Full text: St. Ingberter Anzeiger

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Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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die neuen Regierungsmaßregeln 
im Reichslande. 
Der so ungünstige, man kann wobl sagen, 
irekt deutsch⸗feindliche Ausfall der elsaässischen 
steichstagswahlen hat jetzt seine rückwirkende Folgen 
uf die Reichslande selber geäußert, wie sich nicht 
mders erwarten ließ. Eine Verfügung des Staats⸗ 
etretärs v. Hofmann an die drei Bezirkspräsidenten 
xdnet verschärfte Maßregeln gegen die Vereine 
ranzösischer Richtung an und spricht sogar die Auf⸗ 
osung speziell der Zentralverbände der elsäfssischen 
hesang⸗ und Turnvereine aus. Gleichzeitig ist 
zuch der Gesangverein im Kreise Rappoltsweiler, 
weil er sich an der Agitation zur Wiederwahl des 
xotestlerischen Kandidaten Abboͤ Simonis in her⸗ 
zorragender Weise beteiligt, aufgelöst, sowie der 
tzurgermeister Gilloit in Rheinau, ein eifriger An⸗ 
jaͤnger der Protestpartei, vom Amte suspendirt 
vorden. Speziell bestimmt die genannte Verfügung 
zeß Staatssekretärs, daß Vereine mit vorwaltend 
zeutschfeindlichen · Bestrebungen und offenkundig 
eindseliger Gesinnung gegen Deutsche aufzulösen 
eien. Die Erlaubniß zur Fortdauer der früher 
rteilten Genehmigung wird an verschiedene Be⸗ 
ingungen geknüpft, namentlich find keine Marsch⸗ 
nusiken mit Trommeln und Clairons und ebenso⸗ 
venig militärische, speziell französische Signale ge⸗ 
jattet. Die Verfügung bezieht sich auf Musik⸗ 
turn⸗, Fecht⸗, Schieße und sonstige Sportsvereine. 
Diese Maßnahmen treffen den Kern der pro⸗ 
estlerischen Agitation in den Reichslanden, denn 
erade die zahlreichen einheimischen Feuerwehr⸗, 
desang⸗ und Turnvereine waren die eifrigsten 
Träger jener prononeirt deutschfeindlichen Ideen, 
nit denen die Protestpartei unermüdlich Elsaß⸗ 
vthringen überschwemmte und welche jenseits der 
bogesen einen so starken Rückhhalt fanden. Selbst⸗ 
rerständlich find nicht alle elsässischen und lothrin⸗ 
ischen Vereine der genannten Art in einen Topf 
u werfen, denn es gibt viele von ihnen, in denen 
Ilt- und Neudeutsche brüderlich zusammenwirken 
ind die entweder eine politisch⸗neutrale oder deutsch⸗ 
reundliche Haltung beobachten. Aber es existiren 
n den Reichslanden auch zahlreiche Gesange und 
furnvereine, deren Tendenz schon aus den Ver⸗ 
insbestimmungen erhellt, denen zufolge eingewan⸗ 
erte Deutsche die Mitgliedschaft gar nicht oder nur 
ehr schwer erwerben können. In diesen Vereinen 
ient der Name, „Fanfare“, Harmonie“ u. s. w. 
geist nur als Aushängeschild, um ihre politischen 
hzestrebungen notdürftig zu verbergen und daß letz⸗ 
ere sich nicht in deutsch⸗ und regierungsfreund⸗ 
ichem Sinne bewegen, braucht wohl kaum erst be⸗ 
onders hervorgehoben zu werden. Diese Vereine 
ranzösischer Richtung haben in der nun beendigten 
Vahlbewegung eine bedeutende Tätigkeit zu 
hunsten der protestlerischen Kandidaten entwickeit, 
venngleich letztere aus naheliegenden Gründen mög⸗ 
ichst wenig in die Oeffentlichkeit trat, dafür aber 
ich im Stillen um so mehr Aaußerte und daß die 
kegierung des Fürsten Hohenlohe den Charakter 
er gedachten Vereine vollkommen erkennt, geht 
ben aus den gegen fie erlassenen Maßregeln zur 
Zenüge hervor. 
Ob fich die Regierung mit denselben vorläufig 
»egnügen wird, steht noch dahin, jedenfalls wird 
ie aber die vollen Consequenzen des Dictatur⸗ 
aragraphen? gegen die Anhanger der Protest⸗ 
Aattei zur Anwendung zu bringen wissen, falls sich 
dies als notwendig erweisen sollte. Denn der 
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Samstag, 12. März 1887. J 
22. Jahrg. 
zjeheime Terrorismus dieser Partei ist es vor 
Allem, der bei den elsässischen Wahlen den Aus⸗ 
chlag im antideutschen Sinne gegeben hat, wenn 
„ielleicht sonst auch noch andere Ursachen hierbei 
nit tätig gewesen sein mögen. Man darf über⸗ 
eugt sein, daß der größere Theil der reichslän⸗ 
ischen Bevölkerung, wenigstens was die ländlichen 
Bevölkerungskreise anbelangt, sich vollkommen mit 
er deutschen Herrschaft ausgesöhnt hat, aber der 
lsässische Ableger der französischen Patriotenliga, 
zie Protestler und Französlinge, übt eben in ent⸗ 
cheidenden Momenten noch immer einen ganz 
jedeutenden Einfluß aus. Wenn derselbe bei den 
orjährigen Gemeinderatswahlen gebrochen zu sein 
chien, so lag dies wohl hauptsächlich mit an der 
iberaus energischen Gegenagitation der altdeutschen 
xflemente, die aber bei den Reichstagswahlen, bei 
enen ja ganz andere Bevölkerungskreise in Betracht 
ommen, lange nicht in gleicher Weise zur Geltung 
ommen konnte; vielleicht haben auch verschiedene 
nißliebige Maßregeln der kaiserlichen Behörden mit 
azu beigetragen, den protestlerischen Bestrebungen 
nn die Hände zu arbeiten. Nun, jedenfalls hat die 
Regierung des jetzigen Statthalters den Sitz des 
debels richtig erkannt und daß fie nur gegen die 
Bereine mit französirender Tendenz vorgeht, nicht 
aber mit allgemeinen Maßnahmen, welche auch die 
jut gefinnten Bevölkerungselemente treffen würden, 
st klug von ihr gehandelt. Die kraftvolle und 
ücksichtslose Unterdrückung aller und jeder deutsch⸗ 
eindlichen Agitation ist die beste Antwort der 
aiserlichen Regierung auf das protestlerische Ver⸗ 
ikt vom 21. Februar und dieses Verfahren wird 
essere Früchte tragen, als wenn sie nun plötzlich 
nit schroffen Ausnahmemaßregeln im Reichslande 
oraeben walsste 
eden. Ich will weder eine lange, noch eine kriege— 
rische Rede halten. Ohne jeden Zweifel ist unsere 
Armee stark und stärker, als allgemein im Auslande 
angenommen wird. Aber überall weiß man, daß 
ie mit Ruhe und Sicherheit tut, was Kindern 
eines großen Landes ziemt, daß nicht ohne Unklug- 
jeit angegriffen werden wird. Die Kaltblütig keit 
st ein kostbates Element der Kraft im Kriege wie 
nn der Politik; aber wenn dies Beispiel von einem 
zanzen Volke gegeben wird, so sind dies Anzeichen 
iner großen Macht. Unser Bemühen ist, in Frie— 
den mit der ganzen Welt zu leben, während wir 
an militärischen Verbesserungen arbeiten“ 
Der „Krz. Zig.“ aber schreibt man aus Paris: 
„Der unbefangene Zuschauer empfängt den 
kFindruck des tiefsten Friedens, weil in rührender 
Finstimmigkeit kein Minister oder hoher Staats⸗ 
nann es unterlassen wird, dem Fremden die ein⸗ 
ringlichste Ueberzeugung von der friedlichen 
Besinnung aller maßgebenden Kreise in Paris 
zeizubringen. Ja, es ist mir begegnet, daß ein 
Minister mir geradezu sagte, daß Frankreich nicht 
nur keine Kriegsgelüste habe, sondern auch nicht 
jaben könne, da es nach den Erfahrungen von 
1870 doch nur ungern mit Deutschland wieder 
mbinden würde. Ich weiß, daß dieser Ausspruch 
einen wahren Hintergrund hat, daß, wenn noch 
ein Zweiter“ zum „Anbinden“ sich finden 
ollte, die Lust zum Losschlagen mit der 
3chnelligkeii eines magnetischen 
Stromes ganz Frankreich durchzucken 
vürde, wie die letzten Monate dies ja zu 
deutlich bewiesen haben. Bei allen diesen Frieden 
umenden Reden ist es für denjenigen, der nur 
einigermaßen in die Verhältnisse eingeweiht ist, 
vahrhaft amüsant zu sehen, wie man den größten 
Bleichmut heuchelt, sobald von dem Störenfriede 
Boulanger die Rede ist. Innerlich hafsen 
hn, meiner Ueberzeugung nach, alle seine Kollegen 
einträchtiglich und würden ihn mit Freuden je eher 
desto lieber stürzen, wenn ihnen hierzu nicht ebenso 
der Mut wie die Macht fehlten; nur das unbe⸗ 
jagliche Gefühl teilen fie allesammt, daß das 
oridauernde und aufreizende Spiel mit dem Feuer, 
velches hier unaufhoͤrlich gespielt wird, bei so 
ernsten Charakteren, wie fie an Deutschlands Spitze 
zehen, eines Tages zu unseligen Folgen führen 
jann. Klopft man nun irgend in Betreff Bou⸗ 
angers irgend wo an, so wird einem mit den 
reundlichsten Mienen geantwortet, daß derselbe 
ine „ephemere“ Erscheinung sei, die jeden Tag 
zerschwinden könne; wobei natürlich wohlweislich 
jerschwiegen wird, daß man den Mann leider nicht 
sos zu werden verma 
er Fond der Jinge in Fraukreich. 
Nicht minder widerspruchsvoll, als über die 
»altunge Rußlands, lauten die Nachrichten aus 
rankreich. Daß dort die Mehrzahl der jetzigen 
degierungsmünner augenblicklich dem Frieden ge⸗ 
ieigt ist, weiß man. Aber man weiß nicht, 
vie lange die gegenwärtige Regierung noch am 
Kuder bleibt, wie bald sie von einem radikalen 
und kriegslustigen Kabinet abgelöst werden kann. 
die Getreidezollfrage scheint allerdings 
eine Kabinetskrisis herbeiführen zu sollen, da man 
ziese Frage als keine politische ansehen will und 
edem Minister das Recht zugesteht, so zu stimmen 
vie er will. Schon haben sich die Kräfte in dieser 
Frage gemessen. Ein Amendement Achard, welches 
ie Anfhebung sämmtlicher Zölle auf Cerealien be⸗ 
mtragte, wurde gestern mit 354 gegen 151 Stim⸗ 
nen abgelehnt. Die Schutzzollpartei ist also in 
eoßer Majorität, obwohl es immerhin fraglich ist, 
ib dieselbe auch geschlossen für eine Erhöbung der 
Zolle stimmen wird. 
Nicht blos die wirklichen Anhänger des Frie 
ens, sondern auch diejenigen, die man kriegerischer 
Neigungen verdächtigt, überbieten sich übrigens jetzt, 
vie schon seit einiger Zeit, in friedlichen Versiche⸗ 
rungen. Der Kriegsminister selbst will vor 1888 
eine teilweise Mobilmachung vornehmen. Das Ge— 
ücht von einer nahe bevorstehenden Mobilmachung 
»es 11. Korps wird als grundlos bezeichnet. Ein 
Hertrauter Boulangers, der General Cornat in Bor- 
»eaux, hat dieser Tage auf einem Banket eine Rede 
sehalten, in welcher er unter Anderm sagte: 
„Es ist naturgemäß, daß wir in einer mili— 
irischen Versammlung von militärischen Dingen 
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Deutsches Reich. 
Muünchen, 9. März. An Stelle des unter 
Frnennung zum General der Infanterie pensionirten 
Zenerallieutenants Heckel ist Parseval zum Komman- 
deur der 83. Didision ernannt worden. Zahlreiche 
Berschiebungen sonstiger höherer Offiziergrade haben 
tattgefunden; weitere stehen noch bevor. 
Straßzburg, 9. März. Gutem Vernehmen 
der „Straßb. Post“ zufolge beabsichtigt der kaiser— 
liche Staatssekretär, Staatsminister v. Hofmann, 
dem Kaiser sein Entlassungsgesuch einzureichen. 
Berlin, 9. März. Zum Geburtstage 
des Kaisers werden nachstehende Fürstlichkeiten 
m Berlin anwesend sein: der König und die Köni⸗ 
zin von Sachsen, der König und die Königin von 
Pumänien. der Kronprinz und die Kronvrinzessin