mit Fahnen und Schilde mit 
»er Aufschrift: Le pays de Huss. Daß keine 
inzige rothe Fahne im Zuge war, habe ich be⸗ 
eits gemeldet. Der neue Polizei⸗Prafekt hai 
hamit sein Meifterstück abgeleg. Man mag 
iber die Bedeutung Viktor Hugos, über die Be— 
ꝛechtigung zu dieser Apotheose streiten, mag auch 
ugeben müssen, daß der heutige Triumphzug 
aur zu viele nnwürdige Elemente enthält, die 
Thatsache bleibt aber destehen, daß niemals ein 
Sterblicher, geschweige denn ein Poet in dieser 
Weise geehrt worden is. 
Nom, 2 Juni.“ Der „Agencia Stefani“ 
vird aus Zanzibar gemeldet, daß der Entwurf zum 
Handelsvertrag zwischen Italien und Zanzibar ver⸗ 
einbart sia.. 
Eondon, 2. Juni. Wie die .Daily ⸗News“ 
ꝛrfahren, sind England und Rußland dahin über⸗ 
ꝛingekommen, den König von Dänemarcd einzuladen, 
als Schiedsrichter über den Zwischenfall von Pendjeh 
ju fungiren. nachdem sie sich vorher vergewissert 
jatten, daß der König bereit sei, die Aufgabe zu 
ibernehmen. 
h Herren Ministerialrath Neumeyer, Regierungsdirek⸗ 
tor Graf Fugger, Oberbaurath Siebert, X 
Herr vom Kreisbauamt in Speyer in hiesiger 
Stadt und besichtigten das alte Bezirksamtsgebäude. 
Wie man vernimmt, sollen dieselben fich dahin 
jeäußert haben, daß die Erbauung eines neuen 
Bebäudes unbedingt erforderlich sei was übrigens 
auch der Wunsch der ganzen hiesigen Bevoͤlkerung ist. 
— Wie sehr das Land im Werthe gestiegen, 
deweist die Thatsache. daß bei Enkenbach 14 
Morgen Land auf 10 Jahre zu dem enormen 
Pceise von 900 Mt. verpachtet wurden. 
— (GPfalzischer Verschönerungs— 
verein.) Die ordentliche Generalversammlung 
wird am 14. ds. Mis. im Hoiel Schwan“ zu 
Landau abgehalten. Tagesordnung: 1) Bericht 
über die Vereinsthätigkeit, 2) Stand der Kasse 
und Decharge, 3) Budget pro 18851860 und 9) 
das Projekt des Eschkopfthurmes. Außer den ver— 
ehrlichen Mitgliedern find auch die Vertreter der 
einzelnen Lokalberschönerungsvereine der Pfalz ein⸗ 
geladen. —— 
— Herr Eduard Jost ist von der Redaktion 
der Kaisersl. Ztg.“ zurückgeireten. 
7 Der diesjahrige Kriegertag der „Pfatzischen 
Zampfgenossenschaft“ findet am 21. deö. Me in 
Haardt fiati. 
— In Freinsheim hat die Ernte der sog. 
Schloßlirschen begonnen; der Preis für das Pfund 
jetrug anfänglich 60, jetzt 40 Pf. 
Bermischtes. 
Im Stadipark in M annheim trifft dieser 
Tage eine Truppe Austral⸗Neger (tatowirte Kanni⸗ 
zalen) ein. Die Truppe befindet sich zurzeit noch 
im zoologischen Garten in Frankfur a. N. wo 
fie eine große Anziehungskraft auf das dortige 
Publikum ausubt. 
fStuttgart. Treu vereint bis in den 
Tod. In dem Dorfe Mottlingen, Oberamt Cain 
starben letzte Woche zwei Cheleute, die 88 Jahre 
mit einander verbunden waten und selbst im Tod 
nicht von einander ließen. Sie erreichten Aes war 
der Gemeinderath Gackle und seine Frau) ein Alter 
bon 83 resp. 80 Jahren, feierten im Jahre 1879, 
uimgeben von 7 Kindern und 32 Enkein, ihre 
goldene Hochzeit und starben beide in der Nacht 
ↄom 11. auf den 12. Mai, der Mann Abends 16 
Uhr. die Frau Morgens 6 Uhr. 
fFGefahrliche Rekrutirung.) In 
einem würitembergischen Orte machte dieser Tage 
der Ausrufer mit der Schelle bekannt: „Die Re⸗ 
lruten, welche zum Zuge müssen, find im Rathhaus 
angenagelt.“ 
F Dieser Tage spazierte eine Dame im Regen⸗ 
mantel auf dem Perron des neuen Bahnhofes in 
Bonn, wobei es ihr aber schließlich zu warm 
vurde, so daß sie es vorzog, ihren Regenmantel 
abzulegen. Kaum war dies geschehen, so erhob 
ich von allen Seiten ein schallendes Gelächter, 
velches, wie die „Elberf. Zig.“ erzaͤhlt, dadurch 
dervorgerufen wurde, daß die Dame, wahrscheinlich 
damit der Regenmantel besser sitzen sollte, ihre 
Turnüre ü ber dem Kleide irug. 
Der berühmte Jesuitenpater Roh wollte von 
Deuzz aus mit der Eisenbahn fahren. Im Warie⸗ 
alon des Battnhofes waren mehrere Herren von 
inter der Elbe versammelt, welche ebenfalls mit⸗ 
eisen wollien. Alsbald wollte Einer derselben 
einen Witz an dem Pater auslassen. Er naͤherte 
ich ihm mit der Frage: Entschulßigen Si. un 
Lokale und pfälzische Nachrichten. 
— Aus der Pfalz. Die „Pfalz. Lehrer⸗ 
Zeitung“ schreibt in ihrer letzten Rummer: „Ueber 
das Verhalten des Abgeordneten Dr. Windthorsi 
vährend der Schlußverhandlung über das Pensions⸗ 
Jesetz der Lehrer berichtet die Päd. Ztg.“ folgen⸗ 
des: Der Herr Abgeordnete hat bekanntlich alle 
Zünste Reinekes versucht, um die Hoffnungen ver 
dehrer zu vereiteln; glücklicherweise dergeblich. Da 
vãlzte er, als alle Kniffe erfolglos blieben, noch 
in dritter Lesung den schweren Stein eines Ver⸗ 
'afsungsbedenkens her, um das Gesetz zu Falle zu 
zringen. Aber auch dieses Hinderniß erfüllte nicht 
einen Zweck. Da griff er einem Ertrinkenden 
zleich nach einem Strohhalm: er widersprach der 
Bornahme einer sofortigen Abstimmung aus dem 
Brunde, weil nach der Geschäftsordnung des Abge⸗ 
ordnetenhauses dieselbe erst dann erfolgen darf, 
venn die Beschlüfsse der 2. und 3. Lesung gedruckt 
in den Händen der Mitglieder sind. Der Präsident 
var grausam genug, Herrn Windthorst auch diesen 
Strohhalm wegzu ehmen: er sorgte für sofortige 
Drudlegung und wollte nach Erledigung einer 
inderen Angelegenheit zur Abstimmung schreiten. 
da sah Herr Windthorst einen Zwirnsfaden und 
jriff darnach: er beantragte die Vertagung mit 
kücksicht auf die Sitzung des Reichstages! Der 
Zwirnsfaden aber half ihm nicht; das Haus 
timmte abd und nahm mit sehr großer Majorität 
das Gesetz an. So mußte die ,Perle von Meppen“ 
diesmal heimkehren, ohne ihre ‚Lehrerfreundlichleit“ 
bon dem gewünschten Erfolge gekrönt zu sehen!“ 
— Homburg, 30. Mai. Mit dem Neubau 
ines Bezirlsamtsgebäudes dahier scheint es nun 
soch Ernst zu werden Heute waren nämlich die