. Jugherter Anzeiger.
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert.
der „St. Jusberter Anzeiger“ erscheint woͤchentlich funfmal: Am Moutag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonutag; 2 mal wöchentlich mit Unterhaltungs
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22. Jahrg.
B —
Russische Stimmen über die
deutsch⸗russischen Beziehungen.
Die vielbesprochenen Kundgebungen des „Nord“
und der „Pol. Korr.“ werden von der russischen
Bresse freudig begrüßt. Aber ganz zufrieden sind
„ie Blätter darum doch nicht alle. So meint der
„Sswjet“, daß die Politik des Abwartens wohl
zine gute sei, aber doch nur unter der Voraus⸗
sezung. daß man andererseits zu jeglicher krieger⸗
schen Aktion bereit wäre. Sonst koönne es leicht
jeschehen, daß man über das Abwarten überhaupt
ücht hinauskäme.
„Die militaärischen Ereignisse vollziehen sich jetzt
jar schnell. Und wie dann — wenn Deusschland
yen tödtlichen Streich gegen Frankreich früher führt,
als wir unser „gewichtiges Wort“ gesprochen, das
a zudem ohne jegliches „Gewicht“ wäre, wenn wir
bben nicht durch völlige Kriegsbereitschaft ihm erst
den rechten Nachdruck verleihen? Auch ist nicht
nußer Acht zu lassen, daß der Vertrag, betreffend
ine „europäische Liga zum Schutz der internatio⸗
zalen Traktate“, wie russische Korrespondenten aus
dondon melden, schon geschlossen ist und daß zu
ihr nicht blos Deutschland, England, Oesterreich⸗
Ungarn und Italien gehören, sondern auch Spanien,
Belgien, die Niederlande, Serbien und Rumänien?
Man ist daher zur Annahme berechtigt, daß in
)em Moment, wo Rußland endlich sfich entschließen
iollte, zu Deutschland sein ‚gewichtiges Wort“ zu
prechen, letzteres ihm die Kraft der Anglo⸗austro-
halkan⸗ Liga entgegenstellen werde. Und darum
darf, wenn wir überhaupt wünschen, daß unser
Wort wirklich ein entscheidendes und gewichtiges
jein solle, nicht mehr gezaudert werden und müssen
wir, dem Beispiel ganz Europas Folge leistend,
d hheoerlichen militärischen Vorkehrungen er⸗
zreifen.“
Die „Nowosti“ ihrerseits erklären, Deutschland
idnne Rußland nicht den Vorwurf machen, daß es
die deutsche Freundschaft nicht hoch geschätzt hätte.
„Im Gegentheil, ungeachtet unzweifelhafter Be⸗
ege der Zwecklosigkeit dieser Freundschaft vom
Standpunkte unserer wesentlichen staatlichen Inter⸗
ssen aus, ist Rußland Deutschland treu geblieben.“
Nun aber wäre der Moment gekommen, wo
gie schweren Verluste, die Rußland im Oriept er⸗
aitten, es zwingen, solche internationalen Bezieh⸗
angen herzustellen, die ihm die Möglichkeit gewähren
wirden, sein Ziel zu erreichen. Deutschland habe
mit Oesterreich ein Bündniß abgeschlossen. Gegen
ven dasselbe gerichtet see — diese Frage wollen
die „Nowosti“ nicht aufwerfen, obschon sie klar
insähen, daß der Triumph der österreichischen
Interessen auf der Balkan- Halbinsel eben durch
ieses Bündniß gesichert erscheine. Freilich wollen
je ebenso wenig in diesem Bündniß eine Gefahr
ür den europäischen Frieden erblicken.
„Aber — fragt das Blatt — warum wird
rotzdem die unter solchen Verhältnissen so natür—
lich erscheinende Annaherung zwischen Rußland und
drankreich als eine Gefahr fur Europa betrachten
Warum erhebt man in Berlin Prätenfionen gegen
kußland deswegen, was selbst zu thun man sich
ür ganz berechugt hält?
Die „N. AÄ. Z.“ beruhigt uns mit der Ver⸗
icherung, daß Deutschland an den orientalischen
Ungelegenheifen durchaus kein Ineresse habe Wie
dren diese Phrase schon lange, wie wir früher das
amose Diktum „Das Bischen Herzogowina“ ver
iahmen. Indeffen hat dieses Diütum uns doch
nicht vor dem Berliner Traktat bewahrt, wie auch
die jetzige Phrase Rußland nicht vor seiner end⸗
ziltigen Verdrängung von der Balkan-Halbinsel
chützen wird. Man soll uns nur nicht sagen, daß
Deutschland keinen Antheil habe an den Mißer—⸗
'olgen, die uns betroffen haben. Es liegen denn
doch schon gar zu viele greifbare Thatsachen vor,
die uns vom Gegentheil überzeugen, als daß wir
daran glauben sollten. Wenn in Berlin ein
Mittel gefunden werden sollte, aus unserem Ge—
dächtniß die Erinnerung an den Berliner Traktat,
die Friedensliga, die verstärkten Rüstungen und
Bündnisse, die unaufhörlichen Gerüchte von einem
driege „nach zwei Fronten hin“, die scharfen Aug⸗
älie der Berliner Offiziösen gegen General Kaul—⸗
zars und ihre maßlosen Komplimente an die
Adresse der Sofiaschen Regenten schwinden zu machen
— mit einem Worte, daß wir all' dessen vergäßen,
was das Herz eines jeden Russen mit Betrübniß
erfüllt hat, dann, nur dann wird man glauben
önnen, daß Deutschland keinen Antheil hat an der
zegen Rußland gerichteten Intrigue im Orient.“
Endlich möchten wir noch einem Passus aus
einem Raisonnement der „Pet. Wed.“ Raum geben.
Sie äußern, daß die Nachricht von dem Siege
des deutschen Reichskanzlers über die Oppofition
nicht den erschütternden Eindruck in Petersburg
ind Moskau gemacht habe, noch überhaupt machen
werde, wie man in Berlin erwartet hatte.
„Doch das ist nicht unsere Sache und unserer
Ansicht nach liegt hierin auch nichts für uns Un
ingenehmes in dieser Thatsache. Ja, noch mehr
wir können uns sogar getrost anschließen der Kund⸗
zebung unserer diplomatischen Zeitung, die uns
zaran erinnert, daß die Beziehungen zwischen den
Maächten nicht von Zeitungsartikeln abhängen —
und wären dieselben auch offiziösen Ursprungs.
Sonst wäre es ja nicht möglich, an die Erklärungen
des Fürsten Bismarck glauben zu köͤnnen, an dite
Erklärungen, die vom Wunsche sprechen, daß die
russische Freundschaft erhalten bleiben möge, wenn
nan denselben die Drohungen der offiziösen „Köln
Ztg.“ enigegen hält, die sich rühmte, daß im ent ⸗
cheidenden Moment Deuischland mehr als eine
darte für Rußland bereit haben würde und daß
s einem franco⸗rusfischen Bündniß andere Freunde
nntgegenstellen könne, die die Ansicht nicht theilen
als ob Rußland nur wachsen, nicht aber auch
leiner werden köͤnne. ..
Der „Herold“ autwortet auf die erwähnte
Mittheilung der „Koͤln. Ztg.“, wonach der Ge—⸗
heimrath Jomini im russischen auswärtigen Am—
Aie bekannten Artikel im „Nord“ und in der ‚Pol
Zorresp.“ inspirirt habe, wie folgt:
„Soviel wir wissen, find die Namen Jomini,
MNohrenheim und Saburow fälschlich als die
„starken Säulen der deuischfeindlichen Partei in
stußland“ in einem Pamphlet genannt. Doch
avon abgesehen, ist und bleibt es vollständig irre⸗
ebant, ob Herr von Jomini „deutschfreundlich“
oder „deutschfeindlich“ ist, derselbe ist nicht Minister
AXD
der russischen Politik trotz seiner hohen Stellung
nichts zu schaffen, er hat das ihm Vorgeschriebene
zu erfüllen, und ob dieses oder jenes seiner un⸗
maßgeblichen Privatansicht nach gut oder schlecht
ist, muß ihm gleichgiltig bleiben, denn „Dienst ift
Dienst“ und das Wort: „Gehorsam“ wird Gott
sei Dank in Rußland immer noch „groß“ ge⸗
chrieben und wird auch hoffentlich immer „groß“
teschriehen bleiben, trotz anonym frondirender Gene⸗
rale und offen frondirender Journalisten und hießen
diese Journalisten sogar sämmtlich Katkow. Das
sollte man sich doch im Auslande merken! Kann
nun die „Kölnische Zeitung“ wirklich ernfflich
glauben, daß ein russischer Geheimrath, ein Ge⸗
heimrath Jomini es fertig bringen kann, den Korre⸗
spondenten des „Nord“ in seinem Erwerb durch
Abfaffung von Korrespondenzen zu schädigen ? Ge⸗
schweige noch davon, daß der Geheimrath seine
eigene hohe Stellung im Ministerium ja leicht⸗
fertiger Weise zu einer unhaltbaren machen würde?“
eutsches 0.
Berlin, 6. Marz. Die Resultate der Stich⸗
vahlen find jetzt bekannt. Es wurden 8 Konser⸗
»ative; 5 Reichspartei, 18 Nationalliberale, 8
Centrum, 21 Freifinnige, 5 Sozialdemokraten und
2 Welfen gewählt.
Wenn das jetzt bekannt gewordene Ergeb⸗
nis der Stichwahlen durch die amtlichen Ermittel⸗
aungen Bestätigung findet, so ergibt sich der Stand
der einzelnen Fraktionen des Reichstags wie folgt:
Nationalliberale 101 (Zuwachs seit 18834 — 50)
ronservative 82 (Zuwachs 5) Reichspartei 39 (Zuw.
11), Centrum 99 (unverändert), Deuischfreifinnige
32 (Abnahme 35), Sozialdemokraten 11 (Ab⸗
nahme 18), Welfen 4 (Abnahme 7), Polen
18 (Abnahme 3), Volkspartei 0O (Abnahme 8),
Dänen 1 unverändert), Elsässer 15 (unverändert).
Für die septennatsfreundlichen Fraktionen ergibt
ich hiernach eine Gesammt- Mitgliederzahl von 222
mit einem Zuwachs don 66 Abgeordneten. Die
GBesammtzahl der Oppositionsmitglieder dagegen
beläuft fich auf 175 Abgeordnete mit einem Ver⸗
suste von 66 Stimmen. Die Majorität der Sep—
tennatsfreunde beträgt sonach 47 Stimmen.
Berlin, 7. März. Der Reichstag erledigte
jJeute in erster Lesung die Militärvorlage und be⸗
cchloß, die zweite Lesung im Plenum vorzunehmen.
Der Kriegsminister empfiehlt eine moͤglichst zahlreiche
zZustimmung zu der Vorlage. v. Bennigsen spricht
ür rasche Erledigung derselben, wodurch die Friedens⸗
»olitik Deutschlunds verstärkt werde. Windthorft
und Reichensperger (C.) behalten fich die nähere
Präzisirung ihres Standpunktes für die zweite Lesung
vor. Richter erklärt namens der Deutschfreisinnigen,
er beharre auf seinem bisherigen Standpunkte. Fürff
Bismarck wohnte einem Theile der Sitzung bei.
Morgen erste Lesung des Etats.
Berlin, 7. Maͤrz. Bei dem gestrigen Em⸗
pfange des Reichstagspräfidiums sagte der Kaiser:
Er habe fich gendthigt gesehen, den vorigen Reichs⸗
tag aufzulöͤsen, weil trotz der von ihm befohlenen
offenen Darlegung der Ueberlegenheit der Nach⸗
barn die Opposition die Militärvorlage nicht in
vollem Umfange bewilligte. Um so erfreulicher sei
es jetzt für ihn, der Erwartung Raum gönnen zu
koönnen, daß die Vorlage nunmehr mit großer Ma⸗
joritaͤt angenommen werde. Hinsichtlich des Papstes
—XXR
steigung des päpstlichen Thrones kundgegebenen
friedlichen Gefinnungen überzeugt gewesen und
hoffe, daß auch die kirchlichen Verwickelungen bal⸗
digst auf friedlichem Wege gelöst würden.
Die Vorarbeiten zur Ausführung der in der
Erbffnungsrede zum Reichstage angekündigten JIn—
nungsvdorlage sind bereits aufgenommen. Wie
verlautet, würden jedod zu weit gehende Vorschläge
in dieser Richtung bereits im Bundesrate Schwie⸗
rigkeiten begegnen, namentlich da einige süddeutsche
Regierungen entschiedene Gegner der Aufhebung
ver Gewerbefreiheit sind.