Full text: St. Ingberter Anzeiger

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Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
7 St. Ingberter Anzeiger? erscheint wochentlich fünfmal: Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2mal wöochentlich mit Unterhaltur ga⸗ 
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M 25. 
m. 
Politische Uebersicht. 
Die Sozialdemokraten brachten im Reichstage 
den Entwurf eines Arbeiterschutzgesezes 
»ein. Derselbe untersagt die Herstellung von ge— 
werblichen Erzeugnissen in Straf- und Versorgungs- 
anstalten für Privatunternehmer und regelt das 
Verhältniß der Arbeitnehmer einschließlich der Lehr⸗ 
linge zu den Arbeitgebern, zu welchem Zweck eine 
obligatorische Arbeitsordnung eingeführt wird, in 
welcher den Arbeitern Sitz und Stimme zusteht. 
Die Arbeitszeit wird auf höchstens zehn, Sonn⸗ 
abends acht Stunden festgesetzt. Bei den Arbeiten 
unter Tag (in Bergwerken ꝛc.) soll die Arbeitszeit 
acht Stunden nicht überschreiten. Die Nachtarbeit 
und die Arbeit an Sonn⸗- und Festtagen ist ver— 
boten mit gewissen Ausnahmen. Art. 4 enthält 
die Organisation der Behörden: Reichsarbeitsamt, 
Arbeitsämter, Arbeitskammern, Schiedsgerichte; 
Art. 5 Strafbestimmungen. Das Gesetz soll am 
l. Juli 1886 in Kraft treten. 
ihn wesentlich zu schwächen. Deßhalb gebietet es 
die Pflicht der Selbsterhaltung, dem internationalen 
Treiben mit internationalen Maßregeln, d. h. mit 
VBereinbarungen aller Culturstaaten zu gegenseitigem 
Schutz entgegenzutreten. Wenn in England und 
inderswo noch immer Ansichten maßgebend sind, 
nach welchen die Freiheit, Dynamitattentate 
vorzubereiten und auszuführen, als ein unschätzbares 
Zut anzusehen sei, das bei Leibe nicht angetastet 
verden darf, so ist das sehr zu beklagen. Denn 
o lange solche Freiheitsapostel das entscheidende 
Wort behalten, werden alle Versuche, zu durch⸗ 
zreifenden Abwehrmaßregeln zu gelangen, scheitern. 
Wir wissen sehr wohl, daß es keine Maßregeln 
zibt, welche eine absolute Sicherheit gegen Ver— 
chwörer und die Ausführung zerstörender Anschläge 
Aieten, aber jedenfalls würde es möglich sein die 
Befahr einzuschränken und der bedrohten Gesellschaft 
die Beruhigung zu gewähren, daß wenigstens alles 
Mögliche geschieht, um sie zu schützen. 
Die Engländer haben mit ihrem Vorgehen in 
Züd⸗Afrika entschieden kein Glück. Vor einiger 
Zeit war bekanntlich gemeldet worden, daß der 
englische Gouverneur des Caplandes, Sir Robinson, 
das britische Protektorat über das Pondoland d. h. 
den schmalen am Meere gelegenen Landstrich zwischen 
»er nordöstlichen Grenze der Capcolonie und der 
üdlichen Grenze von Natal, erklärt habe. Die 
englischen Blätter sprachen damals ihre Befriedigung 
darüber aus, daß die Regierung sich zu einer ener— 
gischeren Vertretung der britischen Interessen auf⸗ 
zerafft habe, während diese erklären ließ, daß es 
iich hierbei nur um eine Geltendmachung früher 
erworbener Rechte handle. Neuere Nachrichten 
über diese Angelegenheit lassen jedoch erkennen, daß 
die Eingeborenen keinesfalls diese Auffassung theilen. 
Es wird nämlich aus der Capstadt berichtet, daß 
Umquikela, der Häuptling von Pondo, über die 
Protlamirung des englischen Protektorats über das 
Pondoland äußerst ungehalten sei und die Absicht 
sabe, mit der deutschen Regierung Unterhandlungen 
wegen Herstellung deutscher Häfen anzuknüpfen. 
Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Engländer 
alle Anstrengungen machen werden, um diese Absicht 
u verhindern. 
aus 40 Gemeinden werden die Unterschriften noch 
naträglich eingehen. 
Breslau, 31. Januar. Die „Schlesische 
Zeitung“ meldet: Die Breslauer Studentenschaft 
richtete einen Aufruf an die Studentenschaft sämmt⸗ 
icher deutschen Universitäten, worin zu einer ge— 
meinsamen Kundgebung zum Jubiläum des Fürsten 
Bismarck aufgefordert wird. 
Ausland. 
Paris, 31. Januar. Die Kammer geneh—⸗ 
migte das außerordentliche Marinebudget und lehnte 
den Antrag Soubeyran's auf Verkauf der Staats⸗ 
zahnen mit 339 gegen 118 Stimmen ab. 
Rom, 1. Februar. Laut dem „piccolo“ 
oerlangte Italien von Egypten die Besetzung 
Massauahs zum Schutze der Küste und des Lebens 
»er Europäer. Egypten verweigerte die Erlaubniß 
dazu. Massauah hat eine egyptische Garnison von 
500 Mann mit 8 Kanonen. Laut dem „Nabab“ 
wird die egyptische Garnison friedlich abmarschiren 
und ein englisches Kriegsschiff der italienischen Be— 
itznahme beiwohnen. 
London, 2. Februar. Ein Telegramm der 
„Daily News“ aus Varna besagt, daß die Pforte 
ein Rundschreiben an die Mächte gerichtet habe, 
worin sie gegen jede Besetzung eines Hafens im 
Rothen Meere protestirt. 
Am nächsten Freitag wird die Abstimmung über 
den vielbesprochenen 20, 000 Mark-Posten 
tattfinden. Wir sind gespannt, wie sich die Par— 
teien angesichts der letzten Volksströmung benehmen 
werden. 
Dem Preußischen Abgeordneten— 
hause ist am Samstag die angekündigte Eisen— 
bahnvorlage zugegangen. Für 14 neue Strecken 
werden 49,984,000 Mark verlangt zur Anlage 
zweiter Geleise und für die dadurch bedingten Ver— 
ünderungen auf den Bahnhöfen werden 5510.000 
Mark gefordert. 
Erziehet die Kinder gut! J 
Mit der immer mehr und mehr um sich greifenden 
Arbeitstheilung ist auch der Unterschied der Stände 
ein größerer geworden. Zu den eigenthümlichsten 
Erscheinungen nun gehört der Umstand, daß Tausende 
mit ihrem Stande oder ihrer Stellung nicht zufrieden 
ind, daß eine Mißachtung gegen den eigenen Stand 
eingetreten ist, und endlich daß alle höher Stehenden 
deneidet werden. Es ist dieser Zustand ein großes 
oziales Uebel. 
Durch die Geburt ist jedem Kinde ein Platz 
in irgend einem Stande zugetheilt worden, hier be— 
zinnt seine Thätigkeit im Leben und der Kampf 
ums Dasein. Das Kind des Fürsten, wie das des 
Tagelöhners ist mit der Menschenwürde bekleidet, 
ind diese muß vor allem geachtet werden. Aber 
s ist niemand in den Kreis gebannt, den er zuerst 
ꝛetritt, jeder strebsame Mensch kann auf rechtlichen 
Wegen höher hinauf rücken, wenn er nur alle Ge⸗ 
egenheiten benützt, um das Kapital seiner Kenntnisse 
u vermehren. Es ist eben jeder seines Glückes 
Schmied. Wenn nur alle jungen Leute den ihnen 
jebotenen Unterricht gehörig be⸗ und ausnützten, 
vürde es bald weniger Unzufriedene geben. Aber 
vie selten wird die gebotene Gelegenheit, etwas 
Tüchtiges zu lernen, wahrgenommen. Leider ist es 
ine große Zahl von Menschen, die nicht mit dem 
hnen geliehenen Pfunde zu wuchern verstehen, die 
die Zeit verrauschen lassen, wo sie lernen könnten, 
ernen sollten und lernen müßten. Und später, 
eider oft zu spät kommt die dittere Reue. Wie 
oft hört man den Arbeiter seufzend ausrufen: „Hätte 
cch doch in der Jugend mehr gelernt.“ Gewiß, 
daran liegt es. Hätten Tausende mehr gelernt, 
nur das wenigstens, was ihnen gelehrt wurde, 
würden die Worte, Unzufriedenheit mit dem eigenen 
Stande“ bald verschwinden. 
Hier ist es nun zunächst eine hochheilige und 
eine ernste Pflicht der Eltern, ihren Kindern durch 
eigenes Beispiel den Weg zur Gottesfurcht und 
Tugend zu zeigen und sie zum fleißigen Besuch der 
Schule und eifrigem Benützen und Verwerfhen des 
Der Verein Berliner Kaufleute und Instrieller 
hat heute eine Eingabe gegen die Erhöhung der 
Getreidezölle beschlossen. 
Aus mehreren Ländern Europas und aus 
Amerika kommende Nachrichten lassen leider keinen 
Zweifel darüber übrig, daß der Anarchismus 
in den verschiedenen Spielarten, in welchen er bis⸗ 
Jer auftritt, in der allerletzten Zeit seine grausige 
Action mit neuen Kräften aufgenommen hat. Seit 
den Londoner Explosionen ist zwar keine neue Blut⸗ 
hat verübt worden, allein desto zahlreicher waren 
die Drohbriefe und Warnungen an die Polizeibe⸗ 
jörden, welche, wenn auch hie und da ein nichts⸗ 
vürdiger Scherz unterlaufen mag, doch ernst ge⸗ 
iommen werden müssen. Sehr bemerkenswerthist, 
zaß die Anarchisten nun auch die Schweiz in den 
Bereich ihrer Thätigkeit ziehen, welche ihnen noch 
is vor Kurzem Gastfreundschaft gewährte, oder sie 
»och mindestens in ihrem Gebiete duldete. Die 
Drohung, den Bundespalast in die Luft zu sprengen, 
wird hoffentlich ihre Wirkung auf die schweizerische 
Gesellschaft und ihre Denkungsart gegenüber den 
tremen Richtungen nicht verfehlen. “'In England 
scheint den letzten Depeschen zufolge eine ganze 
Reihe von öffentlichen Gebauden wie das British⸗ 
Museum, das Indische Amt, der Ostbahnhof un sahp. 
bedroht, doch ist es gelungen, wieder ein Indivi— 
duum zu verhaften, welches dringend verdächtig ist, 
an der Erplosion im Westminsterpalast theilgenommen 
zu haben. Auch aus Amerika wird die Verhaftung 
eines, wie es scheint, berufsmäßigen irischen Dyna- 
mitarden gemeldet. Alle seither gegen diesen un— 
ichtbaren Todfeind unserer gesammten Cultur er⸗ 
zriffenen Maßnahmen haben' leiden wcht permocht. 
Die Geschäftsstockung in den Vereinigten 
Staaten veranlaßt viele Einwanderer, nach Europa 
urückzukehren, und die niedrigen Fahrpreise für 
Deckpassagiere geben der Bewegung einen weiteren 
Impuls. Die scheidenden Einwanderer bestehen 
Jauptsächlich aus Deutschen, Italienern, Polen und 
Angarn, die sich beklagen, daß sie keine Arbeit 
mehr bekommen können. Ein großer Exodus wird 
nuus den AnthracitRegionen Pennsylvaniens ge⸗ 
meldet, wo das Geschäft ganz darniederliegt. Die 
nach Osten bestimmten Dampfer haben demnach 
zroße Listen von Deckreisenden, und ihre Agenten 
»ewerben sich eifrig um diese Klasse von Passa— 
zieren. Amerika bietet diesen Winter wenig An— 
ziehungskraft für Einwanderer der Arbeiterklasse. 
Deutjches Reich. 
Aus Baden, 31. Jan. Die Eingabe an 
den Reichstag um Erhöhung der Getreidezölle, welche 
yvon den Bauernvereinen Ueberlingen-Pfullendorf 
ingeregt wurde, ist, mit 53300 Unterschriften ver— 
ehen, dem Reichstagsabgeordneten Noppel zur Be⸗ 
örderung übergeben worden. Es haben Mitglieder 
ler Stände aus der Seegegend unterzeichnet. und