Full text: St. Ingberter Anzeiger

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Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingber.. 
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sc 47. 
Deutsches Reich. 
Muͤnchen, 4. Marz. In der Stichwahl 
Nünchen Iunterlag v. Vollmar (Soz.) gegen 
sundes (Cent.) mit circa 800 Stimmen. 
Berlin, 3. März. Bezüglich der Präsi- 
enten⸗Wahl im Reichstage ist als Ergebniß 
er bisherigen Besprechungen mitzutheilen, daß die 
ionserbdaliven den Prasidenten und die National⸗ 
Feralen den ersten Vicepräsidenten stellen werden. 
n3 welcher Fraktion der zweite Vicepräsident ent⸗ 
arrmen werden soll, ist ebenso, wie die Personen⸗ 
age, noch offen gelassen. Die nationalliberale 
zcktion beabsichtigt Herrn Dr. Buhl zum 1. Vice⸗ 
identen vorzuschlagen. 
Auf parlamentarischem Gebiete 
ete die am Donnerstag erfolgte feierliche Er— 
ftnung des ueuen Reichstages den 
itielpunkt und zugleich das hervorstehendste Er⸗ 
niß der Woche; über die Thronrede berich- 
mwir weiter unten. Ein neuer wichtiger Ab⸗ 
nitt in der Geschichte unserer inneren Politik 
ipft sich an diese Reichstagseröffnung. denn zum 
jen Male seit zwei Legislaturperioden tritt uns 
Stelle der aus so heterogenen Elementen zu⸗ 
numengejetzten Mehrheit „Richter⸗Windthorst⸗Gril⸗ 
iberger· eine Mehrheit entgegen, die aus den 
ntionalliberalen und den beiden conservativen 
ruppen besteht und die bisherige Haltung dieser 
atteien bürgt dafür, daß von jetzt ab im deut⸗ 
jen Parlamente weniger Partei- und Interessen⸗ 
olitik und dafür mehr wirklich nationale Politik 
eirieben werden wird. Gewiß werden auch in der 
zigen conservativ⸗liberalen Mehrheit Differenzen 
ht ausbleiben, denn es ist ja bekannt, welche 
incipiellen Gegensätze zwischen der äußersten Rechten 
nd dem linken Flügel der Nationalliberalen herr⸗ 
hen. Aber diese schließen nicht aus, daß in großen 
uionalen Fragen auch die Anhänger des Herrn 
hbammerstein und des Herrn von Bennigsen fest 
ammenhalten und jenen Fragen zum Siege ver⸗ 
sen, während dies bei der seitherigen Majorität, 
whier Elemente, wie Welfen, Polen und Elsässer 
usschlaggebend waren, nicht, oder nur im entgegen⸗ 
chlen Sinne der Fall war. Ueber die geschäft⸗ 
hen Dispositionen des neuen Reichstages verlau⸗ 
mnoch nichts Definitives, doch ist nicht zu bezwi⸗ 
in, daß zunächst die Militärvorlage in Angriff 
nommen und jedenfalls in ein paar Tagen er⸗ 
digt werden wird. Was die Präfidentenwahl an⸗ 
(engt, die schon so viel erbciert worden ist, so 
lüfte die Nominirung eines ausschließlich conser⸗ 
nibenationalliberalen Präsidiums sicher sein, da 
WW Centrum lieber ganz auf seine Vertretung im 
räsidium verzichten, als sich nun ini der zwaiten 
ireprusidenlenstelle begnügen will. 
Reichstagseröffnung. Die Thron— 
de, mit welcher der Reichstag eröffnet wurde, 
ett der Genugthuung über die wohlwollenden Ge⸗ 
nngen des Papstes Ausdruck. Die auswärtige 
Ine sei foriwührend auf die Erhaltung des 
r ens bedacht, mit allen Mächten, besonders aber 
unsern Nachbarn. Diese friedensliebende Poli— 
wirde wirlsamst unterstützt, wenn der Reichstag 
Viuin der Nation ausdrücke, gegen jeden An⸗ 
— die ganze Fülle der nationalen Kraft aufzu⸗ 
“ 3 sowie die Zweifel beseilige, welche sich an 
Im iherigen Parlamentsverhandlungen knüspften. 
* Reichstage werden die Geseßentwürfe der 
I Session wieder zugehen. (Also die Militär— 
ge— der Etat nebst Nächtragsetai, das Militär⸗ 
ctöngesetz. die Entwürf⸗ ßer ven Serpistarit 
Sonntag, 6. Mär- 008 
und die Classeneintheilung der Orte, sowie die 
Vorlage betr. die fernere Beschränkung der Oeffent⸗ 
ichkeit bei Gerichtsberhandlungen). Die vom Reichs⸗ 
anzler verlesene Thronrede ist demnach rein ge⸗ 
chäftsmäßig gehalten und giebt sich weder „warm“ 
noch „kalt“; namentlich erscheint der Passus über 
die auswärtige Politik erstaunlich kurz und kühl. 
Berlin, 4. März. Der Reichstag wählte 
um ersten Präsidenten Herrn v. Wedell⸗Piesdorff 
kons.) mit 184 von 285 Stimmen (008 weiße 
Zettel). Zum ersten Vice⸗Präsidenten Herrn Rrichs⸗ 
ath Dr. Buhl mit 172 gegen 107 Stimmen, die 
ür Frhr. v. Franckenstein abgegeben wurden. Zum 
weiten Vicepräsidenlen Herrn v. UnruheBomst 
Reichspartei) mit 169 von 236 Stimmen. (67 
varen ungiltig.) Herr v. Hertling (Cent.) hatte 
die auf ihn bereits gefallene Wahl abgelehnt, da 
das Centrum die erste Vicepräsidentenstelle zu be⸗ 
inspruchen habe. 
Berlin, 4. März, 4 Uhr 15 Min. Nachmit⸗ 
ags. Von Stichwachlen find bisher 51 bekannt, 
»avon entfallen 7 den Konservativen, 83 der Reichs⸗ 
dartei, 11 den Nationalliberalen, 6 dem Centrum, 
7 den Freisinnigen, 5 den Socialisten und 2 den 
Welfen. 
Ausland. 
London, 4. März. Reuters Bureau meldet 
aus Sofia: Gestern Nachmittag wurden hier etwa 
50 Personen, darunter Karawelow und Usupow 
perhaftet, da entdeckt worden ist, daß sie mit der 
Verschwörung zu Silistria und Rustschuck in Ver⸗ 
bindung gestanden haben. 
Wien, 4. März. Heute wird die Nachricht 
der „Agence Havas“ über die russische Cirkularnote 
betreffend Lossagung Rußlands vom Dreikaiserbünd⸗ 
aiß für begründet erachtet. Das Cirkular scheint 
zereits vorwöchentlichen Datums zu sein und soll 
aut Depesche des Fr. Journ. den letzten offizidsen 
Vreßgebungen als Suhstrat gedient haben. 
Lefele und pfäl⸗eische Nachrichten. 
St. Ingbert. Gestern Nachmittag 
jielten die hiesigen Bäcker eine Versammlung bei 
dorst, zu der auf Einladung Herr Horn, Vorstand, 
und Herr Holzgrefe, Kassier des pfälzischen Bäcker⸗ 
Verbandes, von Zweibrücken erschienen waren. 
derr Horn sprach über die Einrichtung und den 
Zweck der Innungen und forderte die Anwesenden 
nuf, auch hier eine Innung zu gründen, welcher 
Iufforderung unter allgemeiner Zustimmung ent⸗ 
prochen wurde. Es wurde ein provisorischer Aus⸗ 
chuß zur Ausarbeitung der Statuten gewählt, die 
ann zur Genehmigung eingereicht werden. Möge 
die Innung im Interesse des Handwerks wachsen 
ind gedeihen, damit man von ihm wieder sagen 
ann, «s hat einen goldenen Boden. 
— Landau, 8. März. Gestern wurden 
nehrere hiesige Kaufleute durch die Gendarmerie 
rotokoslirt, weil sie ihre Waare im „Anzeiger“ 
ach „Pfund“ statt nach „Kilo“ zum V.erkauf aus⸗ 
hrieben. Belanntlich wurden bor einiger Zeit 
hon andere hiesige Kaufleute bestraft, weil sie den 
zreis ihrer Waaren nach der „Elle“ statt nach dem 
„Meter“ angegeben hatten, denn es ist gefetzlich 
erboten, Waaren nach dem alten Maaß und Ge— 
vicht zum Verkauf auszuschreiben. Zum alten 
Maaß gehört auch die Bezeichnung „Schoppen“, 
s muß siatt dessen Liter“, bezw. 1, Liter“ ge⸗ 
rat werden 
22. Jahrg 
Vermischtes. 
7 Neunkirchen, 4 März. Am Mittwoch 
vurde im benachbarten Wiebelskirchen dem Berg⸗ 
nann Fr. Gr. ein Kind weiblichen Geschlechts ge⸗ 
horen. das weder Arme noch Beine hat. 
EG. u. Bl. Zig.( 
FLouisenthal, 4. März. Heute gerieth 
ꝛein braver Arbeiter der hiesigen chemischen Fabrik, 
velcher an der Kalkmühle beschäftigt war, mit 
einer Hand derart zwischen das Räderwerk, daß 
ihm der Arm bis an den Ellenbogen total zer⸗ 
nalmt wurde und derselbe abgenommen werden 
mußte. Es ist ein junger Familienbater von drei 
lleinen Kindenn. 
FKarlsruhe, 4. März. Friedrich Merkel, 
Regierungsrath bei der Generaldireklion der Staats⸗ 
ꝛisenbahnen, hat sich heute Mittag erschossen. 
fFMainz, 1. Marz. Von heute ab haben 
ammtliche Personenzüge zwischen Frankfurt⸗Mainz⸗ 
öln und umgekehrt die aus jedem Koupee zu be⸗ 
zienende durchgehende Bremse, System Carpenter, 
velche den Zug im Falle einer Gefahr in kürzester 
Zeit zum Stillstand bringt. Seit 1. Oktober d. J. 
var diese Bremsvorrichtung bei den Schnellzügen 
der genannten Linie eingeführt und hat sich dabei 
trefflich bewäͤhrt. Zu gleicher Zeit werden direkte 
Filgutwagen von Neustadt a. H. via Münster a. 
—AVII 
Filgut für diese Linien, welches bisher zum größten 
Teile in Bingerbrück umgeladen wurde, direkt in 
die Carpenter Bremswagen verladen werden kann. 
F Paris, 8. März. Die Grubenarbeiter 
'n Lalle bei Besseges weigern sich, die Arbeit fort⸗ 
zusetzen und verlangen Gleichheit des Lohnes. 
rF AschermittwochGedanken. Man 
schreibt aus Paris: „Fräulein Edith Gorzales, die 
29 jahrige Tochter eines Pariser Kaufmannb, hat 
ich am Aschermittwoch mittelst Cyankali vergiftet. 
In einem hinterlassenen Schreiben erklärte die 
Dame, sie habe sicher darauf gerechnet, in diesem 
Fasching einen Mann zu bekommen; allein ihre 
Wünsche hätten sich nicht erfüllt und fie wolle nicht 
vieder ein ganzes Jahr hindurch die Zielscheibe 
chlechter Witze seitens ihrer jüngeren Schwestern 
und ihres Bruders sein. Die sentimentalen Schluß⸗ 
worte des Briefes lauten: „Was ich in letzter Zeit 
auch unternahm, es hieß stets: du dis zu alt da⸗ 
zu; nun, zum Sterben werden mich doch noch hof⸗ 
fentlich alle zu jung finden.“ 
f Dans abgebissene Ohr. Am Sams⸗ 
tag Mittag stellte sich in dem Johannishospital in 
Brüssel ein junger Mann, anscheinend ein Diener, 
vor, der in der Hand ein blutendes Menschenohr 
hielt. Es war sein eigenes, und er ersuchte, ihm 
dasselbe wieder an der gehörigen Stelle zu be— 
festigen. Der Bedauernswerthe erzählte, daß, wäh-⸗ 
rend er im Stalle beschäftigt gewesen sei, eines 
der von ihm behandelten Pferde ihm das Ohr 
abgebissen habe. Der Arzt, Doktor Warnots, 
auchte das Ohr zunächst in Sublimatlösung, um 
s wieder zu beleben und nähte es alsdann mit 
zielem Glück wieder am Kopfe des Patienten fest. 
Die Operation gelang über Erwarten gut, und der 
Beheilte ging fröhlich von dannen. Zwar wird 
»as eine Ohr nach der vollstaͤndigen Vernarbung 
was kürzer erscheinen als das andere; aber was 
hut's? Zwei Ohren, wenn auch einander nicht 
janz ähnlich, sind doch in jedem Falle besser als 
ur eines! 
FGrubenunglück. Im Erdwachs ⸗Berg⸗ 
nork Wolenka Mesferreich) murde infolge Explosien 
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