Full text: St. Ingberter Anzeiger

xt. Iugherter Amzeiger. 
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M 134. —ESamstag, 11. ZJuli 1888. 
20. Jahrg. 
* wwohl zweimal überlegen, bebor man sich enischließt, 
Die Zollfra ge zwischen »twa einen Zollkrieg gegen das der habsburgischen 
Deutschland und Oesterreich. Monarchie politisch so nahestehende deutsche Reid 
u insceniren, der unier allen Umständen auch 
Desterreich · Ungarn selbst tiefe Wunden schlagen 
müßte. Ein Zollkrieg gegen Deutschland würde 
nicht nur den wirthschaftlichen Wohlstand des 
Donaureiches aufs Empfindlich ste schädigen, sondern 
er müßte auch den österreichischen Kaiserstaat poli— 
aisch in Europa isoliren, ihn seines einzigen Freun⸗ 
des in Europa — Deutschlands — berauben und der 
sterreichischen Politik damit zugleich jeden Einfluß 
m Orient entziehen mit einem Worte: Eine Zoll⸗ 
holitik der Rache wäre die höchste Verblendung 
venn die leitenden Staatsmänner der österreichisch⸗ 
ingarischen Monarchie wirklich von solchen Gefühlen 
zeleitet würden und könnte den staatlichen und 
konomischen Ruin der letzteren herbeiführen. Es 
st nun nicht gut denkbar. daß Graf Taaffe ge⸗ 
onnen sein sollte, eine derartige Zollpolitik einzu⸗ 
schlagen, die nothwendig dazu führen würde, auch 
das intime politische Verhältniß, in welchem die 
deiden mitteleuropäischen Kaisermächte zu einander 
ftehen, vollständig zu erschütlern, ja zu zerstören 
und steht darum zu hoffen, daß die Wiener Minisler⸗ 
konferenz noch andere Mittel und Wege, als einen 
Zollvertrag, auffinden werden, auf denen sich eine 
wirthschaftliche und zollpolitische Verstandigung zwi⸗ 
schen den beiden Maächten herftellen laßt. In Wien 
wie in Pest darf man überzeugt sein, daß dahin ˖ 
ielende Bemuhungen das wohlvollendste Entgegen⸗ 
ommen des Fürsien Bismarck finden werden, zumal 
da es keiner besonderen Versicherung bedarf, daß 
eß ihm bei den neuesten deutschen Zollerhöhungen 
nicht im Mindesten darum zu thun gewesen ifl, 
die befreundete österreichisch ungarische Monarchie 
absichtlich vor den Kopf zu stoßen. 
„Hat der Sturz des Herrn Gladstone die 
Beziehungen zwischen Deutschland und England 
zgeändert ?“ 
„Diese Beziehungen sind durchaus freundschaft⸗ 
licher Natur. Gewiß liebt mein Souverain den 
Sohn des verstorbenen Czaren, dem er wie einem 
Bruder zugethan war; aber er vergißt auch nicht, 
daß die Kronprinzessin die Tochter Ihrer Majeffät 
der Koönigin Viktoria ist. Diese Familienverhält⸗ 
nisse begünstigen die Wahrung der guten Bezieh- 
ungen auf der Seite Großbritaniens, wie auf der⸗ 
jenigen Rußlands.“ — 
Und Frankreich gegenüber? 
Auch hier ist eine vollständige Beschwichtigung 
eingetreten.“ — 
„Herr Jules Ferry“ ... Herr v. Bülow ließ 
mich meinen Satz nicht vollenden.“ 
„Fürst Bismarck“, unterbrach er mich lebhaft, 
‚unterhält mit Herrn v. Freycinet dieselben freund⸗ 
chaftlichen Beziehungen, die er mit Herrn Jules 
Ferry pflog. Nicht nur giebt es für die beiden 
Mächte keinen Grund des Haders, sondern Alles 
drängt fie, sich in einem gemeinschaftlichen Interesse 
einander zu nähren. Unsere Pläne, ich wiederhoie 
es, find rein friedlicher Att, und was die Kolonial⸗ 
Ausdehnungen betrifft .. .“ 
Ohne Zweifel giebt die Tonking⸗Exbedition 
Ihnen zu denken?“ 
Ich habe die Haltung der französischen Re— 
gierung nicht zu beurtheilen, aber meines Erachtens 
ware es besser gewesen, sie nicht zu unternehmen.“ 
„Und hinsichtlich Egyptens ? Neigt Deuischland 
nicht zu der Internatonalisirung des Nillandes hin?“ 
„Von unserer Seite wird in dieser Angeiegen⸗ 
heit keine Einmischung stattfinden, die ein kriegeri⸗ 
sches Abenteuer zur Folgen haben könnte.“ 
— Und die Umtriebe der Sozialisten⸗Partei? — 
„Die Schweiz hat eben gegen die anarchistischen 
Flüuchtlinge ernstliche Sauberungsmaßregeln ergriffen. 
Ich bin der Meinung, Diejenigen, welche gegen 
meinen Souverain Attentate versuchten, seien wahn⸗ 
sinnig gewesen, die nach einer traurigen Beruhmt⸗ 
heit trachteten. Der Kaiser ist so gut! Und wuͤrde 
etwa seine Ermordung die Dynastie unterdrücken? 
Bewiß nicht. Ich hoffe, Goti werde ihn uns noch 
lange erhalten und er werde dald wieder zu Pferde 
steigen köͤnnen, was ihm seit dem Oktober d. J. 
nicht möglich war: damals, es war bei der großen 
Parade, saß er anderthalb Stunden zu Vferde, 
ohne fich nur einen Augenblick schwach zu fühlen.“ 
Wuir überlassen natürlich dem „Gaulois“ die 
Veranwortlichkeit fur dieses Interview, dessen Rich⸗ 
tigkeit vielleicht in einigen Puntten gewissen Zweifein 
unterligen dürfte. 
Am Dienstag haben in Wien Konferenzen der 
Msterreichischen und ungarischen Minister begonnen, 
nen man allseitig eine nicht gewöhnliche Bedeu⸗ 
ung bemißt, da sie in erster Linie dazu bestimmt 
aind über verschiedene zollpolitische Fragen eine 
herstandigung zwischen den Kabineten von Wien 
ind Pest herbeizuführen und überhaupt jene Ver— 
rage zu erneuern, die zwischen den beiden Hälften 
er oͤsierreichisch· ungarischen Monarchie abgeschlossen 
vorden sind und welche man mit dem Gesammt⸗ 
jamen des österreichisch⸗ ungarischen Ausgleiches be⸗ 
zeichnet. Für uns „draußen im Reiche“ haben 
un diese Berathungen insofern ein spezielles Inte⸗ 
resse, als bei ihnen auch die Frage, welche Stellung 
desierreich · Ungarn gegenüber den vom deutschen 
keichstage in der letztvergangenen Session desselben 
leschlossene Zollerhöhungen einnehmen soll, voraus⸗ 
zchtiich eine Hauptrolle spielen wird. Es hat dies 
iner offiziösen ungarischen Korrespondenz Veran⸗ 
assung gegeben, die Anbahnung freundschaftlicher 
zandeispolitischer Beziehungen Oesterreich⸗Ungarn 
um deutschen Reiche zum Gegenstand einer Auf⸗ 
ehen erregenden Betrachtung zu machen, an deren 
zchlußß die betreffende Korrespondenz zu dem Vor⸗ 
hhlag gelangt, daß beide Monarchien durch Abschluß 
ines Zollvertrages ein nach Außen hin geeinigtes 
zollgebiet bilden möchten, während sie unter ein⸗ 
inder durch eine Zoll⸗Linie getrennt bleiben soll. 
Bemerkenswerth ist nun, daß dieses von den 
mgarischen Offiziosen ausgeheckte Projelte in den 
eitenden Wiener Kreisen gleich bei seinem Bekannt⸗ 
verden auf den entschiedendsten Widerspruch gestoßen 
st, wie aus einem Leitartikel des offiziösen, Wiener 
zremdenblattes“ hervorgeht. Derselbe ist sehr kühl 
sehalten und enthaält er n. A. folgenden bezeichnen ⸗ 
en Passus: „Wer die Zeit seit 1882 miterlebl 
ind alle die vergeblichen Anstrengungen beobachte? 
hat, welche durch mehrmalige Entsendung unseren 
delegirten nach Verlin bekundet wurden, um mi 
zem deutschen Reiche in guten verkehrs und handels 
holitischen Beziehungen zu bleiben, wer da weiß 
daß einer jeden Annaherung unsererseits nur eine 
schärfere Tonart“ der deutschen Maßnahmen folgte 
der kann heute mit aller Ruhe behaupten, daß der 
eniale Leiter der deutschen Politik an ein Aufgeben 
der eingeschlagenen Richiung nicht denlt. Der Ab⸗ 
perrung des Viehexpottes aus Oesterreich Ungarn 
nach und durch Deutschland folgte der Eisenbahn⸗ 
Tariflampf, diesem endlich die Einführung der 
deutichen Getreide⸗ und Holzzölle. Fürst Bismard 
jat leztere Maßregeln mit dem vollen Bewußtsein 
der Schädigung ösierreichisch ⸗ ungarischer Interessen 
nur einem gesunden Egoismus“ folgend, in Aus— 
ührung gebracht und wird, da er ganz wohl weiß, 
daß die don ihm hiervon erhofften Resultate für 
die Prosperitat der deutschen Boden- und Wald ⸗ 
dirthschaft nicht in einigen Jahren erzielt werden 
lonnen, sich um keinen Preis zu Abänderungen 
dieser Maßregeln bestimmen lassen. 
Diese Auslassungen deuten allerdings nicht gerade 
darauf hin, daß det Gedanke eines Jollvertrages 
in Wien eine gunstige Aufnahme gefunden hat, ja 
ie lassen ehet erlennen, daß man in den Wiener 
eitenden Kreisen bezuglich der Zollpolitik Deutsch— 
and ziemlich verstimmi ist und vielleicht nur au 
iine Gelegenheit wartet, sich revanchiren zu können. 
Indessen. man wind es sich in Wien wie in Peß 
Volitische Uebersicht. 
Der Korrespondent des Gaulois in Ems be— 
iichtet seinem Blatte über eine Unterredung 
die er mit dem Herrn v. Bülo w, deutschen Ge⸗ 
andten in Bern, gehabt hat. 
Der Reichskanzler“, sagte Herr v. Bülow zu 
dem Besucher, „läßi sich wahrend den Abwesen⸗ 
Jeiten Sr. Majestaät von Berlin immer durq eine 
Mittelsperson vertreten. Sobald der Kaiser be— 
chließt nach Ems zu gehen, verlasse ich Bern und 
eile ihm hierher einige Tage voraus: sobald mein 
Souverain seine Kur beendigt hat, reise ich nach 
Bern zurück“ 
Sie müssen aber sehr beschäftigt sem. Herr 
Gesandter. Vermögen Sie denn allein all die 
Arbeit zu verrichten.“ 
Es ist Gewohnheitssache; ich habe nur einen 
Sekreiar bei mir und sehe Alles selbst durch. Der 
Kaiser wünscht, daß nichts geschehe, ohne daß er 
abon unterrichtet wird. So unterbreite ich ihm 
ulle Dokumente gewöhnlich in extonso; nur wenn 
fie allzu lang find, mache ich einen Auszug für 
Se. Majestät.“ 
Welches ist heute die auswärtige Politi 
Deuischlands.“ J 
Wir wollen den Frieden, den Frieden um 
jeden Preis.“ * 
„Wenden aber dabei den Grundsatz an: Si vis 
pacem para bellum.“ I 
Herr v. Bülow konnte sich eines Lachelns nich 
erwehren. „Was wollen Sie,“ meinte er, „man 
ann sich doch nicht überrumpeln lafsen ·· 
Im lieben deutschen Vaterlande 
ehlt es leider durchaus nicht an Leuten, welche 
Aber dem kleinlichen Parteihader die großen poeli— 
tischen Ziele aus dem Auge verlieren und sich und 
Andern die Freude an den großen Errungenschaften 
der letzten Jahrzente durch ihr Herumnoͤrgeln an 
Allem und Jedem zu verderben suchen. Wahr— 
zaftig erfreulich ist es angesichts diefes armseligen 
Treibens, wie sich die Deutschen im Auslande einen 
llaren Blick zu wahren verstanden haben. Das 
»eweisen die goldenen Worte, mit welchen der 
Deutsch⸗ Amerilaner Ottendorfer in einer auf dem 
Schüßenfeste in Bingen gehaltenen Rede das deutsche 
Volk, seinen Kaiser und seinen größten Staats⸗ 
mann beurtheilte, indem er sagte: Republikan⸗