St. Ingherter Azeiger
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert.
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der „St. Ingberter Anzeiger“ erscheint wochentlich füufmal z Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2 mal wöchentlich mit Unter haltungs
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Politische Aebersicht.
Von den bahyerischen katholischen Blättern
nehmen der „Bayrische Kurier“, die „Augsb. Post-
zeilung“ und namentlich die „DonausZeitung“ die
päpstlichen Wünsche bezüglich des Septen⸗
nats ehrerbietig entgegen, wogegen andere, bei⸗
spielsweise das „Fremdenblatt“ erklären, nur wer
gegen das Septennat stimme, könne Centrums—
landidat sein. Die „Donau⸗Ztg.“ führt u. A.
aus:
„Der Papst hat früher seinen Willen privatim
und in vertraulicher Weise kundgegeben; jetzt tritt
er offen auf. Seine Worte sind nicht etwa an
einen Zentrumsführer, sondern sie sind an die deut—
schen Katholiken gerichtet. Der Papst entwickelt,
wie immer, große Gesichtspunkte, er begründet sein
Vorgehen mit den Interessen des Papstthums,
welche mit den Interessen der Katholiken identisch
sind. Offen und klar sind die Argumente des
Papftes. Er will den Fortbestand des Centrums,
aber er will auch, daß dieses die Interessen der
Kirche nicht nach eigener Anschauung vertrete, son⸗
dern auch den Papst etwas gelten lafse. In rein
politischen Fragen sei die Aklion des Centrums
frei, in der Septennatsfrage sei sie es nicht ganz,
weil diese auch mit religiösen und moralischen Fra⸗
gen zusammenhänge, wie wenigstens der Papfst die
Sache anschaue. Dagegen giebt es nichts zu sagen.
Denn hierüber entscheidet der Papst und nicht der
eine oder andere Parteiführer. Im Vorstehenden
haben wir die Gedanken niedergeschrieben, die uns
beim Lesen des Aktenstückes durch den Kopf gingen.
Seine außerordentliche Bedeutung und Tragweite
muß jedem einleuchten, der nicht absichtlich seine
Augen verschließt. Wir sagen kaum zu viel, wenn
wir ihm die Aufgabe vindiciren, die Periode
des Kulturkampfes abzuschließen und
den religidsen Frieden in Deutsch—
land endlich herzustellen, wodurch die
deutsche Nation ein neues Unterpfand ihrer Einiq⸗
leit und Stärke gewinnt.
Die Preßerörterungen über die Jacobin i⸗
sche Depesche haben durch die Erklärungen,
welche Herr Dr. Windthorst auf dem Partei⸗
rage des Zentrums in Köln abgab, noch eine
interessante Erweiterung erfahren. Im Allgemeinen
zeht der Eindruck, den die Rede des Zentrums⸗
sührers in weiteren Kreisen gemacht, dahin, daß
tich Windthorst ungeachtet seiner oppofitionellen
Stellung zu den Wünschen des Papftes in der
Septennaisfrage doch noch den Rückzug offen ge⸗
halten hat. Die Worte: „Daß der Erlaß mit
Rüchsicht auf den heiligen Vater sorgfältig erwogen
worden ist, versteht sich von selbst, und man wird
überlegen, ob man in der Folge den bezüglichen
Wünschen wird entgegenkommen können, immer aber
muß man unterscheiden, ob es sich um politische
oder religiöse Fragen handelt“, können allerdings
als eine Andeutung aufgefaßt werden, daß der
Zentrumsführer sich schließüch doch noch dem Willen
des Popstes unterordnen wird und wären demnach
jeine Auslassungen auf dem Köolner Parteitage
lediglich von „taktischen“ Gründen diktirt. Herr
Windthorst hat allerdings auch Ursache, es sich zwei
Mal zu überlegen, ob er dem heiligen Stuhle offen
fraudiren will, denn die Anzeichen mehren sich, daß
man auch im Zentrumslager selber mit der Politik
des Parteiführers nicht mehr einverstanden ist.
Finen neuen Beleg hierfür liefert die in der Kreuz⸗
zeitung veröffentlichte Erklärung des katholischen
Standesherrn Fürsten von Isenburg-Birftein, in
Samstag, 12. Februar 1887. 22. Jahrg
welcher dieser sich in der Frage des Septennats in
direkken Widerspruch zu der Zentrumspartei stellt,
u der seine Beziehnngen zur Zeit der Blüthe des
dulturkampfes sehr intime gewesen. Der Fürst
jebt hervor, daß die Reichstagsrechte durch das
Septennat in keiner Weise beeinträchtigt würden
ind daß durch die häufige Wiederkehr der parla—
nentarischen Verhandlungen über derartige Fragen
eine fortwährende politische Beunruhigung erzeugt
werde. Außerdem erklärt Fürst Isenburg-Birstein.
daß das Zusammengehen des Zentrums mit der
Fortschrittspartei in ihm von jeher große Bedenken
hervorgerufen habe. Diese Erklärung ist lediglich
ein Beweis für die zwischen dem „aristokratischen“
und dem „demokratischen“ Flügel der Zentrums—
partei, welch' letzterem Herr Windthorst angehört
destehenden inneren Widersprüche.
In Elsaß⸗Lothringen ist die Wahl⸗
bewegung ZJleichfalls eine sehr lebhafte. Unter
Anderem hat das Wahlkomite des Wahlkreises
dagenau⸗ Weißenburg folgenden höchst beachtens⸗
werthen Aufruf an die Wähler erlassen: „Mit⸗
hürger! Der Reichstag ist aufgelöst; Ihr seid be—
rufen, am 21. Februar wiederum einen Vertreter
zu wählen! Der Reichstag ist aufgelöst, weil er
dem Kaiser die Mittel verweigert hat, das deutsche
deer auf die Stärke zu bringen, welche nach seinem
ind seiner Rathgeber unanfechtbarem Urtheil für
die Erhattung des Friedens nothwendig ist. Er
hat verlangt, daß die Zahl der jährlich in das
deer einzustellenden Rekruten entsprechend der Be⸗
bölkerungszunahme vermehrt und daß diese Zahl
wie bisher so auch jetzt auf sieben Jahre im Vor⸗
aus festgesetzt werde. Das ist das Septennat.
Mitbürger! Es ist also eine Unwahrheit, wenn
kuch gesagt wird, daß Eure Söhne und Brüder
wiederum, wie in der franzoͤsischen Zeit, sieben
Jahre bei der Fahne dienen müßten. An der
bisherigen Dienstzeit wird nichts ge—
Aündert! Wie hat unser bisheriger Abgeordneter,
der überhaupt an den Berathungen des Reichstags
auch da, wo es sich um wichtige Interessen des
Elsaß handelte, so gut wie gar nicht theilgenommen
hat, sich zu dieser Frage gestellt? Er hat sich der
Abstimmung enthalten! Ist das Euer Wunsch,
daß Euer Vertreter zu einer solchen Frage schweigt?
Es handelt sich um Krieg oder Frieden! Das
Septennat bedeutet den Frieden; wird es abgelehnt
o drohen Zeiten, vielleicht noch schrecklicher als der
hZerbst des Jahres 1870. Jetzt erklärt unser bis⸗
heriger Abgeordneter, daß er gegen das Septennat
timmen wird, um dem Lande neue Opfer zu er⸗
paren. Opfer!? Sind das Opfer, die wenigen
Pfennige, die auf uns entfallen, wenn wir da⸗
zurch nach unseren Kräften beitragen können, dem
Elende des Krieges vorzubeugen! Ihr kennt die
Schrecknisse des Krieges! Diejenigen von Euch
velche die röchelnden Krieger auf dem blutigen
Schlachtfelde, die Dorfer in Flammen, die Saater
zerstampft gesehen habhen, können den Jüngeren
unter Euch schildern, was das heißt: es ist Krieg!
Mitbürger! Wir wollen daher unseren bisherigen
Abgeordneten nicht wieder wählen! Laß uns einen
Mann wählen, der uns die Segnungen des Frie—
dens erhalten will. Dieser Manu ist Euch nicht
tkremd. Er ist der Sprosse eines Geschlechtes, das
eit Jahrhunderten auf elsässischem Boden ansässig
st und Gut und Blut für dieses schöne Land ge—
»pfert hat. Dieser Mann ist der Graf Ecbrech
»on Dürckheim-Montmartin zu Fröschweiler. Lands—
eute! Bedenkt. um was es sich handelt! Keiner
darf am 21. Februar an der Wahl⸗Urne fehlen.
Wer für den Frieden ist, gebe seine Stimme dem
Grafen Eckbrecht von Dürckheim⸗Montmartin.“
Nach einem dem Abgeordnetenhause eben zuge⸗
gangenen Gesetzentwurfe soll die Staatsregierung
zur käuflichen Uebernahme der Berl in⸗Dres⸗—
dener, Rordhausen⸗Erfurter, Ober⸗
lausißer, Aachens Jülischer und Anger⸗
münde⸗-Schwedter Eisenbahn, sowie zur
Wiederveräußerung der Strecke Dresden⸗-Elsterwerda
an das Königreich Sachsen ermächtigt werden, und
zwar nach Maßgabe der bezüglichen Verträge.
Die Budgetkommission des Abge—
ordnetenhauses setzte am Dienstag Vormittag die
Berathung des Etats für das Berge, Hütten⸗
und Salhbinenwesen fort. Auf die lebhafte
Befürwortung durch die Regierungskommiffarien
beließ die Kommission den Posten von rund einer
halben Millon Mark für den Göttelborger Schacht
m Saarbrücker Bezirk (erste Rate) im Ordinarium.
Fine längere Erbrterung knüpfte sich bei der ferneren
Ftatsberaihung, die übrigens zu keinerlei Abstrichen
führte, an die Lohnfrage. Hier soll künftig eine
Aeberficht das Verhältniß zwischen den ausgezahlten
Löhnen und dem Unternehmergewinn erkennbar
machen.
Der Reichsanz. veröffentlicht den Milit är—
tariffür Eisenbahnen. Derselbe kommt
für den Mobilmachungsfall sofort, für den Friedens—
zustand vom 1. Oktober 1887 zur Anwendung.
Die franzdfische Deputirtenkammer begann
um Dienstag nach Genehmigung des Einnahme—
budgets die Beraihung über das Ertraordinarium
des Budgets und bewilligte ohne Debatte
die Kredile von 86 Millionen für das Kriegs⸗
ministerium und von 30 Millionen fur das
Marineministerium. Der Opportunist Jules Roche
hatte vorgeschlagen, die Debatte über den von Bou⸗
janger verlangien Kredit zu vertagen, und dafür
angeführt, daß die deutsche Presse das Votum fuͤr
die Wahlen ausbeuten würde. Der Ministerrath
erklärte sich jedoch gegen die Vertagung, da der
Zredit zur Vervollkommnung der Bewaffnung der
rranzösischen Armee bestimmt, von der Budget—
ommission schon lange Zeit angenommen und von
keiner Partei angefochten sei. Die Kammer hat
iich der Aufforderung der Minister sogar noch früher
Jefügt, als erwartet wurde, da die Sache eigentlich
erst am Donnerstag vor die Kammer kommen sollte.
Fin neuer Beweis, wie schnellfertig die Franzosen
ind, wenn es sich um Bewilligungen für das
Zriegsministerium handelt. Die „Nordd. Allg.
Ztg.“ klagt über das umgekehrte Schauspiel in
deutschland, indem sie an den Beschluß der
Royhalisten, den Kredit zu bewilligen, anknüpft, in
folgenden bezeichnenden Worten:
Da die Gewißheit zu dieser Bewilligung bei
den republikanischen Parteien erst recht vorausgesetzt
werden darf, so wird die Regierung der Republik
nicht in die Lage kommen, bei den Kammern für
das Heer betteln zu müssen, trotzdem zur Empfeh⸗
lung der in Rede stehenden Kreditforderung nicht,
wie bei unserer deutschen Militärvorlage, die Inter⸗
essen der Friedenswahrung geltend gemacht werden
koͤnnen, sondern einzig das, natürlich nicht in
Worten ausgedrückte Streben, Frankreichs Offensiv⸗
kraft zu dem geplanten Revanchezuge wider Deutsch⸗
and noch weiler zu erhöhen. Dafür bewilligt die
cranzösische Volksvertretung der Regierung Millionen
uüber Millionen; unsere Volksvertretung verweigert
den ersten militkärischen Autoritäten der Welt das