Full text: St. Ingberter Anzeiger

so gut bewährt und im Volksleben sich so gut ein⸗ 
gebůrgert haben, immer und immer gerüttelt wer⸗ 
den solle. Der Hinweis auf die Zustände in den 
rechtsrheinischen Kreisen kann doch wohl nicht als 
Grund gelten, um eine bessere Einrichtung zu 
entfernen oder zu andern. Wer nur einigermaßen 
in einigen rechtsrheinischen Kreisen bekannt ist, 
wird erfahren haben. daß die dortige Einrichtung 
bei Erhebung der Steuern und Gemeindeumlagen 
bei weitem nicht so praltisch und für das Voll 
so vereinfacht und bequem ist, wie dies in der 
Pfalz der Fall ist. Eben deßhalb hört man, drüben“ 
häufig den Wunsch nach Einführung des Instituts 
der Steuer⸗ und Gemeinde⸗Einnehmerei aussprechen. 
Und aus welchem Grunde soll eine Aenderung an 
diesem Institute vorgenommen werden? Die Rüch⸗ 
sichten auf Ersparniß können doch nicht maßgebend 
sein, da faltisch michts erspart würde. Das Per⸗ 
sonal auf den Rentämtern müßte vermehrt werden; 
für die Erhebung der Gemeinde Gelder wären be— 
sondere Beamten nöthig, und die Erhebungskosten, 
welche jetzt die Einnehmer erhalten, würden als⸗ 
dann diese neuen Erhebungs-Beamten erhalten. 
Der Steuerzahler jedoch, der jetzt nach seiner Be⸗ 
quemlichkeit jeden Monat im Orte selbst seine 
Steuern zahlen kann, müßte jährlich mehrere Gange 
zum Reniamte machen — und Zeitversäumniß 
Vermehrung der Kosten wären die nächsten Folgen 
von einer solchen Aenderung. Auch der Einwand, 
die Erhebungskosten auf die Staatskassen zu über⸗ 
nehmen, ist ein sehr hinfälliger, da selbstverständlich 
die Steuern um so viel, als die Hebegebühren be⸗ 
tragen, erhöht werden müßten. Möge man also 
künftig an diesem Institute nicht ohne Ursache 
rütteln; das Volk will nirgends von einer Aender⸗ 
ung hierin etwas wisseu, weil dasselbe weiß, daß 
nichts besseres geschaffen würde. 
— Aus dem Zetterthal. Einem der 
Schützen unseres Thales, einen leidenschaftlichen 
Jäger, soll das Unglück passiert sein, dieser Tage, 
während er einen Hasen erlegen wollte, den die 
Schußlinie kreuzenden Personenzug nach Marnheim 
zu Lreffen und etliche Insassen desselben zu ver⸗ 
wunden. 
— Dirmstein, 5. Nov. Wie gefährlich es 
werden kann, sogenannte Blutblasen an den 
Fingern oder an deren Korpertheilen aufzustechen 
oder aufzukneipen, beweist nachstehender Vorfall, der 
sich dieser Tage in hiesiger Gemeinde ereignet hat. 
Der Ackerer K. hatte sich durch Quetschung eine 
Blutblase an einem Finger zugezogen. Da ihn 
dieselbe bei der Arbeit ewas genirte, so wollte er 
sie mit einer Nadel aufstechen, um das gesammelte 
Blut zu entfernen, was ihm aber nicht gelingen 
wollte. Hierauf versuchte er es mit einer Scheere, 
und fiehe — Blut und Wasser flaß aus, und der 
Mann ging seiner Beschäftigung nach. Aber noch 
im Laufe des Tages stellte sich an der Hand eine 
Geschwulst ein, die in kurzer Zeit den ganzen Arm 
ergriff und denselben unter fürchterlichen Schmerzen 
in eine fast unförmliche Masse verwandelte. Der 
herbeigerufene Arzt glaubte das Schlimmste be⸗ 
fürchten zu müssen, indem außer Erkältung eine 
Blutvergiftung bei Entstehung des Vorfalls ver⸗ 
muthet wird. Den Bemühungen des Arztes sol 
es indeß bis heute gelungen sein, die Hauptgefahr 
qu beseitigen. 
— Speyer, 9. Nov. Heute wird in der 
Aula der kgl. Studien ˖ Anstalt die diesjährige Land⸗ 
raths ⸗Session durch Se. Exellenz den kgl. Regier⸗ 
ungspräsidenten der Pfalz Herrn Staatsrath 
v. Braun eröffnet. 
— Speyer, 6. Nov. Das alte Diakonissen⸗ 
Anstalt⸗Gebäude ging um den Preis 80,100 Mi 
in den Besitz des Spenglermeisters Fritz Bernaß über. 
— Auf der Bahnstrecke Ludwigshafen— 
Neustadt wurden am Freitag zwei Probefahrten 
mit Lokomotiven ausgeführt, welche mit kontinuir⸗ 
lichen Luftdruckbremsen ausgerüstet waren. Die 
Versuche sollen sehr befriedigend ausgefallen sein. 
An der Probefahrt nahmen Bahnbeamte aus Darm⸗ 
stadt, Mainz. München, Berlin, Straßburg, Dresden 
und einige Vertreter der pfalzischen Bahnen Theil. 
Vermischtes. 
— Saarbrücken wird demnächst das Vergnügen 
haben, eine größere Berhliner Balletgesell⸗ 
sch aft zu bewundern. Das Gesachmtballet des 
Friedrich· Wilhelmstaädtischen Thealers unter Leitung 
—AVVV 
begrisfen, in einigen Tagen auch hier in ber Ton · 
jafle Vorstellungen geben. Die Urtheile auswär—⸗ 
tiger Blätter über die Gesellschaft lauten außer- 
ordentlich günstig. So schreibt die „Westphalische 
Post“ über das Auftreten der Tänzerinnen in 
Hagen: 7 
Ein seltener Genuß, wie wir ihn seit Jahren 
in unserer Stadt nicht gehabt, wurde uns gestern 
Abend im Theater geboten, in welchem das erste 
Bastspiel des Friedrich · Wilhelmftädtischen Ballets 
bdor einem fast ausberkauften Hause stattfand. Das 
große erste Divertissement: „Les colombes de 
ßan Marco“ wurde von allen Damen (15 an der 
Zahl) getanzt..In diesem hübsche arrangierten 
Ballet erschienen die Damen als Tauben, und stand 
hnen das knappe“ Kostüm— der defiederten Be 
vohner des Markusplatzes recht gut. Unter ihnen 
zagte besonders Fräulein Qualitzz (die Prima Bal⸗ 
lerina) hervor, die für ihre graziösen Tänze den 
stürmischen Beifall des Publikums erntete. Auch 
don den übrigen beflügelten Täubchen wurde das 
Divertissement recht niedlich und exakt durchgeführt. 
Dden Schluß der Tänze bildete ein einaktiges Ballet 
Italienisches Fest.) Die Darstellerinnen erschienen 
n italienischem National⸗Kostüme. Die Eröffnungs⸗ 
scene zeigte eine Trauung, bei der ein alter, ehr⸗ 
vürdiger Priester dem blühenden Brautpaar, um⸗ 
zeben von den Hochzeitsgästen, den Segen ertheilte. 
Dieser ersten Szene folgte als Hochzeitstanz die 
Araponaise, welche von den Damen Neumann, 
Rosch, Papel und Müller in anmuthiger Weise 
getanzt wurde; auch die übrigen Damen, welch 
die Tarantella tanzten, ernteten großen Beifall 
hierauf tanzte Fräulein Qualitz die „Canchuka“ 
mit vieler Sicherheit und Grazie. Daß der brau—⸗ 
ende Beifall ihr gebührte, schien sich die Künstlerin 
wohl bewußt zu sein. Das buntbewegte Finale 
aller Damen schloß das Ballet. CDies ist dieselbe 
Balletgeselljschaft, welche, wie schon mitgetheilt, 
herr Bittler zu einer Tournoͤe durch die Psalz enga 
giert hat.) 
F Aus Oettingen geht der „Lothr. Ztg.“ 
folgender Bericht zu über die Eisenindustrie in 
Lothringen und Luxemburg. Der Winter steht vor 
der Thüre, und noch immer ist keine Besserung in 
der Eisenindustrie bemerlbar. Die Preise des Rol,⸗ 
gusses sind vor etwa vier Wochen von 34 auf 30 
Mark pro Tonne gesunken. Der Guß, welcher 
gegenwärtig für den oben erwähnten Preis abge⸗ 
setzt wird, häuft sich trotz des niedrigen Preises 
von Tag zu Tag auf den Hüttenwerken mehr an. 
— Die Folgen von diesen traurigen Zeiten sind, 
daß auch hierzulande Etablissements, wenn auch 
nicht ganz so doch theilweise eingestellt werden 
müssen. Nur größere Hüttenwerke und mit bdedeu⸗ 
tendem flüssigen Kapital können sich halten, wenn 
auch mit wenig Reingewinn. Die Glanzperiode, welche 
—XDX 
aiahm und im Jahre 1873 ihren Höohepunkt er 
reicht hatte, ist vorüber. In jenen guten Zeiten 
nerkaufte man weißstrahligen Guß zum Preise von 
130 bis 170 Fr. per Tonne; dies dauerte bie 
ende 1874, um welche Zeit bereits eine Abnahme 
m Absatz bemerkbar wurde. Die Tonne Guß 
velche vier Jahre vorher für 170 Fr. verkaufi 
wurde, fand jetzt Absatz zu 40 und 45 Fr. Aup 
diese Weise schwankte die Industrie bis zum Jahr 
1881 und eine zweite unheilvolle Krisis, mit der 
vir heute noch zu kämpfen haben, trat ein. Um 
dem Druck, der auf den Preisen lastete entgegen 
zu wirken, traten sämmtliche Hüttenwerksbesitzer 
zusammen und bildeten ein Syndicat, welches 
die Preise der verschiedenen Sorten Gußeisen fest⸗ 
setzte. Heute beträgt der Syndicats-Preis 40 bis 
12 Fr. 
Mannheim, 6. Nov. Einen eigenthüm⸗ 
lichen Betrug beim Wettrennen hatte sich der Land⸗ 
wirth Georg Schröder zu Schulden kommen lassen 
Am letzten Maimarkt hatte fich derselbe an einem 
Rennen mit einem Pferde betheiligt, das angeblich 
rin Pfalzer Pferd sein sollte, in der That aber ein 
Elsässer war, während nach den Bestimmungen nur 
Pferde aus Baden, Rheinhessen und der Pfalz sich 
am Rennen betheiligen konnten. Schröder, der 
damals den ersten Preik errang, wurde heute wegen 
Betrugs zu zwei Monaten Gefängniß verurtheilt 
F Ein Frankfurter Bürger dekam von 
jeinem Arzte die Weisung, daß er, wenn er von 
seinem Uebel genesen wolle, sich zu Bett zu legen 
ind in demselben mehrere Wochen ruhig zu halten 
habe; nur auf diese Weise könne er einen Erfolg 
don der Kur erwarten. Der Patient, so erzählt 
das „Intell.Blatt“, versprach es auch, legte sich 
ruhig zu Bett und schoß sich, als er allein war 
eine Kugel durch den Kopf. Der Tod trat augen⸗ 
blicklich ein. 
f.Babenhaufen. Der Seiltänzer Knie 
sen. fiel vom Seil und brach den Arm. Del 
72jahrige Mann wird allgemein bedauert und sucht 
man durch eine reiche Spende seine Lage einiger 
maßen zu lindern. I 
FDortmund, 8. Nov. Der Gefängniß 
wärter Kohn, welcher dem verhafteten Rosenberg 
zur Flucht verhalf, ist zu 2 Jahren 5 Monaten 
Zuchthaus verurtheilt worden. Der Lohn, den der 
Sohn des Rosenberg ihm für die Befreiung seinet 
Vaters auszahlte, betrug nur 100 Mark. 
— Mühlheim a. Rh. 4. Nov. Ein hiesiger 
Fischer nimmt gewöhnlich bei seinen Fahrten auf 
dem Rheine stinen Spitz mit. Vor mehreren 
Tagen fing der Mann einen großen Aal und wars 
denselben nach seiner Gewohnheit in den Nachen, 
wo der Hund sich mit dem Glatthäuter zu schaffen 
machte. Auf einmal hörte der Fischer seinen 
reuen Begleiter kläglich winseln, er sah nach der 
Ursache um und war nicht wenig überrascht. Der 
Aal hatte sich, wie die „Elbf. Zig.“ berichtet, dem 
Spitz vollständig um den Leib gerollt und würde 
diesen erdrückt haben, wenn der Eigenthümer nich 
zeitig genug eingegriffen und den Hund befreit hätte. 
Arnsberg, 8. Nod. Der Bankkassirer 
Z„chwoboda aus Siegen wurde wegen Unterschlagung 
von 160,000 Mk. und Fälschung von Belägen 
zu 4 Jahren Gefängniß verurtheilt. Der Angeklagte 
hat das unbegrenzte Vertrauen des Bankdirektors 
hdesessen, der ihm die Schlüssel zum Tresor über⸗ 
lassen hat, und der Revisor muß ihm gleiches 
Vertrauen entgegen getragen haben, denn sonst ist 
es unbegreiflich, wie die grobe Manipulation faf 
acht Jahre lang unbemerkt bleiben konnte. 
F Aus Regen Gahyern) meldet die „Fr. 3.“ 
eine noch kaum dagewesene Kurpfuscherei: Ein 
Boͤhme Namens Dallié, der sich sonst mit Aus 
bessern alter Regenschirme befaßt, hat in voriger 
Woche einer verheiratheten Gütlerin in Unternagel⸗ 
bach, welche an einem Unterleibsleiden litt und 
welcher er versicherte, er könne sie ebensogut wit 
ein Parasol repariren, unter Assistenz seiner Frau 
mit einem Rasirmesser buchstählich den Leib aufge⸗ 
schnitten, ein angeblich vorgefundenes Geschwür 
beseitigt, den Leib wieder zugenäht und die wunde 
Stelle mit Medikamenten eingerieben. Der, Doktor“ 
erhielt für seine Kur 46 M. Der Zustand der 
also operirten Gütlerin hat sich inzwischen ver— 
schlimmert, der Kurpfuscher wurde sammt seinem 
Weibe verhaftet und eine Gerichtskommission von 
Regen hat sich am letzten Samstag nach dem 
Thatorte begeben. Die Frau ist jetzt in beste 
Hhände genommen, und wenn nicht unvorhergesehene 
Verschlimmerung eintritt, soll Hoffnung auf ihrt 
Rettung bestehen. 
Hamburg, 8. Nob. Der „Hamburg 
ischen Börsenhalle“ wird aus Hoganes (Südschwe 
den) telegraphirt, daß der Hambueger Dampfer 
„Vilola“, welcher am 5. d. Mis. von Hamburqg 
nach Gefle abging, heute Vormittag bei Kullenlöc 
gestrandet ist. 
F Berlin. Die fürstlichen Leib— 
kutscher find besondere Vertrauenspersonen und 
stehen mit ihren Herrschaften sehr intim. Bekann 
ist Friedrich des Großen grober Kutscher Pfund 
der zum Mauleselfahren in Sanssouci degradirt 
dem Koönig sagte: Ob ich Ew. Majestät fahrt 
oder Mist, ist mir ganz egal.“ „Nun, wenn Ihn 
das egal ist,“ erwiderte der König, „so fahre er 
nur wieder mich!“ Als der deutsche Kronprinj 
neulich vor der französischen Kirche vorfuhr, sagte 
er zu den ihn empfangenden Herren: „Ich habe 
mich mit meinem Kutscher gestritten, vor welchem 
Portal er vorfahren solle. Ich meinte, vor dem 
nordlichen, er vor dem westlichen. Er hat doch 
Recht gehabi!“ Daß der Kronprinz sich mit seinem 
auijcher streitet,“ läßt ebenfalls auf ein recht 
gemüthliches Verhältniß schließen. 
f Die Zaunkönige vom Balkan ha 
Furst Bismarck in einem Gespräch mit eine hoch 
Jestellten Diplomaten sehr richtig charakterisiert 
Auf des Diplomaten Frage, warum Deutschland 
sieber Oeflerreich als Thuͤchüter vor Konstantinobel 
hinstelle, statt der befreiten Balkanvöller, an twortete 
Hismarck: „Weil diese leßteren nicht einig unter 
einander sind! Wenn sie ilug genug wären, sich in 
berbünden, würden sie diesemn Zweck am besten 
Jenügen: aber sie sehen ja, wie fie gern einander 
im Kragen packen möchten, und wie abhängig ihr 
Fuͤrsten und Hofe find Dadurch werden Sit 
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